SF im Herbst und Winter 2022

In Kür­ze dann also Weih­nachts­fe­ri­en – ein guter Zeit­punkt, um noch­mal drauf zu gucken, was ich seit dem letz­ten Post aus die­ser Rei­he gele­sen (und ange­schaut) habe. 

Ange­schaut eigent­lich vor allem zwei Seri­en: Die Rin­ge der Macht, also die – naja – Ver­fil­mung von Tol­ki­ens Sil­ma­ril­li­on. Mir hat das ganz gut gefal­len, gab aber wohl auch ganz ande­re Reak­tio­nen dar­auf. Und Baby­lon 5dazu hat­te ich ja schon aus­führ­lich geschrie­ben. Inzwi­schen bin ich gut eine Staf­fel wei­ter, die Geschich­te hat meh­re­re uner­war­te­te Wen­dun­gen genom­men, sich für eine Serie aus den 1990er Jah­ren aber erstaun­lich gut gehal­ten. Falls jemand zwi­schen den Jah­ren nichts vor hat …

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„Babylon 5“ neu entdeckt

Dass es die Sci­ence-Fic­tion-Serie „Baby­lon 5“ gibt, war mir bekannt. In die­ser 1994 bis 1998 von J. Micha­el Strac­zyn­ski pro­du­zier­ten Serie wird über fünf Staf­feln hin­weg die Geschich­te der gleich­na­mi­gen Raum­sta­ti­on erzählt. Mit­te der 1990er Jah­re hat­te ich ande­res zu tun, oft kei­nen Fern­se­her – jeden­falls habe ich „Baby­lon 5“ erst jetzt für mich ent­deckt. Nach­dem ich etwa die Hälf­te gese­hen habe, kann ich sagen: ich bin durch­aus ange­tan davon. Die OV-Staf­feln kos­ten bei Ama­zon rund 8 €, inso­fern ist die Wie­der­ent­de­ckung die­ses SF-Klas­si­kers auch kein Luxusprojekt.

Für die dama­li­ge Zeit neu und in gewis­ser Wei­se immer noch beson­ders ist die Tat­sa­che, dass „Baby­lon 5“ einen Hand­lungs­bo­gen hat, der alle 110 Fol­gen durch­zieht. Was heu­te mit „The Expan­se“ oder „Games of Thro­nes“ gang und gäbe ist, war für Fern­seh­se­ri­en der 1990er Jah­re Neu­land: eine kapi­tel­wei­se Erzäh­lung, in der die Figu­ren sich ent­wi­ckeln, und in der nicht jeweils – wie bei den meis­ten alten Star-Trek-Fol­gen – am Ende der Hand­lung wie­der alles auf Null zurück gesetzt ist. Inso­fern ist die­se Serie sehr viel näher an einem Roman als an übli­cher Fernsehunterhaltung.

Neu war Mit­te der 1990er auch der mas­si­ve Ein­satz von Ray­tra­cing und com­pu­ter­ge­nerier­ten Effek­ten. Wenn ich mich recht erin­ne­re, wur­de dafür aus Kos­ten­grün­den der Ami­ga ein­ge­setzt, jeden­falls waren einer der Kanä­le, über die ich zur Ent­ste­hungs­zeit der Serie etwas davon mit­ge­kriegt habe, ent­spre­chen­de Berich­te in Com­pu­ter­zeit­schrif­ten. Was 1994 Stand der Tech­nik war, sieht heu­te aller­dings bon­bon­bunt und pri­mi­tiv aus. Im Lauf der Serie wer­den die Effek­te bes­ser und die Model­le etwas rea­lis­ti­scher, wobei unklar ist, ob das an der HD-Digi­ta­li­sie­rung für Prime oder an der tech­ni­schen Ent­wick­lung der 1990er Jah­re liegt. So oder so ist das alles weit von dem ent­fernt, was Indus­tri­al Light & Magic, Pix­ar etc. heu­te produzieren. 

