Zeitgleich mit den Geschehnissen rund um DIY-Festival und „Freiburger Kessel“ fand in Freiburg auch die Mitgliederversammlung von fzs und ABS statt (also der Studierendenvertretungen und des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren). Nebenbei bemerkt: da hätte der u‑asta auch ein bißchen mehr Außenwerbung für machen können. Jedenfalls führte die Zeitgleichheit von fzs/ABS-MV und DIY-Festival dazu, dass auch ein paar Berliner Delegierte aus den dortigen ASten da waren und hautnahe Erfahrungen mit der neuen Freiburger Polizeitaktik machen konnten. Der eindrückliche Bericht darüber ist hier nachzulesen: http://www.astafu.de/aktuelles/archiv/a_2006/presse_08-03
Am konservativsten von allen …
… ist die Junge Union Freiburg (und damit schon wieder so richtig niedlich). Jedenfalls fordern die in einer Pressemitteilung folgendes:
1. Streichung aller öffentlichen Gelder für die KTS (Grund: andere Einrichtungen bräuchten das Geld eher, die KTS hält sich nicht an Polizeibefehle)
2. Streichung aller öffentlichen Gelder für die „sog. Schattenparker“ (keine Ahnung, ob die überhaupt welche kriegen oder was die JU damit meint, Grund: andere Einrichtungen bräuchten das Geld eher, die Schattenparker halten sich nicht an Polizeibefehle)
3. Keine Koalition der CDU mit den Grünen (Grund: gefährliche Anarchistenfreunde, die sich nur hinter einer bürgerlichen Fassade verstecken)
Während (1) und (2) so in etwa dem entspricht, was von einer ultrakonservativen Gruppe zu erwarten ist (und selbst aus dieser Sicht ziemlich dämlich ist – die JU würde glaube ich als erste protestieren, wenn das KTS-Publikum nicht mehr vorwiegend in der KTS, sondern vorwiegend z.B. in der Innenstadt oder auf der Straße zu finden wäre), ist die Aussagen zu (3) in der Pressemitteilung richtig amüsant. Zitat:
„Frau Viethen und die Grünen versuchen wohl mit ihrer demonstrativen Unterstützung der Anarchisten und mit ihrer polemischen Kritik an der Freiburger Polizei wieder Boden im linken Lager gut zu machen, den sie beim Beschluss für den Verkauf der Freiburger Stadtbau verloren haben. Damit zeigen die Grünen ihr widersprüchliches Gesicht und machen sich unglaubwürdig“, so Daniel Sander. […]
Die Äußerungen von Frau Viethen und Co. und deren Unterstützung der sinnlosen und gefährlichen Aktionen gegen den Staat hätten gezeigt, dass der bürgerliche Anschein, den die Grünen beim Wohnungsverkauf gewonnen hätten, nur Fassade sei. „Unter diesen Umständen ist auf absehbare Zeit keine kommunale Koalition mit den Freiburger Grünen und der CDU denkbar“, so Daniel Sander.
Mal abgesehen davon, dass im baden-württembergischen Kommunalrecht eh keine Koalitionen vorgesehen sind, und eine sachbezogene Politik anders aussieht, als in der pauschalen Ablehnung jeder Zusammenarbeit mit der stärksten Fraktion, so scheint mir die CDU – und insbesondere die JU – vor allem noch nicht ganz kapiert zu haben, dass es tatsächlich sowas wie eine „neue Bürgerlichkeit“ gibt, dass Grüne in Freiburg längst nicht nur von Linksalternativen gewählt werden. Deutschlandweit wird das beispielsweise in den Milieustudien des SINUS-Instituts deutlich: bis Anfang der 1990er Jahren gab es demzufolge in Deutschland ein „Alternatives Milieu“, das etwa 4 % der Bevölkerung ausmachte, und eine Art (jugendliche) Subkultur darstellte. In den aktuellen SINUS-Studien gibt es dieses Milieu nicht mehr – dafür die „Postmateriellen“, eines der gesellschaftlichen Leitmilieus und mit etwa 12 % mindestens so stark wie die Konservativen.
Die Existenz dieser „verbürgerlichten Alternativen“ – in Freiburg sicher deutlich mehr als 12 % – haben Teile der CDU/JU noch nicht begriffen. Sie laufen Feindbildern aus den 1980ern hinterher, die es so nicht mehr gibt. Und sie kapieren nicht, dass es inzwischen möglich ist, hohen Bildungsstatus und hohes Einkommen – mit allen Folgeerscheinungen wie dem Wohneigentum etc. – also die alten Insignien des Bürgertums – mit einem grün-bürgerrechtsliberalen Wertemuster zu verbinden, zu dem sowohl die Suche nach vernünftigen Haushalten als auch die Offenheit für kulturelle Experimente und alternative Lebensformen gehört.
