Kurz: Hessischer Landtag schafft Studiengebühren wieder ab (Update 6: Gesetz unterzeichnet)
Nicht nur das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren freut sich: der hessische Landtag hat heute mit den Stimmen von SPD, Linkspartei und Grünen – also der faktisch vorhandenen linken Mehrheit, die aber leider nicht konstitutiert werden darf – die Studiengebühren abgeschafft (und zwar sowohl die Langzeitstudiengebühren, die es bis vor einem Jahr gab, als auch die direkten Studiengebühren). Und anders als der Hamburger Kompromiss zwischen CDU und Grünen ist es auch keine Verlagerung der Gebühren nach das Studium, sondern ein echtes Ende der Gebühren. Gleichzeitig soll sichergestellt sein, dass die Hochschulen trotzdem nicht mit weniger Geld rechnen müssen (das macht einige skeptisch).
Interessant dürfte nun sein, ob das Gesetzemachen mit wechselnden Mehrheiten in Hessen funktioniert – das Gesetz umsetzen muss ja nach wie vor die CDU-Regierung. Wenn ja, wäre es nicht nur ein gutes Signal für eine solidarischere Hochschulpolitik, sondern auch ein interessanter Schritt auf dem Weg hin zu einem pragmatischeren Umgang mit Parteigrenzen und Koalitionen.
Update: (5.6.2008) Grade schreibe ich noch von der interessanten Frage, wie die geschäftsführende CDU-Regierung das Gesetz den wohl umsetzen will, da erreicht mich die Nachricht vom „Eklat im hessischen Landtag“ – der geschäftsführende Ministerpräsident Koch meutert und beruft sich auf Formfehler. Anders gesagt: Politiken der wechselnden Mehrheiten scheinen mit Ministerpräsidenten nicht so recht zu funktionieren.
Update 2: (6.6.2008) Der Grund, warum Koch das Gesetz nicht unterschreiben will, ist allerdings auch interessant und wirft kein gutes Licht auf die handwerklichen Fähigkeiten der AutorInnen des Gesetzes – die zentrale Aussage zu vergessen bzw. missverständlich zu formulieren, muss nicht sein. Hoffen wir also, dass das Gesetz nachgebessert wird und Koch dann keinen weiteren Grund hat, es nicht zu unterschreiben.
Update 3: (11.6.2008) Parallel zum politischen Prozess gab’s auch den Versuch, die Studiengebühren mit Verweis auf die in der hessischen Landesverfassung verankerte Schulgeldfreiheit juristisch zu bekämpfen – das ist, mit einem augenscheinlich politisch motivierten 6:5‑Urteil des Landesverfassungsgerichts – gerade gescheitert. Bleibt der politische Weg, der im zweiten Anlauf dann vielleicht auch mal klappt.
Update 4: (17.6.2008) Mit der erneuten Abstimmung scheinen die Studiengebühren jetzt endgültig abgeschafft (wann Koch unterschreibt, weiss ich allerdings auch nicht). Spiegel Online berichtet vom Ende der „Partnerschaft zwischen Parlament und Regierung“ – jetzt wird’s wohl um Neuwahlen oder eine knappe rot-grün-rote Mehrheit gehen.
Update 5: Die Tagesschau verknüpft die Hessenfrage nicht mit der hessischen Machtpolitik, sondern mit dem Hinweis darauf, dass CDU und Grüne im Senat in Hamburg wohl inzwischen die Grundzüge der dortigen nachgelagerten 375-Euro-Gebühren beschlossen haben. Als eines der aus grüner Sicht wichtigsten Gesetzesvorhaben aus dem Koalitionsvertrag bleibt abzuwarten, wie gut das unter schwarzer Federführung tatsächlich gelingt.
Update 6: (3.7.2008) Hessen: Gesetz unterzeichnet, Haushaltssperre verhängt.
