Der aktuelle Disney-Weihnachtsfilm Wish fällt sicherlich in die Kategorie Fantasy. Die Story ist allerdings trotz interessanter Charaktere weniger beeindruckend, und die Anspielungen auf „100 Jahre Disney“ waren an der einen oder anderen Stelle (Peter Pan!) eher nervig. Im Kino trotzdem eindrucksvoll. Bemerkenswerter als den Inhalt fand ich den Stil - vermutlich zum größten Teil gerendert, aber in der Darstellung eher an klassische Kinderbuchillustrationen („watercolor“) erinnernd. Trotzdem insgesamt nichts, was in Erinnerung bleibt.
Ansonsten habe ich einige Serien begonnen/weitergeschaut – die ersten beiden neuen Doctor-Who-Episoden waren, wie ich beim gemeinsamen Gucken mit meinen Kindern gemerkt habe, ohne Kenntnis der Hintergrundgeschichte eher seltsam und unverständlich. Die zweite Staffel von The Wheel of Time ist gut produzierte Fantasy – ausnahmsweise etwas, wo ich die Buchvorlage nicht gelesen habe, zur Genauigkeit der Übertragung kann ich also nichts sagen.
Was sich gut zum gemeinsamen Schauen mit Teenagern eignete, war dann Netflix One Piece (na gut, auch da kenne ich das zugrundeliegende Anime nicht): Eine völlige überdrehte Piratengeschichte mit einer interessant anachronistischen Welt im Hintergrund. Und wie schon bei Cowboy Bebop ist das zwar Realverfilmung, der Comic- bzw. hier Anime-Hintergrund färbt aber deutlich durch und sorgt dafür, dass alles bunter, lauter, knalliger ist. Nicht unbedingt logisch, aber unterhaltsam.
Auch krankheitsbedingt habe ich neben Romanen gehörten im Dezember auch zwei Comics zu meinem Lesebuffet. Das eine war Soon (2020) von Benjamin Adam und Cadène Thomas. Das ist eine Coming-of-Age-Geschichte, in der zugleich der Hintergrund einer postapokalyptischen Zukunft erläutert wird. Was hat eine Weltraummission mit einer Welt zu tun, die sich nach Katastrophen und Seuchen in sieben sehr unterschiedliche urbane Zonen zurückgezogen hat? Das ganze grafisch spannend umgesetzt und insofern durchaus eine Empfehlung.
Ebenfalls angeschaut/gelesen habe ich endlich mal die ersten neun (bzw. beim Blick in die Wikipedia: eigentlich die ersten 54) Bände von Saga (seit 2012). Dieser inzwischen schon klassische Comic von Brian K. Vaughan und Fiona Staples mischt eine Romeo-und-Julia-Geschichte (ein Liebespaar aus zwei seit ewigen Zeiten im Krieg liegende Spezies – die einen mit Flügeln und an Technik interessiert, die anderen mit Hörnern und zauberkräftig) mit star-wars-artigem Worldbuilding. Wir folgen Alana, Marko und deren hybrider Tochter Hazel durch Flucht, politische Intrigen beider Seiten genauso wie dem Klein-Klein des Aufwachsens und der komplizierten Dynamik dieser Familie. Mir an der einen oder anderen Stelle fast ein bisschen zu blutig, insgesamt aber gut gemacht. Und die nächsten 54 Kapitel sollen schon in der Entstehung sein.
Ganz ohne Bilder kommt dagegen der SF-Roman Neongrau (2022) von Aiki Mira aus, ist aber trotzdem bildgewaltig. Ich lese ja selten deutschsprachige SF. Dieser Roman zeigt, dass ich damit auch das eine oder andere verpasse. Aiki Mira zeichnet hier ein cyberpunkiges Bild eines etwa 100 Jahre in der Zukunft liegenden Hamburgs, mit allem, was dazugehört: die allgegenwärtige Flutgefahr und der nach dem Kampf um den Klimawandel verdüsterte Himmel; neue Drogen und neuronale Implantate; einen White-Trash-Untergrund in den Containersiedlungen von „Blank“ jenseits der Alster; große Konzerne, die alles bestimmen; eine Gamer-Szene mit eigenem Slang – und nicht zuletzt interessante Figuren wie ELLL und die geschlechtefluide Hauptperson Go [Stuntboi] Kazumi. Gut gemacht, und neben dem einen oder anderen Echo aus Richtung der 1980er-Cyberpunk-Literatur lässt sich Neongrau auch als Gegenwartskommentar lesen.
Nicht so richtig warm geworden bin ich mit Nophex Gloss (2020) von Essa Hansen, und habe die Folgebände erstmal bei Seite gelegt. Auch hier „Coming of Age“, aber technologisch super-beschleunigt. Der junge Caiden entkommt der Sklaverei (und erfährt dabei erst, unter welchen Umständen er bisher existiert hat), tritt eine wilde Reise durch das instrumentell gezähmte Multiversum – beschrieben als eine Art riesige Seifenblasen – an, trifft auf eine Firefly-artige Crew bunt gemischter Existenzen, verirrt sich in außerirdischen Megastrukturen und muss am Schluss gegen eine geheimnisvolle Herrscherin (samt deren telepatischer Fähigkeiten) kämpfen. Und natürlich lernt er dabei einiges über sich selbst, darüber, dass seine Sommersprossen auf ein riskantes Genexperiment hindeuten usw. Das titelgebende Nophex Gloss ist das Material, das alles antreibt, und das aus Quantenkristallen gewonnen wird, die im Kopf von ein bisschen verkleideten Tyrannosaurus Rex gefunden werden, sobald diese alt genug sind. Alles sehr wild, und durchaus spannend. Aber überzeugt hat es mich nicht – vielleicht liegt’s auch daran, dass die besondere Fähigkeit der anderen geheimnisvollen Herrscherin als „Astrologie“ bezeichnet wird.
