In letzter Zeit wabberte an verschiedenen Ecken und Enden ja immer mal wieder das Thema „Bio ist bäh“ ins Licht der medialen Aufmerksamkeit. Sei es durch die Stanford-Studie, die keine Unterschiede beim Vitamingehalt feststellen konnte (und Pestizidbelastungen nicht berücksichtigte), sei es durch diverse genüsslich wiedergekäute Skandale und Skandälchen, sei es durch SPIEGEL-Kolumnisten, die der SPD das Karottenkuchenmilieu madig machen wollen. Und trotzdem halte ich es nach wie vor für sinnvoll, „bio“ einzukaufen (und für „fair“ gilt ganz ähnliches). Warum? Dazu zehn Thesen.
Die taz fragt: Müssen Linke bio essen?
Die taz macht jeden Woche so einen „Streit der Woche“, und sucht dafür natürlich immer kontroverse Themen. Heute heißt es Müssen Linke bio essen?. Gute Frage, wie ich fand – bis ich näher darüber nachgedacht habe und festgestellt habe, dass die Frage eigentlich falsch gestellt ist. Und das hat etwas mit der Gründung der Grünen zu tun.
Kurze Rückblende in die siebziger Jahre. Mal abgesehen, dass ich da zur Welt komme (1975), finde ich dieses Jahrzehnt auch aus anderen Gründen interessant: da formiert sich nämlich die moderne Friedens- und Umweltbewegung und wird letztlich auch zur Partei DIE GRÜNEN (1979/80) (und die taz …). Ein wichtiges Element in dieser Bewegung und in der sich gründenden Partei ist die „Neue Linke“, also eine Abkehr vom dogmatischen Sozialismus (Stichwort 1968er und so). In der Partei, aber auch in diesen Bewegungen kommt – ganz verkürzt gesagt – die Vorstellung eines „neuen Lebensstils“ zusammen, der für die Industrieländer notwendig ist (später wird daraus das Nachhaltigkeitskonzept). Soziale Gerechtigkeit und ökologische Zukunftsfähigkeit müssen zusammengehen. Und damit kommt etwas Neues ins Spiel, das weder in der sozialdemokratischen Traditionslinie, die an der Umwelt nur interessiert hat, ob die Stahlarbeiter im Ruhrgebiet einen blauen Himmel sehen können, noch in der dogmatisch-sozialistischen Linie (wo Umwelt irgendwo zwischen Nebenwiderspruch und „sowjetische AKWs sind gut, westliche AKWs sind böse“) eine Hauptrolle gespielt hat.
Jetzt, in der damals neuen „grünen“ Bewegung, kommt beides zusammen. Auch das hat historische Vorbilder (Stichwort: Lebensreform, so irgendwo zwischen 1880–1900-1920er Jahre). In der neuen Inkarnation ist der „neue Lebensstil“ in seiner Bewegungs- und Parteiform zudem mit massiven Heterogenitäten konfrontiert: in der neuen Partei sammeln sich zunächst mal machtbewusste Menschen aus den K‑Gruppen, denen Umwelt so wichtig auch nicht ist ebenso wie naturschützende Blut- und Boden-Konservative, für die Umweltschutz und „Lebensschutz“ in eins fällt. Hier kommen sozialdemokratisch-protestantische AsketInnen aus der Friedensbewegung mit Menschen zusammen, die aus dem „neuen Lebensstil“ ein mit Leib und Seele gelebtes Öko-Projekt machen wollen (und aus deren Projekten zum Teil die heutigen Naturkostgiganten entstanden sind – ich fand hier den Selbstdarstellungsprospekt des Naturkosthestellers „Rapunzel“ zum 30-jährigen sehr interessant). Dieses Amalgam findet sich unter dem Banner „ökologisch – sozial – basisdemokratisch – gewaltfrei“ wieder.
