Lasst euch nicht verhärten

Als ich vor ein paar Wochen erfah­ren habe, dass ich als baden-würt­tem­ber­gi­scher Ersatz­de­le­gier­ter für den Län­der­rat im hes­si­schen Bad Vil­bel ein­sprin­gen soll, bin ich noch davon aus­ge­gan­gen, dass das eine eher mäßig span­nen­de Sache wer­den würde. 

Der Län­der­rat – also der klei­ne Par­tei­tag von Bünd­nis 90/Die Grü­nen mit rund 100 Dele­gier­ten, vie­le davon „Funktionär*innen“ – ist übli­cher­wei­se viel weni­ger dyna­misch als unse­re gro­ßen Par­tei­ta­ge mit rund 800 Dele­gier­ten. Und dies­mal ging es auch mit der The­men­set­zung – Kli­ma­schutz in Ver­bin­dung mit Sicher­heit und Wirt­schaft – und dem Tagungs­ort in der Nähe von Frank­furt ganz offen­sicht­lich dar­um, Tarek Al-Wazir und den hes­si­schen Grü­nen Rücken­wind für die Land­tags­wahl im Herbst zu geben.

Der Län­der­rat, zu dem ich heu­te mor­gen durch­aus mit Sor­ge auf­ge­bro­chen bin, stand dann unter ganz ande­ren Vor­zei­chen. Zum einen, weil die Debat­ten der letz­ten Tage um Hei­zungs­ge­setz und Kli­ma­schutz schwie­rig waren, zum ande­ren aber, weil das eigent­lich wich­ti­ge The­ma unter dem Punkt Ver­schie­de­nes noch auf die Tages­ord­nung gesetzt wor­den war: die Fra­ge, wie wir uns als Par­tei zum euro­päi­schen Asyl­kom­pro­miss des Rats ver­hal­ten wol­len – und wie das dies­be­züg­li­che Han­deln der grü­nen Regie­rungs­mit­glie­der bewer­tet wer­den soll. 

Seit Don­ners­tag letz­ter Woche hat­te die­se Debat­te zu einer mas­si­ven Pola­ri­sie­rung geführt – man­che sahen alte Flü­gel­kämp­fe wie­der auf­le­ben, es gab sich jeweils wider­spre­chen­de State­ments der ent­spre­chen­den Per­so­nen aus dem Bun­des­vor­stand und der Frak­ti­ons­spit­ze, auf Son­der­sit­zun­gen und in Video­kon­fe­ren­zen und Web­i­na­ren wur­de hit­zig dis­ku­tiert. Der ent­spre­chen­de Antrag war letzt­lich mit über 50 Ände­rungs­an­trä­gen bestückt.

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Photo of the week: Strümpfelbach

Strümpfelbach

 
Mit­te Mai habe ich am Alumni*ae-Campus der ehe­ma­li­gen Stipendiat*innen der Böll-Stif­tung teil­ge­nom­men. Bis­her war die­ses Event an mir vor­über­ge­gan­gen; das mag auch dar­an lie­gen, dass die bis­he­ri­gen Cam­pus in der Ein­öde nörd­lich von Ber­lin statt­fan­den. Die­ses Mal: Groß­raum Stutt­gart, genau­er gesagt das Natur­freun­de­haus Strümpfel­bach in Wein­stadt im Rems-Murr-Kreis. War sehr schön da – auf­grund der Leu­te, klar, aber auch auf­grund der her­aus­ra­gend hüb­schen Lage des Natur­freun­de­hau­ses. Mehr Fotos von Land­schaft, Natur und Kunst hier – die auf die­sem Foto nur zu erah­nen­de Sta­tue ist ein Werk des Bild­hau­ers Karl Ulrich Nuss und Teil einer gan­zen Skulp­tu­ren­al­lee, die den Weg zum Natur­freun­de­haus begleitet.

„Seid nett miteinander“

Eigent­lich hat­te ich mir fest vor­ge­nom­men, an die­ser ers­ten Prä­senz-BDK – also dem Bun­des­par­tei­tag von Bünd­nis 90/Die Grü­nen – seit einer gefühl­ten Ewig­keit vor Ort in Bonn teil­zu­neh­men. Da ich nur Ersatz­de­le­gier­ter bin, und die Debat­ten im Stream eben­so gut ver­folg­bar sind, habe ich mich dann ange­sichts der rapi­de stei­gen­den Coro­na­zah­len einer­seits und leich­ten Erkäl­tungs­sym­pto­men ande­rer­seits ent­schie­den zu Hau­se zu blei­ben. Also, nur ein Bericht vom Bild, ohne Hin­ter­grund­rau­schen aus der Hal­le, ohne Atmo­sphä­re und ohne Nebengespräche.

Trotz­dem glau­be ich, dass sich ein biss­chen was über die­se BDK sagen lässt. Mot­to „Wenn unse­re Welt in Fra­ge steht: Ant­wor­ten“. Die mul­ti­plen, sich über­lap­pen­den Kri­sen tauch­ten selbst­ver­ständ­lich immer wie­der auf – in den Reden genau­so wie in den Anträ­gen. Über­haupt: die­se BDK war ein Antrags-Par­tei­tag. Im Mit­tel­punkt stan­den nicht die Wah­len, kei­ne Lis­ten­auf­stel­lung, und auch kein Pro­gramm, viel­mehr wur­de an vier gro­ßen the­ma­ti­schen Blö­cken gear­bei­tet. Dazu kamen zehn sons­ti­ge Anträ­ge, ein sehr kurz­fris­ti­ger Dring­lich­keits­an­trag zur Sicher­heit kri­ti­scher Infra­struk­tu­ren und eini­ge Sat­zungs­än­de­rungs­an­trä­ge. Ein Antrags- und damit ein Arbeits­par­tei­tag, also.

