Fundstück 2010-01: „Handy, nein danke!“

x_SDC15545 Lfd. Nr. 2010-01
Beschrei­bung
Der­zeit sind in der Hal­te­stel­len­wer­bung – wie auch im Zet­tel­aus­hang inner­halb der Stra­ßen­bah­nen der VAG – teil­wei­se Pla­ka­te zu sehen, auf denen ein Mann (ver­mut­lich Bun­des­trai­ner Jogi Löw) dar­ge­stellt ist, der gera­de ein Mobil­te­le­fon in der Hand hält. Das Bild wird durch einen Text ergänzt, der dazu auf­for­dert, eine SMS an eine bestimm­te Tele­fon­num­mer zu schi­cken, um so 4,82 Euro an den Müns­ter­bau­ver­ein zu spen­den. Als Gegen­leis­tung wird ein Klin­gel­ton „Müns­t­er­läu­ten“ ver­spro­chen.
An der Hal­te­stel­le Maria-von-Rud­l­off-Platz waren die­se Pla­ka­te mit klei­nen run­den Auf­kle­bern beklebt, auf denen mit roter Schrift auf blau­em Grund – der ein biß­chen ungleich­mä­ßig wirk­te – der Text „Han­dy NEIN DANKE!“ ver­merkt ist. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen sind den Auf­kle­bern nicht zu ent­neh­men.
Auf­fäl­lig ist, dass die Auf­kle­ber – meh­re­re pro Pla­kat – mehr oder weni­ger zufäl­lig ver­teilt sind. Die Opti­on, durch ein Über­kle­ben der SMS-Num­mer die Wer­be­wirk­sam­keit dras­tisch zu redu­zie­ren, wur­de – zumin­dest bei die­sem Pla­kat – nicht gewählt. 
Fund­ort Frei­burg, Rie­sel­feld, Hal­te­stel­le Maria-von-Rudloff-Platz Fund­da­tum 14. April 2010, mittags

Auf­takt zu einer neu­en Serie – mal schau­en, was dar­aus wird.

Natur/Gesellschaft: Technik an der Grenze – Beispiel Mobiltelefon

Fragestellung: Technik als Schnittstelle?

In mei­nem Pro­mo­ti­ons­vor­ha­ben beschäf­ti­ge ich mich mit dem Umgang mit all­täg­li­cher Tech­nik in Nach­hal­tig­keits­mi­lieus – ein Bei­spiel ist das Mobil­te­le­fon. An die­ser Stel­le möch­te ich aller­dings nur ein Detail her­aus­grei­fen, näm­lich pas­send zum The­ma „Grenz­über­schrei­tun­gen“ das Drei­ecks­ver­hält­nis zwi­schen „Gesell­schaft“, „Natur“ und „Tech­nik“ (Abb. 1). Zwi­schen den zwei For­men von Mate­ria­li­tät spannt sich ein Kon­ti­nu­um mit den Polen „Natur“, die ich als im Ver­hält­nis zum Men­schen unbe­streit­bar eigen­sin­ni­ge Mate­ria­li­tät defi­nie­re, und „Tech­nik“ als in Form gebrach­te und „infor­mier­te“ Mate­ria­li­tät. Am Bei­spiel des Mobil­te­le­fons sol­len nun unter­schied­li­che Ebe­nen dar­ge­stellt wer­den, auf denen Tech­nik an der Schnittstelle/Grenze zwi­schen Natur und Gesell­schaft agiert.

Abb. 1. Wechselwirkungen zwischen Materialität (Kontinuum 'Natur' – 'Technik') und Sozialität ('Gesellschaft')
Abb. 1. Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen Mate­ria­li­tät (Kon­ti­nu­um „Natur“ – „Tech­nik“) und Sozia­li­tät („Gesell­schaft“)