Die Geschich­te ist jedoch gut genug, und gut genug erzählt, um sich schnell an die Gra­fik zu gewöh­nen – in den 2250er Jah­ren fand ein Krieg zwi­schen der (ver­ei­nig­ten) Mensch­heit und den Min­ba­ri statt. Die Men­schen haben zu die­sem Zeit­punkt ers­te ande­re Wel­ten kolo­ni­siert. Der Welt­raum ist vol­ler unter­schied­li­cher Völ­ker. Die Min­ba­ri sind der Mensch­heit weit über­le­gen; kurz vor der Ver­nich­tung endet der Krieg jedoch mit deren Rück­zug. Weni­ge Jah­re danach wird die gro­ße und recht rea­lis­tisch gedach­te Raum­sta­ti­on „Baby­lon 5“ eröff­net, in der rund 250.000 Men­schen und Außer­ir­di­sche leben. „Baby­lon 5“ wird von den Erd­streit­kräf­ten betrie­ben. Sie soll als neu­tra­ler Ort des Han­dels und des Aus­tau­sches die­nen, und bil­det den Hin­ter­grund für inter­stel­la­re Poli­tik und per­sön­li­che Ent­wick­lun­gen der nächs­ten Jah­re in der Serie. Neben Men­schen und Min­ba­ri (irgend­wo auf dem Spek­trum zwi­schen Vulkanier*innen und Elfen) spie­len ins­be­son­de­re auch Cen­tau­ri (das alte Rom in space), Narn (phi­lo­so­phisch ver­an­lag­te Ech­sen­we­sen), Vor­lo­nen (geheim­nis­voll) und Dut­zen­de „minor races“ eine Rolle. 

Anders als in „Star Trek“ ist die Zukunft bei „Baby­lon 5“ nicht uto­pisch und auf­ge­räumt, son­dern ziem­lich chao­tisch. Auch das etwas, das „The Expan­se“ wie­der auf­nimmt, und das sich zeit­ge­nös­sisch in der kurz dar­auf ent­ste­hen­den ST-Serie „Deep Space Nine“ eben­falls wie­der­fin­det. Chao­tisch heißt hier: es steht Zeug im Weg, die Wohn­be­rei­che sind nicht immer auf­ge­räumt, und ins­be­son­de­re gibt es ein „Down bel­low“ der Raum­sta­ti­on, in dem Obdach­lo­se und Klein­kri­mi­nel­le leben. Und die Poli­tik der Erde und ande­rer Völ­ker ist alles ande­re als uto­pisch – „Baby­lon 5“ hat nicht die höchs­te Prio­ri­tät in den Haus­halts­ver­hand­lun­gen des Erd-Senats, und liegt für eine zuneh­mend außer­ir­di­schen-feind­lich wer­den­de Erd­po­li­tik weit weg. 

In den ein­zel­nen Kapi­teln der Serie geht es dem­entspre­chend sel­ten um tech­no­lo­gi­sche Wun­der – obwohl auch das vor­kommt – son­dern ganz oft um Kon­flik­te, poli­ti­sche Ver­wick­lun­gen und im Lauf der Serie dann auch um Alli­an­zen, Krieg und Flucht sowie um den Wider­stand gegen eine neo­fa­schis­ti­sche Erd­re­gie­rung. Und vie­le Cha­rak­te­re haben eine gewis­se Ambi­va­lenz und Tragik.

The­ma­tisch also ziem­lich düs­ter; gleich­zei­tig nimmt sich „Baby­lon 5“ nicht immer ganz ernst, wenn etwa eine Gerichts­ver­hand­lung mit einem ste­reo­ty­pen UFO-Ali­en über die Taten sei­ner Urgroß­el­tern gezeigt wird, wenn der Sta­ti­ons­arzt Diä­ten ver­schreibt und sich dann doch zum fet­ten ita­lie­ni­schen Mahl ein­la­den lässt, oder wenn die Kom­man­dan­tin mit tro­cke­nem Humor hart ihren Wil­len durch­setzt. Und neben Action­sze­nen erin­nert man­ches fast an Slapstick. 

Gut so – sonst wäre das mythisch getränk­te Über­the­ma des Kampfs von Licht und Schat­ten nicht zu ertra­gen. So aber blei­ben genü­gend Grau­tö­ne, um die­se Ver­si­on des 23. Jahr­hun­derts zumin­dest für einen Augen­blick rea­lis­tisch zu hal­ten und mit dem Per­so­nal von „Baby­lon 5“ mitzufiebern. 