Gelesen habe ich auch die von Amazon als „The Far Reaches“ (2023) gebündelten Geschichten/Novellen („How it unfolds“, James S.A. Corey, „Void“ von Veronica Roth, „Falling Bodies“ von Rebecca Roanhorse, „The Long Game“ von Ann Leckie, „Just out of Jupiter’s Reach“ von Nnedi Okorafor und „Slow Time Between the Stars“ von John Scalzi). Große Namen also. Die Geschichten haben alle das Thema „Reisen über große kosmische Entfernungen“ und sind eher Hard-SF. Besonders interessant fand ich „How it unfolds“ über eine kosmische Menschheitsgeschichte im Modus der Kopie. Aber auch die anderen Geschichten spielen mir interessanten Ideen – in „Void“ geht es um Zeitunterschiede für die Besatzung einer zwischen der Erde und Proxima Centauri pendelnden Luxusraumfähre, in „Falling Bodies“ um die verlorene Heimat nach einer Adaption durch eine außerirdische Kolonisatoren-Spezies, „The Long Game“ ist aus der Perspektive einer von Menschen entdeckten tintenfischartigen Zivilsation geschrieben, „Just out of Jupiter’s Reach“ bringt lebende Raumschiffe und darauf genau angepasste Astronaut*innen aus der Peripherie als Langzeitmission ins Spiel, und „Slow Time“ nimmt die Perspektive einer intelligenten Raumsonde ein, die nach und nach ihre eigene Mission findet.
Dann habe ich noch zwei „leichtere“ Trilogien durchpflügt. Das eine ist die „Edinburgh Night“-Reihe von T.L. (Tendai) Huchu mit The Library of the Dead (2021), Our Lady of Mysterious Ailments (2022) und The Mystery at Dunvegan Castle (2023). Ropa lebt mit ihrer Schwester und ihrer Großmutter aus Simbabwe in einem Trailer am Rand eines postapokalyptischen Edinburghs. Sie hat die Schule geschmissen, um jetzt als „Ghosttalker“ Botschaften zwischen den Toten und den Lebenden zu vermitteln, und so zum Lebensunterhalt beizutragen. In den drei Bänden gerät sie immer tiefer in die Machenschaften einer Zauberei-Geheimgesellschaft. Unter der Oberfläche geht es um schottische Unabhängigkeit und englische Herrschaft und um Exklusion, Armut und Reichtum. Das verwebt Huchu durchaus eindrucksvoll zu einem auf den ersten Blick schnell lesbaren Buch, das sich möglicherweise primär an Jugendliche wendet. Wenn es so etwas wie das Genre der Zauberei-Schul-Bücher gibt, dann ist das hier eines mit viel Realitätssinn. Ein vierter Band ist angekündigt.
Die zweite „leichtere“ Trilogie handelt von Zoey Ashe – auch sie lebt in einem Trailerpark (hier in Colorado) – und sie erbt das kriminelle Imperium ihres Vaters, den sie vorher nur zweimal gesehen hat. Zu diesem gehören größere Teile der neu errichteten regellosen Stadt „Tabula Ra$a“ in der Wüste Utahs, ein hochpotenziertes Las Vegas. In der nahen Zukunft, in der diese Trilogie spielt, ist „Blink“ ein allgegenwärtiges soziales Medium, es gibt so gut wie keine Privatsphäre, und alles, was Aufmerksamkeit erweckt, wird von „Blink“ zum Medienereignis gemacht. Big-Crime-High-Tech-Unterwelt und eine darein geworfene Hauptfigur gibt es als Textsorte auch immer mal wieder (sei es Scalzis Starter Villain, sei es der Film Glass Onion). Jason Pargin (teilweise unter dem Pseudonym David Wong) nimmt dieses Szenario in den Zoey-Ashe-Romanen, um die Gegenwart satirisch aufs Korn zu nehmen. An der einen oder anderen Stelle erinnert das an Douglas Adams, an anderen Stellen ist der Humor eher juvenil (und sehr male gaze für eine weibliche Hauptfigur, insbesondere im ersten der drei Romane – einige Reviewerinnen sprechen von einer misogynem Charakterisierung). Futuristic Violence and Fancy Suits (2015), Zoey Punches the Future in the Dick (2020) und Zoey Is Too Drunk for This Dystopia (2023) – ja, der Autor hat eine Vorliebe für sehr wortwörtliche Romantitel – bilden mit den genannten Vorbehalten eine durchaus unterhaltsame Trilogie. Katzen kommen auch vor.