Ein zweites Foto von meiner Glasgow-London-Straßburg-Reise. Leider hatten wir nur einen Tag, um einen Blick auf Loch Lomond zu werfen. Dazu sind wir mit dem Zug von Glasgow nach Balloch gefahren (etwa eine Stunde, gut angebunden) und waren dann bei Balloch Castle – das derzeit wegen Renovierung geschlossen ist – am Ufer des Lochs und sind durch den sehr schönen Whinny Hill Wood spaziert, um in der Mitte des Rundgangs von oben einen Blick auf Loch Lomond und die Highlands werfen zu können. Trotz Nieselregens sehr schön.
Entfernte Verwandte im Stadtbild
Unlängst war ich in Leutkirch, der Heimatstadt meines Vaters. Beim Gang durch die Stadt sind mir einige Namen aufgefallen – die (leider leerstehende) Konditorei Albrecht, Stör und Wagenseil, das prominent in der Marktstraße stehende Spielwarengeschäft Zorn. Bekannt kamen mir diese Namen vor, weil sie auch immer wieder auf der Allgäuer Seite meines eigenen Stammbaums vorkommen. Das hat mich neugierig gemacht, ob denn da eine Verwandtschaftsbeziehung besteht.
Konkret habe ich dazu geguckt, wie es mit Spielwaren Zorn ausschaut. Um die Spannung rauszunehmen: ja, es gibt eine Beziehung, aber um einen gemeinsamen Vorfahren zu finden, muss man bis ins 17. Jahrhundert zurück gehen.
Dass es überhaupt möglich ist, diese Verbindung zu finden, hat vor allem etwas damit zu tun, dass der Stammbaum der Familie Zorn bis Mitte des 20. Jahrhundert akribisch dokumentiert ist. Auf der Website der Familie Leiprecht finden sich die Bücher zur Familiengeschichte der Familie Zorn aus Kempten, die Rudolf Schonger zusammengestellt hat. Auf rund 1500 als JPEG eingescannten Schreibmaschinenseiten werden hier mit vielen Quellenabschrieben und Nachweisen die (männlichen) Äste der Familie Zorn seit dem 13. Jahrhundert ausgebreitet. Auf S. 724 finden wir dann den 1929 geborenen Paul Zorn, bei dessen Tanten Käthe und Elise jeweils der Hinweis „Korb- und Spielwarengeschäft Leutkirch“ eingetragen ist. Auch in der Zorn-Chronik (S. 725) steht ein bisschen mehr zu diesem Geschäft und dem Haus in der Marktstraße.
Gleichzeitig gibt es in der Schwäbischen Zeitung anlässlich des 175-jährigen Bestehen des Spielwarengeschäfts einen recht ausführliche Artikel, in dem er heutige Inhaber von „Spielwaren Paul Zorn“, Burkhard Zorn, zu Wort kommt, und in dem auch die Anzeige eines Jakob Zorn, Drechslermeister, aus dem Jahr 1847 dokumentiert ist, in dem dieser dafür wirbt, Pfeifenköpfe, Kinderspielwaren u.ä. herzustellen. In der Zorn-Chronik dürfte dies Jacob Christoph Zorn (geb. 1816) sein (ebenfalls auf S. 724 zu finden), also der Ur-Ur-Großvater des heutigen Inhabers des Spielwarengeschäfts.
Um eine gemeinsame Verbindung zu finden, müssen wir allerdings noch fünf weitere Generationen zurückgehen. Dann landen wir bei Balthasar Zorn (1666–1714). Näheres zu ihm finden wir ab S. 700 der Zorn-Chronik. Dieser Balthasar Zorn war Bierbrauer und „Sackpfeiffer“-Wirt in Kempten; seine Gerichtsakten füllen einige Seiten der Chronik. Sein Sohn Johann Zorn (1691–1739) war zwischenzeitlich Wirt in Leutkirch, ging aber später wieder – als Wirt – nach Kempten zurück. Balthasar Zorns Enkel Abraham Zorn (geb. 1730) blieb schließlich als Wirt des „Weißen Ochsen“ in Leutkirch, sein Sohn, Balthasar Zorns Ur-Enkel Christoph Zorn (geb. 1762) wird als Drechsler in Leutkirch benannt. Auch dessen Sohn Abraham Zorn (geb. 1786) führt dieses Handwerk fort – und gibt es an seinen Sohn, den bereits genannten Jacob Christoph Zorn weiter.
