Vor ein paar Tagen war ich – was zur Zeit pandemiebedingt leider weiterhin selten vorkommt – in Stuttgart. Und habe festgestellt, dass der algige Eckensee im Regen ganz hübsch aussehen kann. Links im Bild übrigens das von der Oper heruntergewehte Kupferdach, dass jetzt als Klimawandelmahnmal im See liegt.
Kurz: 14 Jahre auf Twitter
Twitter erinnert einen inzwischen daran, wie lange eines diesen Dienst schon nutzt – bei mir waren es demnach heute 14 Jahre. Das ist erstens ganz schön lange, wenn ich meine Lebensumstände damals und heute vergleiche (ein Kleinkind, Job an der Uni vs. zwei Teenager, Parlamentsrat usw.), und stimmt zweitens vermutlich nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich zuerst einen Account reserviert, und dann dauerte es noch eine Weile, bis ich Twitter tatsächlich genutzt habe. Oder doch nicht? Dem jetzt nachzugehen, bin ich gerade zu faul, tut auch nichts zur Sache. Der älteste Eintrag zu Twitter in meinem Blog stammt tatsächlich aus dem Juli 2008 und weist darauf hin, dass ich Twitter jetzt auch im Blog einblende, und dass der Dienst zwar für tot erklärt wird, aber wohl doch von einigen Leuten mehr als, hm, identi.ca, genutzt wird.
Twitter – und meine Nutzungspraktiken – sind dann immer wieder Thema im Blog, und verändert hat sich dieser Kurznachrichtendienst über die Jahre auch ziemlich. Damals: Text, kürzer als eine SMS, heute: Apps, Interfaces, alles voll mit Fotos, mit langen Beiträgen (Threads, demnächst Notes), mit direktem Kanal in die mediale Verwertung. Geblieben sind Empörungswellen und Empörung darüber, dass soziale Medien Empörung so einfach machen.
Auf 14 Jahre auf Twitter schaue ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ja, das ist ein extrem wichtiger Resonanzraum für mich, ein „Ort“ des Austauschs, in meiner umfangreichen, aber wohlsortierten Timeline auch sowas wie Heimat und „Blase“. Einzelnen nehme ich es tatsächlich persönlich übel, wenn sie mich geblockt haben (bei anderen wiederum ist’s mir egal). Hier ist immer irgendwas los. Neuigkeiten tauchen schneller auf als auf den Nachrichtenwebsites, und erst recht schneller als in TV, Radio und Fernsehen. Politik findet statt, wird durchgekaut und manchmal auch gemacht. Mit manchen Menschen dort macht’s auch Spaß, sich heftig im Mehrrechthaben zu streiten. Es gibt Menschen, die ich nur via Twitter kenne, und es gibt Menschen, bei denen Twitter dazu beiträgt, lose in Kontakt zu bleiben. Das alles gehört zur positiven Seite, und ist der Grund, warum ich über all die Jahre Twitter treu geblieben bin (und inzwischen zwar ein Mastodon-Konto habe, aber das nur als Zweitding ansehe).
Auf der anderen Seite frage ich mich allerdings schon, was ich mit der Zeit, die Twitterkommunikation bei mir einnimmt, angestellt hätte, wenn ich da nie einen Account angelegt hätte. Wäre ich konzentrierter gewesen, hätte ich mich ohne Twitter auf das eine oder andere Projekt stärker fokussiert? Oder wäre dann halt irgendwas anderes an die Stelle gerückt, ein oder mehrere funktionale Äquivalente, um Austausch, Unterhaltung, Kontakt, etc. zu befriedigen? Wäre ich heute ein anderer?
Photo of the week: Hedgehog visits the garden
Halbjahr
Das Jahr 2022 ist schon wieder zur Hälfte vorbei. Der Sommer ist mit voller Wucht da, der Garten summt und blüht, die Kinder wachsen und gedeihen. Und politisch: grüne Gestaltungsmehrheiten auf allen Ebenen. Alles prima, also?
