Auftakt zu einer neuen Serie – mal schauen, was daraus wird.
Natur/Gesellschaft: Technik an der Grenze – Beispiel Mobiltelefon
Fragestellung: Technik als Schnittstelle?
In meinem Promotionsvorhaben beschäftige ich mich mit dem Umgang mit alltäglicher Technik in Nachhaltigkeitsmilieus – ein Beispiel ist das Mobiltelefon. An dieser Stelle möchte ich allerdings nur ein Detail herausgreifen, nämlich passend zum Thema „Grenzüberschreitungen“ das Dreiecksverhältnis zwischen „Gesellschaft“, „Natur“ und „Technik“ (Abb. 1). Zwischen den zwei Formen von Materialität spannt sich ein Kontinuum mit den Polen „Natur“, die ich als im Verhältnis zum Menschen unbestreitbar eigensinnige Materialität definiere, und „Technik“ als in Form gebrachte und „informierte“ Materialität. Am Beispiel des Mobiltelefons sollen nun unterschiedliche Ebenen dargestellt werden, auf denen Technik an der Schnittstelle/Grenze zwischen Natur und Gesellschaft agiert.
Abb. 1. Wechselwirkungen zwischen Materialität (Kontinuum „Natur“ – „Technik“) und Sozialität („Gesellschaft“)
Theorien sozio-materieller Wechselwirkung
Im traditionellen Blick der Soziologie von Durkheim bis Luhmann zählt nur, was innerhalb der Gesellschaft geschieht. „Natur“ wie „Technik“ sind nur als kommunikative, also kulturelle Repräsentationen vertreten. Wechselwirkungen zwischen Sozialität und Materialität werden ignoriert, ebenso die Tatsache, dass soziale Praktiken (Reckwitz 2000; Shove 2002) durch ihre materiellen Grundlagen ultimativ begrenzt sind und zugleich erst ermöglicht werden. Gleichzeitig transformieren Praktiken immer Materie: gezielt in der Herstellung z.B. einer technischen Konfiguration, aber ebenso in Form nicht intendierter und zuerst einmal „unsichtbarer“ Handlungsfolgen (vgl. Beck 1986; Giddens 1992). Gezielten Transformationen sind allerdings aufgrund der materiellen Eigendynamik Grenzen gesetzt (Pickering spricht von „material agency“, Michael von „co-agency“). Eine nicht in gesellschaftlicher Selbstbeschau verbleibende Umweltsoziologie muss diese Bezüge aufnehmen (vgl. Brand 1998); etwa im interdisziplinären Ansatz sozial-ökologischer Forschung (Becker/Jahn 2006). Über die bereits von Marx betrachtete Arbeitswelt (vgl. Görg 1999) hinaus sind es Artefakte, die diese Wechselwirkungen im Alltag vermitteln und verstärken.
Abb. 2. An der Praxis des Mobiltelefonierens beteiligte „Akteure“
Veranschaulichung am Beispiel Mobiltelefon
Eine heute simpel erscheinende Praxis wie die Nutzung eines Mobiltelefons ist voraussetzungs- und folgenreich. Neben der sozialen Einbettung und kulturellen Zuschreibungen (vgl. Burkart 2007) spielt dabei Materialität eine große Rolle (vgl. Agar 2003, Reller et al. 2009). Das Artefakt Mobiltelefon ist, getragen von vielfältigen „Akteuren“ (Abb. 2), in mehrfacher Weise in die Vermittlung zwischen Natur und Gesellschaft eingebunden:
1. Voraussetzung der Nutzungspraxis ist das Artefakt Mobiltelefon als Produkt eines globalen Herstellungsprozesses, der auf knappe Rohstoffe angewiesen ist und der riskante Nebeneffekte in der Rohstoffgewinnung und Produktion auslösen kann.
2. Die Nutzung des Mobiltelefons ist an die Existenz mehrerer Infrastrukturen gebunden (Stromnetz; Funktürme, um mobile Kommunikation zu ermöglichen; IT), die wiederum folgenreich sind.
3. Der meist diskutierte Effekt während der Nutzung sind die Emissionen des Telefons und der Funktürme („Elektrosmog“). Auch der verwendete Energiemix ist nicht ohne Umweltfolgen. Zudem wirkt das Artefakt selbst als materieller Körper im Raum.
4. Am Ende der Gebrauchsphase steht nicht nur die Entsorgung (Elektroschrott, Müllhalde, Recycling?), sondern beispielsweise auch der damit verbundene Verlust seltener Metalle.
5. Zu diesen „direkten“ materiellen Effekten kommt die Ebene kommunikativer Vermittlung: von der Landschaftswahrnehmung im Handy-Foto bis hin zur Umweltinformation per SMS.
Fehlende Verschränkung der Perspektiven
In soziologischer Perspektive wird das Mobiltelefon v.a. als perso-nalisiertes, kulturell aufgeladenes Kommunikationsmedium behandelt, das soziale Beziehungen transformiert. In ökologischer Perspektive steht das mögliche Gesundheitsrisiko im Vordergrund; in neuerer Zeit kommt der Blick auf globale Effekte der Verwendung seltener Metalle hinzu. Dagegen fehlt bisher der systematische Blick auf die Verschränkung „materieller“ und „diskursiver“ Effekte beim alltäglichen Mobiltelefonieren, bzw. auf deren Fehlen.
Zitierte Literatur
Agar, Jon (2003): Constant Touch. Cambridge: Icon Books.
Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Becker, Egon; Jahn, Thomas (Hrsg.) (2006): Soziale Ökologie. Frankfurt am Main, New York: Campus.
Brand, Karl-Werner (Hrsg.) (1998): Soziologie und Natur. Opladen: Leske+Budrich.
Burkart, Günter (2007): Handymania. Frankfurt am Main/New York: Campus.
Giddens, Anthony (1992): Die Konstitution der Gesellschaft. Frankfurt/ New York: Campus.
Görg, Christoph (1999): Gesellschaftliche Naturverhältnisse. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Michael, Mike (2000): Reconnecting Culture, Technology and Nature: London: Routledge.
Pickering, Andrew (1995): The Mangle of Practice. Chicago/London: University of Chicago Press.
Reckwitz, Andreas (2000): Die Transformation der Kulturtheorien. Weilerswist: Velbrück.
Reller, Armin et al. (2009): „The Mobile Phone: Powerful Communicator and Potential Metal Dissipator“, in GAIA 18, 2, 127–135.
Shove, Elizabeth (2002): Sustainability, system innovation and the laundry. Lancaster: Lancaster University.
Warum blogge ich das? Text für ein Poster für ein Promovierenden-Kolloquium an der Universität Freiburg – bin damit nicht so ganz zufrieden (naja, vor allem unglücklich über das von mir für das gewählte Thema eher als einschränkend empfundene Poster-Format) und wollte das ganze mal in einem anderen Format und mit Feedback-Möglichkeit sehen.
P.S.: War natürlich der einzige, der nicht genau gelesen hat und A0 abgeliefert hat statt des erwünschte A1-Formats, hat aber keine große Rolle gespielt. Das Poster als PDF: Poster „Natur/Gesellschaft“, Milestones-Tagung 2009.
Die Freude, Papier in der Hand zu halten
Auch in digitalen Zeiten erfreut es einen – mich jedenfalls – dann doch immer noch, eigene Texte schwarz auf weiss gedruckt in der Hand zu halten. In diesem Fall handelt es sich um meinen Beitrag „Transformation durchs Telefon?“, der im endlich erschienenen Sammelband Mensch – Technik – Ärger? von Dorina Gumm, Monique Lanneck, Roman Langer und Edouard J. Simon enthalten ist. Eine Zusammenfassung der forstrelevante Seite davon ist schon vor ein paar Wochen in den Forsttechnischen Informationen (FTI) erschienen (und wird ab Herbst/Winter 2008 unter der FTI-Website auch online abrufbar sein).
Ziel des Sammelbandes – die Arbeit dazu begann schon im Herbst 2006 und zog sich u.a. deswegen lange hin, weil es rein Review-Verfahren gab – war es, das Thema „Immer Ärger mit der Technik?“ inter- und transdisziplinär aufzudröseln. Ich habe dazu das Fallbeispiel Mobiltelefon gewählt und mir angeschaut, wie diese konkrete Informations- und Kommunikationstechnologie mit dazu beigetragen hat bzw. dafür genutzt wurde, Strukturen ausgelagerter Arbeit (Forstdienstleister) in der Forstwirtschaft zu schaffen – und damit natürlich auch ganz neue Potenziale für Ärger. Den theoretischen Hintergrund dafür bildete die Idee der Netzwerkgesellschaft, wie sie Castells entwickelt und neuerdings auch in Richtung Mobiltelefon adaptiert hat. Am forstlichen Beispiel wird sichtbar, wie das Mobiltelefon sowohl als nützliches Werkzeug wie auch als „virtuelle Fessel“ fungieren kann – und dass darüber, also auch über das Ausmaß an Ärgerlichkeit, weniger die Technik selbst als vielmehr die soziale Gestaltung der Techniknutzung, also die akzeptierten Praktiken und Erwartungen entscheiden (wann darf das Mobiltelefon ausgeschaltet werden, ohne als Kleinstunternehmer wirtschaftliche Sanktionen erwarten zu müssen?). Insofern finden sich in meinem Text – im Sammeband selbst wird er vor allem als Beitrag zum Thema Arbeitswelt diskutiert – auch über den forstlichen Kontext hinausgehende Anschlüsse und Überlegungen.
Zum Sammelband insgesamt: er ist zwar transdisziplinär angelegt, aber letztlich doch ziemlich IT-lastig geworden; Technik wird in vielen Beiträgen sehr stark eingegrenzt auf „informationstechnische Systeme“, und viele AutorInnen haben einen direkten oder (selbst bei mir) zumindest indirekten Informatikhintergrund. Das finde ich insofern ein bißchen schade, als das Buch insgesamt damit seinen eigenen Anspruch nur teilweise einlöst. Trotzdem sind für sich genommen einige sehr spannende Beiträge herausgekommen. Für mich persönlich fand ich vor allem drei Texte brauchbar: Peter Brödner zum „Elend computerunterstützer Organisation“, Paul F. Siegert zur Technikgeschichte der E‑Mail und den Abschlusstext von Roman Langer et al., in dem ein Modell skizziert wird, soziotechnische Systeme zu erforschen, das vieles aus der Techniksoziologie aufnimmt, was mir auch sinnvoll erscheint. Das mag aber je nach Interessenschwerpunkten auch ganz anders aussehen. Wer sich ganz konkret mit Informationstechniksoziologie (oder dem Bereich „Informatik und Gesellschaft“) befasst, wird eine ganze Menge mehr brauchbares finden.
Literaturangaben
Gumm, Dorina / Janneck, Monique / Langer, Roman / Simon, Edouard J. (Hrsg.) (2008): Mensch – Technik – Ärger? Zur Beherrschbarkeit soziotechnischer Dynamik aus transdisziplinärer Sicht. Münster: LIT. 24,90 Euro, 209 Seiten, ISBN 3–8258-1347–9. Bei Amazon bestellen.
Westermayer, Till (2008): »Immer erreichbar sein? Überlegungen zum forstlichen Mobiltelefon«, in Forsttechnische Informationen, Jg. 60, Nr. 3+4/2008, S. 25–29.
Westermayer, Till (2008): »Transformation durchs Telefon? Mobile Kommunikation und die Auslagerung von Arbeit in der Netzwerkgesellschaft, dargestellt am Beispiel forstlicher Dienstleistungsunternehmen«, in Gumm et al., S. 135–152.
Warum blogge ich das? Ein bißchen auch als Reaktion auf den wissenschaftlichen Herstellungsprozess, der für mich zeitweise eher nach „Immer Ärger mit dem Buch?“ klang – für die HerausgeberInnen war das sicher noch deutlich stärker so. Was mich immer noch nicht ganz überzeugt, ist die Buchgestaltung – das Titelbild ist gelungen, der Innenteil sieht leider stark nach print on demand aus, was eigentlich nicht notwendigerweise so sein müsste, selbst wenn dieses Herstellungsverfahren gewählt wird.
Ist Nokia jetzt böse? (Update 2)
Auch wenn es ein tiefsitzender Reflex ist, der nicht zuletzt meiner Sozialisation in der Jugendumweltbewegung zu verdanken ist, Konzerne anhand der Kategorien „gut“ und „böse“ zu beurteilen (McDonalds: böse, Google: gut, Microsoft: böse usw.), zeigt Nokias Werksverlagerung von Bochum nach Jucu einmal mehr, dass es ganz so einfach nicht ist. Ich habe inzwischen mein drittes Nokia-Handy, und bin von der Qualität der Nokia-Produkte nach wie vor überzeugt. Wenn jetzt Seehofer und Struck ihre Handys wegwerfen wollen, dann zeigt das erstens, dass Nokia brauchbare Produkte herstellt (warum sonst haben die Telefone dieser Marke) – und zweitens, dass die Aufrechterhaltung eines moralisch hochwertigen Markenimages so einfach nicht ist.
Wer versucht, nachhaltig zu konsumieren, weiss das bereits – auch jenseits der aktuellen Aufregung. Auch Nokia-Handys haben relativ hohe SAR-Werte, auch Nokia-Handys werden zu einem großen Teil aus Komponenten hergestellt, die irgendwo gefertigt werden (wo es halt gerade am billigsten ist); und auch Nokia-Handys landen nach zwei Jahren auf dem Müll. Ich jedenfalls werde mein Nokia-Handy behalten – und verstärkt über den Stellenwert von Konsum, Marken und politischen Symbolhandlungen nachdenken.
Bleibt die empirisch offene Frage: kann ein Konzern überhaupt erfolgreich im Sinne kapitalistischer Werte sein und trotzdem „gut“ (sprich: irgendwie freundlich, sympathisch, mit guten Arbeitsbedingungen, nachhaltig, …) bleiben? Und woran wäre das festzumachen?
Warum blogge ich das? Vielleicht vor allem deshalb, weil ich es etwas scheinheilig finde, wenn PolitikerInnen jetzt großes Getöse veranstalten, zugleich aber „Standortwettbewerb“ für ein sinnvolles und zu subventionierendes Konzept halten.
Update: Julia und Dennis sehen das wohl auch so ähnlich. Und Henning weist darauf hin, dass die Subventionen das Problem sind. Große (jung-)grüne Einigkeit über die Realitäten des globalen Kapitalismus?
Update 2: (24.01.2008) Ganz vernünftig klingt die Argumentation der Attac-Kampagne zu Nokia, die den Fall zum Anlass nehmen, ganz generell gegen Subventionswettstreit, für europaweite Mindestlöhne und ähnliche Formen der Kontrolle „des Kapitals“ zu streiten. Gefunden wiederum bei Julia.