Wie gesagt: ich habe bis­her etwa die Hälf­te der Serie gese­hen, und bis­her kann ich die­ses Fund­stück aus den 1990ern nur zur Wie­der­ent­de­ckung emp­feh­len. Wenn sich das in der zwei­ten Hälf­te der Serie ändert, wer­de ich es hier ent­spre­chend anmer­ken (kei­ne Spoi­ler, bitte!). 

Science-Fiction- und Fantasy-Lektüre im Hoch- und Spätsommer 2022

Hidden

Es wird Zeit für den Rück­blick auf die SF- und Fan­ta­sy-Medi­en, die ich über den Som­mer gele­sen bzw. gese­hen habe. Und das waren dann doch einige. 

Über A Half-Built Gar­den von Rut­han­na Emrys habe ich ja bereits an ande­rer Stel­le geschrie­ben. Und auch mei­ne Emp­feh­lung für die Serie For All Man­kind, die lei­der nur im nischi­gen Apple-TV läuft, kann ich nach Durch­sicht der drit­ten Staf­fel beden­ken­los auf­recht erhal­ten und wür­de ger­ne bald eine vier­te Staf­fel sehen.

Ange­schaut habe ich mir auch die Sand­man-Serie (2022, Net­flix), die – mit Tief­gang, wenn auch für mei­nen Geschmack zu sehr im Hor­ror-Gen­re ver­an­kert – ins­ge­samt eine her­aus­ra­gen­de Umset­zung der Comic­se­rie von Neil Gai­man dar­stellt. Eini­ges habe ich, gebe ich zu, erst in der fil­mi­schen Umset­zung ver­stan­den und im Comic eher drü­ber hin­weg gelesen. 

Weni­ger begeis­tert war ich von Ever­y­thing Ever­y­whe­re All at Once (2022). Kon­zep­tu­ell span­nend, das eine oder ande­re visu­el­le Bild her­vor­ra­gend, auch die auf den ers­ten Blick unwahr­schein­li­chen Hel­din­nen der Geschich­te – aber letzt­lich fehl­te mir beim zugrun­de­lie­gen­den Zugriff auf Par­al­lel­uni­ver­sen die Plau­si­bi­li­tät, der sus­pen­se of dis­be­lief.

Ange­lau­fen sind zudem die Seri­en The Lord of the Rings: The Rings of Power und eine neue Staf­fel von Star Trek: Lower Decks, bei­de bei Ama­zon Prime. Lower Decks ist nach den ers­ten Fol­gen der aktu­el­len Staf­fel soli­de, humor­vol­le Star-Trek-Unter­hal­tung. Die Rin­ge der Macht haben mich als epi­sche Serie posi­tiv über­rascht, gera­de im Ver­gleich zur Hobbit-„Verfilmung“.

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Leseempfehlung: Ruthanna Emrys – A Half-Built Garden

Gra­de erst habe ich mei­ne SF-Sam­mel­be­spre­chung gepos­tet, die nächs­te dau­ert noch ein biss­chen – aber von die­sem Buch war ich so begeis­tert, dass ich es außer­halb der Rei­he unbe­dingt ans Her­zen legen möchte.

Rut­han­na Emrys sag­te mir bis­her nichts, ihre vor­he­ri­gen Wer­ke schei­nen eher in Rich­tung Hor­ror-Sub­ver­si­on zu gehen, nicht unbe­dingt mein Feld. Mit A Half-Built Gar­den (2022) ist jetzt bei Tor ein lupen­rei­ner Sci­ence-Fic­tion-Roman von ihr erschie­nen, der nicht nur an Le Guin erin­nert – wor­auf bereits der Klap­pen­text auf­merk­sam macht – son­dern für mich auch Anklän­ge an Mar­ge Pier­cys He, She and It (1992) auf­weist, etwa mit Blick auf die jüdi­schen Fei­er­ta­ge und Ritua­le, die im Buch eine Rol­le spie­len, mit Cory Doc­to­rows Wal­ka­way (2017) einen Raum für zeit­ge­nös­si­sche Uto­pien eröff­net, Kim Stan­ley Robin­sons tie­fen Blick für öko­lo­gi­sche Zusam­men­hän­ge auf­nimmt und eine Idee aus Karl Schroe­ders Ste­al­ing Worlds (2019) zu Ende denkt: die enge Ver­net­zung von Men­schen und Natur, die in tech­no­lo­gi­scher Umset­zung von Bru­no Latours Aktor-Net­work-Theo­ry stattfindet.

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SF im Sommer 2022

Almost there

Der Som­mer ist zwar noch nicht zu Ende – hier in Baden-Würt­tem­berg haben die Som­mer­fe­ri­en gera­de erst vor ein paar Tagen ange­fan­gen – aber den­noch haben sich bereits eine gan­ze Rei­he von gele­se­nen und ange­schau­ten Wer­ken der SF ange­sam­melt, auf die ich ger­ne hin­wei­sen möchte.

Audio­vi­su­ell: ich höre ja kei­ne Pod­casts, habe aber fest­ge­stellt, dass es im SF-Fan-Bereich eini­ges gibt (Geek’s Gui­de to the Gala­xy, Retro Rocket, …) – mal sehen, viel­leicht wird da doch noch das eine oder ande­re regel­mä­ßig gehör­te For­mat dar­aus. Wobei ich auch immer wie­der fest­stel­le, dass das typi­sche Pod­cast-For­mat „Zwei Leu­te reden“ nicht unbe­dingt meins ist. Eine Per­son, die mit wenig drum­her­um – und ohne Radio­fea­ture­per­fek­ti­on – etwas erzählt, gefällt mir meist bes­ser. Falls da irgend­wer Emp­feh­lun­gen im SF-Bereich hat, ger­ne her damit.

Noch ein Abo­ser­vice, Apple TV, dann läuft’s noch nicht mal auf dem gro­ßen Bild­schirm. Trotz­dem hat mir die Serie For All Man­kind (2019 ff.) bis dato gut gefal­len; ich bin jetzt etwa bei der Hälf­te der 2. Staf­fel. Die ers­te Staf­fel erin­ner­te da und dort stark an Mary Robi­net­te Kowal Lady-Astro­naut-Rei­he. Wir star­ten in den 1960ern, im Unter­schied zur rea­len Geschich­te set­zen hier die Sowjets den ers­ten Fuß auf den Mond. Dar­aus ent­wi­ckelt sich ein space race, dass viel mäch­ti­ger wird, als es in unse­rer Welt je war, mit Mond­ba­sis und Plä­nen für den Mars. Die­ses Ren­nen um die „Erobe­rung“ des Welt­alls – als har­te, rea­lis­ti­sche SF gezeigt – bie­tet jedoch nur den Hin­ter­grund für die Lebens­ge­schich­ten von fünf, sechs oder sie­ben Personen/Familien mit allen Dys­funk­tio­na­li­tä­ten und Pro­ble­men. Neben einem Hauch Dallas/Denver Clan kommt viel Poli­tik und Zeit­ge­schich­te vor – Eman­zi­pa­ti­on, Ras­sis­mus, eine aus begrün­de­ter Angst nur im ver­bor­ge­nen statt­fin­den­de les­bi­sche Lie­bes­ge­schich­te usw. Die ers­te Staf­fel spielt in den spä­ten 1960ern/frühen 1970ern vor dem Hin­ter­grund des Viet­nam-Kriegs, die zwei­te dann Mitte/Ende der 1980er Jah­re, mit einer ent­spre­chend ange­pass­ten Ästhe­tik und – dank einer guten Mas­ke – rea­lis­tisch geal­ter­ten Figu­ren sowie nach und nach immer mehr Abwei­chun­gen von unse­rer Zeit­li­nie (klar, dass der Fokus auf den Welt­raum auch in ande­re Berei­che ausstrahlt).

Ganz anders die SF-Komö­die Big­Bug (2022) – ein Film von Jean-Pierre Jeu­net, der mit Die fabel­haf­te Welt der Amé­lie bekannt wur­de. Statt in eine ver­klär­te fran­zö­si­sche Ver­gan­gen­heit geht es hier in eine absurd über­dreh­te Zukunft, in der Robo­ter und Andro­ide für die durch­ge­styl­te Klein­fa­mi­lie min­des­tens so wich­tig sind wie flie­gen­de Autos und voll­au­to­ma­ti­sier­te Ein­fa­mi­li­en­häus­chen. Wer eine ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit KI oder ähn­li­chem erwar­tet, ist hier fehl am Platz; wer sich auf bun­te Kos­tü­me, absur­de Cha­rak­te­re und einen immer wil­der wer­den­den Plot ein­las­sen kann, wird sich vergnügen.

