Kurz: Den katholischen Geist neu rahmen

Reli­gi­on und Poli­tik ver­trägt sich nicht. Dass es in Deutsch­land eine christ­li­che Par­tei gibt, fin­de ich nach wie vor irri­tie­rend. Ent­spre­chend auf­ge­schreckt hat mich die Bericht­erstat­tung über das Papier diver­ser katho­li­scher Poli­ti­ke­rIn­nen mei­ner Par­tei (hier das Papier) – erst recht, nach­dem mit Ger­hard Schick und Agnieszka Brug­ger, Ulri­ke Gote und Bene Lux Leu­te drun­ter ste­hen, die ich aus ande­ren inner­par­tei­li­chen Debat­ten gut ken­ne und schät­ze. Was hat die gerit­ten, dach­te ich mir, plötz­lich – das war die Spit­ze des Debat­ten­eis­bergs – eine Son­der­ab­ga­be für Athe­is­tIn­nen wie mich zu fordern? 

Außer­dem: das hät­te – trotz aller Spit­zen­funk­tio­nä­rIn­nen mit Kir­chen­äm­tern – in unse­rer letz­lich doch recht kir­chen­kri­ti­schen Par­tei nie eine Chan­ce, so ein Papier. So gibt es in den letz­ten Jah­ren sowas wie einen zäh­ne­knir­schen­den Waf­fen­still­stand oder ein mehr oder weni­ger freund­lich hin­ge­nom­me­nes Unent­schie­den zwi­schen Reli­gi­ons­kri­ti­ke­rIn­nen und „Chris­ten bei den Grü­nen“, was Fra­gen der Tren­nung von Kir­che und Staat, des Ethik­un­ter­richts, kirch­li­cher Arbeits­ver­trä­ge usw. angeht. The­men, die inzwi­schen immer­hin wie­der dis­ku­tiert wer­den, ver­glei­che BDK Kiel 2011.

Ein Argu­ment auf der inner­grü­nen lin­ken Debat­ten­lis­te fand ich dann aller­dings doch recht über­zeu­gend. Und zwar liest sich das Papier ganz anders, wenn es nicht als inner­grü­ner Debat­ten­bei­trag ver­stan­den wird, son­dern – und ich den­ke, dass es so gemeint ist – als inner­ka­tho­li­scher Debat­ten­bei­trag zu deren Kir­chen­tag in Mann­heim. Dann sind das nicht mehr Grü­ne, die aus irgend­wel­chen Grün­den selt­sam reli­giö­se Posi­tio­nen ein­neh­men, son­dern Katho­li­kIn­nen, die in ihrer grü­nen Ver­wur­ze­lung ver­su­chen, auch in ihrer Kir­che etwas zu bewe­gen. Nicht mein Ding, aber doch schon um eini­ges ver­ständ­li­cher als die ers­te Inter­pre­ta­ti­on. Oder?

Kleine Verschwörungstheorie anlässlich der NRW-Wahl 2012

Kurz nach 18 Uhr hat der Nor­bert Rött­gen von der CDU erklärt, dass er alle Ver­ant­wor­tung auf sich nimmt und vom Lan­des­vor­sitz zurück­tre­ten wol­le. Er sei, ganz klar, der Haupt­ver­ant­wort­li­che für das desas­trö­se Abschnei­den der – das sind jetzt mei­ne Wor­te – ehe­ma­li­gen Volks­par­tei CDU. Also irgend­wie fand ich das schon selt­sam. Also nicht nur, dass die CDU ver­dien­ter­ma­ßen so schlecht abschnei­det. Son­dern das Rött­gen von Anfang an einen ziem­lich lust­lo­sen Wahl­kampf geführt hat – von Pla­kat­skan­da­len ange­fan­gen bis hin zum Rück­fahr­ti­cket nach Ber­lin. Nach allem, was dar­über so zu hören und zu lesen war. Und dass er ins­ge­samt so wirkt, als sei das das Ergeb­nis, mit dem er schon län­ger gerech­net hat.

