Unsortierte Gedanken zu den Wahlen in Thüringen und Sachsen

Alte Parteischule, Erfurt (GDR, 1969)

Noch läuft die Aus­zäh­lung, aber die Hoch­rech­nun­gen sind jetzt so sta­bil, dass ich glau­be, sinn­voll etwas zu den bei­den Wah­len heu­te sagen zu kön­nen. Das sind aller­dings eher unsor­tier­te Gedan­ken als eine tie­fer­ge­hen­de Ana­ly­se o.ä.

Nach jet­zi­gem Stand erhält die AfD in Thü­rin­gen 32 der 88 (!) Sit­ze, die CDU 23, das neue BSW 15, die LINKE 12 und die SPD 6. Alle ande­ren Par­tei­en sind nicht im Land­tag ver­tre­ten, die FDP ist eben­so deut­lich raus­ge­flo­gen wie die GRÜNEN. Zu Beginn des Wahl­abends sah es so aus, als hät­te eine Koali­ti­on aus CDU, BSW und SPD eine Mehr­heit. Die wäre aktu­ell aller­dings auch nicht gege­ben, son­dern wird um einen Sitz ver­fehlt. Eine rech­ne­ri­sche Mehr­heit hät­ten dage­gen AfD und BSW – das wird aber wohl vom BSW (zum Glück) abgelehnt.

Nach vor­ne gedacht heißt das für Thü­rin­gen: der bis­he­ri­ge Zustand einer Min­der­hei­ten­re­gie­rung wird fort­ge­setzt. Da in Thü­rin­gen im 3. Wahl­gang eine ein­fa­che Mehr­heit reicht, um Minis­ter­prä­si­dent zu wer­den, könn­te sich der CDU-Spit­zen­kan­di­dat Mario Voigt – nach erfolg­rei­chen Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen mit BSW und dem stark redu­zier­ten SPD-Anhäng­sel – so zum Minis­ter­prä­si­den­ten wäh­len las­sen. Für Haus­hal­te etc. wäre eine Dul­dung durch die LINKE notwendig. 

Bis dahin sind, wenn ich das rich­tig inter­pre­tie­re, Rame­low (LINKE) und auch die Minister*innen von GRÜNEN und SPD kom­mis­sa­risch wei­ter im Amt – wäh­rend gleich­zei­tig die grü­ne Frak­ti­on auf­ge­löst und alle Mitarbeiter*innen ent­las­sen wer­den. Alter­na­tiv könn­ten die grü­nen Minister*innen auch zurück­tre­ten, die kom­mis­sa­ri­sche Regie­rung wür­de dann auf ande­re Minister*innen der bis­he­ri­gen Regie­rung übergehen.

In Sach­sen ist das Wahl­er­geb­nis etwas vola­ti­ler. Anders als in Thü­rin­gen ist hier nicht die AfD, son­dern die CDU stärks­te Kraft gewor­den. Nach jet­zi­gem Stand hat die CDU 42 Sit­ze, die AfD 40 Sit­ze, das BSW 16 Sit­ze, die SPD 10 Sit­ze, GRÜNE (mit 5,2 % gera­de über der Fünf-Pro­zent-Hür­de) 7 Sit­ze und die LINKE 5 Sit­ze. Es sieht so aus, dass LINKE und GRÜNE jeweils zwei Direkt­man­da­te errin­gen wer­den (LINKE zwei­mal in Leip­zig, GRÜNE ein­mal in Dres­den und ein­mal in Leip­zig). In Sach­sen gibt es eine Grund­man­dats­klau­sel, die in die­sem Fall einen Ein­zug in den Land­tag sicher­stellt. Das wür­de ent­spre­chend auch gel­ten, wenn GRÜNE doch noch unter die Fünf-Pro­zent-Hür­de sin­ken würden.

Wäh­rend es zu Beginn des Wahl­abends so aus­ge­se­hen hat, dass rech­ne­risch eine Fort­set­zung von CDU-SPD-GRÜNE mög­lich wäre, schei­tert die­se Koali­ti­on – durch den Ein­zug der LINKEN – jetzt an der Mehr­heit. Eine halb­wegs kom­for­ta­ble Mehr­heit hät­te der CDU-Minis­ter­prä­si­dent Kret­schmer jeweils mit BSW und SPD oder mit BSW und GRÜNEN. Nach sei­nen Äuße­run­gen in den letz­ten Wochen und Mona­ten hal­te ich hier eine Zusam­men­ar­beit mit der SPD aller­dings für deut­lich wahr­schein­li­cher als ein Bünd­nis CDU-BSW-GRÜNE. Aber rech­ne­risch wäre auch das mög­lich. Denk­bar wären auch diver­se Dul­dungs­mo­del­le. Anders als in Thü­rin­gen hät­te die AfD auch zusam­men mit BSW kei­ne Mehrheit.

In bei­den Län­dern scheint es also auf Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen der CDU mit dem popu­lis­ti­schen BSW und ver­mut­lich der SPD hin­aus­zu­lau­fen. Ob das gelingt, ist offen. Mög­li­cher­wei­se steht am Schluss kei­ne Koali­ti­on, son­dern eine wie auch immer gear­te­te Dul­dung einer CDU-SPD-Regie­rung – auch des­we­gen, weil das BSW als sehr jun­ge Par­tei trotz der LIN­KE-Erb­schaft eigent­lich über­haupt nicht über Per­so­nal für eine Regie­rung verfügt.

Gleich­zei­tig setzt das BSW auf die The­men „ande­re Hal­tung zur Ukrai­ne“ (da dürf­te es Kon­flik­te geben, auch wenn Kret­schmer inner­halb der CDU eher weni­ger klar posi­tio­niert ist) und „här­te­rer Kurs gegen Ausländer*innen“ (das dürf­te lei­der bei der CDU offe­ne Türen ein­ren­nen). Lan­des­po­li­ti­sche The­men schei­nen kaum vor­zu­kom­men. Auch das macht mög­li­che Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen interessant.

Ich gehe davon aus, dass weder Voigt noch Kret­schmer auf die Idee kom­men, einen Deal mit der AfD ein­zu­ge­hen. Zumin­dest die­ser Teil der „Brand­mau­er“ scheint noch halb­wegs sta­bil zu sein. Das heißt aber auch: wenn Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen oder Ver­ein­ba­run­gen über Dul­dun­gen schei­tern, ist unklar, was dann pas­siert. Neu­wah­len? Durch­wurs­teln? Schön ist das jeden­falls nicht.

Auch nicht schön, sogar sehr häss­lich: in bei­den Län­dern sind gro­ße Tei­le, v.a. der eher länd­li­che Bereich, AfD-Gebiet. Hier erringt die AfD Direkt­man­da­te, hier ist sie (auch in Sach­sen) stärks­te Par­tei, teil­wei­se kommt die erwie­sen rechts­extre­me Par­tei an die 50 Pro­zent heran. 

Auf der ande­ren Sei­te gibt es ein­zel­ne Wahl­krei­se in Leip­zig und Dres­den (und in Thü­rin­gen abge­speckt in Jena), in denen LINKE oder GRÜNE deut­lich zwei­stel­lig sind, und wie erwähnt sogar Direkt­man­da­te holen. Es gibt hier also mas­si­ve kul­tu­rel­le Unter­schie­de inner­halb der Län­der, die um eini­ges grö­ßer aus­fal­len als im Wes­ten, auch wenn es da natür­lich ähn­li­che Mus­ter gibt.

In Sach­sen wie in Thü­rin­gen waren GRÜNE bis­her schon eine sehr klei­ne Par­tei, die von den grö­ße­ren Städ­ten leb­te. Das hat sich noch ein­mal zuge­spitzt. Und ich ver­mu­te, dass die­se struk­tu­rel­len Fak­to­ren min­des­tens eben­so viel wie das Grü­nen-Bas­hing der CDU, der FDP und eini­ger Medi­en oder wie die Per­for­manz der Bun­des­re­gie­rung zu die­sem Ergeb­nis bei­getra­gen habe. Das ist etwas, das sich nur sehr lang­fris­tig ändern lässt. Gleich­zei­tig bin ich erschreckt dar­über, wie immer noch – laut Wahl­um­fra­gen bei drei Vier­tel der Befrag­ten in bei­den Län­dern – ein Nar­ra­tiv von „wir im Osten wer­den schlech­ter behan­delt als im Wes­ten“ ver­fängt. Mehr als 33 Jah­re, eine Gene­ra­ti­on, nach Mau­er­fall und Ver­ei­ni­gung. Das clasht ver­mut­lich noch ein­mal ganz beson­ders mit dem grü­nen Image. Und macht GRÜN zu einer kos­mo­po­li­ti­schen Nische in die­sen Ländern.

