Zeit des Virus, Update IV

May

Aus Lan­ge­wei­le bin ich heu­te ein­mal um das Rie­sel­feld, also den Stadt­teil Frei­burgs, in dem ich woh­ne, her­um spa­ziert. Was mir neu war: Das ist fast kom­plett jen­seits von Stra­ßen mög­lich; das, was ich bis­her als Stra­ßen­be­gleit­grün wahr­ge­nom­men habe, sind in Wirk­lich­keit auch am süd­öst­li­chen Rand des Stadt­teils klei­ne licht­durch­flu­te­te Wäld­chen mit viel Holun­der und Robi­nie, durch die sich sanf­te Wege schlängeln.

Anders gesagt: all­mäh­lich gehen mir die Spa­zier­we­ge aus. Das soll nicht hei­ßen, dass mei­ne Tage nicht gut gefüllt wären. Wenn die Kin­der da sind, ist es ein ziem­li­cher Kampf, Home-Office, Unter­stüt­zung der Kin­der und Din­ge wie Essen für alle Kochen unter einen Hut zu brin­gen. Wenn sie nicht da sind, ist der Tag mit Video­kon­fe­ren­zen, Mails und Tele­fo­na­ten (und am Ran­de noch ein biss­chen Par­tei­ar­beit) gut aus­ge­füllt. Über­haupt: dass jetzt auch Men­schen, bei denen ich das gar nicht erwar­tet hät­te – wie etwa unser Minis­ter­prä­si­dent – die Vor­tei­le von Video­kon­fe­ren­zen ent­de­cken, hin­ter­lässt bei mir eine gewis­se Hoff­nung, dass es auch in der Zeit nach Coro­na nicht mehr für jeden Zwei­stun­den­ter­min ein Deutsch­land­rei­se braucht. Oder, etwas loka­ler: vie­le Teilnehmer*innen des grü­nen Kreis­mit­glie­der­tref­fens im Flä­chen­land­kreis Breis­gau-Hoch­schwarz­wald stell­ten am Ende fest: geht so auch, und spart lan­ge Anfahr­ten aus dem Hoch­schwarz­wald oder dem Kai­ser­stuhl. (Und auch die Kin­der haben inzwi­schen ihre regel­mä­ßi­gen Video-Ter­mi­ne: die Pfad­fin­der machen eine Grup­pen­stun­de per Zoom, die Schu­le setzt auf Mood­le beim Lan­des­netz­werk bel­wue, dort ist Big­BlueBut­ton als Video­kon­fe­renz­sys­tem integriert.)

Also, die Tage sind gut gefüllt. Trotz­dem wird die Rou­ti­ne so ganz ohne Abwechs­lun­gen per Orts­wech­sel all­mäh­lich lang­wei­lig. Und ich mache mir Gedan­ken, ob ich mei­ne Bahn­card 100 ver­län­gern soll oder doch noch war­te. Denn auf abseh­ba­re Zeit sind wir, allen Locke­rungs­de­bat­ten zum Trotz, noch in einer vom Virus bestimm­ten Zeit, nicht in der Zeit des Danach. 

„Zeit des Virus, Update IV“ weiterlesen

Die große Schaltkonferenz

Bildschirme  mit Twitter und Stream des Parteitags, Micha Kellner und Gesine Agena sind zu sehen

Vor ziem­lich genau 20 Jah­ren fand der „Vir­tu­el­le Par­tei­tag“ der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen statt. Die­se Pio­nier­leis­tung habe ich damals in mei­ner Magis­ter­ar­beit (eine Zusam­men­fas­sung fin­det sich hier und – ganz knapp – hier) genau­er ange­schaut. Was macht einen Par­tei­tag aus? Neben der par­tei­en­gesetz­lich fest­ge­schrie­be­nen Auf­ga­be der inner­par­tei­li­chen Mei­nungs­bil­dung (und Wah­len und Abstim­mun­gen) gehört dazu nach innen auch etwas, was ich als „inner­par­tei­li­che Sozia­li­sa­ti­on“ beschrei­ben wür­de: das „Fami­li­en­tref­fen“, Kon­tak­te knüp­fen, Netz­wer­ke bil­den. Und nach außen ist ein Par­tei­tag immer auch media­les Event, eine Mög­lich­keit, The­men zu set­zen, in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung vor­zu­kom­men. Bei­des ver­knüpft sich, wenn Journalist*innen, die eine Par­tei beob­ach­ten, auf dem Par­tei­tag direkt mit Dele­gier­ten spre­chen und ein Gefühl für die Stim­mung in der Mit­glied­schaft ent­wi­ckeln. Für Redner*innen auf der Büh­ne ist die Par­tei­tags­hal­le Echo­raum – es wird schnell klar, wo der Bei­fall tost und was eher auf müde Gesich­ter stößt. Die Par­tei erfährt sich selbst.

