„Aus der Krise hilft nur Grün“ war 2009 Slogan des grünen Bundestagswahlkampfs, wenn ich mich richtig erinnere. Gemeint war da die internationale Finanzkrise, aber selbstverständlich auch schon die Klimakrise.
Aus heutiger Sicht wirkt 2009 dagegen wie friedlichste Vergangenheit. Jetzt haben wir Krisen en masse. Und kämpfen damit, dass die öffentliche und politische Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource ist. Vor einigen Tagen gab es dazu eine treffende Karikatur – ein Mann sitzt vor dem Fernsehen, und besteht darauf, dass erst einmal der Krieg in der Ukraine eine friedliche Lösung finden müsse, und das Virus besiegt werden müsse, bevor überhaupt daran zu denken sei, die Klimakrise – auf die seine Partnerin in mit Blick auf Hitzewellen in Indien etc. hinweist – anzugehen.
Das ist der Normalmodus politischer Krisenbewältigung: ein Stapel, und das neuste Problem kommt oben drauf und wird zuerst gelöst.
Aktuell landet auf diesem Stapel noch das drohende Rückrollen der USA in die 1850er Jahre – mit dem durchgestochenen Entwurf des Supreme Courts steht nicht nur das Recht auf Abtreibung auf der Kippe, sondern auch viele weitere gesellschaftspolitische Errungenschaften. Die Trump-Jahre waren nicht folgenlos, sondern haben dazu geführt, dass aus dem Supreme Court ein zutiefst politisches Organ wurde; die naheliegendste Lösung, ihn jetzt um weitere demokratische Richter*innen zu ergänzen, ist vermutlich nicht mehrheitsfähig – wie so vieles, was der US-Präsident Biden angekündigt hat, und das, obwohl auf dem Papier eine demokratische Mehrheit in beiden Kammern da wäre. Es ist zu befürchten, dass diese Papier-Mehrheit in einem Jahr nicht mehr existiert – und dass Trump (oder ein anderer seines Kalibers) am Ende der Biden-Amtszeit zurückkommt und das Projekt, die USA zu einer christlichen Autokratie zu machen, weiter vorantreibt.
Die Klimakrise alleine ist ein Generationenprojekt und bräuchte jetzt alle politische Aufmerksamkeit. Zweieinhalb Jahre Corona-Pandemie haben hier einiges ins Stocken gebracht; die kleinen Dellen durch Lockdowns, Home-Office und verminderte Mobilität sind längst aufgefressen, der CO2-Ausstoß wieder auf Wachstumspfad. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt, dass eine klimaschutzorientierte Energiepolitik auch friedenspolitisch wichtig gewesen wäre – jetzt befinden wir uns in einer Abhängigkeit von Russland, aus der rauszukommen nicht einfach wird. Immerhin geht es hier – bei der Energiewende wie beim schnellen Ende der Abhängigkeit von russischem Gas, Erdöl und Kohle – mehr oder weniger in die gleiche Richtung. Oder, wie es so schön heißt: hier gibt es Synergien.
Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen harten Lockdowns in China zeigen uns gerade, dass Europa nicht nur von russischen Importen abhängig ist, sondern ebenso oder noch viel stärker davon, dass Waren und Vorprodukte aus China geliefert werden. Jetzt stauen sich die Container-Schiffe, die just in time-Produktion gerät ins Stocken.
Und das sind ja – Beck hat es 1986 bereits vorausgesehen – nicht die einzigen Abhängigkeiten. Weizenlieferungen aus der Ukraine und die Hungerbekämpfung der internationalen Programme im globalen Süden hängen eng miteinander zusammen. China investiert auf dem afrikanischen Kontinent. Indien sieht sich vor die Entscheidung gestellt, sich nach Russland oder Richtung Westen zu orientieren. Brasilien exerziert schon mal vor, wie die zweite Trump-Periode in den USA aussehen könnte, und derweilen brennt der Amazonas.
Und ja – die Zerstörung von Biotopen, die Klimakatastrophe – das steht dann wieder in Wechselwirkung mit Rückzugsräumen für Tiere, und erhöht das Risiko weiterer Pandemien, die von wilden Tieren auf uns überspringen könnten.
Puh – gar nicht so einfach, 2022 halbwegs zuversichtlich zu bleiben. Erst recht nicht, wenn das, was gemacht werden kann, nicht gemacht wird – siehe Tempolimit – oder wenn deutlich wird, dass Politik und Bürokratie auch in existenziellen Fragen einen Hang zur systemischen Trägheit entfalten. Und erst recht nicht, wenn der politische Diskurs dann business as usual macht und sich mit Eitelkeiten, Beleidigtsein oder künstlich hochgezogenen Polarisierungen aufhält. So wird das nichts.