Es heißt, dass es dieses Jahr einen extrem hohen Briefwahlanteil geben soll. Das hat mich irritiert. Nicht deswegen, weil Briefwahl ein relativ unsicheres Verfahren ist. Sondern deswegen, weil der Wahlsonntag für mich – als Parteimitglied der zweiten Generation – seit meiner Kindheit ein demokratisches Ritual ist.
Die Familie geht am Sonntag ins Wahllokal und steht ein bisschen Schlange. Dann wird die Partei gewählt, die immer gewählt wird, oder es werden KandidatInnen angekreuzt, vorher sorgsam ausgesucht und die Stimmen gezählt. Kinder stellen Fragen. Vielleicht – je nachdem, wie lang die Schlange im umfunktionierten Klassenzimmer ist, es sind immer Klassenzimmer – gibt es noch ein bisschen Smalltalk mit den WahlhelferInnen, über die Wahlbeteiligung beispielsweise.
Dann 18.00, der Wahlabend. Der zweite Teil des Wahlsonntag-Rituals. Anlass, um gemeinsam mit anderen aus der Partei dem Ergebnis entgegenzufiebern. Weil es ja immer um jemand geht, der oder die persönlich bekannt ist. Der Reinhold. Die Kerstin. Der Walter. Der Wilfried. Der Hans-Dieter. Oder, bei den Kreis- und Gemeinderatswahlen, die eigenen Eltern. Einer selbst, vielleicht sogar. Wichtig also: Zusammensitzen, bei der Wahlparty der Partei. Oder Schnittchen im Landratsamt, wo nach und nach die Ergebnisse aus den einzelnen Gemeinden eintrudeln, durchtelefoniert und aufgehängt werden. Gemeinsamer Jubel, gemeinsame Enttäuschung. In Zeiten des Internets: Suche nach Neuigkeiten. ARD oder ZDF – wer wird Recht behalten? Fachsimpeln. Warten, bis das Fernsehen weit nach Mitternacht die letzten Ergebnisse verkündet. Auch wenn schon vorher alles klar ist. Dankesreden. Kameras und Mikrofone. Luftballons aus der Deko, für die Kinder. Gelebte Demokratie.