Bei Balthasars Eltern, dem Kemptener Metzger Hans Zorn (1625–1670) und seiner Frau Euphrosine, geb. Bockh (1629–1691) kommen nun die beiden Linien zusammen. Balthasar hat einen Bruder, den Jacob Zorn (1651–1724, Kempten). Auch dessen Kinder gehen nach Leutkirch (vgl. Zorn-Chronik, S. 448 ff.). Das war damals allerdings gar nicht so einfach – sein Sohn Johannes Zorn (1679–1744) erhält die Bürgerrechte von Leutkirch erst, nachdem er (im Jahr 1700) zusagt, die Leutkircherin Rosina Mendler zu heiraten. Er wird später zum Mitglied des Gerichts und des Rates und zum Zunftmeister der Cramerzunft. Johannes Zorns Enkel heißt wiederum Johannes Zorn (1731–1815), ist Nadler und wird zum Stadtammann Leutkirchs; dessen Sohn, Paul Zorn (1766–1839) wird Wirt des „Rößle“ in Leutkirch. Die Urenkelin von diesem Paul Zorn wiederum ist Euphrosine (1852–1938), die den „Rad“-Wirt Gottlieb Friedrich Weixler heiratet (meine Ur-Ur-Großeltern).
Da die Leutkircher Handwerkerfamilien bis ins 19. Jahrhundert hinein immer wieder untereinander geheiratet haben, kann es sein, dass es auch noch jüngere Verbindungen gibt.
Photo of the week: London Euston – III
Wie bei jeder Reise: gar nicht so einfach, zu entscheiden, welche wenige Fotos ich jetzt hier und nächste (und vielleicht auch noch übernächste) Woche präsentiere. Die gesamte Auswahl gibt es wie immer auf Flickr, bzw. bisher etwa die Hälfte der Fotos, die ich auf der Reise nach Glasgow zur Worldcon gemacht habe (Route: Freiburg – Paris – London – Glasgow – London (mit ein paar Stunden Aufenthalt) – Paris – Straßburg (ungewollterweise) – Freiburg).
Hier ist ein ortstypisch verregneter Blick auf die Baustelle hinter dem Bahnhof London Euston zu sehen – einer der drei Londoner Bahnhöfe, die in Laufweite zu einander liegen. Der Eurostar aus Paris kommt in St. Pancras an, direkt daneben befindet sich King’s Cross samt dem aus Harry Potter bekannten und inzwischen in eine Touristenfalle verwandelten Gleis 9 3/4, und rund zehn Minuten davon entfernt findet sich Euston – hier fahren u.a. die Avanti-Westcoast-Züge in den Norden Englands und nach Schottland ab. Interessant, wie unterschiedliche Informationssysteme auf Bahnhöfen gestaltet sein können – und auch interessant, wie unterschiedlich Zugfahren gehandhabt wird. Das fängt bei der Ebene der Warnhinweise und Hilfestellungen an (kostenfreie Toiletten, Mobilitätshilfen, … und überall „mind the gap“) und endet nicht bei der Zugangskontrolle – die Fahrkarte, die jede Gesellschaft selbst verkauft, wird vor Eintritt ans Gleis kontrolliert, erst danach wird man überhaupt zum Zug gelassen, in diesem Fall ein Pendolino, der von einer Tochter der italienischen Staatsbahn, Trenitalia betrieben wird. In englischer Aussprache wird aus Avanti-Westcoast dann „no fancy west coast“ – warum auch immer. Der Zug fährt in London los, fährt auf der West Coast Main Line, die in der Tat extrem intensiv befahren wird – zumindest auf den ersten paar hundert Kilometern fahren nahezu ständig andere Züge auf Nachbargleisen zu sehen – und hält dann erst im Nordwesten auf der Höhe von Manchester das erste Mal.
Photo of the week: Berlin at night
In den nächsten Tagen komme ich hoffentlich dazu, meine Fotos aus Glasgow, Loch Lomond, London und Strasbourg ins Netz zu stellen. Als spätes Foto der Woche für die vergangene Woche aber dieses (durch seine Unschärfe ein bisschen traumhafte) Bild, das ich im Juli in einer Nacht in Berlin aufgenommen habe.
