Noch läuft die Auszählung, aber die Hochrechnungen sind jetzt so stabil, dass ich glaube, sinnvoll etwas zu den beiden Wahlen heute sagen zu können. Das sind allerdings eher unsortierte Gedanken als eine tiefergehende Analyse o.ä.
Nach jetzigem Stand erhält die AfD in Thüringen 32 der 88 (!) Sitze, die CDU 23, das neue BSW 15, die LINKE 12 und die SPD 6. Alle anderen Parteien sind nicht im Landtag vertreten, die FDP ist ebenso deutlich rausgeflogen wie die GRÜNEN. Zu Beginn des Wahlabends sah es so aus, als hätte eine Koalition aus CDU, BSW und SPD eine Mehrheit. Die wäre aktuell allerdings auch nicht gegeben, sondern wird um einen Sitz verfehlt. Eine rechnerische Mehrheit hätten dagegen AfD und BSW – das wird aber wohl vom BSW (zum Glück) abgelehnt.
Nach vorne gedacht heißt das für Thüringen: der bisherige Zustand einer Minderheitenregierung wird fortgesetzt. Da in Thüringen im 3. Wahlgang eine einfache Mehrheit reicht, um Ministerpräsident zu werden, könnte sich der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt – nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen mit BSW und dem stark reduzierten SPD-Anhängsel – so zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Für Haushalte etc. wäre eine Duldung durch die LINKE notwendig.
Bis dahin sind, wenn ich das richtig interpretiere, Ramelow (LINKE) und auch die Minister*innen von GRÜNEN und SPD kommissarisch weiter im Amt – während gleichzeitig die grüne Fraktion aufgelöst und alle Mitarbeiter*innen entlassen werden. Alternativ könnten die grünen Minister*innen auch zurücktreten, die kommissarische Regierung würde dann auf andere Minister*innen der bisherigen Regierung übergehen.
In Sachsen ist das Wahlergebnis etwas volatiler. Anders als in Thüringen ist hier nicht die AfD, sondern die CDU stärkste Kraft geworden. Nach jetzigem Stand hat die CDU 42 Sitze, die AfD 40 Sitze, das BSW 16 Sitze, die SPD 10 Sitze, GRÜNE (mit 5,2 % gerade über der Fünf-Prozent-Hürde) 7 Sitze und die LINKE 5 Sitze. Es sieht so aus, dass LINKE und GRÜNE jeweils zwei Direktmandate erringen werden (LINKE zweimal in Leipzig, GRÜNE einmal in Dresden und einmal in Leipzig). In Sachsen gibt es eine Grundmandatsklausel, die in diesem Fall einen Einzug in den Landtag sicherstellt. Das würde entsprechend auch gelten, wenn GRÜNE doch noch unter die Fünf-Prozent-Hürde sinken würden.
Während es zu Beginn des Wahlabends so ausgesehen hat, dass rechnerisch eine Fortsetzung von CDU-SPD-GRÜNE möglich wäre, scheitert diese Koalition – durch den Einzug der LINKEN – jetzt an der Mehrheit. Eine halbwegs komfortable Mehrheit hätte der CDU-Ministerpräsident Kretschmer jeweils mit BSW und SPD oder mit BSW und GRÜNEN. Nach seinen Äußerungen in den letzten Wochen und Monaten halte ich hier eine Zusammenarbeit mit der SPD allerdings für deutlich wahrscheinlicher als ein Bündnis CDU-BSW-GRÜNE. Aber rechnerisch wäre auch das möglich. Denkbar wären auch diverse Duldungsmodelle. Anders als in Thüringen hätte die AfD auch zusammen mit BSW keine Mehrheit.
In beiden Ländern scheint es also auf Koalitionsverhandlungen der CDU mit dem populistischen BSW und vermutlich der SPD hinauszulaufen. Ob das gelingt, ist offen. Möglicherweise steht am Schluss keine Koalition, sondern eine wie auch immer geartete Duldung einer CDU-SPD-Regierung – auch deswegen, weil das BSW als sehr junge Partei trotz der LINKE-Erbschaft eigentlich überhaupt nicht über Personal für eine Regierung verfügt.
Gleichzeitig setzt das BSW auf die Themen „andere Haltung zur Ukraine“ (da dürfte es Konflikte geben, auch wenn Kretschmer innerhalb der CDU eher weniger klar positioniert ist) und „härterer Kurs gegen Ausländer*innen“ (das dürfte leider bei der CDU offene Türen einrennen). Landespolitische Themen scheinen kaum vorzukommen. Auch das macht mögliche Koalitionsverhandlungen interessant.
Ich gehe davon aus, dass weder Voigt noch Kretschmer auf die Idee kommen, einen Deal mit der AfD einzugehen. Zumindest dieser Teil der „Brandmauer“ scheint noch halbwegs stabil zu sein. Das heißt aber auch: wenn Koalitionsverhandlungen oder Vereinbarungen über Duldungen scheitern, ist unklar, was dann passiert. Neuwahlen? Durchwursteln? Schön ist das jedenfalls nicht.
Auch nicht schön, sogar sehr hässlich: in beiden Ländern sind große Teile, v.a. der eher ländliche Bereich, AfD-Gebiet. Hier erringt die AfD Direktmandate, hier ist sie (auch in Sachsen) stärkste Partei, teilweise kommt die erwiesen rechtsextreme Partei an die 50 Prozent heran.
