Basteln am Landtagswahlprogramm: Politik für Promovierende

Schnecke III

Anfang Dezem­ber wird das Land­tags­wahl­pro­gramm der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen beschlos­sen wer­den. Des­we­gen tobt jetzt noch ein­mal die Pro­gramm­de­bat­te durch Kreis­ver­bän­de, LAGen und Mai­ling­lis­ten. Ziel ist es, mög­lichst vie­le Ände­rungs­an­trä­ge zu schrei­ben noch zu ver­bes­sern, was zu ver­bes­sern ist, bevor das Pro­gramm nach der Par­tei­tags­ab­stim­mung dann steht. Der Pro­gramm­ent­wurf und die Ände­rungs­an­trä­ge der zwei­ten Ver­schi­ckung ste­hen im Netz.

Ich habe – zum Teil über mei­nen Kreis­ver­band, zum Teil als Per­so­nen­an­trag (10 Unter­stüt­ze­rIn­nen not­wen­dig) – auch schon ein paar Ände­rungs­an­trä­ge ein­ge­reicht. Bis­her noch nicht getan habe ich das für den Hoch­schul­teil. Eini­ge Ideen dazu ste­hen in die­sem Ether­pad. Dort ist auch der fol­gen­de Antrag zu fin­den, den ich ger­ne zum The­ma „Poli­tik für Pro­mo­vie­ren­de“ ein­rei­chen möch­te – der Antrag geht auf eine Dis­kus­si­on in der LAG Hoch­schu­le zurück, viel­leicht rei­chen wir ihn auch als LAG ein. Trotz­dem wür­de mich sowohl die Unter­stüt­zung (jedes Par­tei­mit­glied aus BaWü darf …) als auch eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem vor­ge­schla­ge­nen Text freu­en. Bis­her taucht das The­ma Pro­mo­ti­on im Hoch­schul­teil des Land­tags­wahl­pro­gramms nicht auf.

Ände­rungs­an­trag „Pro­mo­ti­on“ zu LTW 3, S. 16, Z. 756

Antrag: In Zei­le 749 soll im Anschluss an die „Leit­idee 8: Bolo­gna“ ein neu­er Absatz ein­ge­fügt wer­den, der wie folgt lautet:

„Die Situa­ti­on der Pro­mo­vie­ren­den verbessern

In der Öffent­lich­keit bis­her wenig beach­tet, an den Hoch­schu­len aber umso deut­li­cher zu spü­ren, ver­än­dert sich mit dem Bolo­gna-Pro­zess, Dritt­mit­tel­for­schung und der Exzel­lenz­in­itia­ti­ve auch der Sta­tus der Pro­mo­vie­ren­den. [Zuletzt hat das ‚Temp­li­ner Mani­fest’ der GEW dar­auf auf­merk­sam gemacht, dass hier vie­les im Argen liegt. / Hier liegt vie­les im Argen.] Gemein­sam mit Hoch­schu­len, Pro­mo­vie­ren­den und Gewerk­schaf­ten wol­len wir die Situa­ti­on der Pro­mo­vie­ren­den in Baden-Würt­tem­berg ver­bes­sern. Dies betrifft die sozia­le Absi­che­rung in die­ser häu­fig pre­kä­ren Lebens­pha­se, die hier­ar­chi­sche Abhän­gig­keit von Betreue­rin­nen und Betreu­ern und nicht zuletzt die Fra­ge einer bes­se­ren Ver­ein­bar­keit von wis­sen­schaft­li­cher Qua­li­fi­ka­ti­on, Leh­re und For­schung und fami­liä­rer Sor­ge­ar­beit. Wir wol­len Ange­bo­te der struk­tu­rier­ten Pro­mo­ti­on aus­bau­en, aber auch ande­re Wege zur Pro­mo­ti­on erhal­ten und attrak­tiv gestal­ten. Stu­di­en­ge­büh­ren für die Pro­mo­ti­ons­pha­se leh­nen wir ab.“

Begrün­dung: Wir sehen erheb­li­chen poli­ti­schen Hand­lungs­be­darf in der Fra­ge, wie die Pro­mo­ti­ons­pha­se gestal­tet wer­den soll. Die heu­ti­ge Situa­ti­on der Pro­mo­vie­ren­den ist viel­fach durch gro­ße Unsi­cher­heit gekenn­zeich­net. Im Bolo­gna-Pro­zess wird die Pro­mo­ti­ons­pha­se als Qua­li­fi­zie­rungs­schritt betrach­tet. Gleich­zei­tig sind Pro­mo­vie­ren­de Men­schen, die nach dem Stu­di­um eigen­stän­dig wis­sen­schaft­lich tätig wer­den. Im „Temp­li­ner Mani­fest“ der GEW wird die Pro­mo­ti­on daher als „ers­te Pha­se wis­sen­schaft­li­cher Berufs­aus­übung“ ver­stan­den. Je nach Fach, Hoch­schu­le, per­sön­li­chem Enga­ge­ment und nicht zuletzt bio­gra­phi­schen Zufäl­len fin­den sich Pro­mo­vie­ren­de heu­te zwi­schen die­sen bei­den Polen. Vie­le Pro­mo­vie­ren­de erle­ben die Pro­mo­ti­ons­pha­se als eine durch sich wider­spre­chen­de Anfor­de­run­gen, eine star­ke per­sön­li­che Abhän­gig­keit und hohen Zeit­druck gekenn­zeich­net. Für Frau­en und für Män­ner kommt heu­te die „rush hour“ der Fami­li­en­grün­dungs­pha­se hin­zu, die ja oft in die­sen Zeit­raum fällt. Ent­spre­chend groß ist die Zahl abge­bro­che­ner Pro­mo­ti­ons­vor­ha­ben und psy­cho­so­zia­ler Probleme. 

Im Wahl­pro­gramm möch­ten wir das Signal set­zen, dass uns der poli­ti­sche Hand­lungs­be­darf bewusst ist. Gera­de auf­grund der Viel­falt an der­zeit exis­tie­ren­den Wegen zur Pro­mo­ti­on und den dar­aus resul­tie­ren­den unter­schied­li­chen Lebens­si­tua­tio­nen und Pro­blem­la­gen hal­ten wir es aller­dings für falsch, so zu tun, als ob es „die“ eine poli­ti­sche Lösung gebe. Wir legen des­we­gen den Schwer­punkt dar­auf, deut­lich zu machen, dass uns die Pro­ble­me der Pro­mo­vie­ren­den bekannt sind und Hin­wei­se dar­auf zu geben, wie ein poli­ti­sches Ver­fah­ren aus­se­hen kann, mit dem an ihrer Lösung gear­bei­tet wer­den kann. 

Was meint ihr?

Der Weg von der Idee ins Programm

Falls jemand mal wissen wollte, wie eine Partei intern so str... on TwitpicNach­dem auf Twit­ter gera­de dar­über dis­ku­tiert wird, wie das mit der gan­zen inner­par­tei­li­chen Struk­tur bei Bünd­nis 90/Die Grü­nen so aus­sieht, und mei­ne Ant­wort neben die­sem Bild eigent­lich nur ist: viel­fäl­tig, weil jeder Kreis- und Lan­des­ver­band in gewis­ser Hin­sicht sei­ne eige­nen Gepflo­gen­hei­ten (Sat­zungs­au­to­no­mie!) hat, und weil es vie­le ver­schie­de­ne „Macht­zen­tren“ gibt, doch noch mal ein paar Wor­te mehr zu der Fra­ge, wie eine poli­ti­sche Idee vom Mit­glied ins Pro­gramm wan­dert.
„Der Weg von der Idee ins Pro­gramm“ weiterlesen

Hinweis auf politische Ehrlichkeit

Rede Winfried Kretschmann IIIWeil’s mir wich­tig ist, kurz der Hin­weis, dass ich mich im heu­ti­gen Grün­zeug am Mitt­woch mit der Fra­ge poli­ti­scher Ehr­lich­keit aus­ein­an­der­set­ze – am Bei­spiel der bei eini­gen ganz empört auf­ge­nom­me­nen Aus­sa­ge von Win­fried Kret­sch­mann, dass Stutt­gart 21 jetzt noch zu stop­pen ist, dass aber nicht klar ist, ob das in eini­gen Mona­ten auch noch so sein wird.

