Ampel schaltet auf Notbetrieb

Was für eine Woche, oder eigent­lich: was für ein Tag! Am Mor­gen des 6. Novem­ber 2024 wird klar, dass Donald Trump nicht nur die Prä­si­dent­schafts­wahl klar gewinnt, son­dern auch durch­re­gie­ren kann und eine Mehr­heit der popu­lar vote haben wird. Am Abend des sel­ben Tages dann die Ent­las­sung des Finanz­mi­nis­ters und eine der weni­gen in Erin­ne­rung blei­ben­den Reden des Bun­des­kanz­lers (war­um erst da?). 

Die Ampel schal­tet nun tat­säch­lich in den Not­be­trieb. Das war zwar immer mal wie­der ver­mu­tet wor­den – dass es am Mitt­woch­abend dazu kam, war trotz­dem uner­war­tet. Chris­ti­an Lind­ner hat­te wohl einen etwas ande­ren Zeit­plan im Kopf. Trotz Feh­de­hand­schuh Wirt­schafts­pa­pier wirk­te er über­rascht, dass der Kanz­ler ihn tat­säch­lich vor die Tür setz­te. Und eben­so über­ra­schend folg­ten nur zwei der drei FDP-Minister*innen ihrem Parteichef. 

Umge­hend wur­de nach­be­setzt – für eine rot-grü­ne Min­der­heits­re­gie­rung mit unkla­rem Ablauf­da­tum. Das Gezer­re über den Ter­min der Ver­trau­ens­fra­ge wirkt unwür­dig und so, als sei­en alle Sei­ten nur auf ihren jewei­li­gen Vor­teil bedacht. Am absur­des­ten die Uni­on, die einer­seits mög­lichst sofort wäh­len las­sen möch­te, aber ande­rer­seits noch weit hin­ten dran ist mit Lis­ten­par­tei­ta­gen und Nomi­nie­run­gen. Mit Blick auf das Innen­le­ben von Par­tei­en und Wahl­be­hör­den und mit den ja durch­aus begrün­de­ten Fris­ten ist die von Olaf Scholz vor­ge­schla­ge­ne Wahl Ende März sinnvoll. 

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🙁

New York VI (Trump Tower / Emergency Exit)

Noch läuft die Aus­zäh­lung. Aber wenn ich den Pro­gno­sen der New York Times ver­trau­en kann – und die dahin­ter lie­gen­den Zah­len, der mas­si­ve Umschwung nach rechts sehen so aus – dann müss­te ein Wun­der gesche­hen, damit Kama­la Har­ris die­se Wahl noch gewinnt. Ich glau­be nicht an Wunder.

Ich gehe davon aus, dass der nächs­te Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten Donald Trump sein wird – mit einer Mehr­heit im Supre­me Court und im Senat, wahr­schein­lich auch im Reprä­sen­tan­ten­haus. Gleich­zei­tig hat die­ser Trump einen Plan, egal, wie sehr er sich davon rhe­to­risch distan­ziert. Inso­fern ist Trump 2024 nicht Trump 2016, son­dern etwas schlim­me­res. Und sein Vize­prä­si­dent steht nicht für die klas­si­sche repu­bli­ka­ni­sche Par­tei, son­dern für einen neu­en Faschis­mus. Das alles in Zei­ten, in denen die USA als ver­läss­li­cher Part­ner eigent­lich gebraucht wür­den – im Kli­ma­schutz, in der Ver­tei­di­gung der Ukrai­ne, im welt­wei­ten Kampf um Demo­kra­tie. Die­se Leer­stel­le wer­den wir bit­ter zu spü­ren bekommen.

2016 war ein Schock, ein böses und uner­war­te­tes Erwa­chen. 2024 fühlt sich anders an. Ich hat­te dar­an geglaubt, dass Har­ris eine Chan­ce hat, dass der Schwung ihrer Kan­di­da­tur bis hier­her reicht. Statt des­sen hat die Pola­ri­sie­rung zuge­nom­men, die zwi­schen Stadt und Land, zwi­schen Küs­ten und dem Lan­des­in­ne­ren – und fast über­all haben mehr Leu­te, bei höhe­rer Wahl­be­tei­li­gung, Trump gewählt als vor vier bzw. sogar vor acht Jah­ren. Objek­tiv betrach­tet war Biden ein guter Prä­si­dent. Gewür­digt wur­de das nicht. Und ich sehe schon die Legen­den, die gestrickt wer­den – dass die Demo­kra­ten viel­leicht doch lie­ber einen wei­ßen Mann hät­ten auf­stel­len sol­len, dass es bes­ser gewe­sen wäre, sich noch stär­ker auf das eine oder ande­re rech­te Nar­ra­tiv ein­zu­las­sen. Und auch davor habe ich Angst.

2024 ist tie­fe Frus­tra­ti­on. Egal, ob es X war oder die Rus­sen, oder schlim­mer noch, ehr­li­che Begeis­te­rung bei einer gro­ßen Zahl Wähler*innen für ein zutiefst reak­tio­nä­res Pro­jekt – das sind alles kei­ne guten Vor­aus­set­zun­gen für die kom­men­den Jahr­zehn­te. Nicht nur in den USA. Wir spü­ren das ja auch hier. Die Wah­len im Osten, die Wah­len in Ita­li­en und den Nie­der­lan­den, in Öster­reich, in Frank­reich. 2025 dann eine Bun­des­tags­wahl, bei der, jede Wet­te, die Merz-Uni­on voll auf Popu­lis­mus-Kurs gehen wird. Muss das sein?

Kurz: Merz von Gestern

Trotz der Wird-er’s‑oder-wird-er’s‑nicht-Berichterstattung war es eigent­lich abseh­bar. Der Kanz­ler­kan­di­dat der Uni­on heißt dem­nach wohl Fried­rich Merz. Der der SPD wird nach jet­zi­gem Stand der jet­zi­ge Kanz­ler sein, wenn da nicht noch ein Biden-Har­ris-Manö­ver folgt. Und mal ehr­lich: bei­de sind eigent­lich kei­ne so gute Wahl für unser Land. Merz setzt auf Kra­wall, auf das Ges­tern, auf einen weit­ge­hend naht­lo­sen Anschluss an Hel­mut Kohl. Geht’s nur mir so, oder passt das wirk­lich nicht mehr in die Zeit? (Mal ganz abge­se­hen, dass mir aktu­ell nicht klar ist, mit wem die CDU eigent­lich regie­ren will – mit dem BSW?)

Scholz hat­te jetzt drei Jah­re Zeit, zu zei­gen, dass er für Respekt steht, dass er Füh­rung lie­fert, dass er’s kann. Auch das sehe ich nicht so rich­tig. 2021 war er noch Pro­jek­ti­ons­flä­che. Das ist jetzt weg. Wir ken­nen ihn. 

Theo­re­tisch – und mit etwas Opti­mis­mus: auch prak­tisch – öff­net das den Mög­lich­keits­raum für einen drit­ten Kan­di­da­ten. Aus grü­ner Per­spek­ti­ve läuft’s dabei wohl auf Robert Habeck hin­aus. Klar, das ist eine Außen­sei­ter­chan­ce, auch wenn das Jahr vor der Wahl 2021 gezeigt hat, dass ein Jahr in der Poli­tik lang ist, dass sich noch vie­les bewe­gen kann. Habeck als Kanz­ler? Why not? Wenn Merz über sei­ne eige­nen Füße fällt, wenn Scholz den Moment ver­passt, von Buch­hal­ter auf Statt­hal­ter der Nor­ma­li­tät zu schal­ten – und wenn Habeck es schafft, in den kom­men­den Mona­ten nicht als sich klein machen­der Vize­kanz­ler der miss­lie­bi­gen Ampel zu erschei­nen, für die­se unge­lieb­te Tri­as zu ste­hen, son­dern für grün, als Vor­ah­nung des­sen das zum Leuch­ten zu brin­gen, was in die­sem Land mög­lich ist: dann könn­te es klappen. 

2011 hat­ten wir Grü­nen in Baden-Würt­tem­berg 24,2 Pro­zent, die SPD 23,1 Pro­zent – das reich­te, der Rest ist Geschich­te. Und ganz unähn­lich zum dama­li­gen CDU-Minis­ter­prä­si­den­ten Map­pus ist Merz nicht, bei Lich­te betrachtet. 

Das Dilemma der Konservativen

Foggy morning, Esslingen - VII

Klar stärks­te Par­tei in den Umfra­gen, inner­par­tei­lich halb­wegs geschlos­sen, in der Regie­rung in x Bun­des­län­dern, im Bund in har­ter Abgren­zung zur Bun­des­re­gie­rung „Oppo­si­ti­ons­füh­rer“ … eigent­lich müss­te die CDU vor Kraft kaum lau­fen kön­nen. Für die CSU gilt das erst recht, aber da ist’s immer so, inso­fern, blei­ben wir mal bei der CDU. Denn trotz die­ser Lage erweckt die CDU bei mir eher den Ein­druck, dass sie gera­de nicht so rich­tig weiß, in wel­che Rich­tung sie eigent­lich gehen will. Des­we­gen bin ich über­zeugt davon, dass die­ser Höhen­flug nicht von Dau­er sein wird.

Das fängt bei den Koali­ti­ons­op­tio­nen an. In eini­gen Län­dern gibt es erfolg­rei­che Koali­tio­nen zwi­schen CDU und Grü­nen (und ja, ich wür­de nicht nur Schles­wig-Hol­stein und NRW dazu zäh­len, son­dern auch Baden-Würt­tem­berg). Trotz­dem scheint die wich­tigs­te Fra­ge zu sein, sich nur ja von einem ver­meint­li­chen grü­nen Zeit­geist abzu­gren­zen. Und dazu gehört es dann auch – Stich­wort Kret­schmer – den Ein­druck zu erwe­cken, auf kei­nen Fall mit Grü­nen koalie­ren zu wol­len. Oder – sie­he Hes­sen, sie­he Ber­lin – mit faden­schei­ni­gen Begrün­dun­gen auf jeden Fall mit der SPD zu koalie­ren, Kos­ten egal.

