Hoffnung am Ende der Welt

SEC, Glasgow - II

Die Welt drau­ßen ist mal wie­der ziem­lich am Ende. Zeit­ge­nös­si­sche Sci­ence Fic­tion reagiert dar­auf auf drei Arten: sie setzt sich ers­tens direkt damit aus­ein­an­der – da sind wir dann bei „Cli­Fi“, Cli­ma­te Fic­tion und Ver­wand­tem, sei es Kim Stan­ley Robin­son, sei es T.C. Boyle, sei es mit ande­rer Per­spek­ti­ve Neal Ste­phen­son. Oder bei Wer­ken, die ande­re Pro­ble­me, die wir gera­de haben, direkt lite­ra­risch ver­ar­bei­ten. Aus­gren­zung und Inklu­si­on beispielsweise. 

Die zwei­te Reak­ti­on ist Eska­pis­mus. Das muss nichts schlech­tes sein. Sci­ence Fic­tion lan­det dann bei­spiel­wei­se bei der neus­ten Form der Space Ope­ra. Einen sehr guten Über­blick dar­über, was da alles drun­ter passt, gibt Jona­than Stra­han in sei­ner gera­de erschie­ne­nen Antho­lo­gie New Adven­tures in Space Ope­ra. Mit Nor­man Spin­rad spricht er davon, dass es sich bei Space Ope­ra nach wie vor um „straight fan­ta­sy in sci­ence fic­tion drag“ han­delt. Das gilt auch für das, was in den 2020er Jah­ren pas­siert, nach dem Höhe­punkt der „new space ope­ra“. Nur dass die­se Tex­te diver­ser und mul­ti­per­spek­ti­vi­scher sind, und sich kri­ti­scher mit den Poli­ti­ken und Macht­ver­hält­nis­sen in den jeweils ima­gi­nier­ten Wel­ten aus­ein­an­der­set­zen, als dies davor der Fall war. 

Drit­tens, und damit sind wir beim The­ma die­ses Tex­tes, erschei­nen eine Viel­zahl von Geschich­ten und Büchern, die irgend­wo zwi­schen „cozy“, Hope­punk und Solar­punk ein­sor­tiert wer­den kön­nen. Obwohl es Über­schnei­dun­gen gibt, ist Solar­punk doch noch ein­mal etwas ande­res als Cli­ma­te Fic­tion, und ist „cozy“ SF&F nicht iden­tisch mit der 2020er-Fas­sung von Space Ope­ra. Wir kom­men gleich zu Defi­ni­tio­nen – hier sei aller­dings schon ein­mal gesagt, dass die­se Grenz­zie­hun­gen weni­ger hart sind, als sie manch­mal erschei­nen, und teil­wei­se noch im Ent­ste­hen befind­lich sind. Mir geht es vor allem dar­um, einen Blick auf etwas zu wer­fen, was ich als aktu­el­len Trend in Sci­ence Fic­tion (und ein­ge­schränkt: Fan­ta­sy) wahrnehme.

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SF- und Fantasy-Tagebuch Juli 2023

Summer night sky

Mein SF- und Fan­ta­sy-Juli war eher ein­sei­tig, zumin­dest was die Lek­tü­re angeht. Dazu gleich mehr.

Abwechs­lungs­rei­cher die Fil­me und Seri­en. Die Dun­ge­on-und-Dra­gons-Ver­fil­mung war nicht meins, mög­li­cher­wei­se weil ich DnD nur vom Hören­sa­gen ken­ne und selbst kei­ne Rol­len­spie­le spiele. 

Bes­ser gefal­len haben mir die neu­en Fol­gen der zwei­ten Staf­fel von Star Trek: Stran­ge New Worlds. Das Cross­over mit Lower Decks war lus­tig, die dar­auf fol­gen­de Epi­so­de „Under the cloak of war“ mit das düs­ters­te und rat­lo­ses­te, was ich bei Star Trek jemals gese­hen habe, und die „Subspace Rhap­so­dy“ schlicht und ein­fach groß­ar­tig. Zu wagen, eine gan­ze Fol­ge – in Über­län­ge – als Musi­cal lau­fen zu las­sen, und das dann auch noch so, dass es ers­tens einen (naja, weit­ge­hend plau­si­blen) Grund dafür gibt und zwei­tens in der Fol­ge selbst nicht ein­fach nur gesun­gen wird, son­dern die Cha­rak­ter­ent­wick­lung ein gan­zes Stück wei­ter­geht – wow! Inso­fern kann ich mich die­ser begeis­ter­ten Bespre­chung nur anschlie­ßen. Ich bin gespannt, wie die­se Staf­fel endet.

