I. Plötzliche Erregung
Ich bin ein klein wenig erstaunt über die heftigen Debatten, die jetzt im grünen Feld sozialer Netzwerke über die Entscheidung der Saargrünen dafür toben, Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP aufzunehmen. Viel davon läuft auf Twitter und Facebook, es gibt aber auch schon erste Blogeinträge – Julia Seeliger will das Saarland verkaufen, Jörg Rupp verschlägt es den Appetit.
Erstaunt bin ich über die heftigen Debatten – und die harte Kritik an der Entscheidung von 78 % der saarländischen Delegierten – deswegen, weil sich in den letzten Wochen ja abgezeichnet hat, dass rot-rot-grün und Jamaika im Saarland mindestens gleich wahrscheinlich sind. Insofern finde ich die Entscheidung zwar falsch, ihre Deutlichkeit hat mich auch überrascht – fassungslos bin ich darüber aber nicht.
Bei der Bewertung dieses zweiten Experiments (nach Hamburg) sind, meine ich, mindestens zwei Ebenen zu unterscheiden. Das eine ist der genaue Blick auf die lokalen Beweggründe und Umstände, die Jamaika im „etwas größeren Kreisverband an der französischen Grenze“ (Volker Beck) möglich machen. Das andere ist die Einordnung dieser Entscheidung in einen größeren Kontext. Denn auch wenn Cem und Claudia die bundespolitische Relevanz der Entscheidung verneinen, ist – auch abgesehen von klaren Konsequenten etwa bezüglich der Bundesratsmehrheiten – doch davon auszugehen, dass Jamaika im Saarland bundesweit nicht folgenlos bleibt.
II. Saarland
Zur ersten Ebene gehören persönliche Animositäten zwischen Grünen und LINKE im Saarland, dazu gehört das Verhalten von Oskar Lafontaine, dazu gehören auch die unsouveränen Reaktionen von SPD und Linkspartei. Dazu gehört der Kohlebergbau und ein „eher“ moderater CDU-Ministerpräsident, und dazu gehören – so ist es jedenfalls zu hören – relativ weitreichende Zugeständnisse in der Umwelt- und Bildungspolitik. Um zu erklären, wie es im Saarland zu Jamaika, zur grünen Entscheidung für eine Koalition mit CDU und FDP, kommen konnte, ist es aber wohl auch nötig, auf die relativ autokratische Aufstellung unseres saarländischen Landesverbands zu schauen.
Für das Saarland kann eine Jamaika-Koalition zweierlei bedeuten. Entweder sie wird erfolgreich, trägt auch in der politischen praktischen Tat eine grüne Handschrift – dazu muss der Schwanz hier mit dem Hund wackeln, aber vielleicht gelingt das ja – und sie führt die saarländischen Grünen aus dem zitternden Leben an der 5‑Prozent-Hürde ins Feld der etablierten Parteien. Es besteht jedenfalls eine gehörige Bringschuld der neuen Fraktion und der potenziellen Regierungsbeteiligten gegenüber den grünen WählerInnen. Ein wichtiger Aspekt sind hier die Personalfragen, vor allem die Besetzung der – dem Hörensagen nach – zwei Ministerien, die den Grünen wohl zugestanden werden. Wenn da fähige Leute außerhalb des saarländischen Filzes rankommen, kann sich wirklich was bewegen. Ob es dazu kommt – da bin ich mit Blick auf die kommunalpolitischen Vorbilder einer derartigen Koalition – zwiegespalten. Ich glaube aber, dass den saarländischen Grünen zumindest die Chance eingeräumt werden muss, auf tatsächliche politische Erfolge hinzuarbeiten. Mit dem Drohpotenzial, immer auch zu Rot-rot-grün schwenken zu können, haben sie zumindest einiges in der Hand.
Die zweite Variante wäre das inhaltliche Scheitern, eine Regierungsbeteiligung, die blass bleibt, das Fehlen grüner Akzente im schwarz-gelben Strom, oder, schlimmer noch, das Schlucken unverzeihbarer Kröten in Kernbereichen der grünen Programmatik. Bei der nächsten Landtagswahl würde eine derartige Performanz – beginnend mit dem Koalitionsvertrag als erstem Nadelöhr – mit ziemlicher Sicherheit die Grünen an der Saar unter fünf Prozent drücken und vielleicht den Weg für eine rot-rote Koalition frei machen. Das halte ich nicht für wünschenswert, aber leider auch nicht für unmöglich. Ich hoffe, dass den saarländischen Grünen dieser Erfolgsdruck bewusst ist.
