Klar stärkste Partei in den Umfragen, innerparteilich halbwegs geschlossen, in der Regierung in x Bundesländern, im Bund in harter Abgrenzung zur Bundesregierung „Oppositionsführer“ … eigentlich müsste die CDU vor Kraft kaum laufen können. Für die CSU gilt das erst recht, aber da ist’s immer so, insofern, bleiben wir mal bei der CDU. Denn trotz dieser Lage erweckt die CDU bei mir eher den Eindruck, dass sie gerade nicht so richtig weiß, in welche Richtung sie eigentlich gehen will. Deswegen bin ich überzeugt davon, dass dieser Höhenflug nicht von Dauer sein wird.
Das fängt bei den Koalitionsoptionen an. In einigen Ländern gibt es erfolgreiche Koalitionen zwischen CDU und Grünen (und ja, ich würde nicht nur Schleswig-Holstein und NRW dazu zählen, sondern auch Baden-Württemberg). Trotzdem scheint die wichtigste Frage zu sein, sich nur ja von einem vermeintlichen grünen Zeitgeist abzugrenzen. Und dazu gehört es dann auch – Stichwort Kretschmer – den Eindruck zu erwecken, auf keinen Fall mit Grünen koalieren zu wollen. Oder – siehe Hessen, siehe Berlin – mit fadenscheinigen Begründungen auf jeden Fall mit der SPD zu koalieren, Kosten egal.
In gewisser Weise ist die Geräuschlosigkeit der Zusammenarbeit in NRW und Schleswig-Holstein (und ja, auch in Baden-Württemberg) für die CDU ein Problem. Jedenfalls dann, wenn die These stimmt, dass ein erheblicher Teil der Wähler*innen solche „in der Mitte“ sind, auf die beide abzielen. Mitte stell‘ ich mir hier soziodemografisch vor, also höhere Bildung, gehobenes Einkommen, aber nicht Oberschicht. Das, was mal „bürgerlich“ hieß. In der Wunschwelt der Konservativen wählt dieses Milieu CDU und denkt überhaupt nicht darüber nach, anders zu wählen. Deswegen steckt die Union so viel Energie darein, Grüne als Hauptgegner zu brandmarken und – gegen jede Faktenlage – zu behaupten, dass eine politische grüne Haltung und eine bürgerliche Milieuverankerung nicht zusammen passen.
Ruhig und unaufgeregt als CDU mit Grünen zusammen zu regieren, macht eine solche Erzählung dann halt ziemlich unglaubwürdig.
Es müsste also eine eigene positive Erzählung her, die nicht nur im „war schon immer so“ oder „zurück zur guten alten Zeit“ steckt. Aber da ist die CDU aktuell ziemlich miserabel. Sie ist gut darin, zu erzählen, was alles falsch läuft. Sie ist sogar sehr gut darin, dabei auch mal zu 150–200 Prozent zu übertreiben oder gar Unwahrheiten zu suggerieren. Aber „alles läuft falsch“ passt halt auch nie dazu, ruhig und erfolgreich in einer ganzen Reihe von Ländern zu regieren und Ministerpräsidenten zu stellen.
Und eine positive eigene Erzählung sehe ich nicht. Die CDU sind die, die irgendwas verhindern – das Ende des Benzin- und Dieselmotors, Neuerungen in der Sprache, Veränderungen in der Ernährung, Nationalparks und Straßenbahnen. Und zu viele „Ausländer“. Auf dem Papier will auch die Union Integration und Klimaschutz, gute Bildung und Sicherheit. Wie das funktionieren soll, wird oft nicht gesagt. Bzw. es wird auf „alles soll so bleiben wie es war“ zurückgegriffen. Die neu dazukommenden Menschen sollen gefälligst die Leitkultur der Union übernehmen. Das Klimaproblem sollen Ingenieur*innen lösen, aber bitte ohne Änderungen im Verhalten, und ohne dass Dieselmotor und Ölheizung in Frage gestellt werden. Bildung ist total wichtig, aber auch gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis soll es bei Segregation nach Leistung bleiben, alles andere – bitte nicht. Sicherheit heißt: mehr Geld in die Polizei stecken. Fertig.
Das ist jetzt vielleicht etwas holzschnittartig und unfair. Ich kenne Politiker*innen der Union, die über diese einfachen Lösungen im Sinne eines „nichts darf sich ändern“ hinausdenken. Die – vielleicht auf anderen Wegen, als ich das gut fände, aber darüber lässt sich dann ja streiten – tatsächlich ein Interesse daran haben, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren und dabei Veränderung in Kauf zu nehmen.
Bei anderen scheint die Hauptmotivation die zu sein, die Person sein zu dürfen, die entscheidet.
Und wieder andere schauen nach Österreich und in die USA und landen bei miesesten Populismusspielarten. Widersprüche sind dann wurscht – egal, ob die Kommissionspräsidentin von der CDU gestellt wird, egal, ob die eigene Partei vielem zugestimmt hat, es wird dann doch eine Autoverbotsdebatte vom Zaun gebrochen. In der Umsetzung diesmal so dilettantisch, das jetzt jede Menge führende Köpfe der CDU „Manipulation“ und „haltet den Wolf“ schreien. Ich befürchte allerdings, dass wir da das letzte Wort noch nicht gehört haben, und die 14 Tage bis zur Europawahl doch noch eine „Ich-liebe-deutsche-Autos“-Kampagne von Union und BILD bekommen werden.