Die ers­ten bei­den Fol­gen der uner­war­te­ten Wie­der­auf­nah­me von Futura­ma sind ganz nett – Fol­ge 1 beschäf­tigt sich vor allem genau damit, also mit TV-Seri­en (und der selt­sa­mer­wei­se etwas alt­mo­disch aus­se­hen­den Zukunft), Fol­ge 2 schließt an die bis­he­ri­ge Sto­ry­line an. Nett, aber ob es das wirk­lich braucht? Das Matt Groe­ning wei­ter span­nen­de Sachen machen kann, zeigt Disen­chant­ment. Ob Futura­ma eine Zukunft hat? Ich bin noch nicht überzeugt. 

Dann haben wir Good Omens noch­mals ange­schaut – in Vor­be­rei­tung der jetzt ange­lau­fe­nen zwei­ten Staf­fel. Da habe ich bis­her nur die ers­ten bei­den Fol­gen gese­hen und bin nur bedingt begeis­tert. Das Stu­dio-Lon­don wirkt unrea­lis­tisch (wie­so lau­fen da so vie­le grell aus­ge­leuch­te­te Leu­te rum), die Sto­ry um den nack­ten Erz­engel an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen, und über­haupt: zu viel Pop­corn und zu wenig Sar­kas­mus. Aber viel­leicht wird’s ja noch besser. 

Bevor ich jetzt in Nega­ti­ve ver­sin­ke: was mir sehr gut gefal­len hat, war die BBC-Serie The Watch (2021), in Deutsch­land lei­der nur mit Zusatz­bu­chun­gen zu sehen. Die Serie ist erst ein­mal eine rie­si­ge Ent­täu­schung für alle, die Ter­ry Prat­chetts Disc­world mit Mit­tel­al­ter bis frü­her Indus­tria­li­sie­rung in Ver­bin­dung brin­gen und glau­ben, dass Disc­world nur so geht. Die Grund­ideen der Night­watch um Cap­tain Sam Vimes wur­den hier in Neon­far­be getunkt, und her­aus­ge­kom­men ist Disc­world in einem Set­ting irgend­wo zwi­schen quee­rer Ästhe­tik, Pun­k/­Post-Punk, Bru­ta­lis­mus und der Mad-Max-Ver­si­on der Apo­ka­lyp­se. Cher­ry wird von der*dem nonbinäre*n Schauspieler*in Jo Eaton-Kent gespielt, und auch Car­rot und Angua über­zeu­gen. Sam Vimes (Richard Dor­mer) ist her­vor­ra­gend kaputt und ver­zwei­felt, über­dreht-pira­tig – und trotz­dem einer der Guten. Ähn­lich posi­ti­ves lie­ße sich über den Rest des Casts sagen – etwa über Lord Veti­na­ri, der von der Schau­spie­le­rin Anna Chan­cell­or (mit brei­ten Schul­ter­pols­tern) ver­kör­pert wird. Die Bewer­tun­gen etwa auf Rot­ten Toma­toes für The Watch sind eher zwie­späl­tig. Trotz­dem: ich fin­de die­se Mini­se­rie sehr empfehlenswert. 