Paradigmenwechsel bei der Freiburger Polizei?
Bis vor kurzem hat sich die Polizei in Freiburger dadurch ausgezeichnet, dass sie mit studentischen Demonstrationen, linksalternativen Protesten usw. meistens gut klargekommen ist. Statt Gewaltbereitschaft und Härte zu demonstrieren, wurde deeskaliert und versucht, sich z.B. auch bei unangemeldeten Demos mit den Demonstrierenden zu einigen. Das hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass auch große und wütende Demos etc. letztlich friedlich und ohne Randale über die Bühne gegangen sind. Inzwischen scheint das anders zu sein – die aktuellen Vorfälle rund um das DIY-Festival der KTS sind wohl nur die Spitze des Eisbergs. Mir ist vollkommen unklar, warum eine gute funktionierende Strategie zu Gunsten eines in letzter Zeit häufig eher unverhältnismässig zu nennenden Vorgehen aufgegeben wird und wer dafür verantwortlich ist (ich hoffe, einige grüne GemeinderätInnen nehmen sich der Sache mal an). Freiburg würde es jedenfalls gut zu Gesicht stehen, sich hier auf seine gerne gerühmten liberalen und toleranten Traditionen zu besinnen. Dazu gehört auch, unbequeme Meinungsäußerungen zu dulden – statt mit Kesseln und Kabelbindern dagegen vorzugehen.
Disclaimer: ich war weder bei der Demo noch sonstwie beim DIY-Festival, sondern kenne nur Berichte darüber. Das dabei zu Tage tretende Bild scheint mir aber ziemlich eindeutig zu sein – und passt zu ähnlichen Vorfällen in letzter Zeit.
> Artikel und Debatte bei „fudder“
> Pressemitteilungen und Infos der KTS
> Artikel in der taz von heute
Update: OB Dieter Salomon stellt sich hinter den Polizeieinsatz „und hat die Schnauze voll“ – auch eine Art der Vergangenheitsbewältigung.
Update 2: Ich sehe grade in der „fudder“-Diskussion einen (auf der BZ-Seite leider nur AbonnentInnen zugänglichen) Kommentar (BZ von heute), der durchaus lesenswert ist.
Freiburgs neue Linie? Polizeieinsätze am Wochenende
Die grüne Fraktionschefin im Gemeinderat, Maria Viethen, hat Recht. Seit geraumer Zeit fährt die Polizei eine härtere und nicht mehr die Freiburger Linie. Man muss kein Sympathisant jener Mittelklasse-Anarchisten sein, die aus ganz Europa eintrudelten, weil es hier ein bisschen Politik und viel Party geben sollte, um an der Verhältnismäßigkeit der jüngsten Polizeineinsätze zu zweifeln: Großaufgebote, um am Freitag ein illegales Camp zu räumen und am Samstag eine angekündigte, aber nicht angemeldete Demonstration aufzulösen. Vor allem in der Innenstadt zur besten Einkaufszeit gingen die Polizisten recht ruppig zur Sache. Wer dabei war, konnte keine Gefahr erkennen, die von den Spontis ausgegangen wäre. Die Aktion selbst beschwor die Gefahr der Eskalation herauf. Und genau da liegt der Unterschied: In Freiburg betrieb die Polizei seit Jahren erfolgreich Deeskalation. Die neue Marschrichtung lässt Raum für Spekulationen: Ist das die Handschrift von Heiner Amann, der seit gut zwei Jahren Chef der Polizeidirektion ist? Will Stuttgart dem grünen Freiburg die liberalen Flausen austreiben? Welche Rolle spielt der Chef der städtischen Polizeibehörde Walter Rubsamen und welche sein Dezernent Otto Neideck (CDU)? Und wo steht der Oberbürgermeister? Die Polizei mag am Wochenende für Ordnung gesorgt haben, nicht aber für Ruhe: Nicht nur grüne Stadträte verlangen eine Erklärung.
Uwe Mauch
Update 3: Noch ein paar Links:
> Fotos und Kommentare zu den Vorfällen aus dem DIY-Camp (Indymedia)
> Infos (1, 2, 3) von stattweb
> Website des DIY-Festivals
> Photos von dem Polizeikessel
Update: Wetter in Freiburg
Nein, ich fange jetzt nicht an, täglich über das Wetter in Freiburg zu schreiben. Über das von heute allerdings schon: ziemlich exakt in dem Moment, in dem ich mich entschlossen hatte, mein Büro zu verlassen, blieb es heiß und sonnig – nur dass plötzlich zusätzlich ein schwerer Regen auf die Oberlichter im Institutsflur trommelte. Draußen war es nass, dampfig warm und interessant beleuchtet: Sommerregen. Ein paar Bilder dazu gibt’s bei FlickR, z.B. diese beiden: