Zwischen Wissenschaft und Kunst (Update: Bebilderung)
Futuristisches französisches Design – seltsam geschwungene Linien und Farben – sind vielleicht der richtige Kommentar zu der Konferenz, an der ich gerade zeitweise teilgenommen habe. Das Design liefert der TGV, der mich von Zürich, der unbekannten Metropole in den Bergen, zurück zur deutschen Grenze bringt. Der diesjährige Kongress der Schweizer STS-Community (STS steht je nach Kontext für Science, Technology, Society oder für Science & Technology Studies) stand unter dem Motto „ScienceFutures“: wissenschaftliche Zukunftsbilder, Zukunftsforschung, literarische und künstlerische Verarbeitungen etc.
Die angesprochenen Design-Eigenheiten sind in diesem verrauschten Handy-Foto eher zu erahnen denn zu sehen
Da ich nur an zwei der dreieinhalb Kongresstage teilnehmen konnte, kann ich zum eigentlich Kongressprogramm gar nichts richtig ausführliches sagen. Es war jedenfalls bunt gemischt; so richtig fremd fühlt man sich als Soziologe erst, wenn die Debatte zwischen Designern, Literaturwissenschaftlerinnen und „hard scientists turned historians of their discipline“ stattfindet. Aber ich schweife ab, und auch das eindrucksvolle Innere der ETH Zürich soll hier nicht Thema sein. Mich hatten vor allem die Science-Fiction-orientierten Panels angezogen (u.a. gab es einen schönen Vortrag über das Wissenschaftsbild in Greg Egans Distress und Kim Stanley Robinsons Antarctica). Selbst habe ich auch was vorgetragen; unter dem Titel „From Ecotopia to everyday life: the making of sustainability“ habe ich angeschaut, wie ein praxistheoretische, auf Akteurs-Netzwerke gestützter Ansatz auf Diskursfragmente – hier das für den „Neuen-Lebensstil-Diskurs“ der 1970er Jahre typische Buch „Ecotopia“ von Ernest Callenbach – angewendet werden kann. Und wie immer zuviel reingepackt; dazu, danach zu fragen, ob die heutigen „multiple sustainabilities“ eigentlich eine ähnlich aussagekräftige Utopisierung erfahren, bin ich gar nicht mehr gekommen (BTW: www.utopia.de ist in dem Kontext auch interessant, gerade weil’s keine Utopie sucht, darstellt, ist).
Ziemlich typisch für die STS-Community sind Grenzüberschreitungen der verschiedensten Art; Disziplingrenzen werden genauso überwunden, durchbrochen oder übersetzt wie die Grenzziehungen zwischen Kunst und Wissenschaft, sei es als Gegenstand der Forschung, sei es als Thematisierungsform. Das finde ich sympathisch, wenn auch manchmal etwas anstrengend. Siehe oben die Bemerkung zur soziologischen Fremdheitserfahrung. Das letzte Panel auf diesem Kongress (glücklicherweise dorthin verschoben, sonst hätte ich nicht teilnehmen können) stellte eine aus meiner Sicht besonders innovative Form dar, etalierte wissenschaftliche Routinen und Praktiken fragwürdig werden zu lassen und einen Reflektionsraum zu schaffen. Michael Guggenheim, Rainer Egloff und Sha LaBare haben unter dem Titel „The Science Fiction of STS“ an die Stelle der üblichen Präsentationen reflexive Narrative aus den Genres Science Fiction bzw. Fantasy gesetzt, um so die Zukünfte der STS auszuloten. Dies war auf jeden Fall unterhaltsam. Ob das Reflektionsziel erreicht wurde, – da bin ich mir nicht so sicher. Guggenheim trat in der Rolle des seiner Allgegenwart müden „Actualiser“ auf: aus dem follow the actors wird ein eliminate contingency, eliminate history, wenn die STS-Forschung einem selbstbewussten Computer übertragen wird. Egloff bezog sich in seiner verschachtelten Erzählung darauf und diskutierte in Form eines Briefes aus dem wissenschaftlichen Untergrund die Grenzen und Notwendigkeiten linksintellektuellen Engagements. Eine etwas andere Perspektive nahm LaBare ein, der in die Rolle eines Drachens – bei LeGuin können Drachen nur wahr lügen – schlüpfte und über Lernen und Vergessen und die Vorzüge der Ignoranz berichtete.
Typischer Blick von der ETH auf die Stadt. Und unter den komischen Kegeln liegt die Vorfahrt Leopoldstraße im dritten Tiefgeschoss, oder so.
Wie gesagt, als Experiment auf jeden Fall spannend. Was allerdings nicht so gut funktionierte, war Kommunikation innerhalb dieses narrativen Rahmens. Erst traute sich niemand, fragen zu stellen (wiss. Konferenzen funktionieren bekanntlich nach dem Muster Vortrag-Fragen-Vortrag-Fragen-Vortrag-Fragen-Dank), und als es dann doch noch zu einer Debatte kam, war dies vor allem eine darüber, was solche Grenzüberschreitungen bewirken. Einen Diskutanten erinnerte das alles – positiv oder negativ gemeint, blieb unklar – sehr an die 1970er Jahre. Die Zukunft der STS, die Frage, ob eine Konferenz zur Wahrheitsfindung beiträgt, und das kritische Engagement von Intellektuellen wurden dagegen in der Diskussion nicht thematisiert (wohl aber in der anschließenden Kaffeepause).
Züri at night – viel besser als die meisten anderen Großstädte im näheren Umfeld meines Wohnorts.
Mein persönliches Fazit: sich bewusst zu sein, dass auch wissenschaftliche Texte Narrationen sind ist ebenso fruchtbar wie das Spiel mit den Grenzen des Genres. Für eine Integration derartiger Formen in die alltäglichen Praktiken wissenschaftlichen Austausches scheint mir dagegen mehr notwendig zu sein als einfach nur der Austausch des Vortragsformat mit dem Erzählungsformat. Hier ist noch Brückenbauarbeit zu leisten. Dann könnte daraus auch methodologisch etwas spannendes werden.
Warum blogge ich das? Um ein paar Gedanken zum interessantesten Element dieser Konferenz loszuwerden, und weil ich mich an der Grenze zwischen STS und Soziologie stehend in der STS immer nur halb heimisch fühle.
P.S.: Bilder folgen, sobald die Telekom in der Lage ist, mir nicht nur die DSL-Hardware, nach einer Erinnerung dann auch eine DSL-Leitungsfreischaltung, sondern auch eine Anschlusskennung zuzuschicken.
Update: Der Telekom ist’s gelungen. Also bitte: Bilder.
Altes aus Xanga, Teil XI
Wednesday, October 22, 2003
Sammelfilmkritik
Huh, leider gar nicht so einfach, so ein Weblog aktuell zu halten. Eigentlich würde ich hier & jetzt gerne noch was über Whale Rider (Ethnoökokitsch, gefiel mir einigermaßen gut), einen indischen Film namens Waves sowie über Herrn Lehmann (Genau so waren die 80er Jahre in Berlin, ich – Jahrgang 1975 – bin mir da ganz sicher!) schreiben, komme aber grade nicht dazu. Also bemerke ich einfach nur, dass ich neulichs (ist auch schon wieder fast zwei Wochen her) im Rahmen von body.city im fast menschenleeren Haus der Kulturen der Welt in Berlin Reason, Debate and a Story von Ritwik Ghatak angeschaut habe: ein bengalischer Schwarzweiss-Film aus dem Jahr 1974, mit ziemlich verwackelten englischen Untertiteln. Body.city schreibt dazu:
In seinem Film porträtiert sich Ghatak selbst als den trinkenden und ausgelaugten Intellektuellen Neelkantha. Er unternimmt eine Art Schelmenreise durch Bengal, um sich mit seiner von ihm getrennt lebenden Frau zu versöhnen. Der Regisseur flicht unterschiedliche Stile und Bilder ineinander. Seine Palette reicht von der vulgären Kalenderkunst über kitschige Liebesfilme und einen abstrakten modernen Totentanz bis hin zum Liedgut der Baul.
Warum ich das erwähne? Weil – neben der inhaltlichen Ebene – tatsächlich vor allem einige Stilelemente spannend waren: die hier „Totentanz“ genannte abstrakten Zwischenblenden, Großaufnahmen, durchchoreographierte Verfolgungsjagden und Schießereien im Wald, sowie in großformatige Landschaftsbilder gleitende Liebesszenen. Ziemlich viel davon lässt sich auch in neueren Bollywood-Filmen finden. Und das finde ich durchaus erwähnenswert.
Sunday, July 13, 2003
Miscellaneous
Jede Menge Arbeit, deswegen wenig Zeit für Einträge hier, zum Ausgleich deswegen drei auf einmal: Dieses Wochenende habe ich in Karlsruhe verbracht, und zwar vor allem deswegen, weil ich auf dem Linuxtag am Samstag den vom Netzwerk Neue Medien e.V. organisierten Initiativen-Infostand betreut habe, d.h. ca. 300 Leuten einen Flyer mit kurzen Texten zu verschiedenen netzpolitischen Initiativen in die Hand gedrückt, die eine oder andere Frage beantwortet und auch ein bißchen diskutiert. War nett, und interessant, wie verschieden die Reaktionen des von Sun/IBM/HP-MitarbeiterInnen bis hin zum klassischen Geek-Coder reichenden Publikums waren. Und ganz abgesehen davon war es ganz eindrucksvoll, den Wirtschaftsfaktor „Open Source“ mal plastisch vor Augen zu sehen.