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Kurz: „Grünzeug am Mittwoch“ – Internetarchäologie

Bei mei­nen Archiv­wühl­ar­bei­ten ist mir anhand toter Links auf­ge­fal­len, dass der baden-würt­tem­ber­gi­sche Lan­des­ver­band der Grü­nen von 2009 bis etwa 2013/14 ein Blog betrie­ben hat, das zumin­dest zeit­wei­se auch rege genutzt und als Debat­ten­fo­rum ver­wen­det wur­de. Das hat­te ich schon fast vergessen. 

Ich selbst habe von 2009 bis 2012 dort mehr oder weni­ger jeden Mitt­woch ein „Grün­zeug am Mitt­woch“ geschrie­ben. Zu allen mög­li­chen The­men, die Grü­ne – in Baden-Würt­tem­berg, und dar­über hin­aus – bewe­gen. Heu­te ist das Blog nur noch über das Inter­net Archi­ve zu fin­den, zumin­dest grö­ße­re Tei­le davon. Unten ein Link zu einem Goog­le Doc, in dem ich „mei­ne“ Ein­trä­ge, so weit sie noch im Inter­net Archi­ve zu fin­den waren, ein­mal zusam­men­ge­stellt habe. Nicht voll­stän­dig, und auch nicht hübsch for­ma­tiert, aber viel­leicht doch ganz praktisch.

> Grün­zeug am Mitt­woch 001 bis 148

Gene­rell: wenn ich mir die unglaub­lich gro­ße Men­ge nicht mehr funk­tio­nie­ren­der Links schon nach zehn oder fünf­zehn Jah­ren anschaue, glau­be ich, dass zukünf­ti­ge Historiker*innen mal ihren Spaß haben wer­den, zu rekon­stru­ie­ren, was in den 2010er Jah­ren so los war. 

In Erinnerung an Uli Sckerl

Erst vor weni­gen Wochen hat­te Hans-Ulrich „Uli“ Sckerl sei­ne Krebs­er­kran­kung öffent­lich gemacht. Heu­te gab es dann in einer der trau­rigs­ten Frak­ti­ons­sit­zun­gen über­haupt die Mit­tei­lung, dass er ges­tern gestor­ben ist, mit gera­de ein­mal 70 Jah­ren. Ein sehr trau­ri­ger Tag für uns Grü­ne im Land­tag und im Land.

Uli Sckerl war eine Kon­stan­te der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen. Einer, der immer schon da war, und der immer prä­sent war. Einer, der die Par­tei mit gegrün­det und mit auf­ge­baut hat, ins­be­son­de­re in sei­ner Hei­mat, der Kurpfalz. 

Lan­ge, bevor ich in der Frak­ti­on zu arbei­ten begon­nen habe, war Uli mir bekannt – von Par­tei­ta­gen, oft im Prä­si­di­um, als einer aus dem Par­tei­vor­stand, spä­ter dann als Gesicht der GAR, unse­rer kom­mu­nal­po­li­ti­schen Vereinigung. 

Ab 2006 war er dann Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter, ab 2011 nicht nur der grü­ne Innen­po­li­ti­ker, son­dern auch par­la­men­ta­ri­scher Geschäfts­füh­rer der gro­ßen Regierungsfraktion. 

Er hat sich um alles geküm­mert – und erst recht um alles, was mit Libe­ra­li­tät, mit Men­schen­rech­ten, mit Flucht und Migra­ti­on, mit Daten­schutz und Selbst­be­stim­mung, aber auch mit der „Blau­licht­fa­mi­lie“ zu tun hat­te. In einer ande­ren Kon­stel­la­ti­on wäre er viel­leicht der ers­te grü­ne Innen­mi­nis­ter geworden.

So war er der Mana­ger der Frak­ti­on, in einer Schar­nier­funk­ti­on: gegen­über der Regie­rung (und der Par­tei!) auf den Par­la­men­ta­ris­mus und die Rech­te der Frak­ti­on pochend, in der Frak­ti­on der, der dafür sorg­te, dass das Ple­num nicht leer und die Mehr­heit bei rele­van­ten Abstim­mun­gen da war. 

Für die Abge­ord­ne­ten war er Ansprech­part­ner und „Kum­mer­kas­ten“, und dass muss er, nach allem, was ich weiß, auch für sei­ne Hei­mat Wein­heim, sei­nen Wahl­kreis gewe­sen sein – mit engen Ver­bin­dun­gen zu den dor­ti­gen Rat­haus­spit­zen und Gemeinderät*innen, und immer mit einem offe­nen Ohr für Bür­ge­rin­nen und Bürger.

Er war – etwa im Vor­stand der Frak­ti­on – immer einer der­je­ni­gen, die ein gutes Gespür für die Lage der Par­tei hat­ten, einer, der sehr fein­füh­lig Stim­mun­gen auf­nahm – etwa die der auf­kom­men­den Kli­ma­schutz­be­we­gung – und die­se in die Frak­ti­on ein­speis­te. Trotz all sei­ner Auto­ri­tät als „Sil­ber­rü­cken“ habe ich ihn als beschei­den erlebt, als selbst­iro­nisch und humor­voll. Und damit war und ist er, wenn ich das rich­tig wahr­neh­me, für vie­le in der Frak­ti­on ein Vorbild. 

Uli fehlt heu­te, schmerz­haft, und sein Feh­len wer­den wir in den nächs­ten Wochen erst rich­tig spü­ren. Ich bin sehr trau­rig; mei­ne Gedan­ken sind bei sei­ner Familie.