Ein Par­tei­tag ist also eine viel­schich­ti­ge Ange­le­gen­heit. Einen sol­chen vor 20 Jah­ren ins Netz zu ver­le­gen, hieß damals in Baden-Würt­tem­berg: über meh­re­re Tage lang in ver­schie­de­nen Dis­kus­si­ons­fo­ren inhalt­lich argu­men­tie­ren, um dann zu fes­ten Zeit­punk­ten mit einem gesi­cher­ten Ver­fah­ren Abstim­mun­gen unter den Dele­gier­ten durch­zu­füh­ren und so am Schluss zu einer Posi­tio­nie­rung zu kom­men, damals zu Laden­öff­nungs­zei­ten. Als einer der ers­ten Geh­ver­su­che der Par­tei­en im Netz war der Vir­tu­el­le Par­tei­tag ein über­re­gio­na­les Medi­en­er­eig­nis. Die Mei­nungs­bil­dung erfolg­te schrift­lich, kein Platz für gro­ße Reden. Damit zumin­dest ein biss­chen vom Ken­nen­ler­nen der ande­ren Dele­gier­ten und Mit­glie­der übrig blieb, gab es eine „Kaf­fee­ecke“, ein nicht the­ma­tisch fest­ge­leg­tes Dis­kus­si­ons­fo­rum. Das alles, wie gesagt, über einen län­ge­ren Zeit­raum gestreckt, also eher asyn­chron, und defi­ni­tiv textbasiert. 

Ein paar Jah­re spä­ter lan­de­te der Vir­tu­el­le Par­tei­tag zwar in der baden-würt­tem­ber­gi­schen Sat­zung, ein paar ande­re Lan­des­ver­bän­de mach­ten ähn­li­ches, aber ins­ge­samt blieb es beim ein­ma­li­gen Ver­such. Die Dif­fe­renz zu dem, wozu Par­tei­ta­ge in einer Par­tei die­nen, war dann doch zu groß. Zudem gibt es recht­li­che Hür­den (Wah­len sind nur in Ver­samm­lun­gen mög­lich), gehei­me Abstim­mun­gen sind kaum sicher umzu­set­zen, die Kos­ten waren ähn­lich hoch wie für die Anmie­tung einer Hal­le, und die Idee, dass sich jetzt plötz­lich gro­ße Tei­le der Mit­glie­der­schaft betei­li­gen, erfüll­te sich auch nicht – ein gro­ßer Anteil der Bei­trä­ge kam von weni­gen „Power­usern“. Über das Geschlech­ter­ver­hält­nis will ich jetzt gar nicht reden.

Kurz­um: bis vor kur­zen hät­te ich gesagt, dass es sich nicht lohnt, das For­mat Par­tei­tag im Netz nachzubauen. 

„Die gro­ße Schalt­kon­fe­renz“ weiterlesen

Zeit des Virus, Update III

Flowers everywhere! - IX

All­mäh­lich wird aus der hek­ti­schen Betrieb­sam­keit der ers­ten Wochen etwas, das sich lang zieht, etwas, das nach Aus­dau­er und War­ten ruft. Etwas, das noch kein Ende kennt, ein Drit­tes neben Kri­se und Normalbetrieb.

