Science Fiction und Fantasy im Juni und Juli 2024

Freiburg view (lights) - II

Aus ver­schie­de­nen Grün­den – unter ande­rem dem Wunsch nach Voll­stän­dig­keit – bin ich im Juni nicht dazu gekom­men, etwas zu mei­ner SF-Lek­tü­re zu schrei­ben. Dafür wird es heu­te im Rück­blick auf Juni und Juli etwas länger.

Ich fan­ge mal mit zwei Büchern an, die ich vor allem des­we­gen gele­sen habe, weil sie auf der Short­list für den Hugo („best novel“) ste­hen. Da ich mich dann doch ent­schie­den habe, die Chan­ce einer World­con in Euro­pa zu nut­zen und nächs­te Woche nach Glas­gow zu fah­ren, durf­te ich dies­mal mit abstim­men – und die ande­ren vier Roma­ne in der Kate­go­rie „best novel“ kann­te ich schon.

Das ist zum einen Mar­tha Wells Witch King (2023), der ers­te Roman einer neu­en Fan­ta­sy-Serie. Wells kann­te ich bis­her vor allem als Autorin der Muder­bot-Dia­ries, ihre vor­he­ri­gen Fan­ta­sy-Roma­ne habe ich glau­be ich nicht gele­sen. Im Witch King geht es auf zwei mit­ein­an­der ver­schränk­ten Zeit­ebe­nen zum einen um eine Revo­lu­ti­on gegen ein angriffs­lus­ti­ges Impe­ri­um, zum ande­ren, in der Gegen­wart des Romans, um die Fra­ge, wer die bei­den Haupt­per­so­nen leben­dig begra­ben hat, und wel­che Intri­gen und poli­ti­schen Ver­wick­lun­gen dahin­ter ste­cken. Die bei­den Haupt­per­so­nen sind zum einen der namens­ge­ben­de Witch King, ein Dämo­nen­prinz namens Kai, der ver­schie­de­ne mensch­li­che Kör­per benutzt, und zum ande­ren Zie­de, eine Hexe, die Wind­geis­ter beschwö­ren kann. Neben Dämon*innen und Hexer*innen gibt es in Wells Rising-World-Sze­na­rio „nor­ma­le“ Sterb­li­che, aber auch ein Volk von Unsterb­li­chen und das bereits genann­te Impe­ri­um der Hier­ar­chie, über das – bis auf deren blut­rüns­ti­ges und gewalt­sa­mes Vor­ge­hen – wenig bekannt ist. Das eine oder ande­re Magie-Ele­ment funk­tio­niert anders als erwar­tet (posi­tiv, weil eine Abwechs­lung), und wie doch sehr unter­schied­li­che Cha­rak­te­re zusam­men­kom­men, wird von Wells eben­so gut beschrie­ben wie die zer­stör­ten Städ­te und Land­schaf­ten, in denen die Geschich­te spielt. Beson­ders gefal­len hat mir die alles ande­re als ein­fa­che Innen­sicht des Erzäh­lers: der Dämo­nen­prinz kämpft mit Zwei­feln, Unsi­cher­hei­ten und Über­for­de­rung. (Dar­in erin­nert Witch King trotz kom­plett ande­rem Set­ting an die Murderbot-Reihe). 

Eben­falls gut gefal­len hat mir der zwei­te mir bis­her unbe­kann­te Roman auf der Hugo-Short­list, The Adven­tures of Ami­na al-Sira­fi von Shan­non Chakra­bor­ty (2023). Das Buch ist die Ich-Erzäh­lung einer legen­dä­ren Pira­ten­ka­pi­tä­nin, die einem Schrei­ber von ihren Aben­teu­ern – und der Geschich­te hin­ter der Geschich­te – berich­tet. Nach und nach kommt die eine oder ande­re Ver­stri­ckung zu Tage, und was anfangs nach Pira­ten­aben­teu­er in einem inter­es­san­ten Set­ting aus­sieht, wird zuneh­mend zu Fan­ta­sy mit Djinns, Dämo­nen und See­unge­heu­ern, wobei die Gren­ze zwi­schen magi­scher Welt und All­tag dün­ner ist als heu­te. Stich­wort: inter­es­san­tes Set­ting – der Roman spielt rund um den Indi­schen Oze­an, im isla­mi­schen Mit­tel­al­ter. Die Haupt­per­son ist mehr oder weni­ger streng­gläu­bi­ge Mus­li­min, ande­re Cha­rak­te­re brin­gen ihre eige­nen Reli­gio­nen mit dazu. Euro­pa und die Kreuz­zü­ge kom­men am Ran­de vor – als über die­se isla­mi­sche Welt hin­ein­bre­chen­de Kata­stro­phe, zu deren Hin­ter­las­sen­schaf­ten auch der Haupt­ant­ago­nist gehört, ein mit Zau­ber­küns­ten expe­ri­men­tie­ren­der frän­ki­scher Söld­ner. Und ganz neben­bei ist Ami­na al-Sira­fi auch allein­er­zie­hen­de Mut­ter eines klei­nen Mäd­chens, wer­den Geschlechts­iden­ti­tä­ten und unter­schied­li­che For­men des Begeh­rens und der Auf­be­geh­rens abge­han­delt, ohne jedoch davon abzu­len­ken, dass wir es mit knal­li­gen und viel­far­bi­gen Aben­teu­ern in einer von hier aus gese­hen frem­den Ver­gan­gen­heit zu tun haben.