Da schon mal in Karlsruhe, und da Angie auch Zeit hatte, haben wir den Abend dann dazu genutzt, ins Kino zu gehen und uns VERSCHWENDE deine JUGEND angeschaut. 1980er Jahre, viele Reminiszenen an meine jüngste Vergangenheit (von den Eissorten bis zum Datenträger der Zukunft, der CD), eine schicke CGA-Pixel-Schrift für die Beschriftungen, nette Musik, und eine bemitleidenswerte, weil vollkommen überforderte Hauptfigur. Unterhaltung, bringt einen aber immerhin dazu, nochmal darüber nachzudenken, was NDW denn jetzt eigentlich wirklich war, wieviel einem selbst davon mit 10 bis 15 Jahren bewusst gewesen und geworden ist, und wie Trends und Moden so funktionieren.
Karlsruhe stand auch am Sonntag noch, da gab’s dann science + fiction im ZKM. Auch wenn der Name erstmal anderes vermuten lässt, geht’s bei science + fiction nur am Rande um Science Fiction, hauptsächlich aber um das Wechselspiel zwischen Science/Wissenschaft auf der einen und Fiction/Kunst/Gesellschaft/Diskursivität auf der anderen Seite. Und das in einem ziemlich spannenden Ausstellungskonzept, gesponsort und ins Leben gerufen von der Volkswagenstiftung. Auf den ersten Blick sieht die Ausstellung winzig aus (vgl. Austellungskonzept): drei, vier größere Installationen, ein paar Virtrinen, ein paar seltsame orangene Formen mit Telefonmuscheln dran. Aber trotzdem waren zwei Stunden fast zu knapp, um sich damit zu beschäftigen. Im Untertitel der Ausstellungen geht’s um Nanotech und kulturelle Globalisierung – dazwischen liegen vor allem Neurowissenschaften, Fullerene und die Zukunftsforschung. Besonders eindrucksvoll fand ich eigentlich fast alles, nennen möchte ich die WildCard-Installation von Dellbrügge und de Moll, bei der auf großen herausziehbaren Karten Statements von KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zu Themen der Zukunft verarbeitet wurden. Wissenschaft und Kunst gehen hier fließend ineianander über. Der spiegelnde Ethnoexpeditionsbus von Christoph Keller war mir dagegen etwas zu sophisticated begründet, Lacan muss nicht sein. Die fließenden Übergänge zwischen Kunst und Wissenschaft waren auch sehr schön zu sehen in der Wandprojektion von handschriftlichen Skizzen und Notizen zu wissenschaftlichen und künstlerischen Projekten. Wäre eine eigene Arbeit wert, sich damit zu beschäftigen! Rundherum Vitrinen – plakatives Ausstellungsstück oben in der Vitrine, z.B. Joda aus Star Wars oder auch ein eingelegtes Gehirn – aus dem Vitrinenschrank rausziehbar dann spannende Erläuterungsschubladen. Nettes Interface! Was gibt’s noch: zum Beispiel die Links und Essays zum theoretischen Hintergrund der Ausstellung. Hat mir gefallen, schönes Konzept, und auch die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und gesellschaftlichen Diskursen (ob Science Fiction, Kunst oder Feullieton) sind etwas, was ich sicherlich weiter im Auge behalten werde. Die Ausstellung science + fiction läuft noch bis zum 17.08. in Karlsruhe und wandert dann weiter.
Und Bücher gibt’s übrigens auch zu science + fiction: den Ausstellungskatalog mit Interviews mit den beteiligten KünstlerInnen, und die Essays.
P.S.: Und ganz zum Schluss noch der Hinweis auf einen kweiteren kürzlich angesehenen Film: Bollywood/Hollywood von Deepa Mehta werden Klischees aus indischem und amerikanischem Film gut durchmixt und geraten zu meiner Meinung nach sehr humorvoll gewordenen Mischung, die aber wahrscheinlich nicht bei jeder und jedem auf Anklang stößt. Jedenfalls gab’s einige schlechte Kritiken, von wegen einfallslos etc. – ich hab eher Selbstironie und ein ziemlich gelungenes Spiel mit Stereotypen gefunden, das zu einem sicherlich überdrehten, für Sommernächte aber wundervoll geeigneten Film geworden ist.
Tuesday, June 17, 2003
Google-Kunst
Google hat seine Logo zur Abwechslung mal im Stil von MC Escher gestaltet – und verlinkt auf die Bildersuche, die allen Copyrightfragen zum trotz recht erfolgreich ist.
> escher.gif (GIF-Grafik, 276x110 Pixel)
Tuesday, June 10, 2003
Menschen zu Pixeln?
