Übermorgen enden dann die drei Monate des Großversuchs Neun-Euro-Ticket. Leider wurde vorher nicht klar definiert, was den Erfolg dieses Versuchs ausmacht – insofern ist jetzt sehr interpretationsoffen, ob das Ticket die damit verbundenen Ziele erreicht hat oder nicht. Verkauft wurde es wohl mehr als 50 Millionen Mal. Klar ist: Es wurden Treibhausgase eingespart – es heißt, etwa so viel wie durch ein Tempolimit 130 im Jahr erreicht würde. Abonnent*innen von Monats- und Jahreskarten wurden sehr deutlich entlastet. Und Menschen, die auf jeden Euro gucken müssen, hatten die Möglichkeit, touristische und Freizeitfahrten zu unternehmen – also ein Beitrag zur Teilhabe.
Gleichzeitig dürfte das Neun-Euro-Ticket, da ja, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, eine bei Nacht und Nebel geborene Idee war, um dem FDP-Tankrabatt etwas entgegenzusetzen, so etwas wie ein Stresstest für den öffentlichen Nahverkehr dargestellt haben. Und ein Vorgriff auf die Utopie eines ticketlosen, per Umlage/Steuermittel finanzierten Verkehrs. Dabei zeigte sich dann, das Busse und Bahnen bisher nicht darauf eingestellt sind, dass deutlich mehr Menschen als heute sie nutzen. Und dass die Kombination aus coronabedingtem Fachkräftemangel und zusätzlichen Nutzer*innen nicht unbedingt ideal ist. Wer den ÖPNV attraktiver machen will, muss vermutlich an beiden Schrauben drehen: am Preis und am Angebot. Und das wird dann schnell richtig teuer.
Das Gefühl, einfach einsteigen zu können, egal wo – ohne sich mit komplizierten Wabenstrukturen, Kurzstreckentarifen und Tagesgruppenkarten herumschlagen zu müssen – ist ein gutes Gefühl. Mit der Bahncard 100, die ich mir leiste und leisten kann, habe ich dieses Gefühl auch jetzt schon; sie enthält quasi den City-Bereich, der auch bei anderen DB-Fahrkarten dabei ist. Das sind nicht alle Nahverkehrsverbindungen, was manchmal zu Rätselraten führt, aber meist lassen sich Busse und Bahnen damit nutzen. Trotz Bahncard 100 habe ich mir für zwei Monate noch ein Neun-Euro-Ticket gekauft – das eine, weil ich die Bahncard nicht dabei hatte, das andere, um die Lücke zwischen der vorherigen und der nächsten Bahncard zu füllen. Bei diesem Preis ist so etwas sehr unproblematisch und spontan möglich. Das sieht bei einem höheren (und finanzierungstechnisch vermutlich leider realistischeren) Preis wie 49 Euro anders aus.
Zudem habe ich mich gefreut, dass auch die Schülerabos der Kinder als Neun-Euro-Ticket deutschlandweit gegolten haben. Wir haben das zwar nicht intensiv genutzt, aber bei den Gelegenheiten, wo wir in anderen Städten waren, war das gut, einfach einsteigen zu können. Es geht auch ohne Tarifzonen und ohne kompliziertes Verbundsystem – und das fühlt sich nach einer deutlichen Erleichterung an.
Es gibt jetzt in der Ampel verschiedene Ideen, wie es mit dem Neun-Euro-Ticket weitergehen soll. Die SPD schlägt ein 49-Euro-Ticket vor, die Grünen haben mal ein gestaffeltes System ins Spiel gebracht, bei dem es günstige Bundeslandtickets/Regionaltickets und ein etwas teureres Deutschlandticket gibt. Es wäre jedenfalls gut, hier eine Lösung zu finden – und vorher zu überlegen, welches Problem gelöst werden soll: Soll der ÖPNV attraktiver und günstiger werden, geht es um Klimaschutz? Sollen mehr Menschen zum umsteigen motiviert werden? Oder steht die Entlastung von ÖPNV-Pendler*innen im Vordergrund? Oder geht es um soziale Teilhabe?
Das sind alles Fragen, deren Antworten zu unterschiedlichen Modellen führen. Alles gleichzeitig wird nicht funktionieren – erst recht nicht im komplizierten Geflecht aus Bund, Ländern, Verkehrsverbünden und Kommunen. Die sollten von vorneherein mit am Tisch sitzen, statt dass der Bund Ländern und Verbünden etwas überstülpt, aber dann Kofinanzierungen verlangt – gleichzeitig wäre es blöd, wenn das Zuständigkeitsgeflecht dazu führt, dass es keine Lösung gibt.
Alles nicht einfach. Die Ampel kann also zeigen, was sie kann – ich bin gespannt.
Interessant ist auch, was mit den bestehenden Vorhaben der Länder passieren wird. Beispielsweise ist in Baden-Württemberg als ein Leuchtturmprojekt der grün-schwarzen Koalition ein 365-Euro-Jugendticket (also 30 Euro pro Monat) geplant, das landesweit gilt und nach langwierigen Vorbereitungen und Verhandlungen zwischen Land und Verbünden für März 2023 in den Startlöchern steht. Oder, im kleineren Maßstab: an Unis wird häufig heftig über Semestertickets gestritten – auch derartige Modelle würden, genauso wie lokale Monatskarten wie die Regiokarte des RVF, übrigens historisch mit Einführung 1991 eine der ersten „Umweltkarten“, dann obsolet.