Wieder zurück vom geheimnisvollen Camp Netzbegrünung in Berlin. Mitten in unsere Workshop-Berichte platzte die Nachricht vom SPD-Intrigenstadel. Mein erster Gedanke: da müsste ich was zu bloggen. Blödsinn. Wenn mein Blog ein klassisches Massenmedium wäre, wäre das so. Oder wenn ich Öffentlichkeitsarbeit machen würde. Aber nur, weil ein Thema politisch heiß ist, sich drauf zu stürzen? Es gibt keinen Zwang dazu, auf der vordersten Welle der Aufmerksamkeit zu surfen. Also: nichts zur SPD, zu Müntefering, Beck und Steinmeier, und erst recht keine Spekulationen darüber, ob das jetzt der Linken, der SPD, den Grünen, der FDP oder doch vor allem der Kanzlerin nützt.
Mal was anderes als immer nur Pressemitteilungsfloskeln (Update 3: Dialog)
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil (35) nutzt Twitter, um seine Eindrücke von der Obama-Nominierung loszuwerden. Das macht er seit ein paar Tagen. Ich habe ein paar Mal reingeschaut (zum „followen“ konnte ich mich allerdings nicht durchringen) und mich drüber gefreut, dass das sehr unverkrampft passiert. In der deutschen Politik eine Seltenheit.
Spiegel Online (Carsten Volkery) verwechselt den Twitter-Feed dagegen mit einer Pressemitteilung oder einem Interview und mokiert sich über Lockerheiten. Der Artikel besteht selbst allerdings zu ungefähr 60 % aus Zitaten aus dem Twitter-Feed. Im Teaser zum Artikel heißt es „Manche reifere Genossen sind peinlich berührt.“ – ich sehe die peinliche Berührtheit eigentlich eher bei manchen Journalisten. Und schließe mich Wolfgang Lünenbürger an, der das ganze als positiven Schritt in Richtung „PR 2.0« bewertet.
So kann Politik im Netz auch aussehen – wichtig ist es dann allerdings, diese Ansprüche auch über den Tag hinaus aufrecht zu erhalten. Bleibt also die Frage, was mit dem Twitter-Account hubertus_heil passiert, wenn der Parteitag der US-Demokraten vorbei ist – und ob der lockere, interaktive Stil auch beibehalten wird, wenn es ans Eingemachte geht (also z.B. beim Twittern von einem SPD-Parteitag nach einer verlorenen Landtagswahl). Ich bin gespannt.
Warum blogge ich das? Weil ich es interessant finde, wie andere Parteien mit der netzbasierten Direktkommunikation umgehen. Daniel Mouratidis (Landesvorsitzender der baden-württembergischen) Grünen twittert z.B. neuerdings auch, ebenso die Partei selbst. Und weil ich denke, dass diese ersten Versuche mit dazu beitragen, den „Stil“ politischer Kommunikation im Web 2.0 zu definieren und deswegen umso wichtiger sind.
Update: Das Thema scheint die Blog-Welt in Aufruhr zu versetzen. Zurecht vermutlich. Eine sehr knappe Zusammenfassung von allem, was dazu gesagt werden muss, findet sich bei Henning (ungefähr fünf kurze Sätze), einige sehr hilfreiche Überlegungen bei Christoph Bieber, dem politikwissenschaftlichen Internet-und-Politik-Experten: „Ja, liebe Journalisten, was denn nun? Seriös, informativ und langweilig oder schnell, unfertig und experimentell?“
Update 2: Kurzer Hinweis auf die Berichterstattung in der taz, deutlich netzaffiner und ausgewogener als SpOn.
Update 3: (29.8.2008) Heute morgen dann richtig überrascht: Hubertus Heil (SPD) und Reinhard Bütikofer (Grüne) twittern nicht nur parallel aus Denver, sondern reagieren aufeinander – Ad-Hoc-Elefantenrunde oder so (von unten her zu lesen)…
Hubertus Heil: @Die_Gruenen .… Es lohnt sich auch fuer uns in deutschland dafuer zu kaempfen. ungefähr 4 Stunden ago from TwitterBerry in reply to Die_Gruenen
Hubertus Heil: @Die_Gruenen Richtig! in zehn jahren unabhaengiger (!) vom oel zu werden ist ein man-to-the-moon-projekt.… ungefähr 4 Stunden ago from TwitterBerry in reply to Die_Gruenen
Bündnis90/Die Grünen: @hubertus_heil Wer das Ziel anzweifelt, wird sich wundern! Das wird wie bei Kennedy und dem Flug zum Mond # Bütikofer ungefähr 4 Stunden ago from web in reply to hubertus_heil
Hubertus Heil: Er will die usa wirklich innerhalb von 10 jahren unabhaenig vom oel aus dem mittleren osten machen. Good. And good luck. Ist das moeglich? ungefähr 5 Stunden ago from TwitterBerry
Kurz: Asynchrone Neuheitshorizonte
Henning fragt sich, was nach Twitter kommt, und Benedikt stellt schon mal fünf Kriterien für das „nächste große Ding“ auf.
Das eine habe ich wieder rausgekramt, als ich das andere gelesen haben, und beides zusammen bringt mich zur Beobachtung, dass das Zusammenwirken von internettypischer Teilöffentlichkeitsbildung mit den generell beschleunigten Innovations- und Adaptionszeiten im IT-Bereich den interessanten Aspekt hat, asynchrone Neuheitshorizonte zu generieren.
Damit meine ich zum einen, dass die „early adopters“ schon längst bei Twitter sind, wenn die Masse und die Massenmedien gerade mal Blogs entdecken (durchaus durch das letzte große Ding synchronisiert), zum anderen aber auch, dass es möglicherweise generelle „early adopters“ in Bezug auf Web 2.0 gar nicht mal unbedingt gibt. Was für A schon längst in den Alltag integriert ist, ist für B noch eine spannende Neuentdeckung – aber umgekehrt mag es Web2.0‑Anwendungen geben, die bei B schon als alter Hut durch sind, die A aber noch gar nicht endeckt hat. Dazu dann noch eine Prise Spezialisierung auf unterschiedliche Felder im Sinne des Long-Tail-Endes, und wir haben eine mögliche Erklärung dafür, warum Web2.0‑Blogposts so oft selbstreferentiell sind und sich so sehr damit beschäftigen, was jetzt neu und spannend ist. Oder spannend sein könnte.
Kurz: Marsroboter-Vergesellschaftung (Update)
Wie wichtig und neu die Nachricht ist, dass es auf dem Eis tatsächlich Wassereis gibt (und wohl mal mehr flüssiges Wasser gab), tatsächlich ist, mögen andere beurteilen. Ebenso die Frage, ob es bei „Mars was habitable“ um den zukünftigen Organisationsbestand der NASA, um eine Legitimierung für teure Raumfahrtprojekte oder um den Plan B der Menschheit geht. Ich wollte nur drauf hinweisen, dass der Phoenix Mars Lander nicht nur eine Website hat, sondern auch twittert. Und zwar, das macht die Sache interessant, in der Fiktion einer ersten Person Singular, als in der Ich-Form. Da heißt es dann z.B.
Heard about the recent news reports implying I may have found Martian life. Those reports are incorrect.
10:06 PM August 02, 2008 from web
Oder:
@bradinvegas My goal is to determine if Mars may have been habitable. There’s lots of data to analyze on that, and no clear answer yet.
7 Minuten ago from web in reply to bradinvegas
Natürlich werden diese Einträge nicht vom Phoenix Lander geschrieben, sondern von irgendjemand aus dem Team, der/die für Wissenschaftskommunikation zuständig ist. In der gewählten Form tragen sie aber definitiv dazu bei, der Lander zu verniedlichen und zu anthropomorphisieren (was ja auch mit den beiden Rovern schon gut gelungen ist). Interessanter Effekt – hier kann die ESA noch lernen. Und ein gutes Thema für eine techniksoziologische Arbeit wäre diese Rhetorik auch.
Update: (10.11.2008) Nach fünf Monaten ist jetzt der Kontakt zu Phoenix verloren gegangen – und auch dies wurde der Welt im Stil einer persönlichen Abschiedsnachricht mitgeteilt.
Kurz: Nackte Frauen, nackte Männer – nichts als die nackte Wahrheit
Die im Beitragstitel genannten „nackte Frauen“ und „nackte Männer“ sind so ungefähr die häufigsten Google-Treffer für dieses Blog (es gibt auch sinnvollere, aber diese, die mit dem Inhalt des Blogs wenig zu tun haben, fallen auf, wenn ich in die Statistik schaue). Es gibt auch etwas exotischere Kombinationen, gestern z.B. fiel mir ein von der Suchanfrage „nackte Bäckerin“ hierher geleiteter Zugriff auf. Und bei „nackte Kinder“ frage ich mich schon, was das soll.
Ursache für diese Nacktheitstreffer dürfte vor allem dieser Beitrag über die Frage sein, ob es legitim ist, wenn Greenpeace eine Ansammlung nackter Menschen auf einem Gletscher als Werbemaßnahme verwendet. Irgendwo in den Archiven gibt es dann noch eine Kurzkritik zum Film „nackt“. Aber auch die Tatsache, dass ich über dieses und jenes Schöne rede (z.B. „Schöne Wörter“) und auch schon mal den hiesigen Journalisten Jens Kitzler zitiere, kann von Suchmaschinen sexuell aufgeladen und entsprechend missverstanden werden. Und im Zusammenhang mit Flickr habe ich tatsächlich schon mal was zum Jugendschutz geschrieben.
Science Fiction mit Sexroboter
Letztlich zeigt sich hier, dass Sexualität und das Internet zwar erstens tatsächlich irgendwie eng zusammenhängen, dass aber zweitens selbst ausgeklügelte Suchmaschinen wie Google das Ende ihrer Intelligenzsimulation erreichen und vom tatsächlichen Sprachverstehen weit entfernt sind (ist ja auch gar nicht der Anspruch von Google – manche NutzerInnen scheinen dies aber fast zu glauben).
Ich bin jetzt gespannt, wie stark dieser Beitrag mit seinen expliziten Aussagen von entsprechenden Suchenden frequentiert werden wird.