Kurz: Legalisierung ante portas

Bun­des­rats­sit­zun­gen sind nor­ma­ler­wei­se eher drö­ge. Heu­te anders. Die Web­site bundesrat.de war immer wie­der down, auf You­tube sahen rund 30.000 Leu­te dem Stream zu, und im Chat neben dem Stream saus­ten Brok­ko­li-Emo­jis, Unver­ständ­nis für Unionsredner*innen und Zuspruch für Karl „King“ Lau­ter­bach nur so durch. Rich­tig: es ging um das Cannabisgesetz.

Im End­ef­fekt hat es im Bun­des­rat kei­ne Mehr­heit für die Anru­fung des Ver­mitt­lungs­aus­schus­ses gege­ben. In den Reden wur­de deut­lich, dass die Uni­on auf Total­blo­cka­de setzt und – Bun­des­ge­setz hin oder her – an einem maxi­mal repres­si­ven Kurs bei­spiels­wei­se in Bay­ern fest­hal­ten will. Ande­re Länderminister*innen beton­ten dage­gen eher Zustim­mung zum Ziel der Lega­li­sie­rung und Ent­kri­mi­na­li­sie­rung, sahen aber Pro­ble­me im Vor­ge­hen des Bun­des und in ein­zel­ne Rege­lun­gen. Eigent­lich wäre ein Ver­mitt­lungs­aus­schuss (VA) der rich­ti­ge Ort, um die­se Unklar­hei­ten zu klä­ren. Dass es trotz­dem kei­ne Mehr­heit dafür gab, lag an vie­len Ent­hal­tun­gen, lag sicher­lich auch an dem offen­si­ven Blo­cka­de­kurs der Uni­ons­spit­ze – jede Anru­fung des VA wäre risi­ko­reich gewor­den – und lag im End­ef­fekt auch dar­an, dass das Land Sach­sen ungül­tig abge­stimmt hat. (Stimm­ab­ga­ben sind im Bun­des­rat nur ein­heit­lich mög­lich – Minis­ter­prä­si­dent Kret­schmer stimm­te für den VA, sein Minis­ter Dulig aus der SPD dage­gen, damit zähl­te die Stimm­ab­ga­be im Ergeb­nis nicht).

Per­sön­lich kann mir die­ses Gesetz fast egal sein – ich habe weder an Can­na­bis noch an Alko­hol ein Inter­es­se (auch im Unter­schied zu z.B. dem CDU-Chef Merz) – poli­tisch ist die­ses Ergeb­nis auch aus mei­ner Sicht ein Erfolg. Gesund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach (SPD) hat das in sei­ner Rede deut­lich gemacht: es geht um Kon­trol­le und Jugend­schutz, um ein Ende des Schwarz­markts und die Ent­kopp­lung von ande­ren Dro­gen. Und dafür ist eine klug gemach­te Lega­li­sie­rung der deut­lich bes­se­re Weg als Dro­hung und Poli­zei. Nicht zuletzt: die Ampel zeigt, dass es manch­mal doch einen Fort­schritt geben kann. 

Zeit des Virus, Update XVI

Opfinger See - panorama

Mein letz­tes Update zur Coro­na-Lage hat­te ich im März geschrie­ben. Und ich hat­te irgend­wie die Hoff­nung, dass das dann viel­leicht auch das letz­te Update sein könn­te, dass Coro­na tat­säch­lich irgend­wann vor­bei ist.

„Über­ra­schen­der­wei­se“ ist das nicht so. Im süd­afri­ka­ni­schen Som­mer lie­fen dort die Zah­len für die Omi­kron-Vari­an­ten BA.4 und BA.5 hoch. Das wur­de mit irgend­wel­chen Beson­der­hei­ten der dor­ti­gen Demo­gra­fie weg­er­klärt. Vor eini­gen Wochen, in die­sem sehr hei­ßen Nord­halb­ku­gel-Som­mer, ging‘s dann in Por­tu­gal steil nach oben. Wäh­rend­des­sen dreh­te sich unse­re poli­ti­sche Dis­kus­si­on nach dem Aus­lau­fen der fünf­ten (oder sechs­ten?) Wel­le vor allem dar­um, auf den Herbst und den Win­ter vor­be­rei­tet zu sein. Schließ­lich wis­sen wir ja, dass Coro­na im Som­mer pausiert.

Seit ein paar Tagen stei­gen jetzt auch die Inzi­den­zen in Deutsch­land wie­der mas­siv an, ver­mut­lich ist die Dun­kel­zif­fer noch deut­lich höher, weil PCR-Tests kaum zu krie­gen sind. Und auch „har­te“ Indi­ka­to­ren wie die Hos­pi­ta­li­sie­rung schei­nen wie­der nach oben zu gehen.

In den sequen­zier­ten Labor­pro­ben steigt der BA.4/BA.5‑Anteil von Woche zu Woche an, genau­er gesagt: er ver­dop­pelt sich wöchentlich.

Anders gesagt: die „Som­mer­wel­le“ ist zur gro­ßen Über­ra­schung ins­be­son­de­re der Bun­des­po­li­tik – und hier ins­be­son­de­re der FDP – längst da. 

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Zeit des Virus, Update XV

Sunset trees

Eigent­lich bin ich ja davon aus­ge­gan­gen, dass jetzt, Anfang März, die Situa­ti­on eine ganz ande­re sein wird als sie es noch im Janu­ar war. Für ein paar Tage hat der Ukrai­ne-Krieg Coro­na etwas in den Hin­ter­grund gedrängt. Aber nach über zwei Jah­ren ist Coro­na noch immer nicht vor­bei, und es wird immer deut­li­cher, dass es die­ses Vor­bei­sein viel­leicht gar nicht geben wird. 