In den letz­ten drei Wochen, seit ich zuletzt über die „Zeit des Virus“ geschrie­ben habe, ist es gefühlt deut­lich schwie­ri­ger und anstren­gen­der gewor­den. Ostern hat ganz gut geklappt, Kern­fa­mi­li­en­fei­er, per Sky­pe zuge­schal­te­te Groß­el­tern und Geschwis­ter, gemein­sam ver­brach­te Zeit. Aber die Oster­fe­ri­en, die in Baden-Würt­tem­berg erst mor­gen enden, sind kei­ne Feri­en, weil die Kin­der bei­de noch Schul­stoff erle­di­gen müs­sen, und weil auch die Frak­ti­ons­ar­beit weit­ge­hend „nor­mal“ weiterläuft.

Auch bei mir gibt es zuneh­mend das Gefühl, dass es doch mal auf­hö­ren müss­te mit die­sem Lock­down, mit den gan­zen Beschrän­kun­gen. Ich kann mir noch nicht so ganz vor­stel­len, wie die Kin­der damit klar kom­men sol­len, wei­te­re Wochen im „Home-Schoo­ling“ zu ver­brin­gen. Für Mon­tag sind die nächs­ten Auf­ga­ben und Tele­fo­na­te mit den Lehrer*innen ange­kün­digt. „Macht doch mal was“ bleibt trotz­dem an den Eltern hän­gen, und klar: es gibt so etwas wie einen Rhyth­mus, aber es sind doch Tage, an denen deut­lich weni­ger pas­siert als es in der Schu­le der Fall wäre. Und zumin­dest R. ist zuneh­mend frus­triert davon, wenn drau­ßen auf dem Hof Kin­der spie­len und ich nur sage, dass wir es nicht möch­ten, dass er dazu geht.

Gefühlt also Eile, trotz aller Intro­ver­tier­heit der Wunsch, dass die Zeit des Virus mal vor­bei gehen möge. Und gleich­zei­tig im Kopf das Wis­sen dar­um, dass wir noch längst nicht über den Berg sind, der Ärger dar­über, dass allein die Debat­te um „Locke­run­gen“ bei eini­gen wohl dazu geführt hat, das alles nicht mehr ernst zu neh­men … ich möch­te nicht wis­sen, was das für die Anste­ckungs­zah­len in ein paar Tagen bedeutet.

Und wenn ich ver­su­che, mir die ver­schie­de­nen Stra­te­gien, mit dem Virus umzu­ge­hen, vor Augen hal­te, dann wird klar: Her­den­im­mu­ni­tät, der Auf­bau eines natür­li­chen Schut­zes bei einem gro­ßen Teil der Bevöl­ke­rung: das funk­tio­niert nicht, jeden­falls nicht ohne eine Viel­zahl an Toten in Kauf zu neh­men. Was jetzt pas­siert, ist das Sen­ken der Wei­ter­ver­brei­tung auf ein Maß, mit dem das Gesund­heits­sys­tem klar kommt. Das sieht aktu­ell gut aus, die Neu­in­fek­tio­nen sind zurück­ge­gan­gen und seit Tagen sta­bil, auch die Zahl der täg­li­chen Todes­fäl­le ist halb­wegs sta­bil (zynisch, dass das eine gute Nach­richt ist). Aber so wei­ter zu machen, heißt eben auch, einen Kern aus Kon­takt­ver­mei­dung und har­ten Beschrän­kun­gen noch min­des­tens bis in den Herbst, viel­leicht auch ins Früh­jahr auf­recht zu erhal­ten. Und dann ste­hen sowohl Selb­stän­di­ge, die nichts ver­die­nen, weil der­zeit zum Bei­spiel nie­mand Auf­trit­te von Künstler*innen bucht, vor einem Pro­blem – genau­so wie alle Eltern, die das Gewurs­tel der letz­ten Wochen bis weit in die Zukunft hin­ein wei­ter­füh­ren sol­len. (Und nein, bei wei­tem nicht jeder Haus­halt besteht aus Vater Allein­ver­die­ner, der päd­ago­gisch ver­sier­ten Mut­ter Hob­by­leh­re­rin und den bra­ven Kin­dern 1 und 2, die ger­ne mit dem Hund im Gar­ten tol­len). (Apro­pos: sehr gut dazu Anna­le­na Baer­bock in der taz).

