Ich fange mit dem an, was ich nicht gelesen, sondern angeschaut habe – weiter Star Trek: Enterprise (von dem ich nach wie vor, auch in Staffel 4, durchaus angetan bin), zur Erheiterung die ersten paar Folgen der 2. Staffel Star Trek: Lower Decks, und diverse Filme. Insbesondere die beiden neueren Pixar-Werke Coco und Soul fand ich sehr gelungen.
Jetzt aber zu den Büchern.
- Katherine Addison (2021): The Witness for the Dead, der lose Nachfolgeband zu ihrem The Goblin Emperor. Ich mag die halb industrialisierte Fantasy-Welt nach wie vor, in der auch dieses Buch spielt. Es kommt aber nicht ganz an den Vorgänger ran – trotzdem lesenswert. Inhaltlich geht’s um eine Art Krimi (darin ähnelt das Buch dem zwischendrin erschienenen, aber in einem anderen Setting spielenden „The Angel of the Crows“). Der Kriminalfall wird durch einen Priester-Detektiv gelöst, eben den titelgebenden Witness for the Dead. Das ist jemand, der die letzten Eindrücke und Erinnerungen der Toten wahrnehmen und bezeugen kann.
- Von Valerie Valdes’ Space Opera rund um Captain Eva Innocente, ihr etwas heruntergekommendes Raumschiff, mit dem sie sich aus den Unterweltverstrickungen ihres Vaters lösen will, und ihre aus allen Ecken des Alls zusammengewürfelte Crew habe ich sowohl den ersten Band Chilling Effect (2019) als auch den Nachfolgeband Prime Deceptions (2020) gerne gelesen. Hatte ein bisschen was von Firefly und Farscape
- Nochmal zwei Bände – Finna (2020) und Defekt (2021) von Nino Cipri – sind insofern interessant, als die Hauptperson des zweiten Bandes im ersten Band eher gar nicht gut weg kommt – und der zweite Band dann plötzlich die Perspektive wechselt, was einiges erklärt. Gibt es Surreal Organizational Psychology Fiction als Genre? Dann gehören Finna und Defekt sicherlich genau dort rein. Das fängt damit an, dass beide Bände weitgehend komplett in einem nur leicht anonymisierten IKEA spielen – und dass allseits bekannt ist, dass die Komplexheit der Wege durch eine solche Möbelausstellung die Wahrscheinlichkeit von Wurmlöchern in Paralleluniversen massiv erhöht.
- N.K. Jemisin (2020): The City We Became. Eine sehr schön geschriebene Liebeserklärung an New York. Grundideen: ab einer bestimmten Größe fangen Städte an, so komplex zu werden, dass sie eine Art Lebewesen werden, verkörpert durch Avatare. Das gefällt nicht allen, deswegen ist dieser Werdungsprozess gefährlich – erst recht für die Avatare, die nun plötzlich New York sind.
- Catherynne Valentes kurzes The Past Is Red (2021) besteht eigentlich aus zwei Novellen (The Future is Blue, The Past is Red), die durch die gemeinsame Hauptperson Tetley verbunden sind. Tetley lebt in einer nicht allzu fernen Zukunft auf dem pazifischen Müllfloss („Garbagetown“ – der ehemalige Great Pacific Garbage Patch), auf den sich die wohl letzten Überlebenden der Menschheit nach der Klimakrise gerettet haben. Aus ihrer eigensinnigen, nicht immer ganz objektiven und manchmal rosa verklärten Perspektive erfahren wir, wie das ist, in Garbagetown (allerbester Ort der Welt!) als Teenager zu einem Namen zu kommen (und dabei etwas anzustellen, was viele ihr nicht verzeihen) – und dann, Jahre später, ist Tetley eine junge Frau, die in ihrem Boot sitzt und von Einsamkeit, Freundschaft und der roten Vergangenheit erzählt. Ach ja – Oscar the grouch (das Mülltonnenmonster aus der Sesamstraße) wird als Heiliger verehrt. Eignet sich gut, um es in einem Rutsch durchzulesen. Zuckersüßer Zynismus und dunkelste Absurdität ergeben ein gelungenes Ganzes. Der erste Teil, The Future is Blue, ist auch online zugänglich.