Gele­sen habe ich nur Nao­mi Noviks Temer­ai­re (2006 ff.) – genau­er gesagt, die ers­te vier Bän­de die­se weit aus­schwei­fen­den Serie. Cap­tain Wil­liam Lau­rence gerät im ers­ten Band an den neu schlüp­fen­den Dra­chen Temer­ai­re, und erlebt mit die­sem nun Aben­teu­er. Die Serie spielt zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts, Napo­le­on Bona­par­te ist der gefürch­te­te Böse­wicht, gegen den Groß­bri­tan­ni­en und Preu­ßen kämp­fen, und auf allen Sei­ten sind ganz unter­schied­li­che Dra­chen mit dabei – als Luft­auf­klä­rung und zum Bom­ben­wer­fen, man­che kön­nen auch Feu­er oder ätzen­de Säu­re spu­cken. Dra­chen sind offen­sicht­lich intel­li­gen­te Wesen – und trotz­dem wer­den sie in Groß­bri­tan­ni­en eher wie Reit­tie­re oder Schif­fe behan­delt. Ist das Skla­ve­rei? Das ist eine der Fra­gen, die sich unter der Ober­flä­che aus his­to­ri­schem Aben­teu­er­ro­man und Rei­se­be­richt (spä­ter geht es u.a. nach Chi­na, durch die Tür­kei und ins Inne­re Afri­kas) durch die bis­her gele­se­nen vier Bän­de zieht. Und dass eini­ge Dra­chen nur weib­li­che Len­ke­rin­nen akzep­tie­ren, führt dazu, dass das Dra­chen-Corps nicht ganz so patri­ar­cha­lisch auf­ge­baut ist wie der Rest Groß­bri­tan­ni­ens zu die­sem Zeit­punkt. Dass zu akzep­tie­ren, ist für unse­re Haupt­per­son aus gutem Haus, mit Manie­ren und Anstand – und den ent­spre­chen­den Vor­stel­lun­gen von Sitt­sam­keit – nicht immer leicht zu akzeptieren. 

Durch das his­to­ri­sche Set­ting und die dar­an ange­pass­te Erzähl­wei­se sind die Temer­ai­re-Bän­de nicht ganz so mit­rei­ßend wie Noviks Gol­den Encla­ves, den­noch eine Ent­de­ckung für mich. Ob ich jetzt mit Band 5 (von 9) wei­ter­ma­che oder erst ein­mal etwas ande­res dazwi­schen schie­be, habe ich aller­dings noch nicht entschieden.

Science Fiction und Fantasy – im Winter 2022/23 gelesen

January forest, dubious, Gundelfingen - III

Es ist höchs­te Zeit, aus mei­nem unsor­tier­ten Notiz­zet­tel mit den in die­sem Win­ter gele­se­nen bzw. ange­schau­ten Büchern und Fil­men mal einen ordent­li­chen Blog­ein­trag zu machen. Nicht zuletzt des­halb, weil lan­ge Win­ter­aben­de ja fast schon auto­ma­tisch nach Tee oder hei­ße Scho­ko­la­de, einem beque­men Ses­sel und mei­net­we­gen auch einer schnur­ren­de Kat­ze verlangen.

Unge­fähr so fühlt sich Legends & Lat­te von Tra­vis Bal­d­ree (2022) an – laut Unter­ti­tel han­delt es hier­bei um „high fan­ta­sy with low sta­kes“, und das trifft es ganz gut. Eine Ork-Kämp­fe­rin hat genug von Quests und Schlach­ten und eröff­net ein Café. Das ist eigent­lich schon alles. Kei­ne Intri­gen, kei­ne Macht­spiel­chen in Paläs­ten, kei­ne ver­zau­ber­ten Prin­zen – statt des­sen schau­en wir zu, wie „Legends & Lat­te“ ent­steht und zu einem Erfolg wird, weil ganz unter­schied­li­che Per­sön­lich­kei­ten – alle mit Macken und Eigen­hei­ten – zusam­men­fin­den und zusam­men­wir­ken. Ein klei­nes biss­chen „high sta­kes“ gibt es dann doch noch, und eben­so ein biss­chen Lie­bes­ge­schich­te. Viel­leicht beschreibt „solar­pun­kig“ die­sen Stil, obwohl weder Pho­to­vol­ta­ik noch Uto­pien vor­kom­men. Mir hat’s jeden­falls gut gefallen. 

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Science-Fiction- und Fantasy-Lektüre im Hoch- und Spätsommer 2022

Hidden

Es wird Zeit für den Rück­blick auf die SF- und Fan­ta­sy-Medi­en, die ich über den Som­mer gele­sen bzw. gese­hen habe. Und das waren dann doch einige. 

Über A Half-Built Gar­den von Rut­han­na Emrys habe ich ja bereits an ande­rer Stel­le geschrie­ben. Und auch mei­ne Emp­feh­lung für die Serie For All Man­kind, die lei­der nur im nischi­gen Apple-TV läuft, kann ich nach Durch­sicht der drit­ten Staf­fel beden­ken­los auf­recht erhal­ten und wür­de ger­ne bald eine vier­te Staf­fel sehen.

