Science Fiction im Oktober und November 2025

The Barbican, London - V

Es wird Zeit, etwas zu den in den letz­ten Wochen kon­su­mier­ten SF- und Fan­ta­sy-Medi­en zu schrei­ben, bevor alles zu einem Brei verschwimmt …

Nach­dem ich mit den ers­ten Fol­gen der zwei­ten Wed­nes­day-Staf­fel (Net­flix) nicht so ganz zufrie­den war – und die Dia­lo­ge nach wie vor stel­len­wei­se arg kunst­ge­drech­selt fin­de -, muss ich doch sagen, dass es sich gelohnt hat, dran­zu­blei­ben: gelun­ge­ne Plot­twists, sich ent­wi­ckeln­de Figu­ren, die Dyna­mik zwi­schen Wed­nes­day, Enid und Agnes – und glaub­wür­di­ge Bezü­ge zum Addams-Kanon. So, und wo bleibt Staf­fel 3?

Das mit dem har­ten Cliff­han­ger am Ende hat auch Silo (Apple TV) hin­ge­kriegt. Wenn man über die eine oder ande­re Unglaub­wür­dig­keit (Kaf­fee!) hin­weg­sieht, fin­de ich das Set­ting – 10.000 Men­schen in einem aut­ar­ken unter­ir­di­schen Bun­ker, 150 Jah­re in der Zukunft, mit Stra­ti­fi­zie­rung, Macht­dy­na­mi­ken und engi­nee­red Tabus – nach wie vor sehr brauch­bar als Hin­ter­grund, vor dem eigent­lich alle nur das Bes­te wol­len und damit gran­di­os schei­tern. In der 2. Staf­fel erfah­ren wir, dass Silo 18 nur eines von 51 ist – und sehen durch Jules Nichols Augen im schein­bar ver­las­se­nen Nach­bar­si­lo den post­re­vo­lu­tio­nä­ren Zusam­men­bruch. Auch hier bin ich gespannt auf die 3. Staf­fel, bin mir aber nicht sicher, ob die – in den letz­ten paar Minu­ten ange­deu­te­te Ori­gin-Sto­ry, Washing­ton D.C. – wirk­lich das ist, was ich sehen möchte.

Zur Unter­hal­tung zwi­schen­durch ist die ani­mier­te Serie Haun­ted Hotel (Net­flix) ganz nett.

Last but not least habe ich begon­nen, Luci­fer (Net­flix) anzu­schau­en. Die Serie ist ja schon ein paar Jah­re alt, aber wei­ter bin­ge-wür­dig. Ich weiß, dass Chris­ti­ne Nöst­lin­gers Der lie­be Herr Teu­fel nicht die Roman­vor­la­ge ist, trotz­dem fiel mir die­ses Jugend­buch unwei­ger­lich ein: der gefal­le­ne Engel Luci­fer nimmt eine Aus­zeit auf der Erde, und braucht sei­ne Zeit, um mit all den selt­sa­men mensch­li­chen Bräu­chen klar­zu­kom­men. Dar­aus ent­wi­ckelt sich dann Ver­ständ­nis und, tja, Men­schen­freund­lich­keit. Im Film: Luci­fer als Nacht­club­be­trei­ber, der mit der Poli­zis­tin Chloe und unter Zur­hil­fe­nah­me eso­te­ri­scher (und ero­ti­scher) Fähig­kei­ten Kri­mi­nal­fäl­le in LA löst. Dabei ver­schweigt er kei­nes­wegs, dass er der Teu­fel ist – nur hören will‘s nie­mand. Sehr amüsant.

Gele­sen habe ich auch was. Zum Bei­spiel A Phi­lo­so­phy of Thie­ves über eine Fami­lie, die in einem post­apo­ka­lyp­ti­schen New Washing­ton der Die­bes­kunst nach­geht. In der Enkla­ve der Rei­chen und Mäch­ti­gen sor­gen trick­rei­che Klau­vor­füh­run­gen für den rich­ti­gen Ner­ven­kit­zel bei ansons­ten drö­gen Par­tys. Doch wer sonst im Dau­er­stau der Out­skirts lebt, für den ist die Ver­lo­ckung groß, mehr als nur die ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Dieb­stäh­le zu bege­hen … Das Buch von Fran Wil­de (2025) ist unter­halt­sam, hin­ter der Ober­flä­che lau­ern ein paar tie­fer­ge­hen­de Fra­gen, erst recht, als klar wird, dass die Haupt­per­son mehr mit den Rei­chen, die sie bestiehlt, ver­bin­det, als sie es war haben möch­te. Ein biss­chen irri­tiert hat mich dage­gen die Bio­tech­no­lo­gie die­ser Zukunft; nicht per se, das wirk­te schon plau­si­bel, aber einen Plot­punkt an mys­te­riö­ser, lebens­kraft­ent­zie­hen­der DNA-Fern­wir­kung auf­zu­hän­gen, war dann doch Zuviel des Guten. 

Eine ganz ande­re Bio­tech-Zukunft zeich­net Zoë Beck in Para­di­se City (2020). Das groß­flä­chig erwei­ter­te Frank­furt am Main ist die Haupt­stadt eines durch­tech­ni­sier­ten deut­schen Über­wa­chungs­staa­tes. Algo­rith­men emp­feh­len auf­grund von Gesund­heits­da­ten, was zu tun ist. Alles smooth, soweit, High­tech­zü­ge, E‑Bikes zum Aus­lei­hen, nie­mand muss hun­gern. Aber was pas­siert mit denen, die nicht ins Gesund­heits­re­gime pas­sen? Lii­na recher­chiert in der Mega­ci­ty und im hes­si­schen Hin­ter­land, in der bran­den­bur­gi­schen Wild­nis und im über­flu­te­ten Ros­tock – und kommt einem düs­te­ren Geheim­nis auf die Spur, in das auch ihre Schul­freun­din – inzwi­schen Gesund­heits­mi­nis­te­rin – ver­wi­ckelt ist. 

Auch in B.L. Blan­chards The Mother (2023) hat Frank­furt einen Auf­tritt, hier als Frank­furt Free City in einem heu­ti­gen Hei­li­gen Römi­schen Reich (HRE). Der Roman wird als Nach­fol­ge­band zu The Peace­kee­per ver­mark­tet, hat damit aber nur das World­buil­ding gemein­sam. In einer Alter­na­tiv­ge­schich­te zu unse­rer Gegen­wart fand der bri­ti­sche Kolo­nia­lis­mus nicht statt. In der Neu­en Welt führt das zu einem dich­ten Netz an First-Nati­on-Staa­ten; in Euro­pa sind das bis Rom rei­chen­de HRE und Frank­reich die gro­ßen Mäch­te. Eng­land ist dage­gen als eine Art Kari­ka­tur einer Golf­mon­ar­chie gezeich­net, nur: ver­armt und iso­liert, unter dich­tem Koh­le­staub und seit Jahr­hun­der­ten in einem Krieg mit Frank­reich. In die­sem Eng­land sind Frau­en nur als Müt­ter männ­li­cher Erben etwas wert, und ansons­ten eng kon­trol­liert, so dür­fen sie bei­spiels­wei­se nur mit Erlaub­nis von Vater oder Ehe­mann ein Mobil­te­le­fon nut­zen. Marie, die Haupt­per­son, wur­de an einen Duke ver­hei­ra­tet – und fin­giert einen Sturz von den Klip­pen, um dem fürst­li­chen Gefäng­nis zu ent­kom­men. Ihr Weg führt in die Fami­li­en­ge­schich­te und über Lon­don auf den Kon­ti­nent, nach Brug­ge, in die Flücht­lings­quar­tie­re von Frank­furt und Stras­bourg. Kann sie dem lan­gen Arm der Mon­ar­chie ent­kom­men? – Nach dem ers­ten Schock dar­über, dass das Set­ting in der Alten Welt eben ein ganz ande­res ist, als The Peace­kee­per erwar­ten ließ, eine packen­de Geschich­te, die im Spie­gel des Was-wäre-wenn auch eini­ges über heu­te zu sagen hat.

