Im März diesen Jahres ist Terry Pratchett gestorben. Vor wenigen Tagen ist nun sein letzter Scheibenwelt-Roman erschienen. Dieser gehört zur Tiffany-Aching-Serie und trägt den Titel The Shepherd’s Crown – wörtlich die Hirtenkrone, aber zugleich auch ein Name für ein Seeigel-Fossil, das in der englischen Kalklandschaft gefunden werden kann. Fiktionalisiert sind wir dann im „Chalk“, am Meer, bei grünen Hügeln mit Schafherden, die in Urzeiten Grund eines Ozeans waren.
Es ist nicht ganz einfach, ein posthum erschienenes Werk zu rezensieren. Im Nachwort schreibt Rob Wilkins, dass Manuskript zum Zeitpunkt von Pratchetts Tod vollständig war, dass Pratchett aber üblicherweise seine Manuskripte immer und immer wieder überarbeitet hat. Im Vergleich dazu ist The Shepherd’s Crown eine gewisse Rauheit anzumerken – Ecken und Kanten, die weggeschliffen worden wären, wenn Pratchett noch dazu gekommen wäre, aber auch eine Struktur, die noch nicht ganz so verästelt ist wie in seinen anderen Romanen. (Insbesondere die Geschichte um das Baby Tiffany [nicht die Tiffany, sondern eine andere Tiffany] bleibt am Schluss in der Luft hängen, und auch die mysteriöse Katze You bleibt ein Rätsel [Spoiler!]). Dennoch ist das Buch auf jeden Fall zu empfehlen, und zwar in dreierlei Hinsicht.
Erstens ist es der krönende Abschluss der heroischen wie pragmatischen Coming-of-Age-Geschichte der jungen Hexe Tiffany Aching, um die sich einige frühere Romane – angeblich für die Zielgruppe Young Adults – drehten. In The Shepherd’s Crown tritt Tiffany Aching in große Fußstapfen. Sie ist noch jung, aber muss nun „An Argument of Witches“ anführen, um großen Schaden (eine Invasion der Feen) zu verhindern. Trotz aller Selbstzweifel versucht sie, die ihr zugewiesene Rolle auszufüllen – um festzustellen, dass es nicht in erster Linie darum geht, vorhandenen Fußstapfen zu folgen, sondern dass sie jetzt diejenige ist, die den Weg weisen muss. (Und nebenbei noch all das tun muss, was eine Hexe tun muss, die gleichzeitig Hebamme, Heilerin und Sterbebegleiterin ist …)
Zweitens ist dem Roman anzumerken, dass Pratchett ihn im Wissen darum geschrieben hat, wie wenig Zeit ihm noch bleibt. Deswegen ist er immer wieder auch eine Auseinandersetzung mit Leben und Tod, mit Älterwerden und dem Ende. Im Klappentext heißt es dazu, dass es um „endings and beginnings“ geht, und das ist genau richtig. Denn wie bei allen Discworld-Romanen gibt es neben der eigentlichen Geschichte Themen, die den Roman durchziehen. Sterblichkeit ist eines davon.
Ein anderes Thema – womit wir bei drittens wären – ist die Scheibenwelt im Zeitalter des Zuges (hier bezieht sich Pratchett auf das direkt vorhergehende Buch, in dem die Eisenbahn erfunden wird). Mit Telegrafie und Zeitungen, mit der Eisenbahn und dem städtischen Zusammenleben ganz unterschiedlicher Wesen, mit dem Ende der absoluten Monarchie hat die Moderne Einzug in die Scheibenwelt gehalten. Damit stellt Pratchett auch die Frage nach Geschlechterrollen – Können Jungen Hexen werden? Können Feegle-Töchter Kämpferinnen werden? Was ist mit dem drittgeborenen Mädchen? – und nach dem gesellschaftlichen Fortschritt zwischen den Polen sozialer Kontrolle und Hilfsbereitschaft einerseits und Anonymität und Freiheit andererseits.
Kurzum: Allein wegen des würdigen Andenkens an Terry Pratchett muss dieses Buch gelesen werden – und humorvoll und hintergründig ist es noch dazu.
Terry Pratchett (2015): The Shepherd’s Crown. London: Doubleday.