Theorien sozio-materieller Wechselwirkung

Im tra­di­tio­nel­len Blick der Sozio­lo­gie von Durk­heim bis Luh­mann zählt nur, was inner­halb der Gesell­schaft geschieht. „Natur“ wie „Tech­nik“ sind nur als kom­mu­ni­ka­ti­ve, also kul­tu­rel­le Reprä­sen­ta­tio­nen ver­tre­ten. Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen Sozia­li­tät und Mate­ria­li­tät wer­den igno­riert, eben­so die Tat­sa­che, dass sozia­le Prak­ti­ken (Reck­witz 2000; Sho­ve 2002) durch ihre mate­ri­el­len Grund­la­gen ulti­ma­tiv begrenzt sind und zugleich erst ermög­licht wer­den. Gleich­zei­tig trans­for­mie­ren Prak­ti­ken immer Mate­rie: gezielt in der Her­stel­lung z.B. einer tech­ni­schen Kon­fi­gu­ra­ti­on, aber eben­so in Form nicht inten­dier­ter und zuerst ein­mal „unsicht­ba­rer“ Hand­lungs­fol­gen (vgl. Beck 1986; Gid­dens 1992). Geziel­ten Trans­for­ma­tio­nen sind aller­dings auf­grund der mate­ri­el­len Eigen­dy­na­mik Gren­zen gesetzt (Picke­ring spricht von „mate­ri­al agen­cy“, Micha­el von „co-agen­cy“). Eine nicht in gesell­schaft­li­cher Selbst­be­schau ver­blei­ben­de Umwelt­so­zio­lo­gie muss die­se Bezü­ge auf­neh­men (vgl. Brand 1998); etwa im inter­dis­zi­pli­nä­ren Ansatz sozi­al-öko­lo­gi­scher For­schung (Becker/Jahn 2006). Über die bereits von Marx betrach­te­te Arbeits­welt (vgl. Görg 1999) hin­aus sind es Arte­fak­te, die die­se Wech­sel­wir­kun­gen im All­tag ver­mit­teln und verstärken.

Abb. 2. An der Praxis des Mobiltelefonierens beteiligte 'Akteure'
Abb. 2. An der Pra­xis des Mobil­te­le­fo­nie­rens betei­lig­te „Akteu­re“

Veranschaulichung am Beispiel Mobiltelefon

Eine heu­te sim­pel erschei­nen­de Pra­xis wie die Nut­zung eines Mobil­te­le­fons ist vor­aus­set­zungs- und fol­gen­reich. Neben der sozia­len Ein­bet­tung und kul­tu­rel­len Zuschrei­bun­gen (vgl. Bur­kart 2007) spielt dabei Mate­ria­li­tät eine gro­ße Rol­le (vgl. Agar 2003, Rel­ler et al. 2009). Das Arte­fakt Mobil­te­le­fon ist, getra­gen von viel­fäl­ti­gen „Akteu­ren“ (Abb. 2), in mehr­fa­cher Wei­se in die Ver­mitt­lung zwi­schen Natur und Gesell­schaft eingebunden:

1. Vor­aus­set­zung der Nut­zungs­pra­xis ist das Arte­fakt Mobil­te­le­fon als Pro­dukt eines glo­ba­len Her­stel­lungs­pro­zes­ses, der auf knap­pe Roh­stof­fe ange­wie­sen ist und der ris­kan­te Neben­ef­fek­te in der Roh­stoff­ge­win­nung und Pro­duk­ti­on aus­lö­sen kann.

2. Die Nut­zung des Mobil­te­le­fons ist an die Exis­tenz meh­re­rer Infra­struk­tu­ren gebun­den (Strom­netz; Funk­tür­me, um mobi­le Kom­mu­ni­ka­ti­on zu ermög­li­chen; IT), die wie­der­um fol­gen­reich sind.

3. Der meist dis­ku­tier­te Effekt wäh­rend der Nut­zung sind die Emis­sio­nen des Tele­fons und der Funk­tür­me („Elek­tro­smog“). Auch der ver­wen­de­te Ener­gie­mix ist nicht ohne Umwelt­fol­gen. Zudem wirkt das Arte­fakt selbst als mate­ri­el­ler Kör­per im Raum.

4. Am Ende der Gebrauchs­pha­se steht nicht nur die Ent­sor­gung (Elek­tro­schrott, Müll­hal­de, Recy­cling?), son­dern bei­spiels­wei­se auch der damit ver­bun­de­ne Ver­lust sel­te­ner Metalle.

5. Zu die­sen „direk­ten“ mate­ri­el­len Effek­ten kommt die Ebe­ne kom­mu­ni­ka­ti­ver Ver­mitt­lung: von der Land­schafts­wahr­neh­mung im Han­dy-Foto bis hin zur Umwelt­in­for­ma­ti­on per SMS.

Fehlende Verschränkung der Perspektiven

In sozio­lo­gi­scher Per­spek­ti­ve wird das Mobil­te­le­fon v.a. als per­so-nali­sier­tes, kul­tu­rell auf­ge­la­de­nes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um behan­delt, das sozia­le Bezie­hun­gen trans­for­miert. In öko­lo­gi­scher Per­spek­ti­ve steht das mög­li­che Gesund­heits­ri­si­ko im Vor­der­grund; in neue­rer Zeit kommt der Blick auf glo­ba­le Effek­te der Ver­wen­dung sel­te­ner Metal­le hin­zu. Dage­gen fehlt bis­her der sys­te­ma­ti­sche Blick auf die Ver­schrän­kung „mate­ri­el­ler“ und „dis­kur­si­ver“ Effek­te beim all­täg­li­chen Mobil­te­le­fo­nie­ren, bzw. auf deren Fehlen.

Zitierte Literatur

Agar, Jon (2003): Con­stant Touch. Cam­bridge: Icon Books.
Beck, Ulrich (1986): Risi­ko­ge­sell­schaft. Frank­furt am Main: Suhrkamp.
Becker, Egon; Jahn, Tho­mas (Hrsg.) (2006): Sozia­le Öko­lo­gie. Frank­furt am Main, New York: Campus.
Brand, Karl-Wer­ner (Hrsg.) (1998): Sozio­lo­gie und Natur. Opla­den: Leske+Budrich.
Bur­kart, Gün­ter (2007): Han­dy­ma­nia. Frank­furt am Main/New York: Campus.
Gid­dens, Antho­ny (1992): Die Kon­sti­tu­ti­on der Gesell­schaft. Frankfurt/ New York: Campus.
Görg, Chris­toph (1999): Gesell­schaft­li­che Natur­ver­hält­nis­se. Müns­ter: West­fä­li­sches Dampfboot.
Micha­el, Mike (2000): Recon­nec­ting Cul­tu­re, Tech­no­lo­gy and Natu­re: Lon­don: Routledge.
Picke­ring, Andrew (1995): The Mang­le of Prac­ti­ce. Chicago/London: Uni­ver­si­ty of Chi­ca­go Press.
Reck­witz, Andre­as (2000): Die Trans­for­ma­ti­on der Kul­tur­theo­rien. Wei­ler­swist: Velbrück.
Rel­ler, Armin et al. (2009): „The Mobi­le Pho­ne: Powerful Com­mu­ni­ca­tor and Poten­ti­al Metal Dis­si­pa­tor“, in GAIA 18, 2, 127–135.
Sho­ve, Eliza­beth (2002): Sus­taina­bi­li­ty, sys­tem inno­va­ti­on and the laun­dry. Lan­cas­ter: Lan­cas­ter University.

War­um blog­ge ich das? Text für ein Pos­ter für ein Pro­mo­vie­ren­den-Kol­lo­qui­um an der Uni­ver­si­tät Frei­burg – bin damit nicht so ganz zufrie­den (naja, vor allem unglück­lich über das von mir für das gewähl­te The­ma eher als ein­schrän­kend emp­fun­de­ne Pos­ter-For­mat) und woll­te das gan­ze mal in einem ande­ren For­mat und mit Feed­back-Mög­lich­keit sehen.

P.S.: War natür­lich der ein­zi­ge, der nicht genau gele­sen hat und A0 abge­lie­fert hat statt des erwünsch­te A1-For­mats, hat aber kei­ne gro­ße Rol­le gespielt. Das Pos­ter als PDF: Pos­ter „Natur/Gesellschaft“, Mile­sto­nes-Tagung 2009.

Die Freude, Papier in der Hand zu halten

Titel Mensch – Technik – Ärger?

Auch in digi­ta­len Zei­ten erfreut es einen – mich jeden­falls – dann doch immer noch, eige­ne Tex­te schwarz auf weiss gedruckt in der Hand zu hal­ten. In die­sem Fall han­delt es sich um mei­nen Bei­trag „Trans­for­ma­ti­on durchs Tele­fon?“, der im end­lich erschie­ne­nen Sam­mel­band Mensch – Tech­nik – Ärger? von Dori­na Gumm, Moni­que Lanneck, Roman Lan­ger und Edouard J. Simon ent­hal­ten ist. Eine Zusam­men­fas­sung der forst­re­le­van­te Sei­te davon ist schon vor ein paar Wochen in den Forst­tech­ni­schen Infor­ma­tio­nen (FTI) erschie­nen (und wird ab Herbst/Winter 2008 unter der FTI-Web­site auch online abruf­bar sein). 

Ziel des Sam­mel­ban­des – die Arbeit dazu begann schon im Herbst 2006 und zog sich u.a. des­we­gen lan­ge hin, weil es rein Review-Ver­fah­ren gab – war es, das The­ma „Immer Ärger mit der Tech­nik?“ inter- und trans­dis­zi­pli­när auf­zu­drö­seln. Ich habe dazu das Fall­bei­spiel Mobil­te­le­fon gewählt und mir ange­schaut, wie die­se kon­kre­te Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gie mit dazu bei­getra­gen hat bzw. dafür genutzt wur­de, Struk­tu­ren aus­ge­la­ger­ter Arbeit (Forst­dienst­leis­ter) in der Forst­wirt­schaft zu schaf­fen – und damit natür­lich auch ganz neue Poten­zia­le für Ärger. Den theo­re­ti­schen Hin­ter­grund dafür bil­de­te die Idee der Netz­werk­ge­sell­schaft, wie sie Cas­tells ent­wi­ckelt und neu­er­dings auch in Rich­tung Mobil­te­le­fon adap­tiert hat. Am forst­li­chen Bei­spiel wird sicht­bar, wie das Mobil­te­le­fon sowohl als nütz­li­ches Werk­zeug wie auch als „vir­tu­el­le Fes­sel“ fun­gie­ren kann – und dass dar­über, also auch über das Aus­maß an Ärger­lich­keit, weni­ger die Tech­nik selbst als viel­mehr die sozia­le Gestal­tung der Tech­nik­nut­zung, also die akzep­tier­ten Prak­ti­ken und Erwar­tun­gen ent­schei­den (wann darf das Mobil­te­le­fon aus­ge­schal­tet wer­den, ohne als Kleinst­un­ter­neh­mer wirt­schaft­li­che Sank­tio­nen erwar­ten zu müs­sen?). Inso­fern fin­den sich in mei­nem Text – im Samm­eband selbst wird er vor allem als Bei­trag zum The­ma Arbeits­welt dis­ku­tiert – auch über den forst­li­chen Kon­text hin­aus­ge­hen­de Anschlüs­se und Überlegungen.

Zum Sam­mel­band ins­ge­samt: er ist zwar trans­dis­zi­pli­när ange­legt, aber letzt­lich doch ziem­lich IT-las­tig gewor­den; Tech­nik wird in vie­len Bei­trä­gen sehr stark ein­ge­grenzt auf „infor­ma­ti­ons­tech­ni­sche Sys­te­me“, und vie­le AutorIn­nen haben einen direk­ten oder (selbst bei mir) zumin­dest indi­rek­ten Infor­ma­tik­hin­ter­grund. Das fin­de ich inso­fern ein biß­chen scha­de, als das Buch ins­ge­samt damit sei­nen eige­nen Anspruch nur teil­wei­se ein­löst. Trotz­dem sind für sich genom­men eini­ge sehr span­nen­de Bei­trä­ge her­aus­ge­kom­men. Für mich per­sön­lich fand ich vor allem drei Tex­te brauch­bar: Peter Bröd­ner zum „Elend com­pu­ter­un­ter­stüt­zer Orga­ni­sa­ti­on“, Paul F. Sie­gert zur Tech­nik­ge­schich­te der E‑Mail und den Abschluss­text von Roman Lan­ger et al., in dem ein Modell skiz­ziert wird, sozio­tech­ni­sche Sys­te­me zu erfor­schen, das vie­les aus der Tech­nik­so­zio­lo­gie auf­nimmt, was mir auch sinn­voll erscheint. Das mag aber je nach Inter­es­sen­schwer­punk­ten auch ganz anders aus­se­hen. Wer sich ganz kon­kret mit Infor­ma­ti­ons­tech­nik­so­zio­lo­gie (oder dem Bereich „Infor­ma­tik und Gesell­schaft“) befasst, wird eine gan­ze Men­ge mehr brauch­ba­res finden.

Lite­ra­tur­an­ga­ben
Gumm, Dori­na / Janneck, Moni­que / Lan­ger, Roman / Simon, Edouard J. (Hrsg.) (2008): Mensch – Tech­nik – Ärger? Zur Beherrsch­bar­keit sozio­tech­ni­scher Dyna­mik aus trans­dis­zi­pli­nä­rer Sicht. Müns­ter: LIT. 24,90 Euro, 209 Sei­ten, ISBN 3–8258-1347–9. Bei Ama­zon bestellen.

Wes­ter­may­er, Till (2008): »Immer erreich­bar sein? Über­le­gun­gen zum forst­li­chen Mobil­te­le­fon«, in Forst­tech­ni­sche Infor­ma­tio­nen, Jg. 60, Nr. 3+4/2008, S. 25–29.

Wes­ter­may­er, Till (2008): »Trans­for­ma­ti­on durchs Tele­fon? Mobi­le Kom­mu­ni­ka­ti­on und die Aus­la­ge­rung von Arbeit in der Netz­werk­ge­sell­schaft, dar­ge­stellt am Bei­spiel forst­li­cher Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men«, in Gumm et al., S. 135–152.

