Die Klimakrise, die Pandemie, und jetzt die russische Invasion der Ukraine, Putins Angriffskrieg unter dünnsten Vorwänden. Ich bin müde und wütend und fassungslos. Mein Mitgefühl und meine Sorge gilt den Menschen in der Ukraine, deren Städte bombardiert werden, die jetzt fliehen müssen, die kämpfen.
Ich bin froh über Solidaritätsbekundungen an allen Orten, über das Sanktionspaket – aber ob das reicht, ob es, so wie es gestaltet ist, etwas bringt? Ich bin definitiv kein Experte für Außen- und Sicherheitspolitik, aber mich wundert schon, dass es bei SWIFT, bei den Gaslieferungen keine Einigkeit in Europa und im Westen gibt.
Und ich mache mir Sorgen darüber, dass China sich vornehm zurückhält. Blaupause für eigene Expansionsbestrebungen?
Am Sonntag soll der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammentreten. Wenn ich mir das Tempo der letzten 24 Stunden anschaue, bin ich mir, so zynisch das ist, nicht sicher, ob dann, in zwei Tagen, noch viel von der Ukraine übrig ist. Oder ob Putin dann sein Etappenziel, das wohl darin besteht, hier einen Vasallenstaat zu errichten, – oder schlicht: die Ukraine zu erobern – bereits erreicht haben wird.
Mich macht das auch deswegen wütend, weil die letzten Jahre uns eigentlich hätten schlauer machen können, und uns – dem Westen, der EU, Deutschland – eigentlich Zeit gegeben hätten, auf derartige Szenarien vorbereitet zu sein. Offensichtlich sind wir es nicht.
Vielmehr waren die letzten Jahre von einem Wegschauen gekennzeichnet, angefangen bei engen wirtschaftlichen Verflechtungen und dem Engagement russischer Staatskonzerne nicht nur im Gasmarkt, sondern auch an anderen Stellen. Steht der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder eigentlich inzwischen auf Sanktionslisten?
Russland wurde nicht als Diktatur, als Autokratie wahrgenommen, egal wie tödlich der Umgang Putins mit Oppositionellen war, wie wenig frei Presse und Wahlen waren. Und über die Landnahmen (Krim, Georgien, der Osten der Ukraine) wurde weggesehen.
Ebenso wurde immer wieder ignoriert, dass Putin offensichtlich recht planvoll an so etwas wie einer inneren Zersetzung Europas und des Westens arbeitete. Die Unterstützung für Trump in den USA; Unterstützung für rechte Parteigründungen und ‑aktivitäten überall in Europa, egal, ob es um Le Pen, die FPÖ oder um die AfD ging – das Ausrollen von Propaganda über RT und soziale Medien bis hin zum Streuen von Falschmeldungen in der Pandemie und dem Heranziehen von „Querdenkergruppen“. Und gleichzeitig die Schaffung wirtschaftlicher Abhängigkeiten und Verbindungen, mit einer Vielzahl von Ex-Politiker*innen mit gut bezahlten Positionen.
Das alles fügt sich seit gestern zu einem neuen Puzzle zusammen. Manche schreiben, das wir uns in einem neuen kalten Krieg befinden. Wenn das so ist, dann hat dieser schon vor Jahren begonnen. Und ich hoffe nur, dass alle – insbesondere auf der Linken – die meinten, großzügig über red flags einer menschenrechtsverletzenden Diktatur hinwegsehen zu können, spätestens mit dem gestrigen Tag aufgewacht sind.
1975 geboren bin ich ein Kind des kalten Krieges. Ich erinnere mich an kindliche Atombombenängste im Wettrüsten der beiden Blöcke, an Propaganda und dann vorsichtiger Annäherung, 1989/90 als Erleichterung, verbunden mit der naiven Hoffnung, voran gekommen zu sein auf dem Weg zu einer friedlicheren Welt.
Diese Ära – oder war es eine Fata Morgana? – bricht zusammen, und die Ängste vor dem, was jetzt kommt, sind groß.