Das Dilemma der Konservativen

Foggy morning, Esslingen - VII

Klar stärks­te Par­tei in den Umfra­gen, inner­par­tei­lich halb­wegs geschlos­sen, in der Regie­rung in x Bun­des­län­dern, im Bund in har­ter Abgren­zung zur Bun­des­re­gie­rung „Oppo­si­ti­ons­füh­rer“ … eigent­lich müss­te die CDU vor Kraft kaum lau­fen kön­nen. Für die CSU gilt das erst recht, aber da ist’s immer so, inso­fern, blei­ben wir mal bei der CDU. Denn trotz die­ser Lage erweckt die CDU bei mir eher den Ein­druck, dass sie gera­de nicht so rich­tig weiß, in wel­che Rich­tung sie eigent­lich gehen will. Des­we­gen bin ich über­zeugt davon, dass die­ser Höhen­flug nicht von Dau­er sein wird.

Das fängt bei den Koali­ti­ons­op­tio­nen an. In eini­gen Län­dern gibt es erfolg­rei­che Koali­tio­nen zwi­schen CDU und Grü­nen (und ja, ich wür­de nicht nur Schles­wig-Hol­stein und NRW dazu zäh­len, son­dern auch Baden-Würt­tem­berg). Trotz­dem scheint die wich­tigs­te Fra­ge zu sein, sich nur ja von einem ver­meint­li­chen grü­nen Zeit­geist abzu­gren­zen. Und dazu gehört es dann auch – Stich­wort Kret­schmer – den Ein­druck zu erwe­cken, auf kei­nen Fall mit Grü­nen koalie­ren zu wol­len. Oder – sie­he Hes­sen, sie­he Ber­lin – mit faden­schei­ni­gen Begrün­dun­gen auf jeden Fall mit der SPD zu koalie­ren, Kos­ten egal.

In gewis­ser Wei­se ist die Geräusch­lo­sig­keit der Zusam­men­ar­beit in NRW und Schles­wig-Hol­stein (und ja, auch in Baden-Würt­tem­berg) für die CDU ein Pro­blem. Jeden­falls dann, wenn die The­se stimmt, dass ein erheb­li­cher Teil der Wähler*innen sol­che „in der Mit­te“ sind, auf die bei­de abzie­len. Mit­te stell‘ ich mir hier sozio­de­mo­gra­fisch vor, also höhe­re Bil­dung, geho­be­nes Ein­kom­men, aber nicht Ober­schicht. Das, was mal „bür­ger­lich“ hieß. In der Wunschwelt der Kon­ser­va­ti­ven wählt die­ses Milieu CDU und denkt über­haupt nicht dar­über nach, anders zu wäh­len. Des­we­gen steckt die Uni­on so viel Ener­gie dar­ein, Grü­ne als Haupt­geg­ner zu brand­mar­ken und – gegen jede Fak­ten­la­ge – zu behaup­ten, dass eine poli­ti­sche grü­ne Hal­tung und eine bür­ger­li­che Milieu­ver­an­ke­rung nicht zusam­men passen.

Ruhig und unauf­ge­regt als CDU mit Grü­nen zusam­men zu regie­ren, macht eine sol­che Erzäh­lung dann halt ziem­lich unglaubwürdig.

Es müss­te also eine eige­ne posi­ti­ve Erzäh­lung her, die nicht nur im „war schon immer so“ oder „zurück zur guten alten Zeit“ steckt. Aber da ist die CDU aktu­ell ziem­lich mise­ra­bel. Sie ist gut dar­in, zu erzäh­len, was alles falsch läuft. Sie ist sogar sehr gut dar­in, dabei auch mal zu 150–200 Pro­zent zu über­trei­ben oder gar Unwahr­hei­ten zu sug­ge­rie­ren. Aber „alles läuft falsch“ passt halt auch nie dazu, ruhig und erfolg­reich in einer gan­zen Rei­he von Län­dern zu regie­ren und Minis­ter­prä­si­den­ten zu stellen.