Ohne das vor­her geplant zu haben, war Mother die zwei­te Alter­na­tiv­ge­schich­te, die ich in den letz­ten Wochen gele­sen habe. Die ande­re heißt Pagans, geschrie­ben von James Ali­s­ta­ir Hen­ry und ist 2025 erschie­nen. In die­sem 21. Jahr­hun­dert ist das Chris­ten­tum eine klei­ne, unbe­deu­ten­de Sek­te geblie­ben. Die Zen­tren der Welt lie­gen in Asi­en und Afri­ka. Groß­bri­tan­ni­en, wie wir es ken­nen, exis­tiert nicht. Statt­des­sen gibt es eine nor­di­sche schot­ti­sche Repu­blik, angel­säch­si­sche König­rei­che, unter einem Hoch­kö­nig ver­eint, und kel­ti­sche Ureinwohner*innen in wali­si­schen Reser­va­ten. Dazu Mobil­te­le­fo­ne, Droh­nen, ein mul­ti­kul­tu­rel­les Lon­don, das genau­so ger­ne von afri­ka­ni­schen Tourist*innen besucht wird wie die wil­den Wäl­der und Hügel. In die­sem Set­ting ver­sucht ein unglei­ches Paar einen Kri­mi­nal­fall zu lösen: die aus der angel­säch­si­schen Eli­te stam­men­de Aedith, die schräg dafür ange­schaut wird, dass sie so etwas bana­lem wie Lohn­ar­beit bei der Poli­zei nach­geht, und der ihr zuge­teil­te Inspektor(-Schamane) Dru­stan aus dem kel­ti­schen Wes­ten – denn es geht dar­um, einen Mord an einem Kel­ten auf­zu­klä­ren. Frei­heits­be­we­gun­gen, All­tags­ras­sis­mus, Mode­trends, eine pik­ti­sche Hacke­rin und Ver­schwö­run­gen, die bis zum Königs­hof rei­chen run­den den Roman ab. Hat mir gut gefal­len, hät­te jetzt ger­ne wei­te­re Roma­ne in die­sem Setting.

Von John Scal­zi habe ich The Shat­te­ring Peace (2025) gele­sen, gut gemach­te Space Ope­ra in sei­nem Old-Man‘s‑War-Universum. Beson­ders in Erin­ne­rung geblie­ben sind mir schrä­ge Ali­ens, eine unwahr­schein­li­che Hel­din und die mul­ti­ver­sa­len Geo­po­li­ti­ken zwi­schen der Con­cla­ve der Ali­ens, der iso­lier­ten Erde und der Colo­ni­al Uni­on der einst­mals von der Erde kolo­nia­li­sier­ten Planeten. 

Zuletzt ein Buch, das ich als intro­ver­tiert bezeich­nen wür­de (und bei dem ich gar nicht so sicher bin, ob eine Ein­ord­nung ins Gen­re eigent­lich stimmt) – Char­lie Jane Anders Les­sons in Magic and Dis­as­ter (2025). Eigent­lich ist das Buch vor allem eine sehr genaue Beob­ach­tung fami­liä­rer – hier: quee­rer – Dyna­mi­ken, eine Mutter-(trans) Toch­ter-Geschich­te, in der es auch um sozia­le Bewe­gun­gen und den rech­ten Back­lash geht, um die Innen­sicht des aka­de­mi­schen Betriebs und um das Trau­ma, das ein Krebs­tod bei den Ange­hö­ri­gen aus­lö­sen kann, die sich Vor­wür­fe machen, sich nicht früh genug geküm­mert zu haben. Eine zwei­te Ebe­ne des Buchs ist das aka­de­mi­sche Inter­es­se der Hel­din: die eng­li­sche Novel­le des 18. Jahr­hun­derts, bei der zwi­schen den Zei­len – in Novel­le und bege­lei­ten­dem Brief­wech­sel – gele­sen sicht­bar wird, was damals nicht offen gesagt wer­den konn­te. Im Nach­wort geht Anders dar­auf ein, wel­che Zita­te und Autor*innen erfun­den sind und wel­che nicht; auch das: durch­aus lehr­reich. Soweit rea­lis­ti­sche Lite­ra­tur at its best – wäre da nicht die drit­te Ebe­ne, ein Hauch von Magie, eine zar­te Form der Hexe­rei an limi­na­len Orten. 

Science Fiction und Fantasy im September 2025

Night clouds, Gundelfingen

Im Sep­tem­ber fand ich weni­ger Zeit zum Lesen als übli­cher­wei­se. Das hat ver­schie­de­ne Grün­de; neben einem Fokus auf Seri­en – und einem Buch, mit dem ich mich schwer getan habe – habe ich grö­ße­re Tei­le mei­ner Frei­zeit mit einem Python-Pro­jekt gefüllt. Aber genug der Vorrede:

Auf dem Bild­schirm gese­hen haben wir den Mine­craft-Movie, den ich aller­dings arg quat­schig und nicht wirk­lich über­zeu­gend fand. Ja, der Film hat den einen oder ande­ren lus­ti­gen Moment, die eine oder ande­re Figur, die Empa­thie her­vor­ruft – ins­ge­samt ähnelt der gan­ze Plot jedoch einem Schwamm. 

Ich blei­be bei den eher ent­täu­schen­den Film­erleb­nis­sen: die rest­li­chen Fol­gen der drit­ten Staf­fel von Star Trek: Stran­ge New Worlds (Para­mount+) tru­gen lei­der wei­ter zum sehr durch­wach­se­nen Ein­druck die­ser Staf­fel bei. Ohne zu viel zu ver­ra­ten, lässt sich das Staf­fel­fi­na­le doch eher als Fan­ta­sy mit einem dün­nen SF-Fir­nis beschrei­ben. Der Druck, an TOS anzu­schlie­ßen, scheint lei­der zuneh­mend den krea­ti­ven Spiel­raum hin­sicht­lich Plot und Figu­ren­ent­wick­lung ein­zu­schrän­ken – statt des­sen wer­den selt­sa­me Expe­ri­men­te gestar­tet. Bleibt zu hof­fen, dass die drit­te Staf­fel eher einen Durch­hän­ger dar­stellt und es mit der vier­ten wie­der auf­wärts geht.

Ange­fan­gen haben wir die zwei­te Wed­nes­day-Staf­fel (Net­flix). Die zwei­te Fol­ge war bes­ser als die teil­wei­se arg ober­fläch­li­che und ste­reo­ty­pe ers­te Fol­ge. (Mehr ‚Emi­ly the Stran­ge‘ als Addams-Fami­lie, falls das jemand etwas sagt …). Es soll bes­ser wer­den, habe ich gehört – mal sehen, wie es weitergeht.

Rich­tig begeis­tert bin ich dage­gen von Arca­ne (Net­flix). Viel­schich­ti­ge Figu­ren in einer eben­so viel­schich­ti­gen wie schil­lern­den Fan­ta­sy-Welt, und das alles gra­fisch und musi­ka­lisch hoch inno­va­tiv umge­setzt – sie­he https://mashable.com/article/netflix-arcane-league-of-legends-animation. Lei­der gibt es nur zwei Staf­feln, der zwei­ten (die ich zu zwei Drit­teln eben­falls bereits gese­hen habe) ist anzu­mer­ken, dass da sehr viel Geschich­te mas­siv ver­dich­tet wur­de; scha­de, dass dem nicht mehr Raum gege­ben wird. So oder so: eine Emp­feh­lung für alle, die gra­fisch umge­setz­te Fan­ta­sy ohne kla­re Gut-Böse-Dicho­to­mie mögen.