Wie­der gele­sen habe ich Samu­el Delaneys Babel 17 (1966), nach­dem ich zufäl­lig – auf Twit­ter, wo auch sonst – auf eine Rezen­si­on von Jo Walt­on aus dem Jahr 2009 gesto­ßen bin, in der sie her­vor­hebt, wie modern die­ser Roman ist – mit einer weib­li­chen Haupt­per­son, einem gegen die Gewohn­hei­ten der Mili­ta­ry SF rea­lis­tisch gezeich­ne­ten Krieg zwi­schen zwei Mäch­ten, vie­len Ideen über den Zusam­men­hang zwi­schen Spra­che, Erkennt­nis und Pro­gram­mie­rung, lin­gu­is­ti­schen Expe­ri­men­ten, Drei­er-Lie­bes­be­zie­hun­gen als ein stan­dard­mä­ßig not­wen­di­ger Bestand­teil von Raum­schiff­be­sat­zun­gen und der­glei­chen mehr. Für heu­ti­ge Ver­hält­nis­se ein dün­nes, schnell gele­se­nes Buch, das völ­lig zu recht wei­ter erhält­lich ist. Und ein Anlass, über die Pen­del­be­we­gung der Geschich­te und nie enden­de Kämp­fe um gesell­schaft­li­chen Fort­schritt nachzudenken.

Eben­falls lei­der nur ein dün­nes Buch, aber dafür sehr gegen­wär­tig, ist Becky Cham­bers A Pray­er for the Crown-Shy (2022). Der Titel bedarf viel­leicht einer Erläu­te­rung – kro­nen­scheu bezieht sich hier auf die Bäu­me, die neben­ein­an­der wach­sen, sich aber nie berüh­ren. Das Buch ist der zwei­te Band ihrer Monk-and-Robot-Rei­he. Wäh­rend im ers­ten Teil Dex in die Wild­nis gegan­gen ist und dort dem Robo­ter Mos­scap begeg­ne­te – einem Über­bleib­sel einer ver­ges­se­nen indus­tri­el­len Zeit die­ser post­in­dus­tri­el­len Zivi­li­sa­ti­on -, geht es nun den ande­ren Weg: Dex wird zu Mos­scaps Reiseleiter*in/Weggefährt*in/Anthropolog*in auf dem Weg durch Pan­ga. Die­ser Kunst­griff im Sin­ne Gar­fin­kels ermög­licht es Cham­bers, uns zu zei­gen, wie Pan­ga – viel­leicht eine Uto­pie? – funk­tio­niert und wie die Men­schen hier in Gemein­schaf­ten leben. Viel pas­siert in die­sem Buch nicht. Dex und Mos­scap rei­sen durch eini­ge Orte, reden mit­ein­an­der, phi­lo­so­phie­ren. Und trotz­dem oder genau des­we­gen ist die­ses ent­spann­te Buch genau das rich­ti­ge für unse­re sehr gegen­tei­li­ge Zeit.

The­ma­tisch ein biss­chen ähn­lich – aber viel action­rei­cher – ist Osmo Unknown and the Eight­pen­ny Woods (2022) von Catheryn­ne Valen­te, ein sehr schön geschrie­be­nes Jugend­buch. Die Rei­se­grup­pe besteht hier aus dem Teen­ager Osmo Unknown aus einem welt­ab­ge­schie­de­nen Dorf sowie aus einem unhöf­li­chen Dachs und dem men­schen­scheu­en Pan­go­lin-Mäd­chen Never aus dem Wald. Nach einem schreck­li­chen Ereig­nis müs­sen die drei die Unter­welt der Eight­pen­ny Woods fin­den – und am Schluss her­aus­fin­den, was es mit der Hoch­zeit von Wald und Tal auf sich hat. Sti­lis­tisch ähnelt das Buch den Fairy­land-Büchern von Valen­te mit sur­rea­len Ele­men­ten, die in der Logik der Geschich­te aber voll­kom­men not­wen­dig sind. Mit A Pray­er for the Crown-Shy hat die Ent­ste­hungs­ge­schich­te, wäh­rend der Pan­de­mie geschrie­ben wor­den zu sein, gemein­sam – und viel­leicht des­we­gen den uto­pi­schen Unter­ton, die Fra­ge nach dem Glau­ben an eine soli­da­ri­sche Menschheit. 