Und eine posi­ti­ve eige­ne Erzäh­lung sehe ich nicht. Die CDU sind die, die irgend­was ver­hin­dern – das Ende des Ben­zin- und Die­sel­mo­tors, Neue­run­gen in der Spra­che, Ver­än­de­run­gen in der Ernäh­rung, Natio­nal­parks und Stra­ßen­bah­nen. Und zu vie­le „Aus­län­der“. Auf dem Papier will auch die Uni­on Inte­gra­ti­on und Kli­ma­schutz, gute Bil­dung und Sicher­heit. Wie das funk­tio­nie­ren soll, wird oft nicht gesagt. Bzw. es wird auf „alles soll so blei­ben wie es war“ zurück­ge­grif­fen. Die neu dazu­kom­men­den Men­schen sol­len gefäl­ligst die Leit­kul­tur der Uni­on über­neh­men. Das Kli­ma­pro­blem sol­len Ingenieur*innen lösen, aber bit­te ohne Ände­run­gen im Ver­hal­ten, und ohne dass Die­sel­mo­tor und Ölhei­zung in Fra­ge gestellt wer­den. Bil­dung ist total wich­tig, aber auch gegen jede wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis soll es bei Segre­ga­ti­on nach Leis­tung blei­ben, alles ande­re – bit­te nicht. Sicher­heit heißt: mehr Geld in die Poli­zei ste­cken. Fertig.

Das ist jetzt viel­leicht etwas holz­schnitt­ar­tig und unfair. Ich ken­ne Politiker*innen der Uni­on, die über die­se ein­fa­chen Lösun­gen im Sin­ne eines „nichts darf sich ändern“ hin­aus­den­ken. Die – viel­leicht auf ande­ren Wegen, als ich das gut fän­de, aber dar­über lässt sich dann ja strei­ten – tat­säch­lich ein Inter­es­se dar­an haben, auf die Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit zu reagie­ren und dabei Ver­än­de­rung in Kauf zu nehmen.

Bei ande­ren scheint die Haupt­mo­ti­va­ti­on die zu sein, die Per­son sein zu dür­fen, die entscheidet.

Und wie­der ande­re schau­en nach Öster­reich und in die USA und lan­den bei mie­ses­ten Popu­lis­mus­spiel­ar­ten. Wider­sprü­che sind dann wurscht – egal, ob die Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin von der CDU gestellt wird, egal, ob die eige­ne Par­tei vie­lem zuge­stimmt hat, es wird dann doch eine Auto­ver­bots­de­bat­te vom Zaun gebro­chen. In der Umset­zung dies­mal so dilet­tan­tisch, das jetzt jede Men­ge füh­ren­de Köp­fe der CDU „Mani­pu­la­ti­on“ und „hal­tet den Wolf“ schrei­en. Ich befürch­te aller­dings, dass wir da das letz­te Wort noch nicht gehört haben, und die 14 Tage bis zur Euro­pa­wahl doch noch eine „Ich-liebe-deutsche-Autos“-Kampagne von Uni­on und BILD bekom­men werden.

Ich sprach ein­gangs davon, dass die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Grü­nen und CDU in Baden-Würt­tem­berg halb­wegs ruhig und erfolg­reich ver­läuft. Zur Wahr­heit gehört aller­dings auch, dass damit ein hohes Maß an Tole­ranz grü­ner­seits dafür ver­bun­den ist, dass die Uni­on immer wie­der und in zuneh­men­der Fre­quenz auch das Ple­num des Land­tags als Büh­ne ent­deckt hat, um wüst gegen die Ampel, die Bun­des­po­li­tik und die Grü­nen zu agie­ren. Die­sel­ben Grü­nen, mit denen die Redner*innen der CDU dann am Kabi­netts­tisch oder in der gemein­sa­men AK-Sit­zung zur Aus­schuss­vor­be­rei­tung sit­zen. Der eine oder die ande­re scheut dabei sogar nicht davor zurück, eigent­lich genau das sel­be wie die AfD zu sagen, nur etwas fei­ner for­mu­liert. Bei­spiel: angeb­li­che „Mani­pu­la­tio­nen“ an Unter­la­gen im Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um, die sich als ganz nor­ma­ler Geschäfts­gang in einem poli­tisch geführ­ten Haus ent­pupp­ten. Die AfD mel­de­te eine Aktu­el­le Debat­te dazu an – die CDU griff 1:1 die Vor­wür­fe auf und tat so, als wür­den Cice­ro und AfD da die Wahr­heit sagen. Ich ver­mu­te: wider bes­se­res Wis­sens, allei­ne, um der bösen Bun­des­re­gie­rung eins mit­zu­ge­ben. Und hart dar­an zu arbei­ten, dass Grü­ne bloß nicht zu bür­ger­lich, zu nor­mal, zu kom­pe­tent dastehen.

Sol­che Eska­pa­den machen die Zusam­men­ar­beit nicht einfacher.