Leider fühlt sich das gar nicht so an. Die letzten Supreme-Court-Entscheidungen in den USA, die den einen oder anderen post-apokalyptischen SF-Roman plötzlich ganz realistisch erscheinen lassen. Der Krieg in der Ukraine. Brennglas: Die wirtschaftlichen Folgen der fatalen Abhängigkeit von Gas und Erdöl. Der allen Klimaschutzmaßnahmen der letzten zwanzig, dreißig Jahre zum trotz nahezu linear wachsende CO2-Ausstoß, der von Jahr zu Jahr deutlichere Folgen hat. Und diese Pandemie ist auch noch da, mit der Prognose eines hohen Infektionsplateaus bis zum Herbst, um dann in die nächste „richtige“ Welle überzugehen.
Vor diesem Hintergrund wirken alle politischen Erfolge klein – gesellschaftspolitisch zum Beispiel die Streichung von § 219a, die Ankündigung, dass in einem Jahr ein Selbstbestimmungsgesetz da sein soll, und auch die Schritte, die wir beispielsweise im Land unternehmen, um ein klimaneutrales Baden-Württemberg hinzukriegen. Das ist ambitioniert, und kommt doch zu spät, wenn die Szenarien des IPCC stimmen.
In der Summe fühlt sich Politikmachen gerade sehr danach an, im heftigen Gegenwind nicht zurückzufallen – während gleichzeitig ein Abgrund auf uns alle zukommt. Oder, um ein anderes Bild zu wählen: Löcher zu stopfen, während immer wieder neu entstehen, und die Zahl der verfügbaren Arme und Hände begrenzt ist.
Es geht darum, zu tun, was notwendig ist (und was aufgrund all der Zwänge, die zu Politik dazugehören, von Koalitionen über Haushalte bis zum Mehrebenensystem, dann nur in einer abgeschliffenen Form möglich ist). Raum dafür, zu tun, was sinnvoll wäre, aber eben nicht notwendig ist, bleibt kaum.
Früher konnte ich mich für Utopien begeistern, auch als Mittel, um zu zeigen, dass es anders sein könnte. Heute habe ich die Befürchtung, dass jede Utopie als Versprechen auf eine bessere Zukunft nur dazu beiträgt, da wegzusehen, wo jetzt – eigentlich schon vorgestern – etwas getan werden muss. Durchwursteln hat uns in die Lage gebracht, in der wir heute sind – und trotzdem wäre es fatal, jetzt auf große Lösungen und radikale Neuanfänge zu setzen und darüber das, was jetzt getan werden kann, nicht zu tun. Es würde auch anders gehen, es geht auch anders. Im Detail tauchen dann beim Weg dahin aber doch immer wieder neue Löcher auf. Am liebsten da, wo es um Infrastruktur geht, um das Bahnnetz, um Breitbandanbindungen, um die großen Stromtrassen für ein auf Sonne, Wind und Speicher setzendes Netz – und das sind dann alles Löcher, die eigentlich schon vor Jahren hätten gestopft werden müssen, um jetzt handeln zu können. Der Gegenwind frischt weiter auf, der Abgrund rückt näher.
Halbzeit des Jahres 2022, und ich bin mit der Lage der Welt überhaupt nicht zufrieden. Je nach Perspektive mag das ein lokaler Tiefpunkt sein: der Abgrund als Tal, das im Rückblick, wenn es denn endlich durchquert ist, gar nicht mehr so furchteinflößend aussieht. Einiges deutet leider darauf hin, dass dieses Bild nicht stimmt, dass wir uns vielmehr darauf einstellen müssen, dass die besseren und kühleren Jahre auf lange Zeit hinter uns liegen, und Politik für eine Generation nicht Gestaltung bedeutet, sondern permanenter Kampf darum, die richtigen Löcher zu stopfen und dabei nicht all zu viele neue entstehen zu lassen. Und das muss trotzdem getan werden.