Vor ein paar Tagen bloggte ich kurz etwas, dass das derzeit vielleicht historische Tage sein könnten. Heute kommt der Schwank dann zu seiner vorläufigen Auflösung: nach Ultimaten, Drohungen, Verhandlungen, Erpressungen, Finten, einem angedrohten Rücktritt, Gütegesprächen, dem Rücktritt vom Rücktritt und einem geheimen Masterplan, der zugleich von der CSU und von Bundesinnenministerium stammt – also nach all den Elementen, die eher auf eine Bühne als in die Politik passen sollten – bleibt alles beim alten. Jedenfalls dann, wenn die SPD mitmacht. Gegenstimmen dazu habe ich noch keine gehört.
Im Endeffekt, materiell, geht es in dem jetzt vorliegenden „Kompromiss“ – über den zwei der drei Regierungsparteien verhandelt haben – darum, dass Seehofer an der Grenze zwischen Bayern und Österreich, Asylbewerber*innen zurückweisen kann, die aus Drittstaaten wie Österreich einreisen. Dazu sollen „Transitzentren“ an der österreichischen Grenze errichtet werden, das ist etwa das, was die USA an der Grenze zu Mexiko hat. Die SPD lehnte das bisher ab. Das ganze soll auf der Grundlage von Abkommen mit den Ersteinreiseländern der Asylsuchenden geschehen, wenn diese Abkommen – das wäre Merkels europäische Komponente – nicht zustande kommen, werden die Asylbewerber*innen eben nach Österreich geschickt, auf der Grundlage einer noch zu verhandelnden Vereinbarung mit der schwarz-blauen Regierung dort. (Anders gesagt: Seehofer geht und ging es wohl immer darum, in Bayern den starken Mann markieren zu können.)
Damit ist es der Union gelungen, die theatralische Spaltung zu verhindern und die heiße Kartoffel bei der SPD abzuladen. Entweder verweigert sie sich mit Verweis auf den Koalitionsvertrag dem „Kompromiss“ – dann ist es nicht mehr die CSU, sondern plötzlich die SPD, die schuld daran ist, wenn die Regierung Merkel scheitert, oder wenn es wochenlange Auseinandersetzungen gibt. Oder sie stimmt zu, dann rutscht das Glaubwürdigkeitskonto der SPD weiter ins Negative. Beides eher unschön, und auch insgesamt macht das ganze Hin und Her eher wütend. Mit einer humanen Flüchtlingspolitik hat es jedenfalls nichts mehr zu tun.
Für die Zukunft der großen Koalition stimmt mich das auch nicht gerade positiv. Verkürzt gesagt, hat Seehofer sich gerade damit durchgesetzt, „irgendwas für Bayern“ zu fordern, ohne Rücksicht auf den Koalitionsvertrag und die Koalitionspartner. Das wirkte lange so, als würde es mit ihm heimgehen – im Endeffekt hat er sich aber hinsichtlich seines Kernanliegens durchgesetzt. Und das zählt am Schluss. Nebenbei ist er damit durchgekommen, Merkel bloß zu stellen (mit dieser Frau könne er nicht zusammenarbeiten) und ihre Richtlinienkompetenz in Frage zu stellen („Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“). Merkel wiederum bleibt Kanzlerin. Sollte das ganze ein versuchter Putsch gewesen sein, ist dieser gescheitert.
Allerdings ist jetzt auch klar: wer Maximalkrawall macht, theatralisch damit droht, zu gehen, ja, wirklich, zu gehen, bittschön!, der kann in dieser Regierung im Endeffekt durchsetzen, was er will. Jedenfalls, wenn er zugleich Minister und Parteichef einer der Koalitionsparteien ist. Die SPD wird versuchen, das auch hinzukriegen, und damit auf die Nase fallen. Die CSU, und insbesondere Seehofer, wird nachlegen – anscheinend hat er auch als Gesundheitsminister in der Regierung Kohl schon ähnlich „verhandelt“.
Ich hatte ja von Anfang an den Verdacht, dass es hier eigentlich um die bayerischen Landtagwahlen im Oktober ging. Ob sich das Singspiel da auszahlt, bleibt abzuwarten. Bisher sind die Werte für die CSU hinunter gegangen. Aber der bayerische Wähler und die bayerische Wählerin goutiert vielleicht keinen Streit; wenn sich einer, mit welchen bauernschlauen Tricks und Dickköpfigkeiten auch immer, durchsetzt, dann sieht’s („A Hund!) schon wieder anders aus.
Ein an der Sache orientierter, rationaler Politikstil sieht anders aus. Und dieses Theater trägt definitiv nicht dazu bei, dass das Vertrauen in die Politik steigt.