Nahe lie­gen­de Lösun­gen für die­ses Pro­blem gibt es nicht, am bes­ten wäre wohl eine Kom­bi­na­ti­on aus ech­tem Tele­un­ter­richt für die Kin­der (aber das muss tech­nisch erst ein­mal klap­pen), einem rol­lie­ren­den oder sonst irgend­wie redu­zier­tem Sys­tem von Kita- und Schul­öff­nun­gen und Lohn­er­satz­leis­tun­gen für alle, die so nicht arbei­ten kön­nen. Und irgend­wann dann die Imp­fung. Aber so oder so heißt dass, das es noch eine gan­ze Wei­le wei­ter­geht mit dem Sta­tus quo.

Der klei­ne Hoff­nungs­fun­ke: die Zahl der Neu­in­fek­tio­nen und die Zahl der Infek­tio­nen pro Per­son nimmt so stark ab, dass wie­der zu „Con­tain­ment“ als Stra­te­gie gegrif­fen wer­den kann. Das hat aber zwei nicht ganz ein­fa­che Vor­aus­set­zun­gen. Zum einen braucht es schnel­le Tests, auch auf Immu­ni­tät, und Wis­sen dar­über, wie die Dun­kel­zif­fern aus­se­hen. Also Tests und Strich­pro­ben. Und zum ande­ren braucht es eine Ein­hal­tung sowohl der jetzt gel­ten­den Kon­takt­be­schrän­kun­gen wie auch der dann wei­ter not­wen­di­gen Hygie­ne­re­geln durch einen gro­ßen Teil der Bevöl­ke­rung, also Ein­sicht. Bei den Tests und Stich­pro­ben bin ich halb­wegs zuver­sicht­lich, bei der Ein­sicht habe ich der­zeit so mei­ne Zwei­fel. Der Heins­berg-Coup von Laschet ist dies­be­züg­lich, um es deut­lich zu sagen, hoch­gra­dig kontraproduktiv.

In der Pres­se und in der Frak­ti­on – genau­so wie in den sozia­len Medi­en – gibt es der­zeit eigent­lich nur ein The­ma. Auch das trägt dazu bei, dass die­se Tage sich stre­cken. Es geht immer um Coro­na. In der Arbeit. In der Frei­zeit. Am Wochen­en­de. In den „Feri­en“. Usw. Klar gibt es Flucht­mo­men­te – Com­pu­ter­spie­le, Fil­me, Bücher – aber eigent­lich ist das Virus dau­er­prä­sent. Und das seit Wochen. Auch das macht die­se Zeit schwie­rig. Viel­leicht brau­chen wir hier ande­re Räume.

Gleich­zei­tig emp­fin­de ich es als schwie­rig, die Pan­de­mie aus­zu­blen­den. Bei­spiel Wahl­pro­gramm – im Früh­jahr 2021 sind Land­tags­wah­len in Baden-Würt­tem­berg. Da jetzt ein Pro­gramm zu schrei­ben, das aus­sieht wie jedes ande­re, das wird nicht gehen. Nicht nur, weil die Wirt­schafts­la­ge und die Finanz­la­ge des Lan­des eine ande­re sein wer­den, son­dern auch des­we­gen, weil die Pan­de­mie eine gan­ze Rei­he von poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten umge­wor­fen hat. Das ist jeden­falls mein Ein­druck. Jetzt auf Ant­wor­ten aus dem Jahr 2019 zu set­zen, hät­te ähn­li­che Effek­te wie die gran­di­os dane­ben gegan­ge­ne „Alle reden von Deutsch­land – wir nicht“-Kampagne, die die West-Grü­nen nach der Wen­de aus dem Bun­des­tag kick­te. Es braucht also Sen­si­bi­li­tät dafür, wie die Stim­mung im Land im Früh­jahr 2021 aus­se­hen wird. Nur weiß das jetzt noch nie­mand. Poli­tik wie üblich funk­tio­niert auch des­we­gen gera­de nicht.