- Wenn ich nicht im Lesetagebuch von Jo Walton darauf gestoßen wäre, wäre Marko Kloos an mir vorbeigegangen. Der deutschstämmige Autor schreibt Military SF. Und auch wenn das eigentlich nicht so ganz meines ist, habe ich dann gleich alle drei Bände von The Palladium Wars verschlungen (Aftershocks (2019), Ballistic (2020) und Citadel (2021)). Die Vergleiche mit The Expanse (eher die ersten Bände und jenseits der Horrorelemente) passen ganz gut – teilweise düsterer Realismus, die sich durch die Bände durchziehende Perspektivenvielfalt, auf ein Sonnensystem begrenzte Space Opera. Military SF, die aber damit beginnt, dass der Krieg seit fünf Jahren zu Ende ist, und eine der Hauptpersonen aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wird. Und die durchaus auch einen Blick auf die Grausamkeit von Kriegen wirft. Gut gezeichnet und lesenswert, wobei die einzelnen Welten mit ihren jeweiligen Kulturen gerade so auf der Grenze zwischen feiner Ausarbeitung und Klischee balancieren. Und dass eine der Hauptpersonen das Unglück hat, in jedem zweiten ihrer Kapitel Terroranschläge miterleben zu müssen, fand ich dann nicht ganz glaubwürdig …
- Leonard Richardson: Situation Normal (2020) – bezieht sich auf „situation normal, all f*cked up“. Nochmal etwas, was auf den ersten Blick Space Opera ist – zwei galaktische Supermächte, die kurz davorstehen, einen Krieg zu beginnen. Der spielt aber nur insofern eine Rolle, als die Hauptpersonen dieser Geschichte aus ihren Alltagen gerissen werden, und die verschiedenen Pläne alle scheitern. Richardson changiert in diesem Buch zwischen auf elf gedrehter Absurdität, nerdigen Anspielungen und tiefer Sympathie für die Situation seiner Held:innen mit ihren ganz unterschiedlichen Kulturen, Wünschen, Erfahrungen und Erwartungen an Normalität.
- Der Cyberpunk-Miterfinder Bruce Sterling ist nicht nur auf sozialen Medien aktiv, sondern er schreibt auch noch. Jetzt ist unter dem fiktiven Pseudonym „Bruno Argento“ eine Sammlung von Kurzgeschichten erschienen (Robot Artists & Black Swans: The Italian Fantascienza Stories, 2021), die alle dadurch vereint sind, dass sie in seiner Wahlheimat Turin spielen – egal, ob es um eher phantastisch angehauchte Blicke in die Geschichte der Stadt oder um italienische Zeitreisen geht. Das eine oder andere wirkte dabei wir eine nach Turin und in die Vergangenheit verlegte Neuauflage der Geschichten aus Schismatrix.
- Piranesi von Susanna Clarke ist bereits 2020 erschienen. Ich habe das Buch lange nicht angefasst, weil ich mir dann doch nicht vorstellen konnte, dass das Setting (vom Meer durchflossene ins Unendliche reichende aneinandergereihte Säle – vgl. Giovanni Battista Piranesi) eine Geschichte tragen kann. Und vielleicht auch deswegen, weil ich mal versucht habe, Gormenghast zu lesen … und da nicht sehr weit gekommen bin. Es hat sich dann sehr gelohnt, Piranesi in die Hand zu nehmen … und nach und nach anhand der Notizen der Titelfigur, die zu Anfang Piranesi genannt wird, herauszukriegen, worum es in dem Buch eigentlich geht. Lässt einen nicht los.
Ich weiß nicht, ob du die „Lange Erde“ von Pratchett und Banks kennst. Aber danke wie immer für Deine Lesetipps – wenn ich mich zum zweiten Mal in meinem Leben durch das „Rad der Zeit“ gewühlt hab, werde ich sicher das eine oder andere lesen.
Ebenfalls eine tolle Entdeckung für mich war Daniel Suarez.
Danke für den Hinweis – „Lange Erde“ kenne ich (also, habe den ersten Band gelesen), und mochte ihn nicht sehr gerne.
Suarez muss ich mir mal anschauen. Und „Wheel of time“ vielleicht irgendwann auch mal …