Dann zu den Büchern. Ger­ne gele­sen habe ich das Debut von Emi­ly Pax­man, Death on the Cal­de­ra (2025). Der Roman ist mehr­schich­tig, und die Beschrei­bung „Mord­fall im Ori­ent Express“ in einem Fan­ta­sy-Reich (bzw. genau­er gesagt: in einem zwi­schen meh­re­ren Fan­ta­sy-Rei­chen umkämpf­ten Gebiet) trifft es nur teil­wei­se. Es geht um Roman­zen, um Wider­stands­kämp­fe, um den Anbruch einer indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on, um alte Vul­kan­gott­hei­ten und ein Königs­haus mit inter­es­san­ten Gebräu­chen, um Hexe­rei und um diver­se, recht cle­ve­re Magie­sys­te­me. Und ja, das alles hat auch etwas mit einem Zug zu tun, und ist recht packend erzählt. 

Eben­falls sehr ger­ne gele­sen habe ich den neus­ten Roman von R.F. Kuang, Kat­aba­sis (2025), der es auch auf diver­se Best­sel­ler­lis­ten geschafft hat; samt Por­träts der Autorin bei gro­ßen Medi­en­häu­sern – erst dadurch ist mir bewusst gewor­den, dass sie nicht nur Babel geschrie­ben hat, son­dern im „Litfic“-Feld schon mit ande­ren Büchern recht erfolg­reich war. Wenn ich nach Gemein­sam­kei­ten zwi­schen bei­den Büchern suchen woll­te, dann wäre das der Innen­blick auf bri­ti­sche Uni­ver­si­tä­ten (hier Cam­bridge), eine dezi­diert post­ko­lo­nia­le Per­spek­ti­ve und Magie. Da hört es dann aber auch fast schon wie­der auf. Kat­aba­sis, der grie­chi­sche Begriff für den Abstieg in die Unter­welt, spielt in einer unde­fi­nier­ten nahen Ver­gan­gen­heit, ich wür­de auf die 1980er oder 1990er Jah­re tip­pen. Ali­ce Law, die Haupt­per­son des Buches, ist dabei, in Cam­bridge ihre Pro­mo­ti­on abzu­schlie­ßen – in dem Feld der „Ana­ly­ti­cal Magick“. Magie in Babel beruh­te auf Spra­che; für Kat­aba­sis hat sich Kuang ein Magie­sys­tem aus­ge­dacht, dass alt­ehr­wür­dig ist und bis zu grie­chi­schen (und chi­ne­si­schen) Klas­si­kern zurück­reicht, das auf mit Kalk (und der Lebens­en­er­gie von Jahr­mil­lio­nen alten Orga­nis­men) gezeich­ne­te Pen­ta­gram­me setzt, und in des­sen Kern Para­do­xa ste­hen. In die­sem Buch ist dar­aus ein typi­sches aka­de­mi­sches Feld gewor­den, mit renom­mier­ten ehr­wür­di­gen Pro­fes­so­ren und Außenseiter*innen, mit einem Kanon und apo­kry­phi­schen Tex­ten, mit Kon­fe­ren­zen und mit der Aus­beu­tung von Nachwuchswissenschaftler*innen, die bis spät abends im Labor schuf­ten, um doch noch den Dreh hin­zu­krie­gen. Getrie­ben vom Ehr­geiz, selbst zu glän­zen, getrie­ben von Neu­gier­de – und letzt­lich doch nur Aus­ge­beu­te­te in einem auf weni­ge „genia­le“ Köp­fe zulau­fen­den Sys­tem. Was Kuang hier beschreibt, klingt erst ein­mal nach einem etwas reflek­tier­te­ren Cam­pus­ro­man. Sie belässt aber nicht dabei, denn an die aka­de­mi­sche Vor­höl­le schließt sich der wort­wört­li­che Abstieg in die mit aller­hand Quer­ver­wei­sen gespick­te Höl­le an. Moti­va­ti­on bei Law (und ihrem Kol­le­gen): den kürz­lich bei einem Unfall ver­stor­be­nen Dok­tor­va­ter zurück in die Welt der Leben­den holen, damit die­ser die letz­te Prü­fung abneh­men kann, die vor dem eige­nen aka­de­mi­schen Auf­stieg steht. Es kommt anders – und Kuang zeich­net die myso­gy­ne und von Ehr­geiz zer­fress­se­ne aka­de­mi­sche Welt dabei genau­so dras­tisch wie die Tor­tu­ren, die die Höl­le als Spie­gel Cam­brid­ges bereit­hält. Ein Trip – mit einem über­ra­schen­den Ende.

Ganz pas­send zu die­sen bei­den Büchern und den oben genann­ten Fil­men der klei­ne Band Char­lie N. Holmberg’s Book of Magic (2024) – eine flott geschrie­be­ne Ein­füh­rung dazu, wie Autor*innen kon­sis­ten­te und inno­va­ti­ve Magie-Sys­te­me ent­wi­ckeln. Der Band deckt von magi­schen Gegen­stän­den über Ener­gie­quel­len und Kos­ten bis zum Blick auf die Kon­se­quen­zen (etwa auf Kriegs- und Staats­füh­rung) alles ab, was beim Schrei­ben eines auf Magie set­zen­den Buches oder einer Geschich­te zu beach­ten ist, und berei­tet Lust, genau das zu tun. Der Band eig­net sich gleich­zei­tig, um einen ana­ly­ti­schen Blick dar­auf zu wer­fen, wie Autor*innen ein­set­zen – gera­de bei Arca­ne spie­len bei­spiels­wei­se die Kos­ten, Begren­zun­gen und sozia­len Aus­wir­kun­gen der dort im Kern ste­hen­den „Hex­tech“ eine gro­ße Rol­le, und die bei­den genann­ten Bücher leben eben­falls zu einem gro­ßen Teil davon, dass die Autorin­nen sich Magie­sys­te­me aus­ge­dacht haben, die nicht iso­liert ste­hen, son­dern in ein sozio­tech­ni­sches Sys­tem ein­ge­bun­den sind. 