Ange­schaut habe ich mir auch die Sand­man-Serie (2022, Net­flix), die – mit Tief­gang, wenn auch für mei­nen Geschmack zu sehr im Hor­ror-Gen­re ver­an­kert – ins­ge­samt eine her­aus­ra­gen­de Umset­zung der Comic­se­rie von Neil Gai­man dar­stellt. Eini­ges habe ich, gebe ich zu, erst in der fil­mi­schen Umset­zung ver­stan­den und im Comic eher drü­ber hin­weg gelesen. 

Weni­ger begeis­tert war ich von Ever­y­thing Ever­y­whe­re All at Once (2022). Kon­zep­tu­ell span­nend, das eine oder ande­re visu­el­le Bild her­vor­ra­gend, auch die auf den ers­ten Blick unwahr­schein­li­chen Hel­din­nen der Geschich­te – aber letzt­lich fehl­te mir beim zugrun­de­lie­gen­den Zugriff auf Par­al­lel­uni­ver­sen die Plau­si­bi­li­tät, der sus­pen­se of dis­be­lief.

Ange­lau­fen sind zudem die Seri­en The Lord of the Rings: The Rings of Power und eine neue Staf­fel von Star Trek: Lower Decks, bei­de bei Ama­zon Prime. Lower Decks ist nach den ers­ten Fol­gen der aktu­el­len Staf­fel soli­de, humor­vol­le Star-Trek-Unter­hal­tung. Die Rin­ge der Macht haben mich als epi­sche Serie posi­tiv über­rascht, gera­de im Ver­gleich zur Hobbit-„Verfilmung“.

Soweit die Seri­en und Fil­me. Zu den Büchern:

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Im Herbst 2015 gelesen – Teil II

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Eini­ge weni­ge der Bücher, die unten bespro­chen wer­den – viel liegt auf der Kind­le-App, ande­res steht schon im Regal …

Heu­te set­ze ich dann mei­nen von eini­gen Wochen gepos­te­ten Über­blick dar­über fort, was ich seit dem Som­mer 2015 gele­sen habe.

* * *

Nach­dem ich mit Among others die Autorin Jo Walt­on für mich ent­deckt hat­te, las ich mich wei­ter durch ihr Werk. Tooth and claw (2003), ein Jane-Aus­ten-Fami­li­en­dra­ma, nur mit Dra­chen, war nicht so ganz meines.

Begeis­tert hat mich My real child­ren (2014) – die fik­ti­ve Dop­pel­bio­gra­phie einer in den 1920er Jah­ren gebo­re­nen Eng­län­de­rin, Patri­cia Cowan – zwei sich über­la­gern­de Rück­blen­den über zwei erfüll­te Leben, die in den 1940er Jah­ren an einem Bif­ur­ka­ti­ons­punkt aus­ein­an­der­lau­fen und sich ganz unter­schied­lich ent­wi­ckeln. Wenn My real child­ren in ein Gen­re gepackt wer­den müss­te, wäre es der his­to­ri­sche Was-wäre-wenn-Roman, aller­dings hier aus der Per­spek­ti­ve von unten. Ob Ken­ne­dy ermor­det wird oder nicht, fin­det nur im Hin­ter­grund statt. Im Vor­der­grund zeich­net Walt­on den Weg Patri­cia Cowans zur gefei­er­ten Rei­se­füh­rer-Autorin, die in einem zuneh­mend geein­ten Euro­pa mit ihrer Part­ne­rin und ihren Kin­dern zwi­schen Flo­renz und Groß­bri­tan­ni­en lebt, – und den Weg von Patri­cia Cowan, die nach einer unglück­li­chen Ehe zur loka­len Akti­vis­tin für Frie­den, Frau­en­rech­te und den Erhalt des his­to­ri­schen Stadt­kerns wird. Oder anders gesagt: ein Buch über die Ungleich­zei­tig­kei­ten des 20. Jahr­hun­derts aus bio­gra­phi­scher Per­spek­ti­ve. (Lei­der gibt es kei­ne deut­sche Über­set­zung – ich könn­te mir vor­stel­len, dass das Buch auch außer­halb des Gen­res Anklang fin­den könnte …)

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