Ja, wir haben Herbst. Und leider sieht er gerade gar nicht so aus wie auf dem Foto, sondern nass und kalt. Allmählich wird es dann auch Zeit, die Heizung anzuwerfen, da habe ich ja den Ehrgeiz, das nicht vor dem 1. Oktober zu tun. Und das letzte Gemüse im Garten zu ernten.
Kurz: Umgangsformen
Am Wochenende hatten wir Landesdelegiertenkonferenz in Donaueschingen. Unter anderem hielt dort unsere Bundesvorsitzende Ricarda Lang eine sehr starke Rede zu Putin und der Ukraine, zu steigenden Energiepreisen und dem Anspruch, statt eines „Winters der Wut“ einen „Winter der Solidarität“ erleben zu wollen.
Ich habe ein bisschen dazu getwittert, Ricarda hat einen der Tweets retweetet – und mir damit einen Einblick in das Schlammloch gegeben, dass Twitter auch sein kann. Meine Timeline zeigt das, was ich sehen will – die Tweets und Retweets der Leute, denen ich folge, keine Empfehlungen, keine algorithmisch reingeschleuderten Tweets. Das ist meist niveauvoll und bei allen Differenzen durch einen freundlichen Umgang miteinander gekennzeichnet. Und meine eigenen Tweets erlangen selten eine Sichtbarkeit, die Trolle anlockt.
Hier war das nun anders – gegen Ricarda gerichtete Beleidigungen im Dutzend, und natürlich Vorwürfe aller Art gegen grüne Politik. Letzteres gehört dazu, ersteres finde ich unerträglich. Und ich kann mir vorstellen, wie übel das bei Accounts wie dem von Ricarda Tag für Tag aussieht.
Twitter ermöglicht es inzwischen, einzuschränken, wer antworten darf. Das habe ich dann auch gemacht – und großzügig alle geblockt, denen sichtbar nicht an Debatte, sondern nur an Beschimpfung und Hass gelegen ist. Und das ist völlig legitim.
Photo of the week: Montmartre / panorama view
Die Auswahl fällt mir schwer, trotzdem ein letztes Paris-Foto – und zwar eines, von Montmartre aufgenommen, das zeigt, wie groß diese Stadt eigentlich ist. Das wurde mir noch einmal besonders deutlich, weil ich am letzten Wochenende in Berlin war. Und es zwischen Berlin und Paris einfach nochmal einen qualitativen Sprung bzgl. der „Städtischkeit“ gibt.
Oder, in Daten: Paris selbst hat laut Wikipedia eine Fläche von 105 km², als (hier relevante) Metropolregion 17.174 km². Der Stadtstaat Berlin umfasst 892 km², als Metropolregion 30.000 km². In Paris leben in der Metropolregion 12,5 Mio. Menschen (in der Stadt selbst 2,2 Mio. Menschen), in Berlin 6,2 Mio. Menschen in der Metropolregion bzw. 3,7 Mio. Menschen im Stadtstaat. Ergibt für Paris (Metropolregion) eine Bevölkerungsdichte von 723 Menschen pro km², für Berlin sind es in der Metropolregion 207 Menschen pro km². Oder, wenn nur die Städte betrachtet werden: 20.616 Personen pro km² für Paris vs. 4.124 Personen pro km² für die Stadt Berlin. Und das ist spürbar.
Photo of the week: Trocadéro / Tour d’Eiffel
Aus den dann doch knapp 300 Paris-Fotos folgt heute ein (nicht ganz) klassischer Blick auf das Pariser Standardmotiv Eiffelturm. Und auf viele, viele, viele Menschen.
Klimapolitiken
Trotz der Extremwetterereignisse der letzten Jahre, trotz Dürre und Hitzesommer – und trotz der täglich alarmierender werdenden Prognosen – war Klimapolitik bisher vor allem Kampf darum, Klimaschutz als politisches issue diskursiv zu verankern, entsprechende Treibhausgasziele zu vereinbaren und – follow the science - zumindest in der Rhetorik weitgehend konsensuale Maßnahmen aufzusetzen. Die politische Trennlinie mag als so etwas beschrieben werden wie „Brauchen wir Klimaschutz – ja oder nein?“
Inzwischen nehme ich Anzeichen dafür war, dass Klimapolitik sich pluralisiert. Dass die Klimakatastrophe kommt, ergibt sich schlicht durch ihre zunehmende materielle Faktizität – dass sich etwas ändert, ist nicht nur zu messen, sondern auch zu sehen, mit Händen zu greifen. Die Streitlinie verläuft damit zunehmend nicht mehr entlang des ob, sondern entlang unterschiedlicher Schuldzuweisungen und Lösungsansätze. Einige davon mögen vorgeschoben sein, um weiter Normalität zu simulieren und bloß nichts ändern zu müssen, wenn etwa die FDP allen Effizienzberechnungen zum Trotz e‑Fuel propagiert.
Trotzdem lässt sich heute schon eine Ausdifferenzierung der politischen Antworten auf den Klimawandel beobachten. Dabei spielen selbstverständlich tradierte Positionierungen eine große Rolle: Vertrauen in den Markt – oder der Ruf nach Systemwandel; ein größtmögliches Maß individueller Freiheit für die, die es sich leisten können – oder der Fokus auf Umverteilung und Klimagerechtigkeit; großtechnische Lösungen oder Dezentralität; und ja, auch strukturelle Regulierung oder, auf der anderen Seite, „Eigenverantwortung“ und Verhaltenstipps. All das zeichnet sich heute schon ab in den propagierten Antworten auf den bisher stetigen Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre.
