Im September fand ich weniger Zeit zum Lesen als üblicherweise. Das hat verschiedene Gründe; neben einem Fokus auf Serien – und einem Buch, mit dem ich mich schwer getan habe – habe ich größere Teile meiner Freizeit mit einem Python-Projekt gefüllt. Aber genug der Vorrede:
Auf dem Bildschirm gesehen haben wir den Minecraft-Movie, den ich allerdings arg quatschig und nicht wirklich überzeugend fand. Ja, der Film hat den einen oder anderen lustigen Moment, die eine oder andere Figur, die Empathie hervorruft – insgesamt ähnelt der ganze Plot jedoch einem Schwamm.
Ich bleibe bei den eher enttäuschenden Filmerlebnissen: die restlichen Folgen der dritten Staffel von Star Trek: Strange New Worlds (Paramount+) trugen leider weiter zum sehr durchwachsenen Eindruck dieser Staffel bei. Ohne zu viel zu verraten, lässt sich das Staffelfinale doch eher als Fantasy mit einem dünnen SF-Firnis beschreiben. Der Druck, an TOS anzuschließen, scheint leider zunehmend den kreativen Spielraum hinsichtlich Plot und Figurenentwicklung einzuschränken – statt dessen werden seltsame Experimente gestartet. Bleibt zu hoffen, dass die dritte Staffel eher einen Durchhänger darstellt und es mit der vierten wieder aufwärts geht.
Angefangen haben wir die zweite Wednesday-Staffel (Netflix). Die zweite Folge war besser als die teilweise arg oberflächliche und stereotype erste Folge. (Mehr ‚Emily the Strange‘ als Addams-Familie, falls das jemand etwas sagt …). Es soll besser werden, habe ich gehört – mal sehen, wie es weitergeht.
Richtig begeistert bin ich dagegen von Arcane (Netflix). Vielschichtige Figuren in einer ebenso vielschichtigen wie schillernden Fantasy-Welt, und das alles grafisch und musikalisch hoch innovativ umgesetzt – siehe https://mashable.com/article/netflix-arcane-league-of-legends-animation. Leider gibt es nur zwei Staffeln, der zweiten (die ich zu zwei Dritteln ebenfalls bereits gesehen habe) ist anzumerken, dass da sehr viel Geschichte massiv verdichtet wurde; schade, dass dem nicht mehr Raum gegeben wird. So oder so: eine Empfehlung für alle, die grafisch umgesetzte Fantasy ohne klare Gut-Böse-Dichotomie mögen.
Dann zu den Büchern. Gerne gelesen habe ich das Debut von Emily Paxman, Death on the Caldera (2025). Der Roman ist mehrschichtig, und die Beschreibung „Mordfall im Orient Express“ in einem Fantasy-Reich (bzw. genauer gesagt: in einem zwischen mehreren Fantasy-Reichen umkämpften Gebiet) trifft es nur teilweise. Es geht um Romanzen, um Widerstandskämpfe, um den Anbruch einer industriellen Revolution, um alte Vulkangottheiten und ein Königshaus mit interessanten Gebräuchen, um Hexerei und um diverse, recht clevere Magiesysteme. Und ja, das alles hat auch etwas mit einem Zug zu tun, und ist recht packend erzählt.
Ebenfalls sehr gerne gelesen habe ich den neusten Roman von R.F. Kuang, Katabasis (2025), der es auch auf diverse Bestsellerlisten geschafft hat; samt Porträts der Autorin bei großen Medienhäusern – erst dadurch ist mir bewusst geworden, dass sie nicht nur Babel geschrieben hat, sondern im „Litfic“-Feld schon mit anderen Büchern recht erfolgreich war. Wenn ich nach Gemeinsamkeiten zwischen beiden Büchern suchen wollte, dann wäre das der Innenblick auf britische Universitäten (hier Cambridge), eine dezidiert postkoloniale Perspektive und Magie. Da hört es dann aber auch fast schon wieder auf. Katabasis, der griechische Begriff für den Abstieg in die Unterwelt, spielt in einer undefinierten nahen Vergangenheit, ich würde auf die 1980er oder 1990er Jahre tippen. Alice Law, die Hauptperson des Buches, ist dabei, in Cambridge ihre Promotion abzuschließen – in dem Feld der „Analytical Magick“. Magie in Babel beruhte auf Sprache; für Katabasis hat sich Kuang ein Magiesystem ausgedacht, dass altehrwürdig ist und bis zu griechischen (und chinesischen) Klassikern zurückreicht, das auf mit Kalk (und der Lebensenergie von Jahrmillionen alten Organismen) gezeichnete Pentagramme setzt, und in dessen Kern Paradoxa stehen. In diesem Buch ist daraus ein typisches akademisches Feld geworden, mit renommierten ehrwürdigen Professoren und Außenseiter*innen, mit einem Kanon und apokryphischen Texten, mit Konferenzen und mit der Ausbeutung von Nachwuchswissenschaftler*innen, die bis spät abends im Labor schuften, um doch noch den Dreh hinzukriegen. Getrieben vom Ehrgeiz, selbst zu glänzen, getrieben von Neugierde – und letztlich doch nur Ausgebeutete in einem auf wenige „geniale“ Köpfe zulaufenden System. Was Kuang hier beschreibt, klingt erst einmal nach einem etwas reflektierteren Campusroman. Sie belässt aber nicht dabei, denn an die akademische Vorhölle schließt sich der wortwörtliche Abstieg in die mit allerhand Querverweisen gespickte Hölle an. Motivation bei Law (und ihrem Kollegen): den kürzlich bei einem Unfall verstorbenen Doktorvater zurück in die Welt der Lebenden holen, damit dieser die letzte Prüfung abnehmen kann, die vor dem eigenen akademischen Aufstieg steht. Es kommt anders – und Kuang zeichnet die mysogyne und von Ehrgeiz zerfresssene akademische Welt dabei genauso drastisch wie die Torturen, die die Hölle als Spiegel Cambridges bereithält. Ein Trip – mit einem überraschenden Ende.
Ganz passend zu diesen beiden Büchern und den oben genannten Filmen der kleine Band Charlie N. Holmberg’s Book of Magic (2024) – eine flott geschriebene Einführung dazu, wie Autor*innen konsistente und innovative Magie-Systeme entwickeln. Der Band deckt von magischen Gegenständen über Energiequellen und Kosten bis zum Blick auf die Konsequenzen (etwa auf Kriegs- und Staatsführung) alles ab, was beim Schreiben eines auf Magie setzenden Buches oder einer Geschichte zu beachten ist, und bereitet Lust, genau das zu tun. Der Band eignet sich gleichzeitig, um einen analytischen Blick darauf zu werfen, wie Autor*innen einsetzen – gerade bei Arcane spielen beispielsweise die Kosten, Begrenzungen und sozialen Auswirkungen der dort im Kern stehenden „Hextech“ eine große Rolle, und die beiden genannten Bücher leben ebenfalls zu einem großen Teil davon, dass die Autorinnen sich Magiesysteme ausgedacht haben, die nicht isoliert stehen, sondern in ein soziotechnisches System eingebunden sind.
Damit komme ich zum Schluss zu dem Buch, das ich nicht zu Ende gelesen habe, sondern nach zwei Dritteln abgebrochen habe – zu zäh war es, zu sehr war das Fehlen eines ordentlichen Lektorats spürbar. Dabei ist die Grundidee von Circle for the Earth (2025) von Daphne Singingtree durchaus interessant: ein 30-Meilen-Kreis rund um ein im Mittelpunkt stehendes Casino/Tagungshotel auf Lakota-Stammesland in South Dakota wird mit allem drum und dran aus unserer Gegenwart in die Vergangenheit versetzt, genauer gesagt ins Jahr 1791. Rund 10.000 Menschen müssen sich in dieser Situation zurechtfinden – aus zwei Counties und zwei Reservaten entsteht Changleska, ein aus Sicht der Autorin an Solarpunk-Ideen orientierter Staat, der die Geschichte der Vereinigten Staaten ändern könnte. Das Buch bietet sehr ausführliche Beschreibungen nicht nur der Gefühlszustände eines dutzend Fokuspersonen, sondern auch der technischen und politischen Grundlagen von Changleska. Was bis zu dem Punkt, wo ich abgebrochen habe, aber so gut wie nicht stattfindet, sind Begegnungen zwischen den Menschen aus unserer Zeit und der Welt der Vergangenheit – es werden nach zwei Dritteln des Buches gerade einmal erste Fühler hin zu den in der Nähe lebenden Lakota aus dem Jahr 1791 und die daraus entstehenden Missverständnisse beschrieben. Dafür sind bis dahin schon mehrere Morde, Attentate, Raubüberfälle etc. passiert; die 10.000 Menschen schaffen es, hart gegeneinander zu arbeiten. Möglicherweise beschreibt das die Gegenwart South Dakotas ganz gut, mir erschien es ein bisschen viel. Der Zufall bringt viele Ärzt*innen und ein paar kluge Leute mit in die Vergangenheit; mit das erste, was sie tun, ist ein neues, zensiertes Internet aufzubauen, das praktischerweise vorhandene Geothermie-Kraftwerk des Ressorts wird eine große Rolle spielen, und ausführlich wird auch beschrieben, wie so schnell wie möglich ein neues Geldsystem aufgebaut wird. Ach so: Alte und Kranke sterben leider, leider, weil es nicht genug Medikamente gibt. Aber dadurch werden Plätze in Heimen frei – Unterkunftsproblem gelöst. Wie schnell welche Technologie fehlschlägt, und wie schnell – ohne jeden Kontakt – das Mindset des 18. Jahrhunderts übernommen wird, überrascht ebenso wie die Tatsache, dass für ein Buch, das sich selbst Solarpunk zuordnet, Geld, Waffen und eher abschätzige Beschreibungen veganer Ernährungsstile eine große Rolle spielen. Irgendwann war mein Ärger darüber dann größer als meine Neugierde daran, wie die Autorin denn die tatsächliche Begegnung mit der Welt des 18. Jahrhunderts beschreiben würde.