Ein Nebeneffekt eines derartigen Scheiterns könnte sein, dass es zu größeren personellen und inhaltlichen Veränderungen im saarländischen Landesverband kommen könnte. Das wäre, nach allem, was darüber zu hören ist, nicht unbedingt negativ – aber würde mit einem hohen Preis bezahlt.
III. Größerer Kontext
Eine einigermaßen stabile Jamaika-Koalition im Saarland ist definitiv ein Signal dafür, dass wir Grünen es ernst meinen damit, nicht auf immer und ewig Teil eines linken Dreierlagers sein zu wollen, sondern uns als eigenständige – linke – Kraft verstehen, die, wenn inhaltliche Erfolge erzielt werden können, auch einmal mit der CDU oder der FDP Koalitionen eingehen kann. Dass ist deswegen gar nicht so schlecht, weil die SPD uns leider immer noch nicht ernst nimmt. Die Sondierungsgespräche in Thüringen und das unrühmliche Verhalten der dortigen SPD sind das beste Beispiel dafür.
Hamburg konnte von der SPD noch als „Unfall“ abgetan werden. Wenn es eine zweite grün-„bürgerliche“ Koalition auf Landesebene gibt, ist zumindest das klar: mit der Eigenständigkeit meinen wir es schon ernst – wir sind nicht der geborene Juniorpartner der Sozialdemokratie. Entsprechend muss mit Grünen auf Augenhöhe verhandelt werden, wenn es um Regierungsbeteiligungen geht. Ebenso kann nicht automatisch erwartet werden, dass Grüne ohne Reziprozität z.B. Erststimmenkampagnen für die SPD fahren.
Insofern ist Jamaika – trotz der oben erwähnten besonderen lokalen Umstände – eben auch für die Grünen insgesamt eine Wegmarke (die von der grünen Anhängerschaft durchaus nicht nur negativ aufgenommen wird).
Richtig ist allerdings auch, dass die Entscheidung im Saarland – anders als einige in der SPD das gerne sehen – eben keine Vorentscheidung über weitere Koalitionen ist. Es geht nicht um ein neues bürgerliches Lager oder ähnlichen Quatsch, sondern darum, in den Ländern und auf Bundesebene von Fall zu Fall neu zu entscheiden – und vor der Wahl transparent zu machen, welche Optionen möglich sind. Gerade die eingangs erwähnten heftigen innerparteilichen Debatten zeigen, dass die starke Zustimmung der saarländischen Grünen nicht auf die Partei insgesamt verallgemeinert werden kann.
Spannend in dieser Hinsicht wird Nordrhein-Westfalen. Hier regiert schwarz-gelb mit einer definitiv schlechten Performanz, Ministerpräsident Rüttgers fällt mit ausländerfeindlichen Sprüchen auf. Wie die Grünen hier in den Landtagswahlkampf gehen werden (gewählt wird nächstes Jahr, die Vorbereitungen der Listenaufstellungen laufen derzeit), ist um einiges relevanter als Jamaika an der Saar.
Aber auch in Baden-Württemberg (Wahl 2011) mit einer derzeit unterhalb der 20%-Marke laufenden SPD ist diese Debatte – und der genaue Blick darauf, was in Hamburg und im Saarland jenseits schönfärberischer Spins tatsächlich möglich ist – sehr wichtig. Gerade, weil einige der wichtigsten Propagandisten für Schwarz-grün aus Baden-Württemberg kommen, müssen hier die inhaltlichen Hürden für eine entsprechende Koalition meiner Meinung nach besonders hoch sein, und muss besonders ernsthaft überlegt werden, welche anderen – möglicherweise auch unkonventionellen – Gestaltungsperspektiven vorhanden sind. Das ist ein Gebot politischer Glaubwürdigkeit.
Warum blogge ich das? Ist ja doch nicht ganz unwichtig – gerade, weil die erste Reaktion vieler undifferenzierte Kritik war.