Arne Jung­jo­hann hat­te auf Twit­ter mit Bezug auf Caro­lin Emckes Coro­na-Tage­buch nach gene­ra­tio­nen­de­fi­nie­ren­den his­to­ri­schen Ereig­nis­sen gefragt. Bis­her hät­te ich da mit Tscher­no­byl geant­wor­tet, viel­leicht mit der Wen­de, mit der ers­ten rot-grü­nen Bun­des­re­gie­rung, mit 9/11 oder auch mit Fuku­shi­ma und allen Fol­gen, auch in der baden-würt­tem­ber­gi­schen Lan­des­po­li­tik. Gut mög­lich, dass das Jahr 2020 in vie­len Bio­gra­fien die­se Ereig­nis­se über­strah­len wird und in der Geschich­te der Zukunft der Punkt sein wird, an dem das alte 20. Jahr­hun­dert dann wirk­lich geen­det hat.

P.S.: April­ta­ge mit fast 30° Cel­si­us, viel zu wenig Regen, Dür­re­war­nung – die ande­re gro­ße Kri­se ist wei­ter­hin da.

Zeit des Virus, Update II

All­mäh­lich ent­wi­ckeln sich neue Rou­ti­nen. Drau­ßen blü­hen die Obst­bäu­me und die For­sy­thi­en, die Wie­sen sind von Gän­se­blüm­chen über­sät. Drin­nen wech­seln sich Tage, an denen eine Video­kon­fe­renz auf die ande­re folgt, mit Tagen ab, an denen mei­ne Kin­der bei mir sind, und an denen die Frak­ti­ons­ar­beit in den Hin­ter­grund rückt.

Ich beob­ach­te, dass auch Tele­fo­na­te mit Kolleg*innen inzwi­schen häu­fi­ger als frü­her als Video­te­le­fo­nat statt­fin­den. Das mag eine Unacht­sam­keit sein, weil unser Tele­fon­sys­tem hier sei­ne Eigen­hei­ten hat, mag aber auch dem Wunsch ent­spre­chen, die Kol­le­gin bzw. den Kol­le­gen zumin­dest mal zu sehen. Und manch­mal ertap­pe ich mich dabei, die Tasche für das Pen­deln packen zu wol­len und früh ins Bett gehen zu wollen.

Aber das ist jetzt anders. Wir blei­ben län­ger wach und ste­hen spä­ter auf.

Die Kin­der dazu zu moti­vie­ren, die Auf­ga­ben­zet­tel abzu­ar­bei­ten, fällt wei­ter­hin schwer. Wenn schon Schu­le, dann doch lie­ber Dokus zu kom­plett ande­ren The­men anschau­en oder die Mathe­app durch­ar­bei­ten. Ich bin froh, dass der Schul­lei­ter der Schu­le mei­ner Kin­der in einem Rund­schrei­ben dar­auf hin­weist, dass die­ses Schul­jahr kein nor­ma­les Schul­jahr sein wird, und dass alle ihre Erwar­tun­gen ändern müssen.

Nach­mit­tags spielt R. nicht mit dem Nach­bars­jun­gen auf dem Hof, son­dern mit sei­nem Cou­sin aus Bonn auf einem Mine­craft-Ser­ver. Für Z. ist Whats­app der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal der Wahl, um mit ihren Freund*innen in Kon­takt zu bleiben.

Ich ver­su­che wei­ter­hin, die Woh­nung mög­lichst sel­ten zu ver­las­sen. Das hat zu einem auf­ge­räum­ten Bal­kon geführt und zu aus­ge­mis­te­ten Zei­tungs­sta­peln. Gut, dass es Twit­ter und Net­flix gibt, dass eBooks wei­ter lie­fer­bar sind, und gut, dass es Com­pu­ter­spie­le gibt, die ich mag (der­zeit neben Star­dew Val­ley v.a. Mini­me­tro). Ehr­lich gesagt: ganz so groß sind die Unter­schie­de in mei­ner Frei­zeit­ge­stal­tung nicht – manch­mal hat Intro­ver­tiert­heit auch Vorteile.

