Was mich zunehmend mehr erschreckt, ist die Bereitschaft zunächst vernünftig wirkender Menschen, abstruse Theorien zu glauben. Das müssen gar nicht die großen Verschwörungstheorien zwischen „Lügenpresse“ und „Chemtrails“ sein.
Die SPD-Wahlwoche würde das Problem nicht lösen
WELT und Spiegel online ist zu entnehmen, dass SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sich einige Gedanken dazu gemacht hat, wie die Wahlbeteiligung gesteigert werden kann. Mit Blick auf den Kern von Demokratie ist eine hohe Wahlbeteiligung ein sinnvolles Ziel, auch wenn z.B. die PEGIDA-Märsche Menschen anlocken, bei denen ich mir gar nicht so sicher bin, ob ich mich über deren Wahlrecht freuen soll – und obwohl taktisch gesehen eine geringere Wahlbeteiligung durchaus auch gut für kleinere Parteien (wie Bündnis 90/Die Grünen) sein kann.
Aber gehen wir mal davon aus, dass eine höhere Wahlbeteiligung für eine Demokratie grundsätzlich etwas Gutes ist. Heute liegt sie bei Bundestagswahlen bei rund 70 Prozent, bei Landtags- und Kommunalwahlen oft noch einmal deutlich darunter. Wikipedia visualisiert schön, wie die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen in den ersten Jahren der jungen Bundesrepublik angeklettert auf ein Niveau von 86–87 Prozent angestiegen ist, dann 1972 einen Spitzenwert von über 90 Prozent erreicht hat und sich seitdem – mit einigen Schwankungen – im Rückgang auf das heutige Niveau von rund 70 Prozent befindet. Der erste deutliche Einbruch erfolgte dabei von 1987 auf 1990 – die erste Wahl, in der auch in der ehemaligen DDR (die bei der „Volkskammerwahl“ von 93 Prozent Wahlbeteiligung erreichte) der Bundestag gewählt wurde.
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Kurz: Die Bitterkeit der Gegangenen
Die Bundesdelegiertenkonferenz in Hamburg habe ich per Stream (paar Mal reingeschaut), auf den sozialen Medien, aber auch im Pressespiegel und im Radio verfolgt. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Berichterstattung doch sehr vom Standpunkt der JournalistInnen abhängig ist. Ein und derselbe Parteitag erscheint da einmal als ohnmächtige Suche nach dem neuen Thema, als langweilig, als gelungene Zusammenführung der Partei und als erfolgreiche Bewährungsprobe der Parteispitze. Insgesamt, so mein Eindruck, ein guter Parteitag – mit der Agrarwende haben wir uns positioniert (und Toni Hofreiter sich), mit den Debatten um das Asylrecht (wie schon auf der baden-württembergischen Landesdelegiertenkonferenz mit der Auseinandersetzung um Winfried Kretschmanns Entscheidung ein Musterbeispiel dafür, wie strittige, emotionale Themen ernsthaft und mit Respekt behandelt werden können) und die Außenpolitik gezeigt, dass wir auch vor schwierigen Fragen nicht zurückschrecken. Mehr Biss – ja, das passt. Auch wenn’s nicht immer Äpfel sein müssen. Anders als andere Parteien – ich denke da an die Piraten – stehen Grüne auch dafür, in und mit der Auseinandersetzung zusammenzufinden, Zusammenhalt zu produzieren. Und das ist wichtig.
Interessant ist allerdings auch, wer welche Artikel und Kommentare teilte und wie bewertete. Boris Palmer zum Beispiel war zufrieden – kein Wunder; aber er lobte dann auch die Parteilinke für die ernsthafte Debatte. Alex Bonde teilte den Sieg Waziristans. Usw. – aber ich will jetzt gar nicht die ganze Riege der Realo-Männer aufzählen. Auf der anderen Seite, vor allem auf den Listen und in den Gruppen der grünen Linken, wurden eher die kritischen Berichte herausgezogen, geteilt und zustimmend bewertet. Prantl in der Süddeutschen und so. Auch das verwundert nur bedingt.
Etwas erschrocken, wenn auch ebenfalls psychologisch erklär- und erwartbar, bin ich über die Reaktion einer dritten Gruppe: die, die ausgetreten sind, oder die innerlich kurz davor stehen. Das sind in meinem z.B. Facebook-Bekanntenkreis gar nicht so viele. Dafür melden diese sich umso heftiger zu Wort. Goldwaage und schlipprige Rutschen sind ihre Instrumente, jede mißliebige Äußerung ist ein weiterer, lautstark bekundeter Beweis dafür, wie schlimm es um die Partei steht. Das Ende naht, noch besteht, so diese ProphetInnen, die Chance zur Umkehr. Wo andere Zusammenhalt und Gemeinsamkeiten sehen, wird hier nur Duckmäusertum und Verrat erkannt. Die bitteren Phantomschmerzen derjenigen, die gegangen sind, ohne anderswo anzukommen, und die denen, die sich anders entschieden haben, nun keinen Erfolg mehr gönnen. Professionell ist das nicht.
Vertrauensbildende Maßnahmen
Am Montag schrieb ich noch darüber, dass der BDK etwas fehle, und gestern tauchte dann ein Papier auf. Das Papier – »Grüner Aufbruch 2017« – löst nicht das gestern angesprochene Problem, aber es ist, meine ich, eine vertrauensbildende Maßnahme, die genau zur richtigen Zeit kommt. Deswegen unterstütze ich dieses Papier.
Kurz: Wer wärmt das grüne Herz?
In vier Wochen ist grüner Bundesparteitag in Hamburg. Ich bin zwar Ersatzdelegierter meines Kreisverbandes und als BAG-Sprecher könnte ich auch einfach so hinfahren, werde es aber (mangels freier Novemberwochenenden) höchstwahrscheinlich nicht tun. Und bin gar nicht so traurig darüber. Einerseits schon, weil’s halt auch immer eine Möglichkeit ist, einen nicht unerheblichen Teil der grünen Familie zu sehen. Andererseits lassen mich die Schwerpunkte dieser BDK seltsam kalt. Dabei sind es eigentlich wichtige Themen – die Freiheitsdebatte, Ernährung als Teil guten Lebens, Flüchtlingspolitik, die „europäische Friedensordnung“ (was auch immer das sein mag). Aber ich habe zunehmend den Eindruck (und nicht erst seit Waziristan-Vergleichen), dass das, was der Bundesparteitag hier jeweils entscheidet, nicht wirklich eine Rolle spielen wird. Glühende Kontroversen sehen jedenfalls anders aus. Wirklich. Und Wahlen stehen auch keine an, obwohl diverse Presseorgane so klingen, als sei das anders. Und ob die vorliegende Tagesordnung dazu geeignet ist, Feuer zu entfachen und zumindest das grüne Herz zu wärmen und zu motivieren – ich weiß nicht. Insofern befürchte ich, dass ich „Hamburg“ gar nicht so sehr vermissen werde. Was schade ist.