Nicht zuletzt aufgrund des Entschlusses, erst einmal keine weiteren E‑Books bei Amazon zu kaufen, habe ich im April insbesondere Bücher gelesen, die schon länger auf meinem Kindle herumlagen.
Bruce Sterling hat die 2014er-Ausgabe des MIT-Science-Fiction-Review unter dem Titel Twelve Tomorrows herausgegeben. Darin finden sich Kurzgeschichten von großen Namen aus dem Cyberpunk-Umfeld. William Gibson mit einer Studie zu seinen Peripheral-Romanen fand ich ohne deren Kontext nicht gut verständlich, Warren Ellis vage – umso interessanter die Zukunftsvisionen von Pat Cadigan, Lauren Beukes, Paul Graham Raven und Sterling himself. Allen gemeinsam: gut zehn Jahre alte Near-Future-SF, die – mehr oder weniger cyberpunkig – soziotechnische Implikationen erforscht, wirkt heute durchwachsen. Vieles ist recht präzise extrapoliert. An anderen Stellen hat die Wirklichkeit die SF überholt. Und die Hoffnung auf spontane, technologisch vermittelte Selbstorganisation in den Hinterlassenschaften der neoliberalen Katastrophe wirkt heute fast schon naiv. Statt arabischem Frühling gab’s Corona und Trump I und II, statt autonomen Netzwerken das Meta-Google-Apple-Amazon-Quartett. Aber gerade deswegen: durchaus interessant zu lesen.
In Notes from the Burning Age (2021) von Claire North – die mir bisher kein Begriff war, und wohl einige spannende Sachen geschrieben hat – geht es um eine etwas fernere Zukunft. Nach dem großen Crash wurde die Welt in einem bewussteren und ökologischeren Maßstab neu aufgebaut – auch aufgrund der Intervention der Kakuy, Wesen, die die Natur verkörpern, und um die herum sich die in der Gegenwart des Buches herrschende Religion entwickelt hat. Ven ist ein Kind seiner Zeit, war Mönch dieser Religion, und zieht jetzt mit einer Mission durch die Provinzen des ehemaligen Mitteleuropas. Was bis hierhin einen Solarpunk- oder Hopepunk-Roman beschreiben könnte, nimmt eine ganz andere Wendung, denn wir erleben durch Vens Augen den Aufstieg einer patriarchalen „Bruderschaft“, die zurück zur sagenumwobenen fossil-faschistischen Moderne will. North beschreibt die sich daraus ergebenden Auseinandersetzung mit viel Liebe zum alltäglichen Detail. Gleichzeitig erinnert mich (trotz ganz anderem Worldbuilding) Notes from the Burning Age ein wenig an Iain M. Banks „Special Circumstances“ in seiner utopischen Culture (oder an die „Section 31“ – aber mit Gewissensbissen – im utopischen Star-Trek-Mythos). Lesenswert!
„Science Fiction und Fantasy im April (und Mai) 2025“ weiterlesen