Damit kom­me ich zum Schluss zu dem Buch, das ich nicht zu Ende gele­sen habe, son­dern nach zwei Drit­teln abge­bro­chen habe – zu zäh war es, zu sehr war das Feh­len eines ordent­li­chen Lek­to­rats spür­bar. Dabei ist die Grund­idee von Cir­cle for the Earth (2025) von Daph­ne Sin­ging­tree durch­aus inter­es­sant: ein 30-Mei­len-Kreis rund um ein im Mit­tel­punkt ste­hen­des Casino/Tagungshotel auf Lako­ta-Stam­mes­land in South Dako­ta wird mit allem drum und dran aus unse­rer Gegen­wart in die Ver­gan­gen­heit ver­setzt, genau­er gesagt ins Jahr 1791. Rund 10.000 Men­schen müs­sen sich in die­ser Situa­ti­on zurecht­fin­den – aus zwei Coun­ties und zwei Reser­va­ten ent­steht Chan­g­les­ka, ein aus Sicht der Autorin an Solar­punk-Ideen ori­en­tier­ter Staat, der die Geschich­te der Ver­ei­nig­ten Staa­ten ändern könn­te. Das Buch bie­tet sehr aus­führ­li­che Beschrei­bun­gen nicht nur der Gefühls­zu­stän­de eines dut­zend Fokus­per­so­nen, son­dern auch der tech­ni­schen und poli­ti­schen Grund­la­gen von Chan­g­les­ka. Was bis zu dem Punkt, wo ich abge­bro­chen habe, aber so gut wie nicht statt­fin­det, sind Begeg­nun­gen zwi­schen den Men­schen aus unse­rer Zeit und der Welt der Ver­gan­gen­heit – es wer­den nach zwei Drit­teln des Buches gera­de ein­mal ers­te Füh­ler hin zu den in der Nähe leben­den Lako­ta aus dem Jahr 1791 und die dar­aus ent­ste­hen­den Miss­ver­ständ­nis­se beschrie­ben. Dafür sind bis dahin schon meh­re­re Mor­de, Atten­ta­te, Raub­über­fäl­le etc. pas­siert; die 10.000 Men­schen schaf­fen es, hart gegen­ein­an­der zu arbei­ten. Mög­li­cher­wei­se beschreibt das die Gegen­wart South Dako­tas ganz gut, mir erschien es ein biss­chen viel. Der Zufall bringt vie­le Ärzt*innen und ein paar klu­ge Leu­te mit in die Ver­gan­gen­heit; mit das ers­te, was sie tun, ist ein neu­es, zen­sier­tes Inter­net auf­zu­bau­en, das prak­ti­scher­wei­se vor­han­de­ne Geo­ther­mie-Kraft­werk des Res­sorts wird eine gro­ße Rol­le spie­len, und aus­führ­lich wird auch beschrie­ben, wie so schnell wie mög­lich ein neu­es Geld­sys­tem auf­ge­baut wird. Ach so: Alte und Kran­ke ster­ben lei­der, lei­der, weil es nicht genug Medi­ka­men­te gibt. Aber dadurch wer­den Plät­ze in Hei­men frei – Unter­kunfts­pro­blem gelöst. Wie schnell wel­che Tech­no­lo­gie fehl­schlägt, und wie schnell – ohne jeden Kon­takt – das Mind­set des 18. Jahr­hun­derts über­nom­men wird, über­rascht eben­so wie die Tat­sa­che, dass für ein Buch, das sich selbst Solar­punk zuord­net, Geld, Waf­fen und eher abschät­zi­ge Beschrei­bun­gen vega­ner Ernäh­rungs­sti­le eine gro­ße Rol­le spie­len. Irgend­wann war mein Ärger dar­über dann grö­ßer als mei­ne Neu­gier­de dar­an, wie die Autorin denn die tat­säch­li­che Begeg­nung mit der Welt des 18. Jahr­hun­derts beschrei­ben würde.

Science Fiction und Fantasy im August 2025

Night photography III

Ich fan­ge mit einem Buch an, das eigent­lich eher ein Sach­buch ist – Mark McCau­gh­re­ans „Rei­se­füh­rer“ 111 places in space that you must not miss (2023). Der Titel beschreibt eigent­lich auch schon ganz gut, was es mit die­sem Buch auf sich hat, das wohl tat­säch­lich in einer Rei­he erschie­nen ist, die auch jeweils 111 „ber­eis­ba­re“ Zie­le anders­wo zusam­men­bringt. Die 111 Orte im Welt­raum sind in drei Abtei­lun­gen unter­teilt, die sich mit dem Son­nen­sys­tem, der Milch­stras­se und dem Rest des Uni­ver­sums befas­sen. Etwas irri­tiert hat­te mich zuerst, dass die Objek­te, die jeweils mit einer Sei­te Text und einem Foto vor­ge­stellt wer­den, inner­halb die­ser drei Abtei­lun­gen alpha­be­tisch sor­tiert sind. Ich hät­te eine Sor­tie­rung nach Ent­fer­nung zur Erde erwar­tet. McCau­gh­re­an beschreibt mit einer leicht iro­ni­schen Note die unter­schied­li­chen Objek­te, die von Mond und ISS bis zu Deep-Field-Auf­nah­men und der kos­mi­schen Hin­ter­grund­strah­lung rei­chen. Inter­es­san­ter­wei­se hat die­ser Rei­se­füh­rer auf mich eher den Effekt, noch ein­mal deut­lich zu machen, wie groß und lebens­feind­lich das Welt­all ist … das wird nicht nur in den Rei­se­zei­ten sicht­bar, die bei den wei­ter ent­fern­ten Objek­ten ger­ne mal bei „Mil­lio­nen Jah­re mit Licht­ge­schwin­dig­keit“ lie­gen, aber selbst im Son­nen­sys­tem wird deut­lich, dass neben dem Mond, Hub­ble und ISS (und bei einer Rei­se­zeit von min­de­tens 9 Mona­ten: dem Mars) selbst z.B. die Jupi­ter­mon­de wohl für ent­spre­chend lan­ge flie­gen­de Son­den, aber eben nicht für mit Men­schen besetz­te Raum­schif­fe erreich­bar sind. Und dass es, dort ein­mal ange­kom­men, ganz schnell zu Pro­ble­men mit Strah­lung kom­men wür­de. Und auch zum Mars schreibt der Autor „will kill you“. Inso­fern: ein gutes Sach­buch über den Stand unse­res Wis­sens über das Son­nen­sys­tem, die Milch­stra­ße und unse­re loka­len Super­struk­tu­ren, aber auch ein Buch, das komi­sche Dimen­sio­nen ver­deut­lich und klar macht, dass die Prä­mis­sen selbst „har­ter“ SF-Seri­en wie The Expan­se weit jen­seits der Rea­li­tät lie­gen. Von Warp-irgend­was gar nicht zu sprechen.

Und wo ich gera­de bei Sach­bü­chern bin: als Ergän­zung zu mei­ner Rei­se nach Kopen­ha­gen habe ich das Buch The Sto­ry of Scan­di­na­via (2023) des Poli­tik­wis­sen­schaft­lers Stein Rin­gen gele­sen. Rin­gen fängt bei den Wikinger*innen an und endet – nach inten­si­ver Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ent­ste­hung der König­rei­che und spä­ter einer luthe­ria­nisch ein­ge­färb­ten Sozi­al­de­mo­kra­tie – in den 2020er Jah­ren. Ich fand das Buch auf­schluss­reich für ein Ver­ständ­nis, wie Däne­mark, Nor­we­gen und Schwe­den sich ent­wi­ckelt haben, und wie die drei Län­dern in wech­seln­den Kon­stel­la­tio­nen zusam­men und gegen­ein­an­der gewirkt haben. Im Kon­text SF und Fan­ta­sy rele­vant: Rin­gen macht u.a. deut­lich, dass wir uns die Wikinger*innen wohl am ehes­tens als War­lords vor­stel­len müs­sen, die Bru­ta­li­tät zu einem Mar­ken­zei­chen mach­ten, dass dann euro­pa­weit bekannt und gefürch­tet wur­de (und die nicht zuletzt Skla­ven­han­del betrie­ben). Aus den War­lords wur­den dann ab etwa dem 10. Jahr­hun­dert, Köni­ge (u.a. Harald Blau­zahn und Knud der Gro­ße), die aber – so Rin­gen – nichts blei­ben­des hin­ter­lie­ßen. Und die Beschrei­bun­gen der Intri­gen der unter­schied­li­chen hoch­mit­tel­al­ter­li­chen Herrscher*innen erin­ner­te doch stark an „Game of Thro­nes“ – bis hin Bru­der­mor­den und zu Ein­la­dun­gen aller Wich­ti­gen zu Fest­mäh­lern, die im Blut­bad enden. (Eigent­li­cher Kern des Buchs ist die Fra­ge, wie aus die­sem Cha­os Demo­kra­tien und nach dem 2. Welt­krieg der skan­di­na­vi­sche Wohl­fahrts­staat ent­ste­hen konn­ten – auch das durch­aus inter­es­sant; inter­es­sant auch der Blick auf das Han­deln Däne­marks (weit­ge­hend akzep­tier­te Beset­zung, Kol­la­bo­ra­ti­on), des als Natio­nal­staat jun­gen Nor­we­gens (Beset­zung mit Wider­stand und einer flie­hen­den Exil­re­gie­rung) und Schwe­dens (Neu­tra­li­tät und Waf­fen­ver­käu­fe) in der Nazizeit.) 