Wenn das gan­ze jetzt ein Polit-Thril­ler wäre, dann wäre ein Dreh­buch plau­si­bel, in dem Rött­gen den Geheim­auf­trag hat, auf jeden Fall dafür zu sor­gen, dass die FDP im Land­tag in NRW bleibt. Weil die Wahl eh ver­lo­ren ist, aber die schwarz-gel­be Koali­ti­on auf Bun­des­ebe­ne nicht zu hal­ten ist, wenn die FDP aus dem Land­tag des wich­tigs­ten Bun­des­lan­des her­aus­fliegt. Und das hat Rött­gen dann mit Bra­vour umge­setzt, die­sen Geheim­auf­trag. Und darf in Ber­lin bleiben.

Aber zum Glück ist die Wirk­lich­keit kein Thril­ler-Dreh­buch. Ver­mut­lich ist die CDU ein­fach nur dafür nicht gewählt wor­den, dass sie ein Pro­gramm und ein Per­so­nal prä­sen­tiert hat, dass die Leu­te nicht woll­ten – jeden­falls nicht im Ver­gleich zur inte­grie­ren­den Poli­tik der rot-grü­nen Min­der­hei­ten­re­gie­rung. Die jetzt ver­dien­ter­ma­ßen (und noch dazu am Mut­ter­tag) zur Mehr­heits­re­gie­rung mit kla­rem Man­dat gewor­den ist.

Nach­trag (16.05.): Jetzt ist Rött­gen auch als Bun­des­um­welt­mi­nis­ter ent­las­sen wor­den. Passt dann nicht mehr so ganz zur schö­nen Verschwörung. 

Über Doppelmitgliedschaften – oder: Wozu gibt’s Parteien?

Double decoration

Anke Dom­scheit-Berg, Mit­glied von Bünd­nis 90/Die Grü­nen, und heu­te die Ham­bur­ger Grü­ne Nina Gal­la sind der Pira­ten­par­tei bei­getre­ten. Ins­be­son­de­re der Pira­ten-Ein­tritt von Dom­scheit-Berg fand auch ein gewis­ses media­les Echo, so nach dem Mot­to: „Grü­ne ver­lie­ren ihre Netz­kom­pe­tenz“ (wobei ich sagen muss, dass Dom­scheit-Berg inner­par­tei­lich bis­her so gut wie gar nicht in Erschei­nung getre­ten ist; ihr netz­po­li­ti­sches Renom­mee beruht nicht auf ihrem par­tei­po­li­ti­schen Enga­ge­ment). Mal abge­se­hen davon, dass es wei­ter­hin eine ziem­lich gro­ße Zahl grü­ner Netz­po­li­ti­ke­rIn­nen gibt – wir könn­ten ja auch mal einen offe­nen Brief oder sowas machen, um zu zei­gen, wie vie­le wir sind – fin­de ich die­se Par­tei­ein­trit­te vor allem des­we­gen inter­es­sant, weil sie nach dem Wil­len der bei­den Neu-Pira­tin­nen genau das sein sol­len: Ein­trit­te, aber kei­ne Über­trit­te, kei­ne Parteiwechsel.

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Photo of the week: Rhubarb series IX

Rhubarb series IX

 
Zum Foto: im Gar­ten mei­ner Eltern blüht ein kinds­ho­her Rha­bar­ber, auf dem aller­lei wun­der­sa­mes Getier her­um­fleuch­te – unter ande­rem die­ser grün­lich-gol­den glän­zen­de Käfer, von dem Z. behaup­tet, es sei ein Rosen­kä­fer. (Und sie hat recht – erstaun­lich, was so ein Wald­kin­der­gar­ten­kind im letz­ten Kin­der­gar­ten­jahr alles weiß …).

Zur Poli­tik: Nach­dem das letz­te Woche in Schles­wig-Hol­stein so gut geklappt hat, wäre es schön, wenn’s auch in NRW eine kla­re Basis für rot-grün geben wird – am Sonn­tag wird bekann­ter­ma­ßen gewählt.