Auf der anderen Seite gibt es einzelne Wahlkreise in Leipzig und Dresden (und in Thüringen abgespeckt in Jena), in denen LINKE oder GRÜNE deutlich zweistellig sind, und wie erwähnt sogar Direktmandate holen. Es gibt hier also massive kulturelle Unterschiede innerhalb der Länder, die um einiges größer ausfallen als im Westen, auch wenn es da natürlich ähnliche Muster gibt.
In Sachsen wie in Thüringen waren GRÜNE bisher schon eine sehr kleine Partei, die von den größeren Städten lebte. Das hat sich noch einmal zugespitzt. Und ich vermute, dass diese strukturellen Faktoren mindestens ebenso viel wie das Grünen-Bashing der CDU, der FDP und einiger Medien oder wie die Performanz der Bundesregierung zu diesem Ergebnis beigetragen habe. Das ist etwas, das sich nur sehr langfristig ändern lässt. Gleichzeitig bin ich erschreckt darüber, wie immer noch – laut Wahlumfragen bei drei Viertel der Befragten in beiden Ländern – ein Narrativ von „wir im Osten werden schlechter behandelt als im Westen“ verfängt. Mehr als 33 Jahre, eine Generation, nach Mauerfall und Vereinigung. Das clasht vermutlich noch einmal ganz besonders mit dem grünen Image. Und macht GRÜN zu einer kosmopolitischen Nische in diesen Ländern.
Dramatischer und schlimmer und noch immer nicht ganz fassbar finde ich es – trotz Europawahl, trotz Kommunalwahlen, und auch trotz der ja teilweise schon ähnlichen Ergebnisse bei der Bundestagswahl 2021 – dass es im Osten Orte gibt, in denen die AfD als rechtsextreme Partei nicht nur kulturell dominiert, sondern auch die absolute Mehrheit der Menschen hinter sich weiß. Das betrifft insbesondere die Gegenden, aus denen Leute wegziehen. Ein Trend, der sich möglicherweise selbst verstärken wird. Sind diese Landstriche verloren? Was macht das mit Menschen, die sich dieser Dominanz nicht aussetzen wollen, die aktiv angegriffen werden?
Und: Was heißt das für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren? Natürlich lässt sich auch eine verfassungsfeindliche Partei verbieten, die 30 Prozent der Sitze in einem Parlament hat. Aber einfacher würde ein mögliches Verbotsverfahren dadurch nicht. Und auf der anderen Seite wird sich eine stärkste oder zweitstärkste Fraktion, die zumindest in Thüringen auch rechtlich eine Sperrminorität ausüben kann, kaum ausgrenzen lassen. Ich weiß nicht, was das für z.B. das Amt des oder der Landtagspräsident*in bedeutet, was das für Ausschussvorsitze und Vorschlagsrechte bedeutet. Da kommt einiges auf uns zu – die AfD schlägt damit noch tiefere Wurzeln, als das jetzt schon der Fall ist.
Und sie wird, das steht jedenfalls zu befürchten, auch noch stärker als jetzt schon die Agenda der Politik mitbestimmen. Das umso mehr, wenn die CDU an ihrem – aus ihrer Sicht in beiden Ländern ja erfolgreichen – Kurs festhält, mit voller Wucht gegen die Ampel vorzugehen, und jede noch so populistische AfD-Forderung kurz darauf selbst auf die Tagesordnung zu setzen. Eine nationale Notlage, die dazu führt, dass die Grenzen zugemacht werden müssen und das Asylrecht außer Kraft gesetzt wird – das hätte 1:1 auch von der AfD kommen können, war aber CDU-Chef Merz.
In den Statements von Kretschmer und Voigt am Wahlabend wurde eine tiefe Verachtung der Bundesregierung gegenüber deutlich. Beide erzählen – genau wie Merz – eine Geschichte davon, dass die falsche Politik der Ampel daran schuld sei, dass die AfD gewählt wird.
Entsprechend rutscht dann in Reaktion auch die Ampel nach rechts.
Staatstragend ist etwas anderes. Und die, die GRÜNE oder SPD wählen, tun das vermutlich nicht deswegen, weil die Ampel sich immer weiter nach rechts bewegt. Insofern geht das Kalkül der CDU kurzfristig auf – und übertönt jede Erfolgsgeschichte, die ja faktisch erzählt werden könnte, mit Blick auf Solarboom, Wirtschaftswachstum oder auch gesellschaftspolitische Liberalisierungen.
Ich würde mich freuen, wenn die Ampel als Reaktion auf diese Wahlen konstruktiv und selbstbewusst das umsetzt, was gut für dieses Land ist – und nicht das, was die AfD-Minderheit auf die Agenda setzt. Ich bin sicher, dass eine solche Regierung von den Wähler*innen honoriert werden würde.
Allerdings bin ich nicht sehr zuversichtlich, dass es dazu kommt. Das zeigen die letzten Tage, aber auch das absolut miserable FDP-Ergebnis dürfte nicht dazu beitragen, dass die Regierung zu mehr Geschlossenheit und zu einer Besinnung auf die eigenen Stärken findet.