Ein paar Jahrzehnte vorwärts: in den 1990er Jahren wurde mir dieses grüne Alleinstellungsmerkmal so richtig bewusst, als ich – in der damals sehr alternativen Grün-Alternativen Jugend (GAJ) aktiv – mit den lokalen JungdemokratInnen/Junge Linke (JD/JL; ebenfalls heterogen zwischen linksliberal und neomarxistisch) über eine Zusammenarbeit verhandelte. Für ein paar Jahre gab es eine gemeinsame Gruppe GAJ/JD/JL in Freiburg – aus der Zeit heraus bin ich übrigens auch Mitglied der JungdemokratInnen. Jedenfalls: die Grün-Alternative Jugend bildete jenseits der Politik ihre Identität irgendwo zwischen Hanf (nicht mein Ding), Vegetarismus (schon eher), Hippietum und Jugendumweltbewegung, tage in Waldorfschulen und machte bei Aktionen gegen den Autoverkehr mit. Für JungdemokratInnen war es dagegen überhaupt keine Frage, zur Delegiertenkonferenz ins sozialistische Tagungszentrum in Oer-Erkenschwiek mit dem Auto anzureisen (oder auch zum Camp …) und lieber über Solidarität zwischen den sozialistischen Bruderländern und den Kampf der Arbeiter(innen?) zu reden als über sowas Seltsames wie Ökologie. Die Frage eines Kollegen aus der JD/JL in dieser Zeit, warum ich den ein Problem mit dem Auto hätte, und dass es ja wohl wichtigeres gäbe, irritierte mich ebenso sehr wie den meine Antwort mit Verweis auf die Grenzen der planetaren Tragfähigkeit, und dass es ja wohl nichts wichtigeres geben könne.
Aus dieser politischen Biographie heraus liegt der Fehler in der Frage, die die taz stellt, genau da. Natürlich essen traditionsbewusste Linke nicht bio, und schon gar nicht vegetarisch. Der Prototyp dafür ist heute vermutlich in den Gewerkschaften zu finden. Menschen, die bio essen, müssen – selbst wenn sie’s nicht nur aus Gesundheitsgründen tun, sondern schon den (naturalen wie sozialen) Herstellungsprozess im Blick haben – nicht unbedingt links sein. Warum auch?
Womit wir am Schluss nochmal bei den Grünen wären. Idealtypisch ist das nämlich immer noch die Partei, in der beides zusammenkommt: das Bewusstsein dafür, dass es eine extreme Abhängigkeit zwischen ökologischen Prozessen und dem Leben von Menschen auf diesem Planeten gibt, und dass „ökologisches Kapitel“ eben nicht beliebig durch anderes ersetzbar ist, und das Bewusstsein dafür, dass weltweit und lokal gesehen Ausbeutungsverhältnisse und Ungleichbehandlungen Menschen an ihrer Selbstentfaltung hindern und nicht zuletzt darum zu bekämpfen sind. Beides kommt in Konzepten wie dem der Umweltgerechtigkeit (environmental justice) zusammen: die Feststellung, dass Smog eben nicht demokratisch ist, sondern sich ökologische Risiken sozial ungleich verteilen.
Müssen Linke bio essen? Nicht unbedingt, aber wenn sie wollen, dass sie im 21. Jahrhundert ernst genommen werden, dann wäre Bio-Essen ein Symbol dafür, links zu sein, ohne dabei den Blick für politische Fragen jenseits des Verhältnisses von Kapital und Arbeit verloren zu haben (das ganze ließe sich übrigens auch mit Feminismus statt mit Bio-Essen durchspielen). Oder anders gesagt: wer im 21. Jahrhundert behauptet, links zu sein, aber seinen persönlichen Lebensstil nicht für ein Politikum hält, hat was verpasst.
Warum blogge ich das? Weil mich die Frage durchaus angesprochen hat. Und ich mir auch noch gar nicht so sicher bin, ob das hier meine endgültige Antwort darauf ist. (U.a., weil ich oben noch gar nichts zu Latours politischer Ökologie gesagt habe).
Nachtrag: (14.08.2010) Die taz hat mich heute mit einer (von mir verfassten) Kurzfassung dieses Beitrags auf ihrer Streitfragenseite. Lustig finde ich, dass der von mir geseitenhiebte LINKEN-Chef Klaus Ernst ebenso wie ich auf der „Ja, Linke sollten bio essen“-Seite mit einem Kommentar vertreten ist. So ganz überzeugt davon, dass diese politische Haltung auch seiner persönlichen Praxis entspricht, bin ich allerdings immer noch nicht. Eher ärgerlich: dass die taz mit die Binnen-Is (und den Verweis auf die Parallelität zum Thema Emanzipation) rausgekürzt hat. Und natürlich das fehlende „ay“ …
Äpfel und Birnen vergleichen
Ich kaufe inzwischen zu ungefähr 80–90% Bioprodukte. Das mag auch daran liegen, dass ich inzwischen eine Kundenkarte bei „meinem“ Bioladen habe und damit das Preisniveau halbwegs erträglich ist. Letztlich kaufe ich aber aus politischen Gründen „bio“: weil ich Probleme damit habe, wie der agrarindustrielle Komplex wirtschaftet, weil ich, wenn ich schon Milchprodukte und Eier verzehre, zumindest keine Massentierhaltung damit unterstützen möchte, und weil ich – zum Beispiel beim Kaffee und bei Schokolade – inzwischen „fair“ und „bio“ verbinden kann und sich das sozio-ökologisch gut anfühlt.
Ich weiss, dass es viele gibt, die den Bio-Konsum weniger politisch begründen, sondern – LOHAS ist hier das Schlagwort – mit Lifestyle und „Health“ (vgl. auch NVS II). Aber auch kontrolliert biologisch angebauter fairer Rohrohrzucker ist Zucker, um nur ein Beispiel zu nennen, warum „bio“ nicht automatisch „gesund“ bedeutet. Insofern wundern mich die jetzt viel diskutierten Ergebnisse des Stiftung-Warentest-Vergleichs zwischen biologisch angebauten und konventionellen Produkten wenig. Und ja: dass, wenn beim Anbau weniger Gift eingesetzt wird (auch z.B. Kupferlösungen im Weinbau sind letztlich Gift), dann auch weniger Pestizide im Essen sind: auch das wundert mich nicht wirklich.
Gleichzeitig muss schon gefragt werden, mit was für einem Verständnis die Stiftung Warentest an den Vergleich rangegangen ist. Zumindest zwischen den Zeilen scheint da die alte Tonnen-Ideologie durchzuscheinen. Gut ist, wo viel drinsteckt – Hochleistungskühe, überdüngte Felder, aufgeputsche Kunstlebensmittel, und was möglichst billig ist. Mit der SZ kann also die Frage gestellt werden, was die politische Agenda dahinter ist, Biolebensmittel schlechtzureden („sind ja gar nicht besser“) – vor allem dann, wenn die Ergebnisse des Vergleichs diese Aussage gar nicht decken.
Und auch dem Fazit der SZ kann ich mich nur anschließen:
Aber gemessen an den Ansprüchen, mit denen die ökologische Landwirtschaft eigentlich angetreten ist, bleibt es dabei: Bio war und ist besser. Besser für die Umwelt, die Tiere und letztlich auch für den Menschen.
Es geht also nicht um Gesundheitsförderung und „medicinal food“, sondern um einen viel weiter gefassten Begriff von Gesundheit – vergleichbar der Definition der WHO. Die Ansprüche ökologischer Landwirtschaft bestehen eben nicht darin, hochpreisige Nischenlebensmittel mit Wellnessfaktor zu produzieren, sondern ein Ernährungssystem zu etablieren, dass Lebensmittel herstellt, die nicht auf Massentierhaltung angewiesen sind, die Böden und Grundwasser in der Bewirtschaftung schonen und die idealerweise in regionaler Nähe produziert werden.
Anders gesagt: letztlich verbergen die so objektiv erscheinenden Testergebnis und Noten, dass dahinter immer ein – durchaus auch offengelegter, aber nichtsdestotrotz gesetzter – Maßstab der Bewertung steht. Insofern vergleicht die Stiftung Warentest hier Äpfel und Birnen.
Warum blogge ich das? Erstens, weil mich die Frage nach der Agenda hinter dem Schlechtreden von Biolebensmitteln durchaus auch umtreibt – und zweitens, weil ich es interessant finde, was für ein Echo diese – ja immer wieder mal auftauchenden – Meldungen haben. Kurz gesagt: die Politik des Biolebensmittelkonsums. Und drittens, weil ich glaube, dass wir „Ökos“ auch eine Spur Selbstkritik brauchen – eine qualitative Inhaltsanalyse der Produktwerbung und der einschlägigen Magazine dürfte zu Tage fördern, dass gerade in den letzten Jahren die für den Boom so förderliche Botschaft „Gesundheit“ immer wieder gerne nach vorne gestellt wurde.