Schon wieder ein Demotag, in Freiburg bis zu 40.000 Menschen auf der Straße, ein Bündnis von 400 Organisationen. Und das ist nur Freiburg. Großartig!
Trotzdem bei der Demo – die orga-mäßig, wenn ich das richtig sehe, massiv auf die Infrastruktur vor Fridays for Future zurückgriff, in anderen Orten Parteien oder Gewerkschaften – das Gefühl, dass es ein Risiko gibt, dass dieses Bündnis, das jetzt ein Zeichen gegen die AfD, gegen Rassismus, gegen Ausgrenzung, für Vielfalt und Demokratie setzt, fragil ist. Und dass es keine gute Idee wäre, jetzt massiv Energie dafür einzusetzen, aus dem Ereignis der möglicherweisen größten Demonstrationen der deutschen Geschichte eine Struktur zu machen.
Wir – die wache Zivilgesellschaft – haben gezeigt, dass wir im Zweifel da sind. Wir sind in der Lage, in kürzester Zeit mit vielen, vielen Menschen auf die Straße zu gehen und damit Politik und öffentliche Meinung zu beeinflussen. Das ist extrem wichtig – und das wird gesehen, so jedenfalls meine Innenperspektive aus grüner Partei und Fraktion.
Wichtiger als die nächste Demo, bei der dann sofort die Frage gestellt wird, ob’s diesmal noch mehr Menschen waren, oder ob die „Bewegung“ schon wieder einschläft, ist es, diese Energie jetzt in die existierenden Strukturen zu gießen.
Das sind Parteien und Gewerkschaften, Initiativen und Verbände. All die gibt es. All die stehen für Demokratie – in den mühsamen Ebenen des Alltags. Und all diese Einrichtungen brauchen Menschen, die mitmachen, die sich einbringen, die dabei sind. Und die diese Haltung auch in ihr persönliches Umfeld tragen. Die widersprechen und ihre Meinung sagen.
Ereignis und Struktur ist eine der Grundunterscheidungen der Soziologie. Etwas, das regelmäßig passiert, das dann seine eigenen Regeln ausbildet, Erwartungen bündelt und Praktiken begründet, das ist eine Struktur. Und ohne Strukturen würde nichts funktionieren. Aus einem Ereignis, einem einmaligen und neuen Ding, eine Struktur zu machen, kostet Kraft. Was als Bündnis für den Moment funktioniert, zeigt bei jeder Strukturbildung sofort Fliehkräfte, führt zu Auseinandersetzungen über den richtigen Weg, über das „das machen wir so“. Und Aufmerksamkeit gibt es für das Ereignis, nicht für die dauerhafte Anstrengung.
Das Signal ist da und so stark, wie es nur sein kann. Ich hoffe, es ist angekommen und hilft, die gesellschaftliche Mitte nach links zu verschieben. Im Wechselspiel aus Ereignis und Struktur bewegt sich etwas. Das einmalige Ereignis mit den Großdemos dieser Tage – und die mühsame Alltagsarbeit in Parteien, Initiativen, Verbänden. Zusammen bringt das was, zusammen verändert das was. Deswegen: großartig, dass es diese Demos gab – aber lasst uns jetzt den Modus wechseln.