Nachdem auf Twitter gerade darüber diskutiert wird, wie das mit der ganzen innerparteilichen Struktur bei Bündnis 90/Die Grünen so aussieht, und meine Antwort neben diesem Bild eigentlich nur ist: vielfältig, weil jeder Kreis- und Landesverband in gewisser Hinsicht seine eigenen Gepflogenheiten (Satzungsautonomie!) hat, und weil es viele verschiedene „Machtzentren“ gibt, doch noch mal ein paar Worte mehr zu der Frage, wie eine politische Idee vom Mitglied ins Programm wandert.
„Der Weg von der Idee ins Programm“ weiterlesen
Hinweis auf politische Ehrlichkeit
Weil’s mir wichtig ist, kurz der Hinweis, dass ich mich im heutigen Grünzeug am Mittwoch mit der Frage politischer Ehrlichkeit auseinandersetze – am Beispiel der bei einigen ganz empört aufgenommenen Aussage von Winfried Kretschmann, dass Stuttgart 21 jetzt noch zu stoppen ist, dass aber nicht klar ist, ob das in einigen Monaten auch noch so sein wird.
Siehe auch: Sieben Fragen zu Stuttgart 21
S21-Proteste jetzt ins Land tragen
Ich wollte eigentlich was anderes machen, als ich heute mittag über Twitter die ersten Berichte darüber wahrgenommen habe, mit welcher Brutalität die Polizei in Stuttgart gegen die Stuttgart-21-Proteste vorgegangen ist. Mein erster Eindruck war, dass es da so ähnlich laufen wird wie vor 14 Jahren, als in Freiburg der besetzte Konrad-Guenther-Park für den Bau der B31 geräumt wurde. Damals trat die Polizei in großer Zahl auf, und räumte BaumbesetzerInnen und Soli-Protestierende weg – soweit ich mich erinnere, v.a. durch wegtragen und am Schluss dann durch Spezialkräfte in den Bäumen. Nicht schön, aber letztlich eben die Durchsetzung von Politik mit Polizeigewalt.
Die Ereignisse in Stuttgart heute klingen nach einer ganz anderen Größenordnung. Spiegel online spricht vom Bürgerkrieg im Schlossgarten, die Süddeutsche von bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
Wenn Berichte, die ich gelesen habe, stimmen, dann wurde da weitgehend ohne Vorwarnung Gewalt eingesetzt, wurde losgeprügelt und wurden Reizgas und Wasserwerfer eingesetzt. Da wurde eine Schülerdemo unter dem herbeigelogenen Vorwand, dass aus dieser heraus Steine geflogen seien, brutal beendet, und da wurden hunderte Menschen mit Wasserwerfern an den Augen und mit Schlaghandschuhen und Stöcken an Knochen und Rippen verletzt. Das erinnert dann eher an die Räumungen der Castor-Blockaden in Gorleben – aber selbst da gab es Deeskalation, selbst da wurden Gewaltmittel erst nach und nach ausgesetzt.
Angesichts der Ereignisse in Stuttgart habe ich heute dann lieber spontan eine Protestkundgebung auf die Beine gestellt – Twitter und Facebook, aber auch dem Telefon und Fudder sei dank. Trotz nur weniger Stunden Vorlaufzeit waren heute letztlich etwa 40 Menschen – Grüne, Linke, Piraten, Unabhängige – vor dem Basler Hof, und haben lautstark deutlich gemacht, was sie von dem Vorgehen in Stuttgart halten.
Am Rand der Kundgebung haben wir beschlossen, dass es sinnvoll ist, das selbe am Samstag – um 12 Uhr – nochmal zu machen. Der Aufruf dazu wird erst morgen mittag ausgearbeitet; wer seine Empörung und seine Solidarität zeigen möchte, kann sich den Termin aber jetzt schon vormerken.
Und wir waren nicht die einzigen – bundesweit wurde von Soli-Aktionen berichtet. Ich bin mir nicht sicher, ob Mappus weiss, was er tut (und ob sein Innenminister Rech weiss, wie sein ZDF-Interview draußen im Land ankommt.
Wer so eskaliert, zündelt am Zusammenhalt unserer Gesellschaft – und verdient es, wenn Mappus und Rech jetzt nicht freiwillig gehen, spätestens im März 2011 abgewählt zu werden.
Warum blogge ich das? Um meinen Tag ein bißchen zu ordnen.
Wovon PolitikerInnen träumen
In der Süddeutschen Zeitung werden junge Bundestagsabgeordnete nach ihren Erfahrungen ein Jahr nach der Bundestagswahl befragt. Ist ganz interessant – vor allem im Vergleich der Antworten. Die auf die letzte Frage – „Wovon träumen Sie?“ – habe ich hier mal zusammengestellt (alles Zitate aus den SZ-Interviews).
- Verrat ich nicht. (CDU, w)
- Von einem langen Urlaub. (CSU, m)
- Ich träume nur nachts und dann meistens sehr gut. (CSU, m)
- Ich träume von einer Welt ohne Hunger und ohne Krieg. (GRÜNE, m)
- Irgendwann will ich noch mal in New York leben. Und mal zusammen mit Mehmet Scholl Platten auflegen. (SPD, m)
- Dass die Welt sozialer, gerechter und friedlicher wird und ich vielleicht einen kleinen Beitrag dazu leisten kann. (LINKE, m)
- Dass sich mehr Menschen politisch einbringen und zwar nicht nur, um ihre persönlichen Interessen zu vertreten, sondern um die Gesellschaft als Ganzes positiv zu verändern und gerechter zu machen. (SPD, w)
- Tugenden wie Offenheit, Toleranz, Verlässlichkeit, Respekt und Verantwortung sollten unsere Gesellschaft stärker prägen. Der Sinn für die Allgemeinheit muss wieder an die Stelle von Egoismus und Anspruchsdenken gesetzt werden, die Politikverdrossenheit in aktive Teilnahme verwandelt werden. (CDU, m)
- Ich kämpfe nicht politisch für Bürgerrechte und Privatsphäre, um dann öffentlich darüber zu plaudern, wovon ich nachts träume. Im übertragenden politischen Sinne „träume“ ich von einer Gesellschaft, die sich traut, dem Einzelnen wieder mehr Freiheit und Eigenverantwortung zu übertragen und in der sich dieses Mehr an Eigenverantwortung und ein Mehr an Solidarität nicht ausschließen. (FDP, m)
- Von einem abbezahlten, denkmalgeschützten Häuschen mit einer schönen Aussicht, einem kleinen Grillfest im großem Garten mit Eltern und Freunden und Blick auf den Fernseher mit der Tagesschau: Ohne Katastrophen, Kriege, Attentate, einem positiven Wetterbericht für die darauf folgende Urlaubswoche und dann Sportnachrichten mit dem Satz „unser Club ist jetzt auch Sieger in der Champions League – Franken feiert immer noch!“. (FDP, m)
- Auch wenn das in den Augen einiger Pessimisten und Zyniker naiv klingt: Von einer friedlichen, solidarischen und gerechten Welt. Aus dieser Vision, mag sie noch so weit von der Wirklichkeit entfernt sein, hat sich schon immer mein leidenschaftliches Engagement in der Politik gespeist. Und wenn der Weg dahin lang ist, gilt es nicht zu verzweifeln, sondern gerade deshalb heute mit vielleicht mühsamen und kleinen, aber doch wichtigen Schritten zu beginnen. (GRÜNE, w)
- Schon sehr früh, als ich in der Kommunalpolitik Mitverantwortung tragen durfte, bin ich von der Realität überholt worden. Volker Kauder sagt: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeiten.“ Er hat recht! Es geht heute darum, für gute Lebensverhältnisse der Menschen zu sorgen, aber nicht auf Kosten kommender Generationen. Das ist die große Herausforderung unserer Zeit, der wir uns bereits stellen. Wichtig scheint mir dabei, die Rückbesinnung auf ein gemeinsames Fundament, dass unsere Gesellschaft trägt! (CSU, m)
Der grüne Boom
Steffi Lemke konnte vor kurzem verkünden, dass wir nicht nur in den Umfragen Traumwerte erzielen, sondern auch die Schwelle von 50.000 Mitgliedern überschritten haben (bei uns im Kreisverband werden es mit etwas Glück bis Jahresende 200 – auch das eine lange nicht mehr überschrittene Schwelle). Anderswo wird darüber gespottet wird, dass es ja einfach sei, bei einer Partei mit „Wohlfühlthemen“ beizutreten oder diese als Wahloption anzugeben. Überhaupt, alles Besserverdienende.
Dem gegenüber stehen die Ergebnisse einer Befragung der Neumitglieder (für alle Grünen im Wurzelwerk abrufbar). Stärker noch als in der Gesamtpartei – und viel stärker als in allen anderen Parteien – sind dies Menschen mit Hochschulabschluss (zwei Drittel). Zum Vergleich: nur ein Drittel der Mitglieder der SPD haben einen Hochschulabschluss, und jeweils etwas mehr als die Hälfte bei FDP und Linkspartei. Die meisten der grünen Neumitglieder (ein gutes Drittel übrigens weiblich, überwiegend in den 20ern oder 30ern) geben als Beruf an, Angestellte oder Studierende/SchülerInnen zu sein. Drei Viertel schätzen ihre eigene wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut ein.
Gut gebildet, gute wirtschaftliche Lage – also doch die klientelistische Besserverdienendenpartei nach dem Motto „Bionade für alle“? Nein, es geht um die grüne Zukunftsorientierung, um eine an Themen und Inhalten orientierte Politik und um Glaubwürdigkeit. Um Karriere geht es nur einer Minderheit, und auch beim genaueren Blick darauf, welche Themen gefragt sind, wird klar, dass es mit den „Wohlfühlthemen“ soweit her nicht sein kann. Klima und Umwelt, Bildung, soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Friedenspolitik und Wirtschaft und Arbeit – das sind die Themen, die an der Spitze der Rangliste stehen.
Aber, mag nun jemand einwenden: hochgebildete Menschen, denen die Gesellschaft und die Umwelt wichtig ist – die gehen doch nur in ’ne Partei, weil sie sich dann besser fühlen. Pfuibäh.
Ich weiss nicht, ob an diesem Einwand faktisch etwas dran ist, was also die Motivationen und Beweggründe sind (laut Studie: eine politische Heimat finden, ein Thema voranbringen, Gleichgesinnte zu treffen, aktiv zu werden). Aber selbst, wenn es so wäre, dass es allein darum ginge, sich besser zu fühlen, weil mann oder frau für das Gute eintritt – was wäre denn schlecht daran? Und unterscheidet sich das wirklich von derjenigen, die in der CDU für law & order streitet und sich dann besser fühlt, oder demjenigen, der in der SPD für – keine Ahnung, wofür in der SPD gestritten wird – streitet, und sich dann besser fühlt?
Soweit ich meine Mitglieder kenne, sind sehr viele dabei, die fest davon überzeugt sind, dass politisch mit dieser Welt etwas falsch läuft, dass es wichtig ist, für Alternativen und vernünftige Lösungen zu arbeiten – und denen die durchaus auch existenziell bedrohlich wahrgenommene Aussicht einer ganz und gar nicht nachhaltigen Zukunft Motivation genug ist, Parteimitglied zu sein.
Vielleicht ist so eine Motivlage weniger unmittelbar als der Kampf für den Erhalt des Alten oder für die eigene soziale Sicherheit. Diese existenzielle Begründung des politisches Engagements ist abstrakter – aber damit vielleicht auch besser, weil es letztlich um langfristige Wertfragen geht, und nicht um kurzfristige Vorteile. Ich würde sagen: in gewisser Weise die Anti-FDP.
Besserverdienende? Wohlfühlthemen? In-Partei? Oder einfach die Erkenntnis, dass es möglich ist, konsequent für die Sache zu kämpfen und am Ende trotzdem Kompromisse zu schließen. Das ist möglich, weil wir wissen, um was es uns geht, und warum wir an Regierungen beteiligt sein wollen – auch wenn das manchmal unbequem ist (und natürlich nicht in jedem Fall so funktioniert, wie es ideal wäre).
Übrigens: die überwiegende Zahl der grünen Mitglieder ordnet die Grünen links von der SPD ein. Jeweils etwa 40 Prozent sehen sich in der Partei als Linke oder als Mitte – nur wenige wollen Parteirechte sein. Auch dass ein Indiz dafür, dass – egal wie bionadebürgerlich der Habitus sein mag – gesellschaftliche Solidarität für ganz viele Grüne ein wichtiger Wert ist. Wenn der Begriff nicht so inflationiert wäre, würde der Untertitel „Die Nachhaltigkeitspartei“ es treffen, denke ich – in allen Gerechtigkeitsdimensionen von Nachhaltigkeit. Und das ist, soweit ich das sehe, noch immer ein Alleinstellungsmerkmal.
Warum blogge ich das? Eigentlich, weil ich ein bißchen was böses über die Grünen sagen wollte, so zur Abwechslung. Was mir aber nicht gelungen ist. Die Beschimpfungen müssten jetzt also in den Kommentaren nachgeholt werden.