In Barcelona fotografiert Spencer Tunick 7.000 nackte Menschen auf öffentlichen Plätzen (siehe Spiegel-Artikel unten). Allerdings frage ich mich, ob das ganze nicht vielleicht noch ein Stück eindrucksvoller gewesen wäre, wenn – dank Computerunterstützung ist sowas heute ja relativ einfach möglich – nicht amorphe Menschenmengen fotografiert worden wären, sondern Bilder? 7000 Leute sind rechteckig angeordnet immerhin 70 x 100 Pixel, und wenn Handydisplays mit sowas klarkommen, warum dann nicht auch Künstler? Auf diesem Pixelraster hätten dann mit Haut- bzw. Haarfarbe Figuren angeordnet werden können – z.B. die Wörter LOVE und HATE. Oder vielleicht sogar (hier würde es schon etwas kniffliger) Graustufenbilder. Menschen zu Pixeln?
> Fotokunst: „Barcelona legt die Kleider ab“ – Panorama – SPIEGEL ONLINE
Sunday, May 25, 2003
Matrix zwei
Einer der im in der letzten Zeit im Vorfeld sicherlich mit am meisten gehypte Film ist sicherlich der zweite Teil der Matrix-Trilogie, Matrix Reloaded. Und eigentlich macht es fast keinen Sinn, noch eine weitere Besprechung dazu zu schreiben, weil so gut wie jede Kulturseite jeder Zeitung das schon getan hat. Sich den allgemein doch eher zwiespältig ausgefallenen Bewertungen anzuschließen, fällt nicht schwer: guter Actionfilm, aber dafür zu viel Philosophie, schlechte Fortsetzung, seltsame Wendung, eigentlich nur eine Masche, um Videospiele und Merchandise zu verkaufen. Usw. usf.
Deswegen hier nur ein paar höchst subjektiv gefärbte Eindrücke aus der Doppelvorstellung Matrix + Matrix Reloaded im Friedrichsbau. Volles Haus, gute Stimmung, bei Matrix eins waren mir einige der grausameren Szenen gar nicht mehr in Erinnerung gewesen. Dafür fällt mir jetzt auch der potentiell systemkritische Charakter auf: der Film lässt sich nicht nur radikalkonstruktivistisch als Metapher auf unsere eingeschränkte Wahrnehmung der Wirklichkeit lesen, sondern auch sozialkonstruktivistisch als Metapher auf den unsichtbaren Käfig aus Normen und Institutionen, den wir nicht wahrnehmen können, weil wir darin aufgewachsen sind.
Der Film endet, kurze Pause, die Möglichkeit, noch mal etwas frische Luft zu schnappen. Draußen sieht alles unwirklich aus, die visuelle und musikalische Geschwindigkeit des Films steckt einem in den Gliedern. Dann Teil II: Der Vorspann sieht professioneller, glatter aus, damit aber auch weniger authentisch. In den letzten paar Jahren scheinen Computerbuchstaben große Fortschritte gemacht zu haben. Schade eigentlich. Die Unix-Befehle sind aber dafür gleich geblieben. Unklarheit darüber, wann in der Handlungszeit Teil II einsetzt. Wochen oder Jahre nach dem ersten Teil? Aus den rebellischen Outcast-Cyberpunks sind jedenfalls kaum noch rebellische (oder wenn, dann in dem Sinne, in dem sich Cpt. Picard der ersten Direktive widersetzt) Teile der Starfleet, pardon, Zion-Flotte geworden. Soldaten, eingebunden in die Chain of Command. Die Nebukadnezar ist nur eines von vielen Schiffen (war das nicht ursprünglich mal ein Hovercraft, sehen Hovercrafts nicht eigentlich ganz anders aus?). Die optisch eindrucksvollste Szene: eine sehr realistische Darstellung der Matrix, pardon, des visualisierten, imersiven Cyberspace a la Gibson ist die „Gate Virtual Operator“; im weiß der Zukunftsvision aus 2001 werden per interaktiver imersiver Groupware Landepläne wie Bauklötze verschoben. Der Büroarbeitsplatz der Zukunft?
Wir sind in Zion angekommen: was alles in eine stark auf Technik basierende unterirdische Stadt rein passt, ist schon erstaunlich. Die Geometrie bleibt unklar und der Sternenhimmel besteht aus Scheinwerfern. Abgesehen von der God-is-a-DJ-Ansprache von Morpheus gefällt die sich anschließende Tanz-und-Sexeinlage durchaus. Ob es Absicht ist, jeweils so irgendwo im ersten Drittel der Filme aktuelle Musik unterzubringen? An der Stelle lässt sich vielleicht auch anmerken, dass das Produktplacement leider auch dazu geführt hat, das klassisch-stilbildende Nokia in schwarz durch irgendwelchen Outdoorhandys zu ersetzen.
Liebesgeschichtenkitsch, Der-aufrichtige-wahre-Überzeugte-setzt-sich-politisch-durch-Kitsch, zurück in die Matrix. Neo-ist-Superman-Kitsch (aber erst nach der Prügelei), mit Dank an den Comicverlag im Abspann. Eigentlich könnten Trinity und Neo in dem Film auch gleichstarke Figuren verkörpern; symmetrisch genug angelegt (Wiederbelebung!) ist die Rolle ja. Aber sie bleibt sein Sidekick, der wahre echte Auserwählte ist er. Oder dann doch nicht.
Die zweite eindrucksvoll in Erinnerung gebliebene Szene ist nicht die Autoverfolgungsjagd (wieso soviel Physik in einem Computersystem?), sondern die Begegnung zwischen Neo und dem Architekten: zwei progammatische Agenten treffen sich, und – die einzig große Leistung des Filmes – alles, was wir über Neo wussten, verändert seine Bedeutung. Outcast, Hacker, Retter der Menschheit? Von wegen – das System denkt in größeren Zusammenhängen und Zeiteinheiten und schafft sich regelmäßig seine eigene Opposition, um den aus hygienisch-mathematischen Gründen notwendigen Reboot einzuleiten, samt Keimzelle für die nächste Revolution. Unerfindlicherweise kommen gewisse hormonelle Ungleichgewichtszustände dazwischen, und der Zuschauer bleibt bis in den Herbst alleine mit der Frage, ob dass den nun wirklich die richtige Tür gewesen ist.
Prognosen für Matrix III: Wenn’s schlecht läuft, noch mehr Aktion, noch weniger Sinn hinter den Philosophielektionen, ein wundersamer Wandel des Musikstils fürs erste Drittel und ein Mensch und Mensch gewordene Maschine (Smith als Virus) beglückendes Happy End. Oder noch schlimmer: alles nur ein böser Traum oder (eXistenz) nur ein Computerspiel. Wenn’s gut läuft, kommt in der Synthese alles anders, Cyborgisierung, Machtkämpfe in der Matrix und Machtkämpfe in Zion, die zu neuen Allianzen führen. Die Entscheidungen sind längst gefallen.
Altes aus Xanga, Teil X
Saturday, May 03, 2003
Dr. Who?
Eines der unbekannteren Werke von Douglas N. Adams ist ein Skript für die BBC-Fernsehserie Dr. Who mit dem Titel „Shada“. Die BBC bringt nun dieses Skript dankenswerterweise als „Webcast“ zum Leben – ein mit Flash-Animationen unterstütztes Hörspiel, als eine Hommage an den vor einem Jahr verstorbenen Douglas Adams.
> BBC – Cult Television – Doctor Who Homepage
Friday, April 25, 2003
Diaspora-Wahlkampf im Kino
… die Grünen am Sympathischten, wenn sie denn mal auf Plakaten, Podiumsdiskussionen oder im Gespräch mit Jugendlichen vorkamen – und nicht nur als Standardstandortnachteil in Wichmanns Standardspruch. Herr Wichmann von der CDU ist ein Dokumentarfilm, der hart an Realsatire grenzt, oder manchmal auch ganz klar Realsatire ist. Da gibt es den Wahlkämpfer Wichmann, 25 Jahre jung, CDU, Junge Union, Jura-Student in Berlin, Kreistagsabgeordneter in der Uckermark, der sich Hoffnungen macht, als Direktkandidat den letzten Außenminister der DDR, Meckel (SPD) zu besiegen. Am Schluss sind all seine Anstrengungen inkl. A0-Plakaten dann doch grade mal einen Prozentpunkt wert. Bis dahin verfolgt die Kamera den Wahlkämpfer und seine Freundin (Reality-TV? Aber nicht doch …) und vor allem die vielen Passantinnen und Passanten, die an Wahlkampfmaterial und hohlen Versprechen (Wichmann hat eine wunderbare Gabe, niemand ausreden zu lassen, jedem nach dem Wort zu reden und nur ganz selten mal schlagfertig zu sein) nicht wirklich interessiert sind. Im Altersheim (so holt die CDU also ihre Stimmen) weiss Wichmann nicht, was er sagen soll, und bei Jugendveranstaltungen macht er sich selbst zum völlig indiskutablen Kandidaten, indem er gegen „Kuschelpädagogigk“ argumentiert statt sich auf eine Diskussion einzulassen.
Eher schrecklich als lustig sind dann die Szenen, wo stolz mit der Ablehnung des Zuwanderungsgesetzes und ziemlich viel Nationalstolz argumentiert wird. Hilft aber alles nichts, Wichmann kämpft gegen Windmühlen, da hilft auch ein Lob von Frau Merkel für den „jungen Mann“ nichts.
Herr Wichmann von der CDU ist ziemlich viel ostdeutscher Alltag 2002, ziemlich viel Wahlkampfalltag, ziemlich viel Politikverdrossenheit – und erregte im kleinen Wohnzimmerkino des Friedrichsbaus in der „grünen“ Stadt Freiburg vor allem Lacher und ab und zu ungläubige Ausrufe. Es bleibt die Hoffnung, dass politikverdrossene Menschen vielleicht irgendwann Leute wählen, die sich tatsächlich dafür interessieren, was die WählerInnen bedrückt, statt sich mit hohen Sprüchen frischen Wind vorgaukeln zu lassen.
> Film bei BR-online: Denk ich an Deutschland: Herr Wichmann von der CDU
Tuesday, April 15, 2003
Lieblingsonlinecomic
Irgendwie schon seltsam. Wie an jedem Wochentag noch kurz der Blick auf den Unicorn Jelly Onlinecomic (Genre: philosophische Science Fiction) – aber irgendwas ist anders als sonst. Ach so, ja. Der Mausklick wäre unnötig gewesen – Unicorn Jelly ist endgültig vorbei. Die Rätsel sind gelöst, der Jahrhundertausende umspannende Handlungsbogen hat sein Ende und seinen Anfang gefunden.
Schade. Unicorn Jelly war immer anders als erwartet, die Charaktere waren lebendiger als sonst irgendwo im Web und gleichzeitig seltsamer. Die Wendungen der Geschichte unvorhersehbarer, die poetischen Momente poetischer, die Trauer um die Toten trauriger und die Scherze witziger.
Vielleicht war es grade die Form Fortsetzungsroman, die Unicorn Jelly zu etwas besonderem gemacht hat, die die plötzlichen Handlungsstrangwechsel der mit DelxuePaint von Jennifer Reitz handgezeichneten Folgen erträglich gemacht hat. Ich bin nicht von Anfang an dabei gewesen, sondern habe irgendwo in der Mitte angefangen, dann ersteinmal den ersten Teil gelesen und mich dann jeden Montag wieder gefreut, dass eine neue Unicorn Jelly-Folge nach dem comiclosen Wochenende da war. Zuverlässig, jeden Tag (anders als z.B. die taz heute). Unicorn Jelly jetzt von Anfang bis Ende lesen zu können, dürfte doch einen ganz anderen Leseeffekt haben. Am Stück? Naja, es sind über 600 Folgen – das würde dann doch ganz schön lange dauern.
Ich bin jedenfalls gespannt, ob es ein Nachfolgeprojekt geben wird. Schön wär’s jedenfalls!
> UNICORN JELLY anime manga comic strip by Jennifer Diane Reitz
Monday, March 24, 2003
Internet statt Propaganda
Bis jetzt scheint sich das Internet als wirkungsvolles Gegenmittel gegen die Medienpropaganda der Kriegsparteien durchzusetzen. Dies gilt nicht nur für Seiten wie Indymedia oder auch Wikipedia, auf denen Freiwillige Berichte einstellen, und in einem erstaunlich hohen Maß auch für die etablierten Medien (vom Tagesschau-Ticker bis Spiegel-online) sondern auch für speziell zur (kritischen) Beobachtung des Irak-Kriegs etablierte Webprojekte.
Iraq Body Count versucht mit einem Netzwerk von Freiwilligen ausgehend von Presseberichten eine ständig aktualisierte Minimal- und Maximalabschätzung der zivilen Kriegstoten durchzuführen; die Datengrundlage wird dabei genau bekanntgegeben, Banner stehen zum Einbinden in Websites bereit.
Electronic Iraq versammelt Berichte direkt aus dem Irak und kombiniert diese mit einer Übersicht über die weltweite Presse.
> Iraq Body Count
> Electronic Iraq
Sunday, March 23, 2003
Nachtrag: 22032003
Inzwischen sind auf Indymedia auch einige Bilder von der Demo am 22.03. zu finden: indymedia germany | Bilder von der Freiburger Anti-Kriegsdemo | 22.03.2003 23:33; allerdings mehr aus dem antikapitalistischen Block heraus …
Altes aus Xanga, Teil IX
Saturday, March 22, 2003
20032003: Demobilder und Deutschland
20.03.03 – Kundgebung vor dem Stadttheater Freiburg
20.03.03 – Transparente und Schilder des u‑asta
Am Tag X (20.03.2003) gab es in Freiburg eine große SchülerInnendemo mittags und eine Demo am nachmittag/abend, von der die Bilder hier sind. Fotos von beiden Demos gibt es unter indymedia germany | Tag X in Freiburg – Tausende auf der Straße [Bilder] | 20.03.2003 22:24 im Netz.
Auch am 22.03. fand wieder eine große Demonstration statt (ca. 5.000) Leute. Leider habe ich davon noch keine Bilder im Netz gesehen; wenn ich welche finde, linke ich hier vielleicht auch drauf.
Bemerkenswert bei der heutigen Demo: eine kurze Unterbrechung am Siegesdenkmal und eine – ich würde sagen – Kommunikationsguerilla-Aktion, die in der Forderung endete, das Denkmal (für den deutschen Sieg über Frankreich irgendwann) innerhalb der nächsten 48 Stunden abzureißen. Da und auch an vielen anderen Stellen der Demo war eine antikapitalistische, antistaatliche Stimmung deutlich spürbare. Und auch: Rot/grün wird nicht abgenommen, dass die Friedenspolitik der letzten Wochen ernst gemeint war. Es wird nicht genug getan, eigentlich müsste jetzt der NATO-Austritt folgen.
Insbesondere aus dem Umfeld von KTS und Attac Freiburg kommt immer wieder die Forderung, die Kritik am Irak-Krieg mit einer allgemeinen Kritik an kapitalistischen Demokratien zu verbinden – die würden eben immer Kriege führen, und das sei auch ganz klar, und gar nicht innerhalb des Systems zu verhindern.
Ich weiss noch nicht so genau, was ich davon halten soll – dass kapitalistische Demokratien jedweder Art mit einem riesigen Geflecht tatsächlicher oder eingebildeter Sachzwänge einhergehen, ist mir auch klar. Auf der anderen Seite glaube ich, dass eine kapitalistische Demokratie doch irgendwie einigermaßen global verträglich, sozial, ökologisch und dauerhaft friedlich sein können müsste. Reformistischer Irrglaube, Blindheit oder eine pragmatisch überformte Hoffnung?
Friday, March 21, 2003
Theater on the news
Meine Lieblingsnewsgruppe („newsfroup“) alt.fan.douglas-adams ist zur Zeit dabei, etwas ziemlich neuartiges zu tun: anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der ersten Ausstrahlung der Radiofassung des Hitchhiker guides to the galaxy wird das Radioscript aufgeführt – und zwar im Internet-Diskussionsforum. Der Link unten verweist auf den Beginn des Threads – afda proudly presents The Hitchhikers’s Guide to the Galaxy (the newsfroup)
P.S.: Ein gänzlich damit unzusammenhängendes Thema ist natürlich der inzwischen offen ausgebrochen dritte Golfkrieg – auf den Friedensdemos gestern in Freiburg waren unglaublich viele Leute (10.000 SchülerInnen blockierten mittags die Straße, ca. 6.000 bis 8.000 Leute standen gestern abend auf dem Rotteckring und hörten sich eine etwas langwierige Kundgebung an), und ich hoffe, die vielen Proteste weltweit und auch im Netz machen den Kriegsführenden zumindest deutlich, dass weder das Völkerrecht noch die Bevölkerung dieses Planeten auf ihrer Seite sind.
Friday, March 07, 2003
Der Staat, der nie war
Eigentliches ist es eine abgrundtief traurige Geschichte, die hinter Good Bye, Lenin! steckt. Alex‘ Mutter wacht nach einem Herzinfarkt und vier Monaten aus dem Koma auf, jede Aufregung soll vermieden werden, das könnte ihrer Gesundheit schaden. Dummerweise wacht sie in aufregende Zeiten hinein auf: die letzten Monate der DDR als eigenständigem Staat, kurz vor der Wiedervereinigung. Sohn Alex beschließt, alles zu tun, um jede Aufregung zu vermeiden und holt sie aus dem Krankenhaus in ihr Schlafzimmer in der Plattenbauwohnung. Dort ist noch alles so, wie es früher mal war. „Hier hat sich ja gar nichts verändert.“
Dass das auch so bleibt, ist eine immer umfangreicher werdende Aufgabe für Alex. Krach mit seiner Schwester (liiert mit einem Burger-King-Brater) und seiner Freundin, der Krankenschwester Lara, die er am Krankenbett seiner Mutter kennengelernt hat, ist vorprogrammiert. Alex jagt nach Gurkengläsern und inszeniert FDJ-Geburtstagsständchen und Besuche der Parteileitung mit Orignal-Präsentkorb. Als seiner Mutter langweilig wird, und sie fernsehen will (den aus ihr Zimmer zu verlassen, ist ihr streng verboten) greift er auf die Unterstützung seines neuen Kollegen Dennis zurück, der sich als Filmmacher profilieren möchte. Die Aktuelle Kamera erklärt, wieso ein Coca-Cola-Transparent am Hochhaus neben an zu sehen ist.