Und ich hat­te ver­mu­tet, dass die fünf­te Wel­le jetzt rapi­de zurück­geht, aber dem ist nicht so. Ob es an der Omi­kron-Sub­va­ri­an­te BA.2 liegt, an den zwi­schen­zeit­lich vor­ge­nom­me­nen Locke­run­gen, an Fasching und Kar­ne­val oder an zuneh­men­den Zah­len von Reinfek­tio­nen: gera­de geht die Inzi­denz in Baden-Würt­tem­berg wie­der steil nach oben. Und die Zahl der Infek­tio­nen im nähe­ren oder wei­te­ren Umfeld, von denen man so hört, nimmt eben­falls rapi­de zu. Die fünf­te Wel­le wird also ent­we­der zu einem Hoch­pla­teau oder wir krie­gen in Kür­ze eine sechs­te Wel­le und immer wei­te­re Aus­brü­che bis in den Som­mer hin­ein. Ein Rück­gang der Inzi­denz, inzwi­schen deut­lich über 1500, zeich­net sich jeden­falls nicht ab. Wie es dann im Win­ter aus­se­hen wird? Kei­ne Ahnung. Mich macht das ratlos.

Und ja, eigent­lich will jetzt nie­mand mehr etwas von Coro­na hören. Wer sich imp­fen las­sen woll­te, ist geimpft (gut drei Vier­tel) und geboos­tert (etwa die Hälf­te) – auch mit Nova­vax als eher klas­si­schem Impf­stoff ist die Zahl der neu­en Imp­fun­gen nahe­zu zum Erlie­gen gekom­men. An der Geschich­te, dass eini­ge zusätz­li­che Impf­lin­ge dazu kom­men wür­den, wenn es denn erst einen Impf­stoff gibt, der nicht auf mRNA und Pro­te­in­schnipp­seln basiert, war wohl nicht so viel dran.

In die­ser Situa­ti­on stel­len heu­te die Minis­ter Busch­mann (FDP) und Lau­ter­bach (SPD) ihren Kom­pro­miss dazu vor, wie der Werk­zeug­kof­fer für wei­te­re Schutz­maß­nah­men für die Län­der ab dem 20. März aus­se­hen wird. Die FDP hat längst einen „Free­dom Day“ aus­ge­ru­fen, nur irgend­wie ver­ges­sen, dass auch dem Virus mit­zu­tei­len. Aber sie hält stur dar­an fest, dass so gut wie alle Maß­nah­men ab dem 20. März ent­fal­len und unmög­lich gemacht wer­den sol­len. Egal, wie groß die Pro­tes­te – bei­spiels­wei­se von Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann aus der Coro­na-Iso­la­ti­on – sind. Und Lau­ter­bach ver­kün­det das als guten Kom­pro­miss, mit dem „wir“ bis zum Herbst – dann läuft der näm­lich aus – arbei­ten können.

Soweit ich das ver­ste­he, ent­zieht die­ser „Kom­pro­miss“ de Län­dern die Mög­lich­keit, Abstands­ge­bo­te und Mas­ken­pflich­ten vor­zu­schrei­ben, aus­ge­nom­men ist der ÖPNV. Eine Grund­la­ge für Mas­ken als effek­tivs­tes Mit­tel des Anste­ckungs­schut­zes gibt es dann weder in Super­märk­ten noch in Schu­len. Immer­hin „darf“ in Schu­len wei­ter getes­tet wer­den – was das brin­gen soll, wenn dafür Schnell­tests ein­ge­setzt wer­den, die für Omi­kron nicht wirk­lich sen­si­tiv sind, und wenn damit nur nach­voll­zieh­bar wird, dass es zu Anste­ckun­gen kommt, ist mir nicht so ganz klar. 

Die klei­ne Hin­ter­tür (oder aus Lau­ter­bachs Sicht wohl der Grund, war­um er zustim­men kann) ist eine Hot­spot­re­ge­lung vor­ge­se­hen, d.h. bei beson­ders hohen Wer­ten (unklar, wel­che) oder beson­ders star­ken Belas­tun­gen der Kran­ken­häu­ser darf regio­nal abge­grenzt zu schär­fe­ren Mit­teln gegrif­fen wer­den. Ich ken­ne kei­ne Details, aber das gan­ze wirkt recht kom­pli­ziert. Und ich befürch­te, dass es auch hier Fuß­no­ten und Fuß­an­geln gibt, die den effek­ti­ven Infek­ti­ons­schutz durch den Ein­satz der Hot­spot­re­ge­lung erschweren.

Das gan­ze ist der Ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung, der noch nicht mit den Frak­tio­nen der Ampel und auch nicht mit den Län­dern abge­stimmt ist. Inso­fern gibt es noch den Hauch einer Chan­ce, dass hier doch eine etwas ver­nünf­ti­ge­re Lösung her­aus­kommt, die nicht dar­aus besteht, sich die Hän­de auf den Rücken zu bin­den (bzw. den Län­dern die Hän­de auf den Rücken zu bin­den), und ein Virus durch­rau­schen zu las­sen, das wohl doch in einem nicht ganz klei­nen Teil der Fäl­le zu Spät­fol­gen, „Long Covid“ und kogni­ti­ven Beein­träch­ti­gun­gen führt. 

Soviel zur Zeit des Virus, oder dem jetzt in sein drit­tes Jahr gehen­den März 2020.