Sie­he auch: Sie­ben Fra­gen zu Stutt­gart 21

Sieben Fragen zu Stuttgart 21 und anderem (Update)

Im Lauf des Tages sind mir eini­ge Fra­gen und nach­for­schungs­wür­di­ge bzw. nach­den­kens­wür­di­ge Punk­te – z.T. auch Gerüch­te – gekom­men, die mehr oder weni­ger direkt mit Stutt­gart 21 zusam­men­hän­gen. Die habe ich hier mal auf­ge­schrie­ben. [Ein­ge­rückt ein­ge­fügt der aktu­el­le Stand des Wis­sens aus den Kom­men­ta­ren und mei­nem Twit­ter­feed, 10.10.10]

1. Auf Twit­ter kur­siert ein Schrei­ben des Eisen­bahn­bun­des­am­tes, das so ver­stan­den wer­den kann, dass die Baum­fäll­ak­ti­on ges­tern Nacht ille­gal war, da eini­ge natur­schutz­recht­li­che Vor­be­din­gun­gen – u.a. die Siche­rung loka­ler Popu­la­tio­nen des Juch­ten­kä­fers, was auch immer das ist – nicht ein­ge­hal­ten wor­den sind. Das gan­ze kann ein Skan­dal oder ein ela­bo­rier­tes Fake sein. Zumin­dest der Brief­kopf ist echt: die dort genann­te Moni­ka Kauf­mann steht mit iden­ti­schem Brief­kopf auch auf ande­ren Plan­fest­stel­lungs­schrei­ben. Hat mal jemand direkt beim Eisen­bahn-Bun­des­amt nach­ge­fragt? Und wenn es echt wäre: was ist der tat­säch­li­che recht­li­che Gehalt?

Das Schrei­ben war wohl echt, es gab angeb­lich vor dem Abhol­zen auch noch Gesprä­che zwi­schen Bahn, Bau­lei­tung und EBA, mit dem Ergeb­nis, dass dann das Abhol­zen erlaubt wur­de. Genaue­res ist unklar, Pro­to­kol­le die­ser Gesprä­che scheint es nicht zu geben. Aller­dings wur­de das Schrei­ben nicht an das Ver­wal­tungs­ge­richt wei­ter­ge­lei­tet, dem ein Antrag auf einst­wei­li­ge Ver­fü­gung des BUND vor­lag – dies wur­de vom Ver­wal­tungs­ge­richt inzwi­schen gerügt. Und der Ein­satz­lei­ter der Poli­zei muss­te von sich aus im Minis­te­ri­um nach­fra­gen, was es mit dem ihm über den BUND zugäng­lich gemach­ten Schrei­ben auf sich hat. Für den rest­li­chen Baum­be­stand gibt es inzwi­schen eine straf­be­wehr­te Ver­fü­gung des EBA, kei­ne Bäu­me ein­zu­schla­gen, bis die Natur­schutz­fra­gen geklärt sind – und der Juch­ten­kä­fer ist zum Volks­hel­den geworden.

2. Ges­tern kur­sier­ten wil­de Gerüch­te über Schwer­ver­letz­te - und eini­ge Male auch über Tote – über Twit­ter. Gibt es irgend­wo ver­läss­li­che und nach­ge­prüf­te Anga­ben dazu?

Tote gab es defi­ni­tiv kei­ne, aber zwei Per­so­nen mit erheb­li­chen Augen­schä­den durch den Was­ser­wer­fer­ein­satz, die der­zeit mit dem Erblin­den kämp­fen (Diet­rich Wag­ner und Dani­el Kart­mann).

3. Was ist dran an den Aus­sa­gen, dass die Abholz­fir­ma aus Rechs Wahl­kreis kommt, dass ein Tun­nel­bohr­un­ter­neh­mer der CDU im letz­ten Jahr 70.000 € gespen­det hat usw. – wie sehen die finan­zi­el­len Netz­wer­ke aus, die die­ser Par­tei jede Ver­nunft rau­ben? Cui bono?

Bei­des scheint zu stim­men, ob es hier kau­sa­le Bezü­ge gibt, ist umstrit­ten. Ins­ge­samt kommt in den letz­ten Tagen immer mehr ans Licht, wie sehr Stutt­gart 21 in ver­schie­de­ne Wirt­schafts­in­ter­es­sen ein­ge­bun­den ist. Neben den diver­sen Bau­auf­trä­gen geht es dabei vor allem auch um Immo­bi­li­en und Grund­stü­cke auf der dann frei wer­den­den Fläche.