Dra­ma­ti­scher und schlim­mer und noch immer nicht ganz fass­bar fin­de ich es – trotz Euro­pa­wahl, trotz Kom­mu­nal­wah­len, und auch trotz der ja teil­wei­se schon ähn­li­chen Ergeb­nis­se bei der Bun­des­tags­wahl 2021 – dass es im Osten Orte gibt, in denen die AfD als rechts­extre­me Par­tei nicht nur kul­tu­rell domi­niert, son­dern auch die abso­lu­te Mehr­heit der Men­schen hin­ter sich weiß. Das betrifft ins­be­son­de­re die Gegen­den, aus denen Leu­te weg­zie­hen. Ein Trend, der sich mög­li­cher­wei­se selbst ver­stär­ken wird. Sind die­se Land­stri­che ver­lo­ren? Was macht das mit Men­schen, die sich die­ser Domi­nanz nicht aus­set­zen wol­len, die aktiv ange­grif­fen werden?

Und: Was heißt das für ein mög­li­ches AfD-Ver­bots­ver­fah­ren? Natür­lich lässt sich auch eine ver­fas­sungs­feind­li­che Par­tei ver­bie­ten, die 30 Pro­zent der Sit­ze in einem Par­la­ment hat. Aber ein­fa­cher wür­de ein mög­li­ches Ver­bots­ver­fah­ren dadurch nicht. Und auf der ande­ren Sei­te wird sich eine stärks­te oder zweit­stärks­te Frak­ti­on, die zumin­dest in Thü­rin­gen auch recht­lich eine Sperr­mi­no­ri­tät aus­üben kann, kaum aus­gren­zen las­sen. Ich weiß nicht, was das für z.B. das Amt des oder der Landtagspräsident*in bedeu­tet, was das für Aus­schuss­vor­sit­ze und Vor­schlags­rech­te bedeu­tet. Da kommt eini­ges auf uns zu – die AfD schlägt damit noch tie­fe­re Wur­zeln, als das jetzt schon der Fall ist. 

Und sie wird, das steht jeden­falls zu befürch­ten, auch noch stär­ker als jetzt schon die Agen­da der Poli­tik mit­be­stim­men. Das umso mehr, wenn die CDU an ihrem – aus ihrer Sicht in bei­den Län­dern ja erfolg­rei­chen – Kurs fest­hält, mit vol­ler Wucht gegen die Ampel vor­zu­ge­hen, und jede noch so popu­lis­ti­sche AfD-For­de­rung kurz dar­auf selbst auf die Tages­ord­nung zu set­zen. Eine natio­na­le Not­la­ge, die dazu führt, dass die Gren­zen zuge­macht wer­den müs­sen und das Asyl­recht außer Kraft gesetzt wird – das hät­te 1:1 auch von der AfD kom­men kön­nen, war aber CDU-Chef Merz.

In den State­ments von Kret­schmer und Voigt am Wahl­abend wur­de eine tie­fe Ver­ach­tung der Bun­des­re­gie­rung gegen­über deut­lich. Bei­de erzäh­len – genau wie Merz – eine Geschich­te davon, dass die fal­sche Poli­tik der Ampel dar­an schuld sei, dass die AfD gewählt wird. 

Ent­spre­chend rutscht dann in Reak­ti­on auch die Ampel nach rechts. 

Staats­tra­gend ist etwas ande­res. Und die, die GRÜNE oder SPD wäh­len, tun das ver­mut­lich nicht des­we­gen, weil die Ampel sich immer wei­ter nach rechts bewegt. Inso­fern geht das Kal­kül der CDU kurz­fris­tig auf – und über­tönt jede Erfolgs­ge­schich­te, die ja fak­tisch erzählt wer­den könn­te, mit Blick auf Solar­boom, Wirt­schafts­wachs­tum oder auch gesell­schafts­po­li­ti­sche Liberalisierungen.

Ich wür­de mich freu­en, wenn die Ampel als Reak­ti­on auf die­se Wah­len kon­struk­tiv und selbst­be­wusst das umsetzt, was gut für die­ses Land ist – und nicht das, was die AfD-Min­der­heit auf die Agen­da setzt. Ich bin sicher, dass eine sol­che Regie­rung von den Wähler*innen hono­riert wer­den würde.

Aller­dings bin ich nicht sehr zuver­sicht­lich, dass es dazu kommt. Das zei­gen die letz­ten Tage, aber auch das abso­lut mise­ra­ble FDP-Ergeb­nis dürf­te nicht dazu bei­tra­gen, dass die Regie­rung zu mehr Geschlos­sen­heit und zu einer Besin­nung auf die eige­nen Stär­ken findet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert