Die Ex-Politikerin (Piraten) und Politikwissenschaftlerin Julia Schramm schreibt über – Angela Merkel. Das Ergebnis ist mehr Blog auf Papier als klassisches Buch. Genauer gesagt nähert sich Schramm dem Phänomen Merkel in Fifty Shades of Merkel (Hoffmann & Campe, 2016) in fünfzig Vignetten an. Die behandeln so disparate Themen wie „Uckermark“, „Andenpakt“, „Partei“, „Religionsunterricht“, „Pflaumenkuchen“ oder „#Neuland“, grob chronologisch geordnet.
Das Ergebnis – manchmal etwas boulevardesk, immer im lockeren Infotainment-Stil eines reichweitenstarken Blogs gehalten, voll mit Netzreferenzen – kann sich durchaus sehen lassen. Es liest sich weg, und danach wirkt die Person Merkel vertrauter. Vielleicht sogar sympathischer. (Ein Nachteil des Formats: manches, etwa die Darstellungen der Beschimpfungen Merkels im Netz, wiederholt sich. Wer das Buch „in einem Zug“ liest, merkt das.)
Wer sich dafür interessiert, wie die Person Merkel aussehen könnte, wird hier fündig. Dabei gilt: Nicht alle Zuschreibungen, denen Schramm in den Fifty Shades nachgeht, wirken gleichermaßen plausibel. Merkel als „postdemokratische Nationalstaatsmanagerin“ (S. 101) oder als „Ironic Lady“ (S. 209) zu beschreiben, empfinde ich als plausibler als die „spirituelle Lehrerin der Deutschen“ (S. 157). Die „Mutter der Flüchtlinge“ fehlt dagegen weitgehend – Fluch der Tagesaktualität. Und ob Merkel als „Außenseiterin“ (S. 80) und „Nerd“ (S. 162) zutreffend beschrieben ist, darüber muss ich doch erst nochmal nachdenken. Schön in diesem Zusammenhang das Kapitelchen zum „Handy“ (S. 175), Telefon und SMS als bewusst angeeignete Machtwerkzeuge der Kanzlerin.
Drei Leitmotive durchziehen die einzelnen Kapitel: Das große Schweigen (Merkels Stilinstrument, aber eben auch das immer wieder geschilderte Problem fehlender redebereiter Quellen – Schramm bezieht sich, von einem Ausflug in die Uckermark abgesehen, rein auf Sekundärquellen, Zeitungsartikel, Netzberichte und diverse Merkel-Interviews und ‑Bücher). Geschlechterverhältnisse (vom „Vatermord“ und dem strategischen Ausspielen der CDU-Männercliquen bis zum „Hosenanzug“ und den kleineren und größeren Diskriminierungen, die selbst gegenüber der derzeit mächtigsten Frau der Welt fortbestehen; dem Buch ist anzumerken, dass Schramm hierbei auf eine gefestigte feministische Haltung zurückgreifen kann, die nicht beim bewusst verwendeten „_“ in vielen Personenbezeichnungen aufhört). Und die Perspektive auf Merkel aus Sicht der Netzgeneration. (Kleiner Gimmick am Rande: die Seitenzahlen sind in –< >– eingefasst, also der Merkel-Raute in ASCII).
Das Buch zeichnet insgesamt Merkel als Meisterin der Strategie mit sympathischen Charakterzügen. Schramm lobt Merkel immer wieder, betont positive Eigenschaften wie die Selbstironie, den Humor, das Spiel mit der Bodenständigkeiten. Manches erscheint als Deutungsversuch in Richtung grün-schwarz. Die harte Auseinandersetzungen mit einem über weite Strecken klar neoliberalen Kurs Merkels blitzt nur ganz vereinzelt auf, etwa im Kapitel „Freiheit“.
Letztlich bleiben Fifty Shades of Merkel ergebnisoffen. Ein Urteil fällt Schramm nicht. Oder, um es sozialwissenschaftlicher auszudrücken, auch wenn die Fifty Shades wohl eher als Politainment gedacht sind: das Buch bleibt Zettelkasten, bleibt Sammlung von Memos mit ersten Ansätzen zur Kategoriebildung, formuliert aber – jedenfalls nicht explizit – keine Theorie über Merkel. (In Grounded-Theory-Begriffen: der Integrationsschritt fehlt). Aber vielleicht bleibt es ja nicht dabei.
Warum blogge ich das? Weil ich beim Angebot eines Rezensionsexemplars nicht nein sagen konnte. Und gerade in Zeiten, in denen allenthalben über neue Koalitionsoptionen geredet wird, ist der facettenreiche Blick auf die Leitwölfin der CDU nicht uninteressant.