War­um blog­ge ich das? Ein biß­chen auch als Reak­ti­on auf den wis­sen­schaft­li­chen Her­stel­lungs­pro­zess, der für mich zeit­wei­se eher nach „Immer Ärger mit dem Buch?“ klang – für die Her­aus­ge­be­rIn­nen war das sicher noch deut­lich stär­ker so. Was mich immer noch nicht ganz über­zeugt, ist die Buch­ge­stal­tung – das Titel­bild ist gelun­gen, der Innen­teil sieht lei­der stark nach print on demand aus, was eigent­lich nicht not­wen­di­ger­wei­se so sein müss­te, selbst wenn die­ses Her­stel­lungs­ver­fah­ren gewählt wird.

Ist Nokia jetzt böse? (Update 2)

Auch wenn es ein tief­sit­zen­der Reflex ist, der nicht zuletzt mei­ner Sozia­li­sa­ti­on in der Jugend­um­welt­be­we­gung zu ver­dan­ken ist, Kon­zer­ne anhand der Kate­go­rien „gut“ und „böse“ zu beur­tei­len (McDo­nalds: böse, Goog­le: gut, Micro­soft: böse usw.), zeigt Noki­as Werks­ver­la­ge­rung von Bochum nach Jucu ein­mal mehr, dass es ganz so ein­fach nicht ist. Ich habe inzwi­schen mein drit­tes Nokia-Han­dy, und bin von der Qua­li­tät der Nokia-Pro­duk­te nach wie vor über­zeugt. Wenn jetzt See­ho­fer und Struck ihre Han­dys weg­wer­fen wol­len, dann zeigt das ers­tens, dass Nokia brauch­ba­re Pro­duk­te her­stellt (war­um sonst haben die Tele­fo­ne die­ser Mar­ke) – und zwei­tens, dass die Auf­recht­erhal­tung eines mora­lisch hoch­wer­ti­gen Mar­ken­images so ein­fach nicht ist. 

Phone

Wer ver­sucht, nach­hal­tig zu kon­su­mie­ren, weiss das bereits – auch jen­seits der aktu­el­len Auf­re­gung. Auch Nokia-Han­dys haben rela­tiv hohe SAR-Wer­te, auch Nokia-Han­dys wer­den zu einem gro­ßen Teil aus Kom­po­nen­ten her­ge­stellt, die irgend­wo gefer­tigt wer­den (wo es halt gera­de am bil­ligs­ten ist); und auch Nokia-Han­dys lan­den nach zwei Jah­ren auf dem Müll. Ich jeden­falls wer­de mein Nokia-Han­dy behal­ten – und ver­stärkt über den Stel­len­wert von Kon­sum, Mar­ken und poli­ti­schen Sym­bol­hand­lun­gen nachdenken.

Bleibt die empi­risch offe­ne Fra­ge: kann ein Kon­zern über­haupt erfolg­reich im Sin­ne kapi­ta­lis­ti­scher Wer­te sein und trotz­dem „gut“ (sprich: irgend­wie freund­lich, sym­pa­thisch, mit guten Arbeits­be­din­gun­gen, nach­hal­tig, …) blei­ben? Und wor­an wäre das festzumachen?

War­um blog­ge ich das? Viel­leicht vor allem des­halb, weil ich es etwas schein­hei­lig fin­de, wenn Poli­ti­ke­rIn­nen jetzt gro­ßes Getö­se ver­an­stal­ten, zugleich aber „Stand­ort­wett­be­werb“ für ein sinn­vol­les und zu sub­ven­tio­nie­ren­des Kon­zept halten.

Update: Julia und Den­nis sehen das wohl auch so ähn­lich. Und Hen­ning weist dar­auf hin, dass die Sub­ven­tio­nen das Pro­blem sind. Gro­ße (jung-)grüne Einig­keit über die Rea­li­tä­ten des glo­ba­len Kapitalismus?

Update 2: (24.01.2008) Ganz ver­nünf­tig klingt die Argu­men­ta­ti­on der Attac-Kam­pa­gne zu Nokia, die den Fall zum Anlass neh­men, ganz gene­rell gegen Sub­ven­ti­ons­wett­streit, für euro­pa­wei­te Min­dest­löh­ne und ähn­li­che For­men der Kon­trol­le „des Kapi­tals“ zu strei­ten. Gefun­den wie­der­um bei Julia.