4. Wel­che Stra­te­gie ver­fol­gen Innen­mi­nis­ter Rech und Minis­ter­prä­si­dent Map­pus? „Abhol­zen“ mit­ten in der Nacht plus har­tes Durch­grei­fen gibt es auch in ver­gleich­ba­ren Situa­tio­nen, etwa bei Cas­tor-Blo­cka­den. Da steht das gan­ze aber unter Zeit­druck, der hier nicht direkt gege­ben ist. War­um also eska­lie­ren und durch Abhol­zen der ers­ten Bäu­me voll­ende­te Tat­sa­chen schaffen? 

Ging es dar­um, die Pro­tes­tie­ren­den zu denun­zie­ren (die Stein­wür­fe in der Tages­schau, die unsäg­li­chen Rech-Inter­views)? Dann wäre die Stra­te­gie erst­mal mas­siv geschei­tert – 100.000, die heu­te abend fried­lich in Stutt­gart ihre Wut zei­gen, zei­gen das eben­so wie das Zurück­ru­dern und Zuwei­sen der Ver­ant­wor­tung an die aus­füh­ren­de Poli­zei. Oder geht es dar­um, zu pola­ri­sie­ren und im März als har­ter Macher dazu­ste­hen? Dazu auch die­ser NTV-Kom­men­tar. Eine Alter­na­tiv­in­ter­pre­ta­ti­on: Tech­no­kra­ten ohne Durch­blick, denen die Macht der neu­en Medi­en in die Que­re kommt?

Die Stra­te­gie­fra­ge scheint mir bis heu­te nicht geklärt. Einen gewis­sen Ein­blick in die Hin­ter­grün­de in der ört­li­chen CDU gibt die­se FAZ-Repor­ta­ge, zudem gibt es deut­li­che Hin­wei­se dar­auf, dass die Poli­zei­pla­nung eher chao­tisch war. Hin­sicht­lich der bun­des­wei­ten Akzep­tanz zei­gen der­zeit alle Umfra­gen eine deut­li­che Ableh­nung des Vor­ge­hens – und ent­spre­chen­de Umfra­ge­wer­te für die Par­tei­en. Einen Hin­weis auf die Stra­te­gie „jetzt Tat­sa­chen schaf­fen“ sind die im Rah­men der Debat­te um die Schlich­tungs­ge­sprä­che gemach­ten angeb­li­chen Zuge­ständ­nis­se und auch auf die Bedeu­tung des Grund­was­ser­ma­nage­ments, für das die Bäu­me abge­holzt wur­den, für das Gesamtprojekt.

5. Bünd­nis 90/Die Grü­nen sind – anders als die SPD – von Anfang an mit dem Pro­test gegen Stutt­gart 21 ver­bun­den. Damit las­tet aber auch eine gro­ße Ver­ant­wor­tung auf uns – wenn die Wahl im März tat­säch­lich zu einer Volks­ab­stim­mung über die Regie­rungs­po­li­tik wird, dann ist jedes Pro­zent mehr mit gro­ßen Erwar­tun­gen ver­knüpft. Wie kön­nen wir dem gerecht wer­den, ohne nicht erfüll­ba­re Hoff­nun­gen zu schü­ren? Was kann noch geret­tet wer­den – und was ist, wenn bis März kein Bau­stopp erreicht ist?

Die Tat­sa­che, dass wir wei­ter­hin klar sagen, dass das Ziel ein Ende von S21 ist, dass aber nicht ver­spro­chen wer­den kann, dass wir das tat­säch­lich errei­chen, sorg­te in den letz­ten Tagen für hit­zi­ge Debat­ten, die im Vor­wurf gip­feln, dass Grü­ne umfal­len wür­den, schwarz-grün vor­be­rei­te­ten (!) und über­haupt unred­lich sei­en. Mein Kom­men­tar dazu ist eher der, dass es gut ist, dass wir ehr­lich blei­ben, auch wenn die Umfra­gen mit inzwi­schen über 30% (!) Grün für BaWü die eine oder ande­re Ver­lo­ckung in die ande­re Rich­tung enthalten.

6. In dem sehr guten Text „Ohn­macht, Wut und reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie“ ver­knüpft Felix Neu­mann die Pro­tes­te gegen Stutt­gart 21 mit der Idee, dass das reprä­sen­ta­tiv­de­mo­kra­ti­sche Sys­tem sich in einer tie­fen Kri­se befin­det: die par­la­men­ta­ri­sche Mehr­heits­fin­dung und die „Paket­wahl“ gerät unter mas­si­ven Recht­fer­ti­gungs­druck. Stimmt die­se Ana­ly­se – und was könn­ten mach­ba­re Alter­na­ti­ven sein?

Einen inter­es­san­ten Kom­men­tar dazu hat Chris­ti­an Rath in der Wochen­end­s­taz ver­öf­fent­licht. Und auch die 50.000 in Mün­chen (Anti-Atom-Men­schen­ket­te) und 150.000 in Stutt­gart (S21) an die­sem Wochen­en­de zei­gen m.E., dass die Fra­ge nach ange­mes­se­nen poli­ti­schen Betei­li­gungs­for­men in der Luft liegt.

7. Ein biß­chen anders aus­ge­drückt: die Bevöl­ke­rung in Baden-Würt­tem­berg ist (mehr­heit­lich?) viel wei­ter als die Lan­des­re­gie­rung. Es ist ein gro­ßer Wunsch da, Din­ge nicht mehr ein­fach hin­zu­neh­men, son­dern sich zu betei­li­gen. Vor Ort geschieht dies – kol­li­diert aber mit einem Poli­tik­stil des Von-oben-Durchregierens. 

Ich kann mir vor­stel­len, dass es letzt­lich die­se „Poli­tik­sti­lun­zu­frie­den­heit“ sein könn­te, die im März wahl­ent­schei­dend wird. Ich weiss nicht, ob die­se auch eher aus dem Bauch her­aus kom­men­den Über­le­gun­gen stim­men – aber wenn das die Stim­mung im Land trifft, dann brau­chen wir im Wahl­pro­gramm – und erst Recht in poten­zi­el­lem Regie­rungs­han­deln nach der Wahl – einen ganz star­ken Schwer­punkt im Bereich par­ti­zi­pa­ti­ve­rer, offe­ner und trans­pa­ren­te­rer Pro­zes­se des poli­ti­schen Han­delns. Dazu gehört das klas­si­sche The­ma direk­te Demo­kra­tie, dazu gehört aber auch die Fra­ge, wie bei­spiels­wei­se eine Pla­nung wie die von S21 ergeb­nis­of­fen und par­ti­zi­pa­tiv gestal­tet hät­te wer­den kön­nen. Oder, um ein ande­res The­ma zu nen­nen: wer sind die Stake­hol­der, und wie wer­den die ein­be­zo­gen, wenn es um die Wei­ter­ent­wick­lung der Hoch­schul­land­schaft in Baden-Würt­tem­berg geht? Mag jetzt erst­mal nicht nach Zusam­men­hang aus­se­hen, ist für mich aber – im Blick auf den Poli­tik­stil, das Demo­kra­tie­ver­ständ­nis und das Men­schen­bild – das sel­be in grün.

S.o. zu Nr. 6 – ich bin wei­ter­hin über­zeugt davon, dass die Fra­ge, wie ein Poli­tik­stil aus­se­hen kann, der Men­schen mit­nimmt und betei­ligt, ohne sie zu über­for­dern (bzw. über­zo­ge­ne Ansprü­che hin­sicht­lich des poli­ti­schen Enga­ge­ments stellt), zen­tral für die­sen Wahl­kampf wer­den wird – und hof­fe, dass wir Grü­ne da eine über­zeu­gen­de Ant­wort geben kön­nen und wer­den, als kla­re Alter­na­ti­ve zum auto­ri­tä­ren Durch­re­gie­ren der CDU.

Soweit die Fra­gen, die Stutt­gart 21 bei mir gra­de auf­wirft. Antworten?

Nicht mehr einsam – Rede zur Netzpolitik

Rede­ma­nu­skript, Rede zur Antrags­ein­brin­gung NP‑1 auf dem grü­nen Lan­des­aus­schuss 26.06.2010

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Lie­be Freun­din­nen und Freunde,

„ein­sam, über­wacht und arbeits­los“ – das waren die Befürch­tun­gen, die im Orwell-Jahr 1984 aus grü­ner Sicht mit Daten­schutz und Netz­po­li­tik ver­bun­den wur­den. Im Mit­tel­punkt der Kri­tik stand das ISDN-Tele­fon. Unter „neu­en Medi­en“ wur­de Kabel­fern­se­hen ver­stan­den. Und die Idee, dass mit Bild­schirm­text auch eine demo­kra­ti­sche Uto­pie ver­bun­den sein könn­te, wur­de vehe­ment ver­neint. So war das 1984. 

1994 gaben die ers­ten Brow­ser dann den Start­schuss für das Inter­net, wie es für die Mehr­heit heu­te All­tag ist. Selbst jetzt sind sicher­lich – obwohl das heu­te ja kein vir­tu­el­ler Par­tei­tag ist – min­des­tens zehn Men­schen online. Wenn der Innen­mi­nis­ter meint, dass das Stau­nen über das Netz jetzt ein­mal ein Ende haben kön­ne, dann hat er also nicht ganz unrecht. 

Heu­te, im Jahr 2010, ist das Netz eine Infra­struk­tur, die aus Arbeits­welt, Frei­zeit, aus den Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten – aber auch aus der Poli­tik – längst nicht mehr weg­zu­den­ken ist. Dass wir heu­te über­haupt über Netz­po­li­tik reden, fußt auf einem Beschluss der Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz im letz­ten Novem­ber. Der wie­der­um geschah in Reak­ti­on auf die „Netz­be­we­gung“ und The­men von der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung bis zur Zen­sur­in­fra­struk­tur. Stau­nen ist viel­leicht nicht not­wen­dig – Bedarf für poli­ti­sche Ein­mi­schung gibt es jedoch zuhauf.

Der Antrag NP‑1 will aber mehr sein als nur ein State­ment in die­ser Aus­ein­an­der­set­zung. Klar: wir machen uns für Netz­neu­tra­li­tät stark. Wir leh­nen es ab, Daten­schutz und Bür­ger­rech­te aus­zu­he­beln (egal, ob mit Hin­weis auf die Sicher­heits­la­ge oder aus Pro­fit­in­ter­es­se). Wir weh­ren uns gegen Zen­sur­ver­su­che. All das kommt nicht zu kurz – kei­ne Sorge! 

Letzt­lich aber gilt: wenn wir Netz­po­li­tik ernst­haft als grü­nes The­ma dis­ku­tie­ren wol­len, dann muss der Fokus wei­ter gefasst sein. Der Antrag NP‑1 nimmt die­se Quer­schnitts­per­spek­ti­ve ernst. Das bedeu­tet, Netz­po­li­tik über­all mit­zu­den­ken. Wer den Antrag durch­blät­tert, fin­det vie­le Anre­gun­gen, wo das Netz für ande­re Poli­tik­fel­der rele­vant wird. Drei Bei­spie­le: Wenn es um länd­li­che Räu­me geht, geht es auch um Breit­band­ver­sor­gung als Daseins­vor­sor­ge. Beim Ver­brau­cher­schutz müs­sen wir Online-Geschäf­te im Blick haben. Und wir dür­fen e‑Petitionen und digi­ta­le Bür­ger­be­geh­ren nicht ver­ges­sen, wenn Demo­kra­tie das The­ma ist. 

Eine Anein­an­der­rei­hung von Quer­schnit­ten ergibt aller­dings noch kei­ne kohä­ren­te Netz­po­li­tik. Daher hal­ten zwei „grü­ne Fäden“ unse­ren netz­po­li­ti­schen Ent­wurf zusammen.