Ich sprach eingangs davon, dass die Zusammenarbeit zwischen Grünen und CDU in Baden-Württemberg halbwegs ruhig und erfolgreich verläuft. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass damit ein hohes Maß an Toleranz grünerseits dafür verbunden ist, dass die Union immer wieder und in zunehmender Frequenz auch das Plenum des Landtags als Bühne entdeckt hat, um wüst gegen die Ampel, die Bundespolitik und die Grünen zu agieren. Dieselben Grünen, mit denen die Redner*innen der CDU dann am Kabinettstisch oder in der gemeinsamen AK-Sitzung zur Ausschussvorbereitung sitzen. Der eine oder die andere scheut dabei sogar nicht davor zurück, eigentlich genau das selbe wie die AfD zu sagen, nur etwas feiner formuliert. Beispiel: angebliche „Manipulationen“ an Unterlagen im Bundeswirtschaftsministerium, die sich als ganz normaler Geschäftsgang in einem politisch geführten Haus entpuppten. Die AfD meldete eine Aktuelle Debatte dazu an – die CDU griff 1:1 die Vorwürfe auf und tat so, als würden Cicero und AfD da die Wahrheit sagen. Ich vermute: wider besseres Wissens, alleine, um der bösen Bundesregierung eins mitzugeben. Und hart daran zu arbeiten, dass Grüne bloß nicht zu bürgerlich, zu normal, zu kompetent dastehen.
Solche Eskapaden machen die Zusammenarbeit nicht einfacher.
Fragt sich, wo die CDU Mehrheiten finden will. Etwa nach der nächsten Bundestagswahl. Die noch eine Weile hin ist, in der einiges passieren kann. Trotzdem mal spekuliert, dass die Umfragen dem tatsächlichen Wahlergebnis ähneln werden. Dann könnte es, je nachdem, ob die FDP und die Linke im Bundestag sind, knapp für CDU+SPD (oder CDU+Grüne) reichen. Klar ist: für CDU+FDP – und das wäre die einzige Kombination, die politisch für das steht, was Merz gerade postuliert – wird es auf keinen Fall eine Mehrheit geben. Und dann schmilzt der Merz in der Sonne.
Ich nehme der CDU ab, dass sie nicht mit der AfD koalieren wird. Auch wenn die eine oder andere Äußerung inhaltlich bedenklich nah am Rechtspopulismus der AfD ist. Insofern glaube ich nicht, dass die Union auf eine Mehrheit CDU+AfD spekuliert. Oder auf eine CDU-Minderheitsregierung, die von AfD und BSW toleriert wird.
Andererseits hätte ich das bis vor ein paar Tagen auch über die Niederlande gesagt, in denen gerade ein Bündnis gebastelt wird, das aus den Gegenstücken zu AfD, CDU, FDP und Freien Wählern besteht, so in etwa.
In Deutschland wären die Landtagswahlen im Osten im Herbst der Lackmustest für die Frage, ob die CDU auch unter schwierigen Bedingungen bei der demokratischen Brandmauer bleibt. Dass Kretschmer jetzt im Wahlkampf weit nach rechts ausholt, finde ich nicht gut, passt aber zu dem, wie die CSU unter Strauß oder lange auch die hessische CDU agiert hat. Tut er das, um am Schluss eine demokratische Koalition unter Führung der CDU schmieden zu können? Oder hat er andere Pläne?
Viele bei der CDU scheinen überzeugt davon zu sein, dass nur eine Offenheit nach rechts hilft, Wähler*innen von der AfD zurück zu gewinnen. Das läuft dann unter so Überschriften wie „die Probleme ernst nehmen“. Ich bin eher skeptisch, ob diese Strategie aufgeht, und vermute eher, dass ein solches Verhalten zur Normalisierung von entsprechenden Positionen beiträgt. Und dann ist eine Stimme für eine Partei, die als rechtsextremer Verdachtsfall geführt wird, plötzlich „ok“ – und im blauen Zustand werden ausländerfeindliche Parolen in der Disko gegrölt.
Vielleicht wäre es gut, wenn die CDU nicht nur wüsste, dass sich möglichst nichts ändern soll, sondern wenn sie auch Ideen dazu entwickeln würde, wie dies geschehen soll, ohne zugleich die großen Herausforderungen unserer Zeit zu ignorieren. Dann könnte die CDU aktiv diese Ideen vertreten und dafür werben, statt sich auf Populismus und Dagegensein zurückzuziehen. Vielleicht würde das dazu beitragen, Politik wieder aus der Beschimpfungsecke zu kriegen, statt dieser weiter Feuer zu geben. Auf kommunaler Ebene und in dem einen oder anderen Landesparlament funktioniert das im Großen und Ganzen.
(Allerdings haben die verlorenen Jahrzehnte unter CDU-Führung im Bund auch gezeigt, dass es nicht so gut ist, darauf zu hoffen, dass konservative Politiker*innen sinnvolle Dinge z.B. für den Wirtschaftsstandort oder den Wohlstand oder die Umwelt tun. Die Solarindustrie könnte schon viel weiter sein, um nur ein Beispiel zu nennen. Und Innovation und Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft sind nicht mit Gießkannenprogrammen zu fördern. Dafür wird dann eine neoliberale Schuldenbremse als Herzstück konservativer Bundespolitik entdeckt. Also: nicht zuviel Hoffnung machen.)