An SF gele­sen habe ich die ers­ten bei­den Bän­de der „Kin­dom Tri­lo­gy“ von Betha­ny Jacobs, The­se Bur­ning Stars (2023) und On Vicious Worlds (2024); der drit­te Band wird noch in die­sem Jahr erschei­nen. Die Bücher ver­bin­den Aspek­te aus bei­den Sach­bü­chern: sie spie­len in einem sich über meh­re­re Son­nen­sys­te­me erstre­cken­den Impe­ri­um („The Treb­le“); und stel­len­wei­se wird es sehr blu­tig und bru­tal mit Blick auf Nach­fol­ge­kämp­fe und Rache­ak­te. Ins­be­son­de­re inner­halb und zwi­schen den „First Fami­lies“ und den drei Säu­len des „Kin­dom“ (Priester*innen der poly­the­is­ti­schen Reli­gi­on; Ver­wal­tung und Jus­tiz; und die „bru­tal hand“ mit ihren Killer*innnen). Zusam­men­ge­hal­ten wird „The Treb­le“ von einem ener­gie­rei­chen Mine­ral (Jevi­te bzw. in der syn­the­ti­schen Form Sevi­te), das u.a. Sprün­ge durch „Gates“ erlaubt. Inter­es­san­ter als die diver­sen Kämp­fe (sag­te ich schon, dass es sehr blu­tig und bru­tal wird?) sind die von Jacobs skiz­zier­ten Inter­es­sen­la­gen und orga­ni­sa­to­ri­schen Ver­krus­tun­gen – bei­spiel­wei­se hat die Fami­lie einer der Haupt­per­so­nen das Mono­pol auf die­sen Mine­ral; die in der Ver­ar­bei­tung von Sevi­te beschäf­tig­ten Über­le­ben­den eines Geno­zids – die Jeve­ni – sind mit ihrer Lage nicht zufrie­den usw. Und ziem­lich viel ist anders, als es am Anfang scheint. Gut gefal­len hat mir an die­ser Space Ope­ra auch, dass eini­ge der Trau­ma­ta und sozia­len Ängs­te eini­ger Haupt­per­so­nen klar the­ma­ti­siert wer­den. Egal, wie sehr sie die Held*innen die­ser Geschich­te sind. Ich bin auf den drit­ten Band gespannt – der zwei­te ende­te ziem­lich abrupt mit einer fie­sen Enthüllung.

Auch Space Ope­ra, aber kom­plett anders, ist die online ver­öf­fent­lich­te Novel­le The Epi­pha­ny of Glie­se 581 von Fer­nan­do Bor­ret­ti (2022), die ein biss­chen an Greg Egan erin­nert. Viel spielt hier in dia­mant­ba­sier­ten Com­pu­ter­sub­tra­ten, und Menschen/transhumane Wesen, die sich selbst down­loa­den und per Mate­rie­druck repro­du­zie­ren kön­nen, tun sich ein biss­chen ein­fa­cher damit, ferns­te Son­nen­sys­te­me zu erfor­schen – oder wie hier: auf­zu­klä­ren, wie eine voll­endes trans­hu­ma­ne „Gott­heit“, die den namens­ge­ben­den Stern Glie­se 581 nach eige­nem Bild gestal­tet hat, zu Tode kam. 

Gele­sen habe ich und sehr emp­feh­len kann ich dann noch das gera­de erschie­ne­ne Auto­ma­tic Nood­le (2025) von Anna­lee Newitz. Wäh­rend ich mit ihren Ter­ra­for­mern nicht so viel anfan­gen konn­te, hat mir die­se eher cozy Geschich­te gut gefal­len: im Kern geht es um vier sehr unter­schied­li­che Robo­ter (und einen Men­schen), die übrig blei­ben, als eine Möch­te­gern-Fast­food-Ket­te ihr Geschäft auf­gibt. Das gan­ze spielt in San Fran­cis­co, in einem Kali­for­ni­en, das sich gera­de in einem blu­ti­gen Krieg von Ame­ri­ka abge­spal­tet hat, und das – anders als die Rest-USA – unter bestimm­ten Bedin­gun­gen men­schen­ähn­li­che Robo­ter mit Rech­ten aus­stat­tet – was ande­re nicht davon abhält, Vor­ur­tei­le zu äußern. Mit viel Lie­be zum Detail erzählt Nee­witz, wie aus dem Fast­food-Shop ein auf Biang-Biang-Nudeln spe­zia­li­sier­tes Restau­rant wird (da erin­ner­te mich das eine oder ande­re an Sourdough) – und wie dabei die ganz unter­schied­li­chen Robo­ter-Per­sön­lich­kei­ten mit ihren Stär­ken (und Schwä­chen und Trau­ma­ta) zusam­men­fin­den. (Lesens­wer­tes Inter­view mit Newitz dazu.)

In gewis­ser Wei­se gut dazu gepasst hat der Film Chap­pie (2015, lief auf Net­flix), den ich eher zufäl­lig aus­ge­wählt habe. Hier geht es um auto­no­me Poli­zei­ro­bo­ter in Johan­nis­burg und was pas­siert, als eine*r davon ein Bewusst­sein bekommt und bei einer von „Die Ant­wo­ord“ gespiel­ten Gangs­ter­fa­mi­lie auf­wächst. Regis­seur Neill Blom­kamp legt an man­chen Stel­len zu dick auf, der Film kann sich manch­mal nicht ent­schei­den, ob er jetzt Thril­ler, Hip-Hop-Gangs­ter­ko­mö­die oder Robo­ter-Reflek­ti­on sein möch­te – unter­halt­sam war’s trotz­dem. Ins­be­son­de­re mit dem zum Zeit­punkt die­ses Films noch nicht abseh­ba­ren AI-Hype im Hinterkopf.

Wei­ter­ge­guckt habe ich außer­dem Foun­da­ti­on und Star Trek: Stran­ge New Worlds – wobei ich hier von Fol­ge 6 („The Seh­lat Who Ate Its Tail“) ins­ge­samt eher begeis­tert war, und mit den Fol­gen 7 („What Is Star­fleet?“) und 8 („Four-and-a-Half Vul­cans“) nicht so viel anfan­gen konnte. 

Begon­nen und dann gleich bin­ge­ge­watcht habe ich die ers­te Staf­fel von Silo (Apple TV, 2023), der Ver­fil­mung der Bücher Wool, Shift und Dust von Hugh How­ey. Die Serie spielt (zumin­dest in der ers­ten Staf­fel) fast aus­schließ­lich in einer rie­si­gen Unter­grund­stadt, dem titel­ge­ben­den Silo, das von selt­sa­men Regeln (Trep­pen­stei­gen zwi­schen den 144 Stock­wer­ken!, kei­ne Mikro­sko­pe!) beherrscht wird. Drau­ßen ist böse – jeden­falls ist das die mit gro­ßem Auf­wand auf­recht erhal­te­ne herr­schen­de Mei­nung. Und Arte­fak­te aus der Zeit davor sind eben­falls ver­bo­ten. Durch einen geschick­ten Kniff ver­bin­det die Serie die Gescheh­nis­se im unters­ten Level – hier küm­mern sich Mechaniker*innen dar­um, dass alles läuft – der Mit­tel­schicht und der Eli­te des Silos in den obe­ren Leveln. Die Haupt­per­so­nen und deren Che­mie unter­ein­an­der ist dann auch Grund genug, über das eine oder ande­re Plot­ho­le hin­weg zu sehen (wie kommt eine seit vie­len Jahr­zehn­ten von der Außen­welt abge­schnit­te­ne Stadt mit 10.000 Men­schen an so Din­ge wie Kaf­fee oder Lötzinn?). 