In gewis­ser Wei­se ist die Geräusch­lo­sig­keit der Zusam­men­ar­beit in NRW und Schles­wig-Hol­stein (und ja, auch in Baden-Würt­tem­berg) für die CDU ein Pro­blem. Jeden­falls dann, wenn die The­se stimmt, dass ein erheb­li­cher Teil der Wähler*innen sol­che „in der Mit­te“ sind, auf die bei­de abzie­len. Mit­te stell‘ ich mir hier sozio­de­mo­gra­fisch vor, also höhe­re Bil­dung, geho­be­nes Ein­kom­men, aber nicht Ober­schicht. Das, was mal „bür­ger­lich“ hieß. In der Wunschwelt der Kon­ser­va­ti­ven wählt die­ses Milieu CDU und denkt über­haupt nicht dar­über nach, anders zu wäh­len. Des­we­gen steckt die Uni­on so viel Ener­gie dar­ein, Grü­ne als Haupt­geg­ner zu brand­mar­ken und – gegen jede Fak­ten­la­ge – zu behaup­ten, dass eine poli­ti­sche grü­ne Hal­tung und eine bür­ger­li­che Milieu­ver­an­ke­rung nicht zusam­men passen.

Ruhig und unauf­ge­regt als CDU mit Grü­nen zusam­men zu regie­ren, macht eine sol­che Erzäh­lung dann halt ziem­lich unglaubwürdig.

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Kurz: Legalisierung ante portas

Bun­des­rats­sit­zun­gen sind nor­ma­ler­wei­se eher drö­ge. Heu­te anders. Die Web­site bundesrat.de war immer wie­der down, auf You­tube sahen rund 30.000 Leu­te dem Stream zu, und im Chat neben dem Stream saus­ten Brok­ko­li-Emo­jis, Unver­ständ­nis für Unionsredner*innen und Zuspruch für Karl „King“ Lau­ter­bach nur so durch. Rich­tig: es ging um das Cannabisgesetz.

Im End­ef­fekt hat es im Bun­des­rat kei­ne Mehr­heit für die Anru­fung des Ver­mitt­lungs­aus­schus­ses gege­ben. In den Reden wur­de deut­lich, dass die Uni­on auf Total­blo­cka­de setzt und – Bun­des­ge­setz hin oder her – an einem maxi­mal repres­si­ven Kurs bei­spiels­wei­se in Bay­ern fest­hal­ten will. Ande­re Länderminister*innen beton­ten dage­gen eher Zustim­mung zum Ziel der Lega­li­sie­rung und Ent­kri­mi­na­li­sie­rung, sahen aber Pro­ble­me im Vor­ge­hen des Bun­des und in ein­zel­ne Rege­lun­gen. Eigent­lich wäre ein Ver­mitt­lungs­aus­schuss (VA) der rich­ti­ge Ort, um die­se Unklar­hei­ten zu klä­ren. Dass es trotz­dem kei­ne Mehr­heit dafür gab, lag an vie­len Ent­hal­tun­gen, lag sicher­lich auch an dem offen­si­ven Blo­cka­de­kurs der Uni­ons­spit­ze – jede Anru­fung des VA wäre risi­ko­reich gewor­den – und lag im End­ef­fekt auch dar­an, dass das Land Sach­sen ungül­tig abge­stimmt hat. (Stimm­ab­ga­ben sind im Bun­des­rat nur ein­heit­lich mög­lich – Minis­ter­prä­si­dent Kret­schmer stimm­te für den VA, sein Minis­ter Dulig aus der SPD dage­gen, damit zähl­te die Stimm­ab­ga­be im Ergeb­nis nicht).

Per­sön­lich kann mir die­ses Gesetz fast egal sein – ich habe weder an Can­na­bis noch an Alko­hol ein Inter­es­se (auch im Unter­schied zu z.B. dem CDU-Chef Merz) – poli­tisch ist die­ses Ergeb­nis auch aus mei­ner Sicht ein Erfolg. Gesund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach (SPD) hat das in sei­ner Rede deut­lich gemacht: es geht um Kon­trol­le und Jugend­schutz, um ein Ende des Schwarz­markts und die Ent­kopp­lung von ande­ren Dro­gen. Und dafür ist eine klug gemach­te Lega­li­sie­rung der deut­lich bes­se­re Weg als Dro­hung und Poli­zei. Nicht zuletzt: die Ampel zeigt, dass es manch­mal doch einen Fort­schritt geben kann.