Vermutlich wird im Rückblick die Ästhetik der 2020er Jahre ganz eindeutig zu erkennen sein – geprägt von KI-generierten Bildern, Filtern und Instagramm. Das Bild oben ist ein „echtes“ Foto – also zumindest so echt, wie das, was das iPhone ausspuckt, wenn einmal ein bisschen an den Filtereinstellungen herumgespielt wurde. Und stand nach dem Frühstück noch auf dem Tisch herum, so dass nur mit leichten Verschiebungen der Gegenstände – Quitte und Apfel, ein Töpfchen mit Zimt und Zucker, ein Herbstblumenstrauß aus dem eigenen Vorgarten und die schnell fleckig werdende Wasserkaraffe – ein stilllebentaugliches Bild entstand.
Kurz: Die nähere Vergangenheit im Museum
In den letzten Wochen habe ich mir gleich zweimal Ausstellung angesehen, die sich der näheren Vergangenheit – konkret den 1970er und 1980er Jahren – widmen. Mit meinem Jahrgang, 1975, fühlt sich das etwas seltsam an, und gefühlt ist zumindest der Teil, den ich bewusst erlebt habe, also so etwa die zweite Hälfte der 1980er von Kohl über Tschernobyl bis zur deutschen Einheit, doch gerade erst gewesen.
Konkret: in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart läuft noch bis 27. August 2023 die kleine, aber fein gemachte und gut zusammengestellte Ausstellung Atom. Strom. Protest. Die für die politische Kultur Baden-Württembergs sehr prägende Debatte um die zivile Nutzung der Atomkraft wird hier nicht nur mit Bezug auf den erfolgreichen Kampf um ein AKW in Wyhl dargestellt, sondern breiter gefasst. Auch die Pro-Atom-Seite wird ausführlich gewürdigt. Das alles mit vielen Archivalien, relevanten Gegenständen und anhand einiger Lebensläufe. Die Ausstellung im WLB-Neubau ist kostenlos besuchbar. (Das Foto oben zeigt ein Mitmach-Element: historisierte Protestplakate, die allerdings für diese Ausstellung neu entstanden sind.)
Im Badischen Landesmuseum Karlsruhe geht es viel breiter gefasst noch bis Februar um die 1980er Jahre, die „wieder da“ sind. Trotz Eintritt stand hier eine lange Schlange vor der Kasse. Die Ausstellung im Karlsruher Schloss gliedert sich in Politik (natürlich auch Atomproteste, aber auch Frieden und Aufrüstung, Waldsterben und Wiedervereinigung), Pop/Musik und Alltagskultur (von Einrichtungsgegenständen bis zu Interrail und Privatfernsehen); das ganze dann jeweils noch mit dem BRD- und dem DDR-Blick. Die 80er sind im Museum verbunden mit viel Nostalgie und der Möglichkeit, sich zu beteiligen und hier und da auch interaktiv mitzumachen. Zielgruppe: 45 bis 55-Jährige (und deren Kinder). Wiedererkennungseffekt: sehr groß. Inklusive: steht bei uns auch noch irgendwo im Regal …
P.S.: Zu beiden Ausstellungen gibt es sehr gut gemachte Kataloge (bei den Atomprotesten ein Buch, die 80er aus Karlsruhe überzeugen mit einem „Magazin zur Ausstellung“, das im Layout Anleihen an Tempo etc. nimmt, und inhaltlich fast besser – informativer, facettenreicher, vielfältiger – als die Ausstellung selbst ist. Bonus: immer wieder wird auf Freiburg rekurriert – und SF und Cyberpunk finden auch ihren Platz).
P.P.S.: Abraten würde ich dagegen von dem in Karlsruhe zum Verkauf stehenden Band Das waren unsere 80er von Christoph Quarch und Evelin König. Der wirkt zunächst wie ein heiter-nostalgisches Generationenportrait, entpuppt sich auf der Tonspur allerdings als schwer auszuhaltende Besserwisserei zur These der einzig wahren Generation, in der noch alles gut war … Gefühl beim Lesen: würde den Autor (und in zweiter Linie seine Ko-Autorin) gerne laut und deutlich auf blinde Flecken, unzulässige Verallgemeinerungen der eigenen Biografie und ein sehr schräges Verständnis der Gegenwart hinweisen. Nein, trotz viel Natur, wenig komplexen Fernsehprogrammen und Rumhängen in der Clique war früher nicht alles besser, und weder ADHS noch Mobbing sind Erfindungen der Gegenwart.