Ich hof­fe, der oben abge­bil­de­te Käfer aus grü­nem Gold ist dafür, aber natür­lich eben­so für die her­vor­ra­gen­den Umfra­ge­wer­te, die es zum 1. Geburts­tag von grün-rot in Baden-Würt­tem­berg die­se Woche gab, ein geeig­ne­tes Sym­bol­bild. Der Wiki­pe­dia-Ein­trag für den gold­glän­zen­den Rosen­kä­fer nennt jeden­falls nichts, was die­ser Meta­pho­rik ent­ge­gen­ste­hen würde.

Ein paar Notizen zum Delegiertenprinzip

Ein Kri­tik­punkt der Pira­ten­par­tei an ande­ren Par­tei­en ist das Dele­ga­ti­ons­prin­zip. Zum Teil kann ich die­se Kri­tik tei­len (etwa wenn ich mir mehr­stu­fi­ge Dele­ga­tio­nen in der SPD anschaue, wo auf Kreis­ebe­ne bereits Dele­gier­te ent­schei­den, und wo Länder/Bezirke die Dele­gier­ten für den Bun­des­par­tei­tag wäh­len). Letzt­lich aber schei­nen mir Dele­ga­tio­nen – unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen – einen guten Kom­pro­miss zwi­schen Betei­li­gung und Effi­zi­enz darzustellen.

Wie machen wir Grü­ne das? Vor­weg sei gesagt: unter­schied­lich, weil unse­re Lan­des- und Kreis­ver­bän­de einen hohen Grad an Auto­no­mie auf­wei­sen. Bei­spiels­wei­se gibt es Kreis­ver­bän­de, die ihre Dele­gier­ten auf ein oder zwei Jah­re wäh­len, das also als eine Art Par­tei­amt ver­ste­hen. Ande­re ent­schei­den für jeden Par­tei­tag neu. Oder auf Lan­des­ebe­ne: Da gibt es durch­aus grü­ne Lan­des­ver­bän­de, die neben oder statt der Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz eine Lan­des­mit­glie­der­ver­samm­lung kennen.

Ich kann mal kurz dar­stel­len, wie der Kreis­ver­band Breis­gau-Hoch­schwarz­wald, in dem ich Mit­glied bin, die Dele­ga­ti­on hand­habt. Aktu­ell hat der Kreis­ver­band (KV) drei Dele­gier­ten­plät­ze für die Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (BDK) und fünf Dele­gier­ten­plät­ze für die Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (LDK).

Die­se Zah­len hän­gen von der rela­ti­ven Grö­ße des KV ab, bezo­gen auf den 31.12. des Vor­jahrs. Jeder KV hat ein Grund­man­dat, der Rest wird – in Baden-Würt­tem­berg – nach Hare-Nie­mey­er ver­teilt. Ins­ge­samt sind das für die baden-würt­tem­ber­gi­sche LDK etwa 200 Delegierte.

Für bestimm­te Par­tei­ta­ge (Lis­ten­auf­stel­lun­gen) müs­sen Dele­gier­te zur Bun­des­tags­wahl wahl­be­rech­tigt sein. Sonst ist nur die Mit­glied­schaft in der Par­tei relevant.

In mei­nem KV wer­den die Dele­gier­ten für jeden Par­tei­tag neu gewählt. Das führt zu lus­ti­gen Zei­tungs­ar­ti­keln, weil die Pres­se das irgend­wie als News ansieht, ist aber prak­tisch, weil damit Dele­gier­te nach The­men und z.T. nach Posi­tio­nie­run­gen aus­ge­wählt wer­den kön­nen. Wenn es ent­spre­chend vie­le Kan­di­da­tu­ren gibt, doch dazu gleich noch.

Für die Wahl der Dele­gier­ten gel­ten neben den all­ge­mei­nen Grund­sät­zen demo­kra­ti­scher Wah­len zwei Prinzipien.

Ers­tens das grü­ne Frau­en­sta­tut, das eine Min­dest­quo­tie­rung vor­sieht. Fak­tisch bedeu­tet dies, dass min­des­tens die Hälf­te der Dele­gier­ten­plät­ze an Frau­en ver­ge­ben wer­den soll. Dazu wird der Wahl­gang in einen Frau­en­wahl­gang (z.B. 3/5 Plät­zen) und einen offe­nen Wahl­gang (2/5 Plät­zen) auf­ge­teilt. Es gibt Mit­glie­der, die die­se Pra­xis kri­ti­sie­ren, aber letzt­lich führt sie tat­säch­lich zu quo­tier­ten Delegationen. 