Fragt sich, wo die CDU Mehr­hei­ten fin­den will. Etwa nach der nächs­ten Bun­des­tags­wahl. Die noch eine Wei­le hin ist, in der eini­ges pas­sie­ren kann. Trotz­dem mal spe­ku­liert, dass die Umfra­gen dem tat­säch­li­chen Wahl­er­geb­nis ähneln wer­den. Dann könn­te es, je nach­dem, ob die FDP und die Lin­ke im Bun­des­tag sind, knapp für CDU+SPD (oder CDU+Grüne) rei­chen. Klar ist: für CDU+FDP – und das wäre die ein­zi­ge Kom­bi­na­ti­on, die poli­tisch für das steht, was Merz gera­de pos­tu­liert – wird es auf kei­nen Fall eine Mehr­heit geben. Und dann schmilzt der Merz in der Sonne.

Ich neh­me der CDU ab, dass sie nicht mit der AfD koalie­ren wird. Auch wenn die eine oder ande­re Äuße­rung inhalt­lich bedenk­lich nah am Rechts­po­pu­lis­mus der AfD ist. Inso­fern glau­be ich nicht, dass die Uni­on auf eine Mehr­heit CDU+AfD spe­ku­liert. Oder auf eine CDU-Min­der­heits­re­gie­rung, die von AfD und BSW tole­riert wird.

Ande­rer­seits hät­te ich das bis vor ein paar Tagen auch über die Nie­der­lan­de gesagt, in denen gera­de ein Bünd­nis gebas­telt wird, das aus den Gegen­stü­cken zu AfD, CDU, FDP und Frei­en Wäh­lern besteht, so in etwa.

In Deutsch­land wären die Land­tags­wah­len im Osten im Herbst der Lack­mus­test für die Fra­ge, ob die CDU auch unter schwie­ri­gen Bedin­gun­gen bei der demo­kra­ti­schen Brand­mau­er bleibt. Dass Kret­schmer jetzt im Wahl­kampf weit nach rechts aus­holt, fin­de ich nicht gut, passt aber zu dem, wie die CSU unter Strauß oder lan­ge auch die hes­si­sche CDU agiert hat. Tut er das, um am Schluss eine demo­kra­ti­sche Koali­ti­on unter Füh­rung der CDU schmie­den zu kön­nen? Oder hat er ande­re Pläne?

Vie­le bei der CDU schei­nen über­zeugt davon zu sein, dass nur eine Offen­heit nach rechts hilft, Wähler*innen von der AfD zurück zu gewin­nen. Das läuft dann unter so Über­schrif­ten wie „die Pro­ble­me ernst neh­men“. Ich bin eher skep­tisch, ob die­se Stra­te­gie auf­geht, und ver­mu­te eher, dass ein sol­ches Ver­hal­ten zur Nor­ma­li­sie­rung von ent­spre­chen­den Posi­tio­nen bei­trägt. Und dann ist eine Stim­me für eine Par­tei, die als rechts­extre­mer Ver­dachts­fall geführt wird, plötz­lich „ok“ – und im blau­en Zustand wer­den aus­län­der­feind­li­che Paro­len in der Dis­ko gegrölt.

Viel­leicht wäre es gut, wenn die CDU nicht nur wüss­te, dass sich mög­lichst nichts ändern soll, son­dern wenn sie auch Ideen dazu ent­wi­ckeln wür­de, wie dies gesche­hen soll, ohne zugleich die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit zu igno­rie­ren. Dann könn­te die CDU aktiv die­se Ideen ver­tre­ten und dafür wer­ben, statt sich auf Popu­lis­mus und Dage­gen­sein zurück­zu­zie­hen. Viel­leicht wür­de das dazu bei­tra­gen, Poli­tik wie­der aus der Beschimp­fungs­ecke zu krie­gen, statt die­ser wei­ter Feu­er zu geben. Auf kom­mu­na­ler Ebe­ne und in dem einen oder ande­ren Lan­des­par­la­ment funk­tio­niert das im Gro­ßen und Ganzen.

(Aller­dings haben die ver­lo­re­nen Jahr­zehn­te unter CDU-Füh­rung im Bund auch gezeigt, dass es nicht so gut ist, dar­auf zu hof­fen, dass kon­ser­va­ti­ve Politiker*innen sinn­vol­le Din­ge z.B. für den Wirt­schafts­stand­ort oder den Wohl­stand oder die Umwelt tun. Die Solar­in­dus­trie könn­te schon viel wei­ter sein, um nur ein Bei­spiel zu nen­nen. Und Inno­va­ti­on und Zukunfts­fä­hig­keit der Wirt­schaft sind nicht mit Gieß­kan­nen­pro­gram­men zu för­dern. Dafür wird dann eine neo­li­be­ra­le Schul­den­brem­se als Herz­stück kon­ser­va­ti­ver Bun­des­po­li­tik ent­deckt. Also: nicht zuviel Hoff­nung machen.)

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