Auf Monsterjagd
Die meisten werden es kennen, von Partys oder vom Versuch, Kinder auf Bahnfahrten zu beschäftigen: Ein Papier wird mehrfach gefaltet, reihum wird ein Teil einer Person gemalt, ohne den Rest zu kennen, und das Ergebnis sieht dann meist ganz lustig aus.
Das gibt es auch in digital, unter monsterland.net findet sich beispielsweise ein solches Onlinespiel. Damit lässt sich sehr viel Zeit verbringen, insbesondere dann, wenn eine Eingabe per Stift und damit ein echtes Zeichnen möglich ist. Die entstehenden Monster sind teilweise kunstvoll, teilweise überraschend – und teilweise großer Mist. Wie bei der Papiervariante kommt es darauf an, dass die Übergänge zwischen Kopf, Bauch und Füßen hinreichend klar sind, so dass die nächste Person weiß, was sie zu tun hat. Und je nachdem kann die Freude oder die Enttäuschung groß sein, wenn das „eigene“ Monster sich als Schönheit entpuppt oder völlig verhunzt ist, weil die dritte Zeichner*in partout nicht kapiert hat, was die Idee war. Und manchmal entstehen aus unerwarteten Kombinationen überraschende Dinge.
Townscaper: Regelgeleitete Kreativität im Städtebau
Die Zahl der Computerspiele, die ich wirklich gerne mag, ist sehr begrenzt. In den letzten Tagen ist eines dazu gekommen, das komplett gewaltfrei ist. Ob Oskar Stålbergs Townscaper wirklich ein Computerspiel ist, oder vielleicht eher eine Meditation über den Zusammenhang zwischen Begrenzungen, Ästhetik und Kreativität, ist mir dabei noch nicht ganz klar. Dennoch lässt sich Zeit damit verbringen. Dabei entstehen dann Städte wie die oben gezeigte, die an Venedig erinnern.
Das Spielprinzip ist einfach: am Anfang steht eine scheinbar unbegrenzte Wasserfläche, unter der ein organisch geformtes Gitter liegt. An jedem Punkt dieses Rasters lassen sich per Mausklick Bauelemente platzieren, aufeinander stapeln oder löschen. Auswählbar ist die Farbe aus 15 vorgegebenen Farbtönen, wobei jede Farbe auch subtile Änderungen in der Gestaltung mit sich bringt. Mit der Maus lässt sich die 3D-Ansicht steuern.
Das ist alles. Alles weitere entscheidet ein ausgeklügeltes, aber vorgegebenen Regelwerk – schräges Dach oder Flachdach, Tür oder Fenster, Innenhof mit Begrünung oder Straßenfläche – all das hängt davon ab, welche Elemente in der Umgebung platziert sind. Beispielsweise wird eine von Häusern komplett umschlossene Fläche begrünt, wenn auch nur ein Haus fehlt, wird sie als Platz, Terrasse oder Flachdach dargestellt.
Aus dem Miteinander von hartem Regelwerk (das allerdings im Spiel auch erst entdeckt werden muss), einer ausgesprochen schönen Gestaltung der einzelnen Elemente und kleinen Details wie auffliegenden Tauben oder Schmetterlingen ergibt sich der Reiz dieses Spiels. Die Städte und Bauwerke, die so entstehen, haben eine durchgehende Ästhetik, können aber doch ganz unterschiedlich aussehen – und laden dazu ein, sich Geschichten dazu auszudenken.
Townscaper gibt es als Vorab-Version u.a. bei Steam, kostet dort etwa 5 €.
Photo of the week: Berlin boxes and circles
Die Architektur rund um den Berliner Hauptbahnhof ist doch etwas trist. Vor allem dann, wenn’s menschenleer ist zwischen sich recht ähnlich sehenden Glaskästen und Baukränen. Rumstehende Elektroroller machen es nicht besser. Aber vielleicht fehlen einfach nur Bäume.