Friedrich Merz sprach davon, dass die Union eine „Alternative für Deutschland mit Substanz“ sei – ein weiterer Schritt auf dem Weg von CDU und CSU zurück nach rechts; die Ablösung des Generalsekretärs durch einen Hardliner und die Erklärung, dass Grüne der Hauptgegner seien, gehören ebenfalls zu dieser Geschichte. Ebenso wie der Vorschlag von Thorsten Frei, das Asylrecht abzuschaffen; rechts-offene Aussagen der sächsischen CDU und erst recht der Söder-Populismus-Plus-Wahlkampf in Bayern. Ich schreibe bewusst „zurück nach rechts“. Meine Jugendzeit fällt mehr oder weniger mit Kohls „geistig-moralischer Wende“ zusammen, und ein bayrischer CSU-Politiker namens Franz-Josef Strauß ist mir noch gut mit dem Spruch erinnerlich, dass rechts von der CSU nur die Wand kommen dürfe. „Kinder statt Inder“ war ein Wahlkampfslogan (2000), und die Asylrechtsverschärfungen in den 1990er Jahren würde ich ursächlich ebenso auf das Konto der CDU/CSU schreiben.
Also: die Union bewegt sich nach rechts. In der üblichen politischen Geografie aus „links“, „Mitte“ und „rechts“ wird dadurch ein Platz in der Mitte frei. Und es mag in der aktuellen Lage mit bedrohlichen Zustimmungswerten für die AfD etc. nach Zweckoptimismus klingen, aber ich bin überzeugt davon, dass durch den Rückzug der CDU aus der mit Merkel breit besetzten politischen Mitte sichtbar wird, dass dieser Ort längst besetzt ist – und zwar durch Bündnis 90/Die Grünen. Und zwar nicht durch einen Rechtsruck und die Übernahme populistischer Positionen, sondern weil es eine starke Resonanz zwischen einem, sagen wir, progressiven Bürgertum des 21. Jahrhunderts und den politischen Haltungen meiner Partei gibt.
Die politische Geografie ist ja höchst volatil. Es gibt allen Kompassen und Umfragen zum Trotz keine Nullmarke, die eine absolute Mitte definiert. Auf Skalen von ‑5 bis +5 werden die Überzeugungen und Haltungen von Bündnis 90/Die Grünen meist „links der Mitte“ einsortiert. Und das ist auch richtig so. Genauso, wie für alle außer für die Anhänger*innen der AfD klar ist, dass diese Partei ganz weit rechts auf dieser Skala steht. Aber erstens ist das politische Spektrum nicht eindimensional, und zweitens ist die Haltung einer Partei kein Punkt.
Wie gesagt, vielleicht mag es Zweckoptimismus sein, davon auszugehen, dass ein großer Teil der Menschen in Deutschland für Werte des 21. Jahrhunderts steht – für Weltoffenheit und Toleranz, für eine ökologische Grundfärbung und die Orientierung an Nachhaltigkeit, für gesellschaftliche Solidarität und für den Zusammenhalt. Vielleicht ist ein größerer Teil der Bevölkerung viel verängstigter, konservativer und insgesamt schlimmer in seinen Einstellungen, als ich das gerne hätte. Aber ist das die Mitte der Gesellschaft? Ist das die Mitte des politischen Spektrums? Oder gibt es nicht doch ein Bündnis der Vernünftigen (um nicht den „Aufstand der Anständigen“ zu zitieren), einen common sense, das es gut wäre, die wirklich wichtigen Probleme wie den Klimawandel gemeinsam anzugehen, sich keine Angst machen zu lassen und anständig und respektvoll miteinander umzugehen?
Ich gehe davon aus, dass es eine Mehrheit gibt, die so denkt – und dass diese Mehrheit nicht am Rand steht, sondern sich selbst als Mitte der Gesellschaft sieht. Und genau da sehe ich eine große Passung zur grünen Programmatik, zu grünen Grundhaltungen und nicht zuletzt zum grünen Personal. Aktuell wird das überdeckt. Vieles liegt hinter Nebelkerzen und Rauchbomben, die derzeit bewusst und in großer Zahl geworfen werden.
Wenn sich der Nebel lichtet, wird deutlich werden, dass wir längst da sind, „ick bin all hier“, wie der Igel im Wettlauf mit dem Hasen sagt. Und dazu sollten wir stehen.