Der eine grü­ne Faden ist die Teil­ha­be­ge­rech­tig­keit. Wie muss das Netz gestal­tet und poli­tisch regu­liert sein, um zu einer gerech­te­ren Teil­ha­be an Arbeit, Bil­dung und Demo­kra­tie in unse­rer Gesell­schaft bei­zu­tra­gen? Mit die­ser Fra­ge wird schnell deut­lich, dass wir über den „Zugang zum Zugang“ reden müs­sen. Es muss dar­um gehen, das Netz auch tat­säch­lich nüt­zen zu kön­nen – also eine Fra­ge der „Medi­en­päd­ago­gik“ (übri­gens nicht nur für Kin­der). Wir stel­len fest: Die alte „Rund­funk­me­ta­pher“ greift nicht. Viel­mehr haben wir es mit einem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­raum zu tun haben, des­sen akti­ve Nut­zung wir begrü­ßen und för­dern soll­ten – gera­de dann, wenn es um poli­ti­sche Teil­ha­be geht. Aber zur Teil­ha­be­per­spek­ti­ve gehört auch, dass es Men­schen gibt, die nicht online sein wol­len oder kön­nen. Gera­de in einer Netz­werk­ge­sell­schaft muss der Staat dafür Sor­ge tra­gen, dass die­se Grup­pen nicht ver­ges­sen werden.

Der zwei­te grü­ne Faden ist die Infor­ma­ti­ons­wirt­schaft. Was muss unter­nom­men wer­den, damit in Baden-Würt­tem­berg der Struk­tur­wan­del zur Wis­sens­ge­sell­schaft in einer nach­hal­ti­gen Form gelingt? Ein wich­ti­ges Ele­ment ist die Idee, Baden-Würt­tem­berg zum Spit­zen­stand­ort der „Green IT“ zu machen: das betrifft nicht nur die hier ansäs­si­gen Rechen­zen­trums­be­trei­ber, und die Fra­ge, wie deren Kli­ma­bi­lanz aus­sieht – allen vor­an das staat­li­che Bel­wue-Netz­werk. Nein: Wei­ter­ge­dacht heißt die­se Stra­te­gie, „Green IT“ zum durch­gän­gi­gen Leit­bild in Mit­tel­stand, Indus­trie und For­schung machen – und so Arbeits­plät­ze zu schaf­fen und die Wirt­schaft im Land zu för­dern. Zu einer umfas­send zukunfts­fä­hi­gen Infor­ma­ti­ons­wirt­schaft gehört aller­dings noch mehr. Dazu gehört die Qua­li­fi­zie­rung von Fach­kräf­ten. Dazu gehört bei­spiels­wei­se Open-Source-Soft­ware. Und dazu gehört nicht zuletzt die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Fra­ge, was eigent­lich „gute Arbeit“ in der Netz­werk­ge­sell­schaft ausmacht. 

„Ein­sam, über­wacht und arbeits­los“? Ich möch­te dem heu­te, ein Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter, einen neu­en Drei­klang grü­ner Netz­po­li­tik gegen­über­stel­len. Denn wir haben inzwi­schen erfah­ren, dass das Netz sozia­le Zusam­men­hän­ge stär­ken kann. Wir sehen, dass Infor­ma­ti­ons-dienst­leis­tung Arbeit schafft, die weni­ger stark an Res­sour­cen­ver­brauch gekop­pelt ist. Wir haben aber auch gelernt, dass es wei­ter­hin not­wen­dig ist, für Ver­brau­cher­schutz und Bür­ger­rech­te im Netz zu kämp­fen – erst recht dann, wenn die Infra­struk­tur in pri­va­ter Hand liegt. 

Auf den Punkt gebracht: „Sozi­al ver­netzt, mün­dig nutz­bar und kli­ma­freund­lich“ – dass soll­te, mei­ne ich, das Leit­mo­tiv einer grü­nen Netz­po­li­tik mit Gestal­tungs­wil­len sein!

Ich bit­te euch um Zustim­mung zu unse­rem Antrag und freue mich auf die Debatte!

Quel­le: Kuhn, Fritz / Schmitt, Wolf­gang (Hrsg.) (1984): Ein­sam, über­wacht und arbeits­los. Tech­no­kra­ten ver­da­ten unser Leben. Stutt­gart: Die Grünen.

Foto: Grü­ne BaWü, Lizenz CC-BY-SA

Nach­trag: Hier geht’s zum Bericht der Par­tei über den TOP Netzpolitik

Nach­trag 2: Der Beschluss, der gegen­über dem Antrag in eini­gen Punk­ten ja noch modi­fi­ziert wur­de, ist jetzt online (pdf).