Science Fiction und Fantasy im Juni (und z.T. Juli) 2025

Neckar, Esslingen

Eigent­lich hat­te ich mir vor­ge­nom­men, mir noch wei­te­re Tex­te für den Hugo anzu­gu­cken und einen etwas dif­fe­ren­zier­te­ren Stimm­zet­tel abzu­ge­ben. Her­un­ter­ge­la­den habe ich das Hugo-Voting-Paket schon mal, und bis zur fina­len Abstim­mung am 23. Juli ist eigent­lich auch noch etwas Zeit. We will see. Bei der Gele­gen­heit: ich sehe gera­de, dass Lyne­ham von Nils Wes­ter­boer (ich hat­te im Mai dar­über geschrie­ben) den Phan­tas­tik-Preis der Stadt Wetz­lar bekommt – das scheint mir eine sehr ver­dien­te Wahl zu sein. 

Jetzt aber zu mei­nem SF/F‑Konsum in den letz­ten Wochen. Wir haben Mur­der­bot (Apple TV) wei­ter­ge­schaut, das ist auch wei­ter­hin emp­feh­lens­wert. Die wöchent­li­che Ver­öf­fent­li­chung ver­hin­dert aller­dings Bin­ge-Wat­ching. Das hat Vor- und Nachteile. 

Dann habe ich mit der drit­ten Staf­fel von Wheel of Time (Prime, mit ärger­li­chen Wer­be­un­ter­bre­chun­gen) begon­nen. Die ist wei­ter­hin sehr gut anschau­bar, auch wenn das Geflecht der Hand­lungs­fä­den all­mäh­lich etwas unüber­sicht­lich wird. Und ich mich nicht erin­nern kann, wie jetzt eigent­lich genau die Vor-Vor-Geschich­te lautete.

Schließ­lich haben wir noch den bei Net­flix lau­fen­den Film Thun­der Force ange­guckt. Das gan­ze fir­miert unter der Rubrik „Action­co­me­dy“: zwei ehe­ma­li­ge Schul­freun­din­nen, die eine eher „White Trash“, die ande­re PoC und super­in­tel­li­gent – mit eben­so super­in­tel­li­gen­ter Toch­ter – suchen nach einem Weg, mutier­te Super­bö­se­wich­te zu stop­pen. Dazu müs­sen sie selbst Super­hel­din­nen wer­den. Es gibt fla­che Wit­ze, Krab­ben­fin­ger und den einen oder ande­ren unge­schön­ten Blick in den mit­tel­al­ten All­tag. Kann man angu­cken, aber gro­ßes Kino ist’s eher nicht.

Bei den Büchern star­te ich mal mit The Psy­cho­lo­gy of Time Tra­vel (2018) von Kate Mas­ca­ren­has, das ich sehr gelun­gen fand. Vier Frau­en arbei­ten im Groß­bri­tan­ni­en den 1960ern dar­an, eine Zeit­ma­schi­ne zu ent­wi­ckeln. Das gelingt, und drei davon bau­en die Con­cla­ve auf, die auch in der Gegen­wart und der Zukunft das Mono­pol auf Zeit­rei­sen hat, und zu eui­ner mäch­ti­gen extra­tem­po­ra­le Orga­ni­sa­ti­on wird. Zeit­rei­sen­de haben ihren ganz eige­nen Jar­gon ent­wi­ckelt, und tun das auch. Und das mit der Psy­cho­lo­gie im Titel ist eben­falls ernst gemeint – bis hin zu stan­dar­di­sier­ten Tests im Anhang. Um in der Con­cla­ve erfolg­reich zu sein, braucht es ein ganz eige­nes Mind­set – ohne Angst vor dem (eige­nen) Tod, mit Distanz zu allen Gegen­warts­be­zü­gen, und einem abge­klär­ten Zynis­mus. Auch in der Jetzt­zeit des Romans, 2017 sind die drei Grün­de­rin­nen der Con­cla­ve wei­ter in mäch­ti­gen Posi­tio­nen. Ganz anders die vier­te, Bar­ba­ra, die nach einem öffent­li­chen Ner­ven­zu­sam­men­bruch in den 1960er Jah­ren aus­ge­schlos­sen und ver­steckt wird. Ihre Enke­lin Ruby ver­sucht nun in der Gegen­wart, einen Mord­fall zu lösen, der etwas mit Bar­ba­ra zu tun hat. Dabei kreuzt sich ihr Weg sowohl mit Grace, einer der Grün­de­rin­nen der Con­cla­ve, als auch mit Odet­te, die die Lei­che einer Frau in dem Muse­um fin­det, in dem sie als Frei­wil­li­ge aus­hilft. Die Geschich­te ent­wi­ckelt ihre eige­ne Kau­sa­li­tät durch unter­schied­li­che, mit­ei­an­der ver­wo­be­ne Zeit­ebe­nen hin­durch – und steu­ert auf ein ab einer gewis­sen Stel­le erahn­ba­res letz­tes Puz­zle­stück zu. Ein klei­nes biss­chen Doc­tor Who, der eine oder ande­re nerdi­ge SF-Selbst­be­zug und ins­ge­samt end­lich mal ein über­zeu­gen­der Zeitreiseroman.

Eben­falls sehr anre­gend fand ich The Unra­ve­ling (2021) von Ben­ja­min Rosen­baum. (Ach­tung: unter dem Titel gibt es dut­zen­de Bücher!) Rosen­baum ent­wirft eine meh­re­re zehn­tau­send Jah­re in der Zukunft lie­gen­de Welt. Die Mensch­heit hat sich nach und nach über die Ster­ne aus­ge­brei­tet. Der Ort, an dem die Geschich­te spielt, befin­det sich im Inne­ren eines Pla­ne­ten, des­sen Ober­flä­che ein ein­zi­ger wil­der Wald ist. Mil­li­ar­den Men­schen leben hier. Die Kolo­ni­sie­rung ist längst fer­ne Vor­ge­schich­te, eben­so gibt es „far tech“ (die alten tech­ni­schen Hin­ter­las­sen­schaf­ten, von denen nie­mand so genau weiß, wie sie funk­tio­nie­ren) und „near tech“. Rosen­baum ist ein Meis­ter der Neo­lo­gis­men, vie­le davon uner­klärt, ande­re extrem tref­fend – das hilft, ein Gefühl für die Anders­ar­tig­keit die­ser Welt zu bekom­men, in der Men­schen und Tech­nik sich längst wei­ter­ent­wi­ckelt haben. Bio­lo­gisch, aber auch kul­tu­rell. Es gibt hier zwei Geschlech­ter – staid und vail; staid sind har­mo­nisch, eher intro­ver­tiert, leben für Gelehr­sam­keit und Ruhe – weiß geklei­det; vail sind extro­ver­tiert, kämp­fen ritua­li­siert und tra­gen bun­te Haut­far­ben, Haa­re und Moden. Men­schen haben meh­re­re Kör­per, die durch ein all­ge­gen­wär­ti­ges Netz ver­bun­den sind. Sie wer­den meh­re­re hun­dert Jah­re alt – die ers­ten hun­dert Jah­re gel­ten als Kind­heit. Fami­li­en bestehen aus zehn bis acht­zig Per­so­nen und müs­sen sich bewer­ben, ein Kind bekom­men zu kön­nen. Dar­über ent­schei­den die Heb­am­men – ent­spre­chend mäch­tig ist die­se Klas­se, und die all­ge­gen­wär­ti­ger Trans­pa­renz über den Feed jeder Per­son trägt ihr übri­ges zu einem hohen Maß an sozia­ler Kon­trol­le bei. In die­ser fas­zi­nie­ren­den und ori­gi­nel­len Welt schreibt Rosen­baum eine Coming-of-Age-Geschich­te von Fift, staid, drei Kör­per – und zire unan­ge­mes­se­ne Bezie­hung zu Shria, vail (ve ist angehende*r Genitaldesigner*in). Coming of Age – oder doch die Revo­lu­ti­on, die die­se sta­bi­le Welt aus­ein­an­der­fal­len las­sen wird? 