(Aus grüner, parteipolitischer Sicht ist diese Ausdifferenzierung ein Problem: je stärker Klimaschutz und multiple Lösungen für die Klimakrise als Vorschläge unterschiedlicher Parteien diskutiert werden, desto stärker entgleitet das „Eigentum“ am Thema. Und desto begründenswerter wird es, welche Lösung gewählt wird – es gibt keine „naturgegebene“, einzig richtige Lösung, sondern diese findet sich erst im politischen Streit. Heute lässt sich das Ansatzweise schon bei den Fragen Atomkraft und Gentechnik zeigen. Und mit Blick auf die materielle Faktizität der Klimakrise ist diese Ausdifferenzierung ambivalent: es ist gut, wenn Einigkeit über das Problem besteht; wenn jedoch Lösungen politisch ausgehandelt werden müssen, kostet das Zeit und senkt die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeiner dieser Wege beschritten wird.)
In die Zukunft fortgeschrieben, halte ich es für plausibel, dass dieser Streit um richtige Antworten noch deutlich schärfer werden wird.
Bisher – und diese Ausdifferenzierung ist nicht neu, sondern reicht bis in die 1980er und 1990er zurück – handelt es sich abzüglich rein rhetorischer Zugeständnisse im Kern oft noch um einen Streit innerhalb einer vage zu umreißenden Klimabewegung, mit einer eher realpolitisch orientierten ökologischen Modernisierung auf der einen Seite und system change statt climate change, also der Nutzbarmachung des Klimathemas für größere gesellschaftliche Wandelutopien, auf der anderen Seite. Das ist wie gesagt nicht neu, sondern eine seit Jahrzehnten eingeübte, mit Fridays for Future noch einmal neu motivierte Arbeitsteilung bei relativer Einigkeit über den politischen Kern.
Die Debatten um Extinction Rebellion vor einigen Jahren oder jetzt um den Klebe-Aktivismus der Letzten Generation stehen damit in einer Traditionslinie der Auseinandersetzung um Realismus und Radikalität in der ökologischen Bewegung.
(Die, aber das wäre ein anderes Thema, erstens nie deckungsgleich, wohl aber überlappend mit parteigrünen Debatten war, und die zweitens möglicherweise gerade im Brennglas der Bewertung der Coronapolitik (und jetzt der friedensbewegten Ignoranz angesichts des russischen Angriffskriegs) auseinander läuft: ist das noch eine geteilte Lebenswelt, wenn Maskentragen und Impfen plötzlich heiß umstritten sind?)
Neu ist heute, dass der Streit um die klimapolitisch richtige Lösung zunehmend kein Streit innerhalb einer lose umrissenen Bewegung und kein Innerwissenschaftsdiskurs ist, sondern in gesellschaftlicher Breite geführt wird, katalysiert in Parteipositionen.
Aus einer Linie der Klimawandelleugnung und der Dieselpolitik könnte so bei der AfD (oder bei entsprechend rechts positionierten Teilen von CDU und FDP) eine hart klimanationalistische und klimarassistische Politik entstehen: wir zuerst, der globale Süden darf Kompensation liefern, vielleicht auch „sauberen“ Strom und grünen Wasserstoff, ansonsten vor allem: Grenzen dicht und wegsehen!
Großtechnische Lösungen – Atomkraft, Kernfusion, Geo-Engineering – passen, als „Innovation“ und „Technologieoffenheit“ gerahmt, gut ins Portfolio der FDP und marktliberaler Strömungen anderer Parteien. Während der Fokus derzeit noch auf Wassestoff und E‑Fuels liegt, gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass mit zunehmend dramatisch werdender Erderwärmung der Ruf nach großen technischen Lösungen wie Sonnensegeln im Weltraum zur Verschattung lauter werden wird. (Ideologisch passt dann so etwas wie Longtermism wunderbar dazu.)
Noch etwas weiter gedacht: mit etwas Fatalismus lässt sich beim Blick auf die Kurve der Treibhausgaskonzentration und der kaum dämpfenden Wirkung der bisher ergriffenen Maßnahmen darüber spekulieren, dass Klimawandelanpassung zum Kern eines politischen Programms werden könnte. Damit meine ich weder die Schwammstadt noch Rückhaltebecken, eher schon den Bau von Seewällen und Dämmen – und beim Blick auf 3 oder 4 Grad Erhitzung könnten daraus auch autarke, von der Umwelt abgeschlossene Arkologien oder unterirdische Städte werden. Das klingt noch sehr weit hergeholt – es dürfte dann plausibler werden, wenn erste Städte aufgegeben oder erste Gebiete als unbewohnbar erklärt werden.
Zusammengefasst: Klimapolitik rückt zunehmend und notwendigerweise ins Zentrum. Politische Lösungen gewinnen an Dringlichkeit. Gleichzeitig wird offener und stärker zum Gegenstand diskursiver und politischer Aushandlung, was richtige Lösungen sind. Zu Ende gedacht kann das zu einem Ausdifferenzierungsmoment des Parteienspektrums werden.