Bundesjugendspiele, oder: Gesellschaft als Wettkampf

Mini ski

Über den Sinn und Unsinn von Online-Petio­nen lie­ße sich lan­ge strei­ten. Manch­mal hel­fen sie zumin­dest, ein The­ma auf die Agen­da zu set­zen. Bei­spiel: die vor eini­gen Tagen im Netz – und dann auch in den Medi­en – auf­ge­schla­ge­ne Peti­ti­on zur Abschaf­fung der Bun­des­ju­gend­spie­le. Die „Spie­le“ gibt es übri­gens seit 1951, den Vor­läu­fer seit 1920.


Typi­scher­wei­se für Schul­the­men kann hier jede und jeder etwas zu sagen. Dabei las­sen sich grob zwei Lager erken­nen: die­je­ni­gen, die ihre eige­nen Bun­des­ju­gend­spie­le in guter Erin­ne­rung haben, und sie mit sport­li­chem Wett­be­werb, einem schul­frei­en Tag an der fri­schen Luft und viel Spaß ver­bin­den – und die­je­ni­gen, da wür­de ich mich auch zu zäh­len, die Bun­des­ju­gend­spie­le vor allem als frus­trie­rend, demü­ti­gend und angst­ein­flös­send in Erin­ne­rung haben. Das mag in mei­nem Fall auch etwas mit einem schreck­li­chen Sport­leh­rer und einer gewis­sen kör­per­li­chen Unge­schick­lich­keit mei­ner­seits zu tun haben. Als ganz beson­ders grau­en­haft ist mir das Kugel­sto­ßen in Erin­ne­rung. Mei­ne zwei bis drei Meter Wurf­wei­te sorg­ten bes­ten­falls für Geläch­ter. Und führ­ten, ver­bun­den mit ande­ren Fak­to­ren, bei mir zu dem blei­ben Ein­druck, dass Sport mei­nes nicht sind. 

Falls das Ziel des Sport­un­ter­richts ein ande­res sein soll­te – etwa die Her­an­füh­rung an Spaß an der Bewe­gung … – dann wur­de das in mei­nem Fall klar verfehlt.

Hier­an lie­ße sich jetzt zwang­los eine Dis­kus­si­on über Noten im Sport­un­ter­richt anschlie­ßen. Auf die ver­zich­te ich an die­ser Stel­le. Fest­hal­ten möch­te ich jedoch, dass die­se Reak­ti­on auf die Bun­des­ju­gend­spie­le bzw. den Sport­un­ter­richt – eben­so wie die ganz gegen­tei­li­ge – durch­aus ver­brei­tet ist, wenn ich mir anschaue, was bei­spiels­wei­se die Kom­men­ta­re bei Face­book auf die von mit geteil­te Online-Peti­ti­on waren. 

Wie Bun­des­ju­gend­spie­le heu­te ablau­fen, weiß ich tat­säch­lich nicht genau. Es scheint auch zuneh­mend Schu­len zu geben, die auf eine Teil­nah­me ver­zich­ten, und statt des­sen Sport- und Bewe­gungs­ta­ge oder ähn­li­ches ver­an­stal­ten. Das klingt zumin­dest mal sym­pa­thi­scher, auch wenn nicht alles, was ich von mei­ner (viel sport­li­che­ren) Toch­ter aus dem Sport­un­ter­richt der Grund­schu­le höre, tat­säch­lich auf bes­se­re Zei­ten hindeutet.

In der öffent­li­chen Reak­ti­on auf die­se Peti­ti­on ist mir ein Ton­schlag auf­ge­fal­len, den ich erschre­ckend fin­de. Die Argu­men­ta­ti­on geht in etwa so: Gera­de auch für unsport­li­che Kin­der sind die Bun­des­ju­gend­spie­le wich­tig, um zu ler­nen, wie wich­tig Wett­be­werb ist. Nur wer ver­liert und wei­ter­kämpft, wird in unse­rer Gesell­schaft erfolg­reich sein.

Hmm. Ich fra­ge mich, war­um die­ses Argu­ment genau hier vor­ge­bracht wird, in einem Feld, in dem unter­schied­li­che Kör­per­lich­kei­ten eben doch einen gro­ßen Ein­fluss auf Leis­tung haben. Die sel­be Argu­men­ta­ti­on wür­de ja auch für die gan­zen ande­ren Wett­be­wer­be gel­ten. War­um kei­ne ver­pflich­ten­de Teil­nah­me an „Jugend musi­ziert“, an „Jugend forscht“, an der Mathe­olym­pia­de oder am Bun­des­wett­be­werb Infor­ma­tik? Immer vor den Augen der gan­zen Klas­se? Auch für die, die nicht musi­ka­lisch sind oder schlech­te Noten in Mathe haben, weil Nie­der­la­gen hart machen?

Viel­leicht ist es unfair, aber vor mei­nem inne­ren Auge sehe ich hier vor allem die­je­ni­gen, die in der Schu­le eher mit­tel­mä­ßi­ge Leis­tun­gen hat­ten, aber gut in Sport waren – und jetzt ein Argu­ment suchen, das es erlaubt, den Spieß umzu­dre­hen. Sol­len doch mal die ande­ren schlecht abschnei­den und erle­ben, was es heißt, nicht die gefor­der­te Leis­tung zu bringen. 

An die­ser Stel­le lie­ße sich jetzt zwang­los über die Fra­ge von Noten ins­ge­samt dis­ku­tie­ren, aber auch dar­auf will ich hier verzichten.

Viel­mehr möch­te ich noch auf eine zwei­te Ebe­ne hin­wei­sen, die im oben genann­ten Argu­ment steckt. Schein­bar hal­ten vie­le Men­schen es für selbst­ver­ständ­lich und für not­wen­dig, dass Schu­le auf „har­ten Wett­kampf“ vor­be­rei­ten muss. Nur wer hier mit­hal­ten kann, kann voll­wer­ti­ges Glied der Gesell­schaft werden. 

Das ver­stört mich. Weil Wett­be­werb immer auch Ver­lie­rer meint. Es gibt Berei­che, wo Wett­be­werb ein sinn­vol­ler Prin­zip ist, um knap­pe Res­sour­cen opti­mal zu ver­tei­len. Bis zu einem gewis­sen Grad gehört auch der Par­tei­en­wett­streit um Sit­ze in Par­la­men­ten dazu. Auch Märk­te machen für bestimm­te Berei­che der Gesell­schaft durch­aus Sinn. 

Aber eine durch und durch auf Wett­be­werb getrimm­te Gesell­schaft stellt für mich eine Dys­to­pie dar. Da kennt dann jede/r sei­nen oder ihren Platz und kämpft ver­bis­sen dar­um, wei­ter nach oben zu kom­men – ohne Rück­sicht auf Verluste.

Ich glau­be nicht, dass Leis­tung davon abhängt, bes­ser als ande­re sein zu wol­len – und habe dem­entspre­chend auch gewis­se Schwie­rig­kei­ten, in Jubel­stür­me aus­zu­bre­chen, egal, ob es um Sport­stars oder um nach allen Kenn­zah­len her­aus­ra­gen­de Unter­neh­mer geht. 

Intrin­si­sche Moti­va­ti­on, ein eige­ner, inne­rer Antrieb, hat etwas damit zu tun, selbst von den eige­nen Akti­vi­tä­ten erfüllt zu sein. Wenn das, was so ent­steht, auf Lob und Zustim­mung von außen fällt, dann ist es gut. Zum Pro­blem wird es, wenn die­ses sich umkehrt, wenn Akti­vi­tät nur noch durch extrin­si­sche Fak­to­ren – das höchs­te Gehalt, die größ­te Repu­ta­ti­on, Ruhm und Ehre – vor­an­ge­trie­ben wer­den, das inne­re Feu­er aber erlo­schen ist. Und genau das sehe ich vor mir, wenn Kin­der auf har­ten Wett­be­werb getrimmt wer­den sol­len, wenn Leben ein Kampf sein soll. 

Nota bene: Natür­lich ist es wich­tig, zu ler­nen, mit Ent­täu­schun­gen klar zu kom­men. Die gibt es in jedem Leben zu hauf – sie künst­lich her­bei­zu­füh­ren durch ein Bun­des­pro­gramm, ist nicht not­wen­dig. Ich will star­ke Kin­der, kei­ne har­ten Kin­der. Und des­we­gen glau­be ich, dass die Bun­des­ju­gend­spie­le nicht mehr zeit­ge­mäß sind. Genau­so wenig wie ein Men­schen­bild, das glaubt, Men­schen danach beur­tei­len zu dür­fen, ob sie bes­ser als ande­re sind. Das ist jeden­falls nicht mein Maßstab.

War­um blog­ge ich das? Weil ich glau­be, dass hin­ter der Debat­te Bun­des­ju­gend­spie­le pro und con­tra mehr steckt als die eige­nen Erfah­run­gen in der Schulzeit.

Eine Antwort auf „Bundesjugendspiele, oder: Gesellschaft als Wettkampf“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert