Das Bundesverfassungsgericht hat soeben das Urteil zu zwei Wahlprüfungsbeschwerden, die sich gegen den Einsatz von „Wahlcomputern“ gewandt haben, veröffentlicht. Tenor: der Bundestag muss nicht aufgelöst werden, weil es keine Hinweise auf Manipulationen gab, der Einsatz von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 war jedoch verfassungswidrig.
Twitter und das CCC-Umfeld jubeln jetzt erstmal. Auch ich finde das Urteil gut. Das hat zum einen etwas damit zu tun, dass ich in der fehlenden Nachvollziehbarkeit der Auszählung und in der Gefahr „unsichtbarer“ Manipulierbarkeit eben auch große Schwachstellen von Wahlcomputern und Internetwahl sehe.
Zum anderen gefällt mir das Urteil – und unterscheide ich mich wohl vom netzpolitischen Mainstream – weil es die Möglichkeit offen lässt, verfassungskonforme Varianten von Wahlcomputern und Internetwahl zu entwickeln. Bei Spiegel Online wird dazu Andreas Vosskuhle zitiert:
„Der Tenor der Entscheidung könnte dazu verleiten, zu meinen, das Gericht sei technikfeindlich und verkenne die Herausforderungen und Möglichkeiten des digitalen Zeitalters“, sagte Vosskuhle. Dies treffe jedoch nicht zu. Der Einsatz von Wahlgeräten sei durchaus möglich. „Auch Internet-Wahlen hat das Gericht nicht etwa einen endgültigen Riegel vorgeschoben.“
Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, zuviel Euphorie an digitale Stimmabgabe dranzuhängen – etwa in der Hoffnung, dass dann die Wahlbeteiligung steigen und die Politikverdrossenheit abnehmen würde. Die Leute gehen nicht deswegen nicht zur Wahl, weil der Weg zum Wahllokal zu weit.
Trotzdem halte ich es für sinnvoll, darüber nachzudenken, wie eine digitale Wahl (Internet, Wahlcomputer, digitales Einlesen von Stimmzetteln, …) aussehen kann, die den Verfassungsansprüchen der gleichen, geheimen und im Ergebnis nachvollziehbaren Wahl genügt, aber trotzdem den Weg öffnet, zum Beispiel Volksabstimmungen zu vereinfachen.
Die derzeitigen Wahlen sind teuer und aufwändig. Das wird derzeit z.B. in NRW von den Grünen angeführt – als Gegenargument zu einem Extra-Wahltermin für die Kommunalwahl (42 Millionen). Wenn es hier gelingt, mit Hilfe von Informationstechnik die Transaktionskosten der Demokratie zu senken, wäre etwas dafür gewonnen, demokratische Beteiligung zu erleichtern. Dafür dürfen dann natürlich keine neuen Hürden aufgebaut werden, etwa komplizierte Anmeldeverfahren – oder eben die fehlende Nachvollziehbarkeit der Wahl. Aber mit dem Urteil jetzt von vorneherein jede Form digitaler Stimmabgabe zu verteufeln, halte ich für falsch. Und freue mich deswegen, dass das BVerfG das wohl auch so sieht.
Bleibt die Frage, ob per Televoting zustande gekommene Parteilisten verfassungskonform sind ;-) ((Für die grüne Europaliste: Ja, weil über die eigentliche Liste nochmal auf Papier abgestimmt wurde))
Warum blogge ich das? Weil ich es wichtig finde, das Thema Wahlcomputer differenziert zu betrachten. Auch und gerade nach diesem Urteil.
Update: Bei netzpolitik.org ist ein ganz lesenswertes Interview mit Andreas Bogk vom CCC zu finden („Allerdings bleibt die Forschung ja auch nicht stehen, und so ganz ausschließen kann man nicht, daß jemand auf die entscheidende Idee kommt, wie eine elektronische oder gar Online-Wahl so durchgeführt werden kann, daß sie demokratischen Prinzipien entspricht. Wir werden das kritisch weiter verfolgen.“). In der – noch nicht online stehenden – Presseerklärung der Grünen heißt es dagegen pauschal: „Wahlcomputer müssen endlich der Vergangenheit angehören“. Dem CCC mag ich tatsächlich keine Technikfeindlichkeit vorwerfen; bei meiner Partei frage ich mich schon, ob es so undifferenziert sein muss. Und bin gespannt auf die nächsten Wahlen auf einem Parteitag mit Wahlcomputern.