Der Voll­stän­dig­keit hal­ber mein Ran­king für den Hugo, Best Novel: „Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy im Juni und Juli 2024“ weiterlesen

Photo of the week: Nighttime, Esslingen

Nighttime, Esslingen

 
Vor­teil einer Dach­ge­schoss­woh­nung: Aus­sicht und der Blick auf den Wol­ken- oder Ster­nen­him­mel. Nach­teil: zumin­dest jetzt im Som­mer wird’s doch sehr warm, und ich bin froh, wenn ich an den Tagen, an denen ich in Ess­lin­gen bin, abends die Mög­lich­keit fin­de, die Fens­ter auf­zu­rei­ßen und küh­le­re Luft durch die Woh­nung zie­hen zu lassen. 

In Erinnerung an unsere Katze Miri

Im Herbst/Winter 2021 sind unse­re bei­den Kat­zen Miri und Nox zu uns gekom­men, als noch sehr klei­ne Kätz­chen und eng mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Schwestern. 

Ges­tern muss­ten wir uns nun ganz plötz­lich und mit­ten in einen hei­te­ren Som­mer­tag hin­ein von Miri ver­ab­schie­den. Sie wur­de von einem Auto ange­fah­ren und tot auf­ge­fun­den. Dass wir davon erfah­ren haben, ver­dan­ken wir nur der Tat­sa­che, dass sie gechippt war.

In den zwei­ein­halb Jah­ren, in denen Miri bei uns war, ist sie vom win­zi­gen Kätz­chen zu einer statt­li­chen Kat­zen­da­me her­an­ge­wach­sen. Wir haben sie sehr lieb­ge­won­nen. Anders als ihre immer etwas kobold­haf­te Schwes­ter Nox war Miri die ver­träum­te­re, gemüt­li­che­re (und zuge­ge­be­ner­ma­ßen auch die mit dem wei­che­ren Fell). 

Wenn sie woll­te, konn­te Miri auch sehr schnell sein. Bei Spie­len mit ihrer Schwes­ter oder beim Fan­gen der einen oder ande­ren Maus. Sie war durch­aus neu­gie­rig und betrach­te­te ihre Umge­bung ger­ne aus­gie­big von siche­ren Plät­zen aus. 

Sie hat­te eine Rei­he von Lieb­lings­plät­zen bei uns im Haus und im Gar­ten, und ver­brach­te den hal­ben Tag oben auf Schrän­ken, auf „ihrem“ Ses­sel, in der Son­ne auf der Ter­ras­se oder in selbst gebau­ten Ver­ste­cken im Gras. Wenn Gefahr droh­te, etwa weil Besuch kam, war sie unauf­find­bar – tief unter der Kellertreppe.

Bei uns for­der­te sie ihre Strei­chel­ein­hei­ten ein, blieb meist sanft­mü­tig (außer gegen­über dem Sofa) und genoss es, gekrault und geku­schelt zu werden.

Jetzt müs­sen wir uns dar­an gewöh­nen, dass hier nur noch eine Kat­ze wohnt; eine Kat­ze, die ihre Schwes­ter sehn­lichst ver­misst. Und auch bei uns hin­ter­lässt Miri eine gro­ße lee­re Stel­le, die schmerzt. Wir behal­ten dich gut in unse­rer Erinnerung.

Photo of the week: Rainy garden summer

Rainy garden summer

 
Die Kir­schen sind in der Zwi­schen­zeit geern­tet, der Laven­del blüht, eben­so die Hor­ten­sie; die Son­nen­blu­me wur­de von Schne­cken auf­ge­fres­sen, die Toma­ten sind etwas grö­ßer gewor­den, aber eigent­lich ist’s wei­ter­hin genau­so – zwi­schen den weni­gen Som­mer­ta­gen immer wie­der Regen­zeit. Der Gar­ten in üppi­gem Grün, aber … 

Kurz: Atempause

Erst gewinnt in Groß­bri­tan­ni­en Labour in einem Erd­rutsch­sieg, dann liegt in Frank­reich die „Neue Volks­front“ aus Lin­ken und Grü­nen an ers­ter Stel­le bei den vor­ge­zo­ge­nen Neu­wah­len. Der Vor­marsch der Rech­ten scheint gestoppt, Grund zur Freu­de und Hoffnung.

Bei nähe­rem Hin­se­hen ist bei­des lei­der nicht viel mehr als eine Atem­pau­se. Das bri­ti­sche Wahl­er­geb­nis hat nicht nur mit gro­ßem Unmut über eine zu Pos­sen, Clow­ne­rie und Nicht­funk­tio­nie­ren nei­gen­de Tory-Par­tei zu tun, son­dern ist in Tei­len auch ein Arte­fakt des bri­ti­schen Mehr­heits­wahl­rechts, bei dem die rela­ti­ve Mehr­heit im Wahl­kreis zählt. So lag Labour nur bei 34 Pro­zent, die Tories bei 24 Pro­zent, und dann kommt schon die rechts­extre­me Reform-Par­tei mit 14 Pro­zent (Lib­Dem: 13 Pro­zent, Grü­ne 7 Pro­zent). Auch wenn sich das nicht 1:1 auf das Ergeb­nis in einem pro­por­tio­na­len Wahl­sys­tem umrech­nen lässt, weil dann sicher­lich die eine oder ande­re Wahl­ent­schei­dung anders aus­ge­fal­len wäre: Eine kla­re gesell­schaft­li­che Mehr­heit sieht anders aus, ent­spre­chend insta­bil dürf­te die Stim­mung sein, die jetzt noch Labour trägt. 

Das Mehr­heits­wahl­sys­tem in Frank­reich ist mit sei­nen zwei­ten Wahl­gän­gen etwas anders gela­gert; die­ser zwei­te Wahl­gang und die Brand­mau­er a la fran­cai­se, also die „repu­bli­ka­ni­sche Front“, mit dem Rück­zug dritt­plat­zier­ter Bewerber*innen, hat den Durch­marsch der Le-Pen-Bewe­gung ver­hin­dert. Trotz­dem kom­men RN und Ver­bün­de­te auf 125 Man­da­te (plus 17 der aus der Brand­mau­er aus­bre­chen­den Kon­ser­va­ti­ven), und auf den stärks­ten Stimm­an­teil (32 + 5 Pro­zent im 2. Wahl­gang). Die Nou­veau Front popu­lai­re (die in unse­rem Spek­trum von BSW über Lin­ke und SPD bis zu Grü­nen rei­chen wür­de), kommt zwar mit 178 Man­da­ten auf eine rela­ti­ve Sitz­mehr­heit, hat aber deut­lich weni­ger Stim­men als RN erhal­ten. Auch hier also teil­wei­se Wahl­rechts­ef­fek­te, und ein Ver­hin­dern eines noch stär­ke­ren RN-Ergeb­nis­ses durch das tak­ti­sche Bünd­nis fast aller übri­gen Par­tei­en. Mich erin­nert das an die letz­ten Wah­len in Sach­sen und Sachsen-Anhalt. 

Die Wahl­er­geb­nis­se sind ein Grund zur Freu­de, eine Atem­pau­se. Aber sie dür­fen nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass das Spek­trum von popu­lis­ti­scher bis faschis­ti­scher Rech­ter in Euro­pa wei­ter viel zu stark ist, dass – je nach Land – 20, 30, 40 Pro­zent die­se Par­tei­en wäh­len, und offen­sicht­lich nichts gelernt haben. Kurz­fris­tig hel­fen repu­bli­ka­ni­sche Fron­ten und demo­kra­ti­sche Brand­mau­ern. Auf Dau­er? (Und über Trump und die ihn eher stär­ken­den Eigen­hei­ten des US-Wahl­sys­tems ist damit noch gar nichts gesagt.)