Last Exit (2022) von Max Glad­stone ist auf den ers­ten Blick eine typi­sche ame­ri­ka­ni­sche Fan­ta­sy-Road-Saga im Stil von Ame­ri­can Gods, auch wenn die Stra­ße hier und dort durch düs­te­re Schre­ckens­wel­ten statt durch Wüs­ten und Can­yons führt. Auf den zwei­ten Blick geht es dar­um, wie Men­schen damit leben kön­nen, zu ent­de­cken, dass aus mathe­ma­tisch-magi­schen Par­al­lel­wel­ten die Apo­ka­lyp­se droht, und beim Ver­such, etwas dage­gen zu unter­neh­men – noch auf der Uni -, zunächst ein­mal schei­tern. Die Geschich­te spielt eini­ge Jah­re spä­ter, als Zel­da Qiang ihre dama­li­gen Freund*innen aus den inzwi­schen eta­blier­ten Lebens­wel­ten reißt, um es ein zwei­tes Mal zu ver­su­chen. Neben­bei ist Last Exit eine Coming-of-Age-Geschich­te, eine Geschich­te über Ver­rat, und eine Geschich­te dar­über, wie es ist, dro­hen­des Unheil lie­ber zu igno­rie­ren. Da lie­ßen sich dann Par­al­le­len zu unse­rer Zeit mul­ti­pler Kri­sen finden.

Etwas rat­los hat mich The City Insi­de (2022) von Samit Basu zurück­ge­las­sen. Das ist eigent­lich ein Roman über Social Media, in ein Indien/Delhi etwas in der Zukunft gelegt. Die auf­ge­bau­te Welt ist ein­drucks­voll – „Rea­li­ty Pro­du­cer“ mana­gen das per­fek­tio­nier­te Leben von „Flow“-Stars, wäh­rend die Luft vor der Tür so heiß und toxisch ist, dass Atem­schutz­mas­ke und Kühl­pack not­wen­dig sind, um kli­ma­ti­sier­te Räu­me zu ver­las­sen. Unter­schied­lichs­te Rea­li­tä­ten, Kas­ten, Klas­sen kreu­zen sich. Die Super­rei­chen spie­len Intri­gen aus, die Regie­rung ist tota­li­tär, im Unter­grund gibt es einen semi-kri­mi­nel­len Wider­stand. Und mit Joey haben wir eine span­nungs­rei­che und leben­di­ge Haupt­per­son. Trotz­dem passt das alles am Schluss nicht zusam­men, das Buch bricht abrupt ab, ohne zu einer Auf­lö­sung zu kom­men, und auch die „dele­ted sce­nes“ – ist es das Kapi­tel 10, oder sind es tat­säch­lich dele­ted sce­nes – hel­fen nicht wirk­lich wei­ter. Das hät­te mehr sein können.

Eben­falls irri­tie­rend, aber doch eher posi­tiv irri­tie­rend, fand ich Dark Fac­to­ry (2022) von Kathe Koja. In einem Satz wür­de ich sagen: eine schwu­le Lie­bes­ge­schich­te in der durch ubi­qui­tä­re vir­tu­el­le Rea­li­tät noch ein­mal ganz anders gewor­de­nen urba­nen DJ- und Club-Sze­ne der Zukunft gekreuzt mit einem Hauch magi­schem Rea­lis­mus. Inter­es­san­te Haupt­per­so­nen. Und ein sehr eige­ner Schreib­stil mit Sze­nen­wech­seln mit­ten im Satz, eini­gen Neo­lo­gis­men, die nicht erklärt wer­den (wie über­haupt hier nichts erklärt wird), ein dem Gegen­stand ange­mes­se­nes Tem­po. Nett: in die­ser Zukunft scheint deut­sche Kul­tur gera­de hip zu sein, zumin­dest bei der Benen­nung von Cafes, Clubs und Blu­men­lä­den in bei­spiels­wei­se London.