Aber es passiert in dieser freundlichen, niemals bösartigen Komödie noch mehr. Der Westen dringt unaufhaltsam in den Alltag ein. Immer abstruser werden die Erklärungen. Aber immer mehr wird damit das durch das Fernsehen und die von Alex erfundenen Kartenhäuser vermittelte Bild der DDR zu dem eines Staates, der nie existiert hat, den sich Alex‘ Mutter aber immer gewünscht hat. Eine DDR, die auf die Eingaben ihrer BürgerInnen reagiert. Die so attraktiv ist, dass sie die Grenzen für Westler öffnet. In der Leistungsdruck und Konkurrenz draußen bleiben.
Good Bye, Lenin! überzeugt auf beiden Ebenen. Als Komödie, die nie nur auf die Lacher aus ist, und die mit ihrem Personal mitfühlt, die auch Weinen zulässt. Aber auch als leise Utopie einer DDR, wie sie vielleicht 1989 hätte entstehen können: Sozialismus mit freundlichem Antlitz. Auch im Film kommt der 3. Oktober 1990 vor. Aber zumindest für Alex‘ Mutter hat das Feuerwerk eine ganz andere Bedeutung, ein wiedervereinigtes Deutschland jenseits der kapitalistischen Zwänge. Was wäre, wenn? Auch hier sind Tränen vielleicht angebracht, wer weiß.
Nicht zuletzt sollte vielleicht erwähnt werden, dass die Bilder teilweise ziemlich grandios sind und die Stimmung der Wendezeit gut einfangen. Fasziniert – das muss ich unbedingt noch sagen – hat mich auch der Vorspann, der die schönste Animation häßlicher realsozialistischer Postkarten enthält, die ich je gesehen habe.
> GOOD BYE, LENIN! – Ein Film von Wolfgang Becker (leider etwas überfrachtet!)
Sunday, March 02, 2003
NO WAR
Wer wissen will, was ich am Samstag gemacht habe: mit vier- bis fünftausend anderen auf er Europabrücke zwischen Kehl und Straßburg rumgestanden, Luftballons mit Friedenstauben zum Horizont geschickt und Leuten wie Konstantin Wecker, Franz Alt, einem Sänger aus San Francisco und einer Sängerin aus Brasilien zugehört.
Was war nett an der Demo? Doch ziemlich viele Leute, ab und zu auch mal Sonnenschein, eine bunte Mischung. Interessant: Merchandising-Stände am Rand …
Was war nicht so toll? Die geringe Präsenz von Grünen (Les Verts waren gut sichtbar mit vielen Fähnchen, aus Baden-Württemberg waren zwar auch eine ganze Menge Grüne auf der Demo, aber wer die nicht kannte, wusste das nicht. Die Tatsache, dass sich das Programm doch ziemlich in die Länge zog (ungefähr vier Schlussworte hintereinander, danach dann noch Terminhinweise). Und vielleicht auch das Missverhältnis zwischen dem eher jungen bis mittleren Durchschnittsalter der Demonstrierenden und der Demofolklore des offiziellen Programms.
Wednesday, February 19, 2003
Wie realistisch sind Science-Fiction-Filme?
Dem neuen Z‑Punkt-Newsletter habe ich den Hinweis auf den untenstehenden Link zu Josh Calders Futurist Movies Website entnommen. Und die hat es in sich – ein eindrucksvolles, interaktives Essay, in dem sich Calder mehreren Dutzend neueren und älteren Science-Fiction-Filmen annimmt (u.a. Gattaca, Fifth Element, Star Trek und Star Wars, Minority Report, Independence Day, …) und diese aus Sicht eines Zukunftsforschers bewertet: Wie wahrscheinlich ist die dort dargestellte Zukunft, wann könnte sie erwartet werden, was lässt sich über einzelne Technologien sagen, wo macht der Film Kompromisse um der Story oder der Vermarktbarkeit Willen? Einige Themen (Außerirdische, künstliche Intelligenz, Klonen) werden darüber hinaus im Rahmen eigenständiger „Notes“ diskutiert.
Wenn eine meiner Lieblingsthesen stimmt, dass Science Fiction nämlich ein Genre ist, das quasi literarische Technikfolgenabschätzung betreibt und in einer engen Wechselwirkung damit steht, was WissenschaftlerInnen für machbar halten – Wechselwirkung meint dabei: beide Richtungen! –, dann ist Calders Website eine nicht zu unterschätzende Ressource für Menschen, die privat oder beruflich Technikdiskurse untersuchen. Denn mehr noch als Science-Fiction-Romane sind Science-Fiction-Filme – mit all den daraus resultierenden Konsequenzen – in den letzten 30 Jahren im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. FuturistMovies bietet eine mit scharfem Auge vorgenommene Analyse dieses gesellschaftlichen Diskurses.