The good kind of weird – Teil II
Offiziell sollte die Bekanntgabe der Hugo-Awards – Herz der Worldcon – um 20 Uhr starten. Schon vor 19 Uhr bildete sich eine beträchtliche Schlange vor dem Eingang des „Armadillo“, wie überhaupt das Anstehen in Schlangen einen erheblichen Teil der Worldcon-Experience ausmachte. Jedenfalls dauerte es dann bis 20.30 Uhr, bis das Clyde-Auditorum dann tatsächlich gefüllt war: im vorderen Drittel die Nominierten und Gäste, hinten wir „einfache“ Fans, die aber immerhin auch diejenigen sind, die über die Vergabe der Hugos bestimmen. Dazu gleich mehr.
Eine geduldige wartende bunte Menge, teilweise in Abendgarderobe, teilweise in Verkleidung, teilweise in Abendgarderobe verkleidet. Rund um mich herum mindesten vier oder fünf Sprachen, nicht nur das allgegenwärtige Englisch – mit oder ohne schottischer Einfärbung – sondern auch Schweitzerdeutsch, Finnisch und Chinesisch. Blau-lila Farbspiele an den Wänden; violett ist die Signaturfarbe dieser Glasgow-Worldcon.
Es werden letzte Selfies gemacht. Im vorderen Bereich nehmen Gruppen aus China teil, die wohl extra für diese Preisverleihung angereist sind; unter den Nominierten sind auch chinesische Publikationen. Auch das hat etwas mit dem Verfahren zu tun, wie die Hugos vergeben werden. Spoiler: Preise gab es keine.
Dass die Hugos, die es seit den 1950ern gibt, immer noch vor allem ein Fan-Award sind, zeigt sich nicht nur im Vergabeverfahren, sondern auch an der Vielzahl von Kategorien, in denen Preise vergeben werden. Dazu gehören Fan Art und Fanzines, Podcasts und „best related work“ – aber auch die großen, renommierten Preise, die ganz am Ende der Zeremonie vergeben werden, für die beste Kurzgeschichte, die beste Novelle und den besten Roman aus dem vergangenen Jahr.
Vorschläge für all diese Kategorien können von den Mitgliedern der WSFA eingereicht werden – das sind alle Teilnehmenden der vergangenen und aktuellen Worldcon. Die Worldcon 2023 fand zum ersten Mal – durchaus kontrovers bewertet – in China statt. Insofern nicht verwunderlich, dass in vielen Kategorien auch chinesische Werke nominiert wurden, die mir – und vermutlich vielen anderen – allerdings wenig sagten.
„I‘m a Hugo voter“ – die eigentliche Wahl unter den fünf oder sechs Nominierten findet vor der Worldcon statt, die digitalen Wahlurnen schließen einige Tage vor Beginn. Ausgezählt wird nach einem – wir sind unter Nerds – Präferenzwahlverfahren. Als Wähler*in gebe ich eine Reihung je Kategorie, aus denen dann in einem mehrstufigen Verfahren mit Übertragung der übrigen Stimmen der ausscheidenden Nominierungen auf die übrigen Plätze ermittelt wird, wer die Hugo-Awards erhält.
Mehr dazu (und zu allen Ergebnissen in allen Kategorien) ist auf der Website theHugoAwards.org zu finden. Im Saal wurde eine stark gekürzte Geschichte der Awards und des Verfahrens präsentiert, dann begann – mit einigen Holpern und technischen Problemen, wir sind, wie gesagt, weiter im Bereich der Fan-Organisation – die eigentliche Nennung der Gewinner*innen, und so sie anwesend waren, deren mehr oder weniger tränenreiche und vorbereitete („I just wrote this on my phone …“) Acceptance-Speeches, mal zur Sache, und ab und an zur Weltpolitik. Nicht ganz Oskar-Niveau, aber doch sehr spannungsreich.
Ich will jetzt nicht auf alle 18 oder so Preise eingehen, sondern nur sechs hervorheben:
Der Hugo für das beste „related work“ ging – zu deren Erstaunen (aber völlig zu Recht) – an Zach und Kelly Weinersmith für A City on Mars, deren lustig geschriebene, sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit der Unmöglichkeit, Mond und Mars zu besiedeln. Unerwartet, weil das völlig an der Final-Frontier-Traditionslinie vorbeigeht, die die Science Fiction lange Zeit geprägt hat. Wenn ich mir anschaue, wie viele Panels auf der Worldcon sich mit Solarpunk und der erneuten Hinwendung zu unserem Heimatplanet befassten, war dieser Erfolg vielleicht gar nicht so unerwartet – und passt in gewisser Weise zu den weiteren Preisträgerinnen.