Raus­ge­gan­gen bin ich in den letz­ten Tagen ein­mal zum Ein­kau­fen und zwei­mal, um beim Rad­fah­ren bzw. Spa­zie­ren­ge­hen etwas fri­sche Luft und Bewe­gung zu bekom­men. Ich bin froh, in einem Bun­des­land zu leben, dass die nöti­gen Maß­nah­men zur Kon­takt­ver­mei­dung nicht unnö­tig streng aus­legt – anders als in Ber­lin sind Pick­nick­de­cken und Park­bän­ke nicht per se ver­bo­ten, anders als in Sach­sen wird die Ent­fer­nung zur Woh­nung nicht kon­trol­liert. Aller­dings kann es drau­ßen ganz schön voll sein – ges­tern, bei schö­nem Früh­lings­wet­ter, bot es sich dann an, von den Haupt­rou­ten abzu­zwei­gen, um nicht alle paar Meter jemand aus­wei­chen zu müssen.

Hefe gibt es wei­ter­hin nicht. Der net­te Bio­la­den ver­wan­delt sich nach und nach in eine Indus­trie­hal­le: Ple­xi­glas­schei­ben an der Kas­se, gelb-schwarz abge­kleb­te Sperr­zo­nen und Abstands­mar­kie­run­gen. Es ist recht leer. Beim Ein­kau­fen füh­le ich mich wei­ter­hin unsi­cher: Ist es ris­kant, das nicht abge­pack­te Gemü­se zu kau­fen? Wie vie­le Packun­gen Milch, wie viel Mehl ist ange­mes­sen? Ist es ein Pro­blem, den Stift für die bar­geld­lo­se Unter­schrift anzufassen?

War­um Hefe? Offen­bar bin ich nicht der ein­zi­ge, der jetzt ver­su­chen möch­te, selbst Brot zu backen, statt zum Bäcker zu gehen. Viel­leicht geht es dabei um das Gefühl, sich not­falls selbst ver­sor­gen zu kön­nen – „Angst­ba­cken“ nann­te das jemand auf Twitter.

Wie geht es wei­ter? Das Land befin­det sich im War­te­zu­stand. Die Zahl der neu­en Fäl­le steigt lang­sa­mer an als vor ein paar Tagen, aber es ist unklar, ob das ein Abfla­chen der Kur­ve ist oder nur ein Arte­fakt begrenz­ter Test­ka­pa­zi­tä­ten und eines ver­än­der­ten Test­re­gimes. Wäh­rend­des­sen stei­gen die Todes­fäl­le wei­ter expo­nen­ti­ell an. Der Blick nach Frank­reich, nach Ita­li­en, in die USA beun­ru­higt. Wir war­ten weiter.

Zeit des Virus, Update I

Vor einer Woche schrieb ich über die Not­wen­dig­keit von Maß­nah­men, um die Aus­brei­tung des Coro­na-Virus ein­zu­däm­men. Im Lauf die­ser Woche ist eini­ges pas­siert – inzwi­schen gibt es in Frei­burg de fac­to Aus­gangs­sper­ren, das Betre­ten öffent­li­cher Stra­ßen und Plät­ze ist nur noch in begrün­de­ten Fäl­len bzw. durch Grup­pen von maxi­mal drei Per­so­nen oder Fami­li­en erlaubt, der ÖPNV darf nur für drin­gend not­wen­di­ge Fahr­ten genutzt wer­den. In Baden-Würt­tem­berg sind nach drei Rechts­ver­ord­nun­gen und Anspra­chen des Minis­ter­prä­si­den­ten und der Kanz­le­rin Schu­len und Kitas sind zu, die Spiel­plät­ze abgesperrt. 

Bis auf den Ein­zel­han­del für Lebens­mit­tel und Apo­the­ken (und ein paar wei­te­re Aus­nah­men) muss­ten alle Geschäf­te schlie­ßen, Restau­rants dür­fen nur noch Essen „to go“ ver­kau­fen. Zudem ist es heu­te, anders als es die Woche über war, kalt und reg­ne­risch. All das trägt dazu bei, dass sich jetzt wirk­lich nur noch sehr weni­ge Men­schen drau­ßen bewe­gen. Die Fall­zah­len stei­gen zunächst noch expo­nen­ti­ell an. Der­weil tobt der wis­sen­schaft­li­che Streit dar­über, ob #flat­ten­the­cur­ve die rich­ti­ge Stra­te­gie ist, und wenn ja, wie lan­ge die strik­ten Beschrän­kun­gen des öffent­li­chen Lebens dau­ern müs­sen – abseh­bar ist, dass es auch über das Ende der Oster­fe­ri­en hin­aus Ein­schrän­kun­gen geben muss. Schul­prak­ti­ka und die Eng­land­fahrt der Toch­ter wur­den jeden­falls schon abgesagt.