Das zwei­te Prin­zip ist der Min­der­hei­ten­schutz. Damit ist hier nicht der SSW gemeint, son­dern die Tat­sa­che, dass es, wenn mehr Per­so­nen kan­di­die­ren, als es Plät­ze gibt, eine Begren­zung der Stim­men auf zwei Drit­tel gibt. Bei drei Plät­zen, die zu wäh­len sind, hat jedes Mit­glied auf der Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung nur zwei Stimmen. 

Damit soll ver­hin­dert wer­den, dass ein Block, der auf der Mit­glie­der­ver­samm­lung eine (leich­te) Mehr­heit hat, sei­ne Kan­di­da­tIn­nen durch­zieht. Letzt­lich ein Relikt aus den Zei­ten der Flü­gel­kämp­fe, aber doch auch heu­te noch ein Garant für eine gewis­se Meinungsvielfalt.

Ein ande­res altes Prin­zip, das impe­ra­ti­ve Man­dat, gilt so nicht mehr. Impe­ra­ti­ves Man­dat wür­de bedeu­ten, dass alle Ent­schei­dun­gen der LDK oder BDK in der Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung abge­stimmt wer­den und Dele­gier­te an die­se Ent­schei­dun­gen gebun­den sind. 

Was viel­mehr – bei wich­ti­gen und kon­tro­ver­sen The­men – geschieht, ist eine Dis­kus­si­on die­ser The­men auf der Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung, viel­leicht auch ein Mei­nungs­bild. Kan­di­da­tIn­nen für die Dele­ga­ti­on soll­ten sich ent­spre­chend äußern, so dass vor der Wahl klar ist, wer für wel­che Posi­ti­on steht.

Gewählt wer­den Dele­gier­te und Ersatz­de­le­gier­te. Dabei ist gewählt, wer die meis­ten Stim­men erhält, z.T. mit einem 20%-Quorum verbunden.

Die gewähl­ten Dele­gier­ten wer­den ange­mel­det und bekom­men dann die Par­tei­tags­un­ter­la­gen zuge­schickt. Sie neh­men am Par­tei­tag – meist an einem Wochen­en­de – teil. Fahrt- und z.T. Hotel­kos­ten stre­cken sie vor, der KV erstat­tet die­se bei Bedarf. Zum Teil bucht auch der KV gleich die Hotelzimmer.

Nicht uner­wähnt blei­ben soll die Tat­sa­che, dass es in der Pra­xis häu­fi­ger vor­kommt, dass das Inter­es­se, dele­giert zu wer­den, begrenzt ist. Wenn nur drei Per­so­nen für drei Plät­ze kan­di­die­ren, wer­den die­se dann meist im Block gewählt.

Bei „wich­ti­ge­ren“ Par­tei­ta­gen kommt es dage­gen durch­aus zu „Kampf­kan­di­da­tu­ren“ – denen sich bspw. auch die loka­len Abge­ord­ne­ten stel­len müssen.

Par­tei­ta­ge sind übri­gens gene­rell öffent­lich. Auch Mit­glie­der, die nicht dele­giert sind, haben Rede­recht und kön­nen Anträ­ge mit­ein­brin­gen (nötig sind 20 Mit­glie­der, um einen Antrag auf eine BDK ein­zu­brin­gen, in Baden-Würt­tem­berg 10 Mit­glie­der, um einen Antrag auf eine LDK einzubringen).

So machen wir das, mit dem Delegieren. 

Sicher­lich ein Sys­tem, das sei­ne eige­nen Nach­tei­le mit sich bringt – aber doch funk­ti­ons­fä­hig und aus mei­ner Sicht ein guter Kom­pro­miss zwi­schen dem Wunsch, alle zu betei­li­gen, und Par­tei­ta­ge hand­hab­bar zu gestalten.

War­um blog­ge ich das? Als Bei­trag zur Debat­te über Dele­ga­tio­nen – und weil dich das Wort Dele­gier­te so schreibt.