Der Hugo für die beste Serie ging an Ann Leckie für deren Imperial Radch-Serie. Die ist jetzt einerseits doch traditionelle Science Fiction/Space Opera, insofern sie in irgendwelchen fernen Welten spielt. Andererseits ist Leckies Serie eine intensive Auseinandersetzung mit künstlichen Intelligenzen (in verteilten Körpern), spielt mit einer Kultur, die konsequent nur ein Geschlechtspronomen verwendet („she“) und hat viel mit Fremd- und Andersartigkeit zu tun. Motive, die sich allesamt in vielen erfolgreichen Werken der letzten Jahre finden.
Naomi Kritzer hat (ebenfalls sehr verdient) gleich zwei Hugos gewonnen, und zwar für die beiden Geschichten „Better living through algorithms“ (Best short story) und „The year without sunshine“ (Best novellette). Beide sind m.W.n. online zu finden, und lesenswert. Ich würde beide irgendwo in dem Feld aus Cozy SF – Hopepunk – Solarpunk einsortieren. „Better living …“ setzt sich damit auseinander, was passiert, wenn Menschen die „Erlaubnis“ bekommen – hier durch den titelgebenden Algorithmus – sich Zeit für die Dinge zu nehmen, die ihnen wichtig sind. „The year without sunshine“ handelt von ganz normalen Menschen in einer Nachbarschaft, mit und ohne Behinderungen, die in einer Krise auf sich selbst gestellt sind. Statt zum Krieg aller gegen alle kommt es zu gegenseitiger Unterstützung, eine Gemeinschaft bildet sich. Beides definitiv empfehlenswerte Geschichten, die auch meine Stimmen bekommen haben, und die sich auch als Handlungsanleitung eignen. Und die mit der Hinwendung zu unserer Realität, zu nahen Krisen und weg von technischen Lösungen für einen Trend der gegenwärtigen SF stehen.
Über T. Kingfishers Hugo für die Novelle Thornhedg kann ich dagegen wenig sagen. Ich habe diese Novelle, eine historisch akkurate Neuerzählung von Dornröschen mit Fokus auf die scheinbar so unwichtigen Details, bisher nicht gelesen, fand die Kategorie auch insgesamt eher schwierig in der Bewertung (einzig Malka Olders „Mimicking of Known Successes“ sagte mir etwas). In ihrer sehr einprägsamen Rede sprach Kingfisher jedenfalls über die diversen meeresökologischen und evolutionären Besonderheiten der Seegurke.
Bleibt noch die Königinnenkategorie der Hugos, bester Roman. Hier waren alle nominierten Werke herausragend; ich habe mich auch bei meiner Abstimmung schwer getan, was ich nach vorne setze. Gewettet hätte ich, dass meine Nr. 2, The Saint of Bright Doors von Vajra Chandrasekera die Abstimmung gewinnt. Tatsächlich geworden ist es dann – auf meinem Stimmzettel ebenso wie im Gesamtvoting – jedoch Emily Tesh‘ Roman Some Desperate Glory. Auf den ersten Blick widerspricht dieses Buch meiner Aussage, dass der Trend der Stunde Hopepunk und die Rückbesinnung auf den Heimatplaneten ist. Hier geht es um interstellare Kriege und die letzten Reste der Menschheit, die sich irgendwo verschanzt haben. Das sieht erstmal wie MilSF aus, ist ziemlich düster – und entpuppt sich dann nach mehreren Perspektivwechseln als etwas ganz anderes. In ihrer beeindruckenden Rede betonte Tesh, dass es ihr in ihrem Roman darum gegangen sei, das schlechteste, was die Menschheit ausmacht, in konzentrierter Form darzustellen: ein faschistisches Regime, das auf Militarisierung, Propaganda und Indoktrination setzt – und zu zeigen, wie schwer – und trotzdem möglich – es ist, sich daraus zu befreien. Ein kleiner Funke Hoffnung in der Dunkelheit!
Ich habe für „meine“ Favorit*innen mitgefiebert, als die Preise bekanntgegeben wurden, und bin insgesamt (mal von Randkategorien wie der besten Bewegtbildserienepisode abgesehen) sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Herzlichen Glückwunsch allen Nominierten und Preisträger*innen – und wer nach lesenswerter Lektüre sucht, ist mit dem dieses Jahr präsentierten Spektrum sehr gut bedient.