Was neh­me ich nun aus die­ser beweg­ten Woche mit? 

Bis­her war Home-Office der Aus­nah­me­fall, jetzt wird es zur Regel. Nur noch ein ganz rudi­men­tä­rer Stab ist in der Frak­ti­on, alle ande­ren Kolleg*innen arbei­ten von zu Hau­se aus. Ent­spre­chend fan­den in die­ser Woche dut­zen­de Tele­fon- und Video­kon­fe­ren­zen statt (hier zahlt sich halb­wegs gute Tech­nik und Stumm­schalt­dis­zi­plin aus). Die Berater*innen-Runde mit rund 20 Leu­ten funk­tio­niert gut als Video­kon­fe­renz, bei der Frak­ti­ons­sit­zung mit alles in allem 80 oder 90 Per­so­nen wird’s schon etwas schwie­ri­ger, aber auch das geht. Gelernt habe ich aber auch: nicht jede Kom­mu­ni­ka­ti­on braucht gleich eine Video­kon­fe­renz, manch­mal reicht die gute alte E‑Mail.

Was weni­ger gut funk­tio­niert, ist die Kom­bi­na­ti­on aus Home-Office und Kin­der­zu­stän­dig­keit. Ich habe den Luxus, dass das bei mir nur die hal­be Woche der Fall ist. Die Kin­der haben von der Schu­le Auf­ga­ben­pa­ke­te und Arbeits­blät­ter mit­ge­bracht, die sie erle­di­gen sol­len. In der Theo­rie kön­nen sie das auch, schon in der Grund­schu­le haben sie Frei­ar­beit gelernt, jetzt, in der wei­ter­füh­ren­den Schu­le, geht viel über Arbeits­plä­ne und indi­vi­du­el­les Ler­nen. In der Pra­xis ist ihre Moti­va­ti­on dafür aber gering, so in hal­ber selt­sa­mer Feri­en­stim­mung – alle Akti­vi­tä­ten fal­len aus – und ohne Mög­lich­keit, raus zu gehen, um Freun­de zu tref­fen, sind Han­dy und Tablet extrem ver­lo­ckend. Kin­der moti­vie­ren oder kon­zen­triert arbei­ten – das geht nicht bei­des auf ein­mal. Mal sehen, wie sich das wei­ter ein­spielt. (Und ja: nicht nur ich, son­dern auch die Kin­der wol­len Früh­stück und Mit­tag­essen und Abend­essen und und und … auch das muss erle­digt wer­den). Also: alles nicht so ein­fach. Und ein Mehr an Zeit für „end­lich mal …“ fin­de ich zumin­dest nicht.

Raus gehen, um ein­zu­kau­fen fühlt sich selt­sam an. Über­haupt, raus gehen – oder lie­ber selbst dafür nicht? Selt­sam fühlt sich’s an, weil der Laden vol­ler Hin­wei­se hängt, doch bit­te Abstand zu hal­ten, und weil bei­spiels­wei­se der Kaf­fee­aus­schank abge­stellt wur­de, und auch, weil selbst im Bio­la­den eini­ge Rega­le leer sind. Neben dem sprich­wört­li­chen Klo­pa­pier geht’s da um basa­le Din­ge – Mehl, Nudeln, Zwie­beln, Hefe, Brot … Beglei­tet wird der Ein­kauf von Unsi­cher­heit: Lie­ber abge­pack­te Pro­duk­te kau­fen? Wie viel ein­zu­kau­fen ist sozi­al ange­mes­sen? Wo lau­ert das Virus?

Nicht zuletzt: bedrü­cken­de Nach­rich­ten aus dem Elsass und aus Ita­li­en. Und der sor­gen­vol­le Blick auf die Ver­laufs­kur­ve der Fälle.