Von Melis­sa Scott habe ich deren Roman Fin­ders (2018) und die Pre­quel Fal­len (2023) gele­sen. Gut gemach­te Space Ope­ra in einer fer­nen Zukunft nach dem Kampf gegen die Super-AIs, die in den Raum zwi­schen den Uni­ver­sen ver­bannt wur­den (der aller­dings durch­quert wer­den muss, um mit Über­licht­ge­schwin­dig­keit von einem zum nächs­ten Sys­tem zu kom­men). Fin­ders erin­ner­te mich ein biss­chen an Fire­fly; dass die Held*innen ein Poly­cu­le bil­den, trägt mög­li­cher­wei­se auch dazu bei. 

Das Buch A Mas­ter of Djinn von P. Djè­lí Clark (2021) habe ich schon seit gerau­mer Zeit auf mei­nem vir­tu­el­len Lese­sta­pel lie­gen, konn­te mir aber kei­ne rech­te Vor­stel­lung davon machen, ob ich es lesen will. Nach­dem ich mich dazu auf­ge­rafft habe, kann ich es wei­ter­emp­feh­len: Clarks Roman (zu dem es wohl eine Kurz­ge­schich­te und eine Novel­le als Vor­ge­schich­te gibt, deren Ereig­nis­se im Buch refe­ren­ziert wer­den) ist auf einer Ebe­ne eine Kri­mi­nal­ge­schich­te: eine Agen­tin und die ihr gegen ihren Wil­len zuge­wis­se­ne Part­ne­rin ver­su­chen, einen Ritu­al­mord auf­zu­klä­ren. Das Buch dar­auf zu ver­kür­zen, wäre aber irre­füh­rend. Wir sind in Kai­ro, Anfang des 20. Jahr­hun­derts, und Ägyp­ten ist dank der Rück­kehr der Magie zu einer Welt­macht auf­ge­stie­gen. Elek­tri­zi­tät und magi­sche Wer­ke las­sen das Bild einer Steam­punk-Welt ent­ste­hen; eben­so ste­hen neue und alte Reli­gio­nen neben­ein­an­der. Fat­ma, die Agen­tin, ist Mus­li­min aus dem Sudan und trägt mit Vor­lie­be Anzug und Melo­ne in bun­ten Far­ben. Ihre Gelieb­te ver­ehrt die Löwen­göt­tin Sekhmet. Ihre Agen­ten-Part­ne­rin Hadi­da ist tra­di­tio­nel­le Mus­li­min. Die Behör­de, für die bei­de arbei­ten, küm­mert sich um magi­sche Wesen­hei­ten und Ereig­nis­se. Djinn leben und arbei­ten in Kai­ro – eine von vie­len ein­ge­wan­der­ten Popu­la­tio­nen. Was beginnt wie eng­li­sche Aben­teu­er­li­te­ra­tur der Jahr­hun­dert­wen­de, wird schnell zu einem rasan­ten post­ko­lo­nia­len Feu­er­werk. Und aus dem Kri­mi wird die Geschich­te einer magi­schen Kata­stro­phe, die es zu ver­hin­dern gilt. Das Buch ist zu recht mit eini­gen Prei­sen aus­ge­zeich­net worden.

Tho­se Bey­ond the Wall (2024) von Micai­ah John­son ist die Fort­set­zung von The Space Bet­ween Worlds. Die dor­ti­gen Neben­fi­gu­ren aus dem Kampf zwi­schen Ash­town und der von einer glä­ser­nen Wand umge­be­nen Wiley City sind hier die Haupt­per­so­nen, ins­be­son­de­re „Mr. Sca­les“, die (ille­gi­ti­me) Schwes­ter des Ash­town-War­lords und eine der Run­ner, der Rai­der, die Ash­town schüt­zen. Die Zukunft, die John­son ent­wirft, ist eine bru­ta­le – nach einer eska­lier­ten Kli­ma­ka­ta­stro­phe. Die Wüs­te, die Ash­town und Wiley City umgibt, ist lebens­feind­lich. Wiley City wur­de von den Men­schen gebaut, die jetzt in Ash­town leben müs­sen. Ver­spre­chen wur­den gebro­chen. Und die Wand zwi­schen den Mul­ti­ver­sen ist dünn – schaf­fen Ash­town und Wiley City es, sich zusam­men­zu­tun, um eine Inva­si­on aus einer par­al­le­len Welt zu ver­hin­dern? John­son erzählt leb­haft von einer rohen, gewalt­tä­ti­gen und ver­letzt­li­chen Welt, in der es doch so etwas wie Soli­da­ri­tät gibt; und Wut über Unge­rech­tig­kei­ten. Ob wir Mr. Sca­les Glau­ben schen­ken kön­nen, ist eine ande­re Fra­ge. Lesens­wert ist die­ses wüten­de Buch allemal. 

Weni­ger gut gefal­len hat mir The Only Song Worth Sin­ging von Ran­dee Dawn (2025). Eine iri­sche Band wird in den USA Ziel von Über­grif­fen aus dem Feen­reich. Urban Fan­ta­sy, vie­le kel­ti­sche Ein­spreng­sel, viel Musik, viel Band-Leben, ein biss­chen Armut in Irland, aber dann plötz­lich auch Mön­che, gute und böse Feen­we­sen und wel­ten­über­schrei­ten­de Lie­bes­ge­schich­te. Ein biss­chen viel. Aber eigent­lich bin ich schon stut­zig gewor­den, als die Slum-Hüt­te im länd­li­chen Dub­lin von Ter­mi­ten zer­nagt wur­de – da passt irgend­was nicht, selbst in den 1970ern, in denen die­se Sze­ne spielt. 

Science Fiction und Fantasy im Mai 2025

Wildtal walk - XXII

For All Man­kind (Apple TV) funk­tio­niert für mich ein­fach. Ich habe gera­de das Fina­le der Staf­fel 4 gese­hen (das in einer alter­na­ti­ven Rea­li­tät in einer Mars­ko­lo­nie im Jahr 2012 endet), und bin begeis­tert davon, weil die Serie es schafft, Poli­tik, halb­wegs plau­si­ble Wis­sen­schaft bzw. halb­wegs plau­si­bles Inge­nieur­we­sen und ganz unter­schied­li­che (zwischen-)menschliche Per­spek­ti­ven zu ver­ei­nen. Das Netz sagt, dass aktu­ell eine fünf­te Staf­fel gedreht wird – und ja: die will ich sehen, und bin schon ein biss­chen ungeduldig.

Eben­falls gut gefal­len haben mir die ers­ten paar Fol­gen der Mur­der­bot-Ver­fil­mung (eben­falls auf Apple TV). Nach­teil: die ein­zel­nen Fol­gen sind nur 20 Minu­ten lang, das ist … kurz. Die Mur­der­bot-Dia­ries von Mar­tha Wells, die der Serie zugrun­de lie­gen, hät­te ich jetzt eher in die Kate­go­rie „schwer ver­film­bar“ gepackt – vie­le inne­re Mono­lo­ge des titel­ge­ben­den Andro­iden, eine teil­wei­se nur skiz­zier­te Zukunfts­welt – das wur­de aber durch­aus anseh­bar umge­setzt, mit Voice-Over und Ein­blen­dun­gen der aug­men­tier­ten Sicht von Mur­der­bot. Und Sanc­tua­ry Moon, die star-trek-arti­ge (na ja, noch soa­pi­ge­re) Serie in den Büchern, kommt auch genau so rüber, wie eine sol­che Serie aus­se­hen muss. 

Apro­pos Star Trek – aus der aktu­el­len Black Mir­ror-Staf­fel (Net­flix) habe ich mir bis­her nur den zwei­ten Teil zur USS Cal­lis­ter ange­schaut. Was pas­siert, wenn ein sich selbst für harm­los hal­ten­der Nerd gott­glei­che Fähig­kei­ten in einem vir­tu­el­len Spie­le-Uni­ver­sum („Infi­ni­ty“) erhält, und dann auch nicht davor zurück­schreckt, Klo­ne ech­ter Men­schen dort ein­zu­set­zen – davon erzähl­te der ers­te Teil. Der zwei­te Teil beginnt dort, wo der ers­te ende­te: unse­re Haupt­per­so­nen sind als Klo­ne die Besat­zung der U.S.S. Cal­lis­ter, und statt Aben­teu­er zu erle­ben, und Wel­ten zu sehen, die nie ein Mensch zuvor gese­hen hat, haben sie sich dar­auf ver­legt, Gamer*innen aus­zu­rau­ben, um so an die nöti­gen Cre­dits für Treib­stoff und ähn­li­ches zu kom­men. Das fällt auch in der ech­ten Welt auf – womit eine zwi­schen bei­den Wel­ten wech­seln­de Ver­fol­gungs­jagd bis ins Inners­te von Infi­ni­ty beginnt. 

Weni­ger anfan­gen konn­te ich mit Love, Death, Robots (Net­flix) – die meis­ten der aktu­el­len Geschich­ten drif­te­ten für mich zu sehr ins Hor­ror-Gen­re (oder waren alter­na­tiv plat­te Welt­be­herr­schungs­ver­su­che nicht explo­die­ren­der Kat­zen); und auch der Aus­flug ins Schis­ma­trix-Uni­ver­sum von Bruce Ster­ling mit „Spi­der Rose“ ret­te­te die aktu­el­le Staf­fel nicht.

Gele­sen habe das beein­dru­cken­de neue Werk von Nils Wes­ter­boer, Lyne­ham (2025). Das Buch lässt in einen im wört­li­chen wie über­tra­ge­nen Sin­ne in Abgrün­de schau­en. Das Sze­na­rio wirkt erst ein­mal bekannt: eine Kata­stro­phe macht die Erde lebens­feind­lich („der Welt­raum kommt“ – erst im Lauf des Buchs wird klar, was damit gemeint ist), mit Hil­fe von Sta­sis-Schlaf schaf­fen es eini­ge Über­le­ben­de auf einen fer­nen Pla­ne­ten (hier: den Mond „Perm“ des Gas­pla­ne­ten „Wind­lei­te“, der einen blau­en Stern umkreist). Perm soll­te längst geter­ra­formt sein, ist es aber nicht. Die Ober­flä­che ist brü­chig. In der Tie­fe leben „die Seis­mi­schen“, rie­sen­haf­te Wesen, die mit tek­to­ni­schen Pro­zes­sen inter­agie­ren. Auf der Ober­flä­che hat die Evo­lu­ti­on nicht nur Elek­tro­fres­ser geschaf­fen, son­dern auch sechs­bei­ni­ge – und gut getarn­te – Amphi­bi­en- und Säu­ge­tier­ana­lo­ge. In die­ser feind­li­chen Umwelt spielt sich das Leben weit­ge­hend in dem geschlos­se­nen und kon­trol­lier­ten Habi­tat „Lyne­ham A/Lyneham B“ ab – ein Kon­zept, das die auf Perm leben­den Men­schen von der Erde mit­ge­bracht haben. Inter­es­sant wird Lyne­ham nicht zuletzt durch die Erzähl­wei­se Wes­ter­boers. Die eine Per­spek­ti­ve ist die von Hen­ry, der mit sei­nen Geschwis­tern und sei­nem Vater auf Perm crash­ge­lan­det ist. Noch kein Teen­ager, eine fast noch kind­li­che Sicht­wei­se. Hen­ry war­tet auf sei­ne Mut­ter. Die soll­te nach­kom­men – bzw. war schon da, vor 10.000 Jah­ren (Welt­raum­flü­ge über sehr lan­ge Distan­zen im Sta­sis-Schlaf …). Ihre Per­spek­ti­ve, die einer extrem begab­ten Wis­sen­schaft­le­rin und zugleich distan­zier­ten Ein­zel­gän­ge­rin mit sehr genau­er Beob­ach­tungs­ga­be, macht die ande­re Hälf­te des Buchs aus. Und da schau­en wir dann ein zwei­tes Mal in Abgrün­de, in ihre eige­nen genau­so wie in die Lang­zeit­plä­ne des Unter­neh­mers Ray­ser, für den Perm nur ein Spiel­ball ist. Nach und nach setzt sich das Puz­zle zusam­men. Und neben­bei dis­ku­tiert Wes­ter­boer damit eini­ge gro­ße Fra­gen. Kind­li­che Per­spek­ti­ve, gut geschrie­ben, aber alles ande­re als ein Kin­der­buch. Gro­ße Empfehlung!

Gut unter­hal­ten hat mich die Storm­wrack-Serie von A.M. Dell­a­mo­ni­ca (die unter dem Namen L.X. Beckett mit Game­ch­an­ger und Dealb­rea­k­er auch sehr emp­feh­lens­wer­te Solar­punk-Bücher geschrie­ben hat). Die drei Bän­de von Storm­wrack („The Hid­den Sea Tales“) sind Child of a Hid­den Sea (2014), A Daugh­ter of No Nati­on (2015) und The Natu­re of a Pira­te (2016). Storm­wrack ist der Name einer par­al­le­len (oder mög­li­cher­wei­se auch zeit­lich ver­setz­ten …) Erde, die fast voll­stän­dig von Was­ser bedeckt ist. Es gibt Segel­schif­fe, es gibt Pira­ten, es gibt über 250 Insel­na­tio­nen – und es gibt Magie. Was es nicht gibt, ist Neu­gier und eine sys­te­ma­ti­sche Wis­sen­schaft. Sophie Han­sa, unse­re Hel­din, lan­det eines Tages – beim Ver­such, ihre bio­lo­gi­sche Mut­ter zu fin­den – in einem Hand­ge­men­ge, und kurz dar­auf auf Storm­wrack. Sie, die eigent­lich Tauch­ex­pe­di­tio­nen als Foto­gra­fin beglei­tet und ein gro­ßes Inter­es­se an Wis­sen­schaft hat, wird in die poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen Storm­wracks hin­ein­ge­zo­gen: der über hun­dert Jah­re zurück­lie­gen­de Waf­fen­still­stand zwi­schen skla­ven­hal­ten­den und frei­en Natio­nen ist in Gefahr, und ihr Auf­tau­chen kata­ly­siert die damit ver­bun­de­nen Pro­ble­me noch. Gleich­zei­tig ist jeder der Storm­wrack-Bän­de auch ein biss­chen Detek­tiv­ge­schich­te (CSI und Wis­sen­schaft hel­fen), und love inte­rests (homo- wie hete­ro­se­xu­el­le) tau­chen natür­lich auch auf. Gut gefal­len hat mir an die­ser Rei­he die Tat­sa­che, dass Sophie unse­re Gegen­wart mit sich rum­trägt – Text­nach­rich­ten und digi­ta­le Kame­ras, nerdi­ge Bezü­ge auf Sci­ence-Fic­tion-Seri­en, aber auch Wert­vor­stel­lun­gen. All das bil­det einen her­vor­ra­gen­den Kon­trast zu der Segelschiff-Erde. 

Unter­hal­ten hat mich auch The Blue, Beau­tiful World (2023) von Karen Lord. Hier habe ich aller­dings erst nach dem Lesen gemerkt, dass das der drit­te Band einer län­ge­ren Serie ist. Ließ sich auch so ver­ste­hen, und den Rest als Pre­quel lesen woll­te ich dann doch nicht. Har­ry Potter/Model UN meets tele­pa­thisch begab­te Ali­ens berei­ten die Erde auf den Erst­kon­takt mit der galak­ti­schen Zivi­li­sa­ti­on vor. Durch­aus span­nend, die Cha­rak­te­re – ins­be­son­de­re der jun­ge Kanoa – wach­sen einem an Herz, aber so rich­tig warm gewor­den bin ich nicht. Viel­leicht, wenn ich nicht bei Band drei ange­fan­gen hätte.