Kurz zur Kandidatenlage (Update 2)
Nach Volker Ratzmann (DSDP: nicht gerankt) hat nun auch Cem Özdemir (DSDP: nicht unter den ersten 11) seine Kandidatur für die Bütikofer-Nachfolge angekündigt. Auch wenn’s bei nur zwei Kandidaten bleibt, ist es zumindest ein bißchen spannend, ob der Innenpolitikexperte Ratzmann (gemäßigt-linke Mitte, Berlin-Connection, von Renate Künast empfohlen) oder der Innenpolitikexperte Özdemir (maßvoller Realo Reformer, BaWü-Connection, vom Boris Palmer und Tarek Al-Wazir empfohlen) im November zum Grünen-Vorsitzenden gewählt wird, um dann zusammen mit der Innenpolitikexpertin Claudia Roth eine z.B. auf Soziales, Bildung und Umwelt setzende Bundestagswahl durchzuziehen. Erste Wahl für den Posten finde ich sie – leider – beide nicht.
In other news: bei der selben BDK im November 2008 wird Julia Seeliger nicht wieder für den Parteirat antreten, dafür empfiehlt sie Robert Zion.
Update: Ganz lesenswert der ZEIT-Text dazu.
Update 2: (17.6.2008) Inzwischen hat auch Spiegel Online festgestellt, dass zwei mehr-oder-weniger Realo-Kandidaten den Grünen Linken die Möglichkeit geben, sich für das kleinere Übel zu entscheiden (wobei „Übel“ dann vielleicht doch ein etwas zu hartes Wort ist – es geht ja nicht um Merkel vs. Beck oder so).
Lesenswert: Klimawandel und Alltagshandeln
Die hessische Landesstiftung der Heinrich-Böll-Stiftung, der BUND und das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) haben mit dem jetzt erschienenen Band Klimawandel und Alltagshandeln nicht nur die Dokumentation einer im Herbst 2006 stattgefundenen Tagung herausgegeben, sondern bieten – an der Grenze zwischen Wissenschaft und Politik – einen guten Überblick über den aktuellen Stand zur Frage, was im Alltag klimapolitisch und klimaschützerisch getan werden kann.
Der Band gliedert sich, grob gesagt, in drei Themengebiete. Im ersten, „Klimawandel, Klimapolitik, Klimaschutz“, gibt Uwe Fritsche vom Öko-Institut einen konzisen Überblick über den Wissensstand zum Klimawandel und reißt Handlungsfelder an. Klaus Wortmann diskutiert das Thema Energiesparen im Haushalt historisch, d.h. er arbeitet sozusagen Geschichte der „Energiesparbewegung“ seit den 1970er Jahren mit ihren Höhen und Tiefen, politischen Zuwendungen und alltäglichen Rückzügen auf. Anja Wirsing schließlich stellt eine Fotoaktion vor, mit der Frauen zum internationalen Frauentag Klimabotschaften positionieren (das Buch ist damit illustriert).
Im zweiten Abschnitt geht es dann um die Rahmenbedingungen. Werner Neumann diskutiert wirtschaftliche und strukturelle Probleme des Politikfeldes Energieeffizienz. Aus der Sicht des Verbraucherschutzes betrachtet Holger Krawinkel Glühbirnenverbote und ähnliche Aktionen und plädiert für ein Ministerium mit gebündelter Energiesparkompetenz. Hans Ackermann zeigt, wo tatsächlich Einsparpotenziale liegen und Hans-Peter Frank diskutiert das Stromsparförderprogramm der Stadtwerke Marburg.
Für mich am spannendsten der dritte Teil des Buchs: „Die alltägliche Praxis: Im Alltag klimaschonend handeln“. Immanuel Stieß vom ISOE geht ausführlich auf eine alltagsökologische Perspektive in der Klimadiskussion ein. Dabei geht es nicht nur um die energetischen Effekte verschiedener Bedürfnisfelder und die alltäglichen Handlungsmöglichkeiten; diese alltagsökologische Perspektive wird in den Rahmen des großen Wandlungsprozesses der Technisierung und Verwissenschaftlichung alltäglichen Handelns gestellt. Eindringlich macht Stieß klar, warum KonsumentInnen und Haushalte Schlüsselakteure für den Klimaschutz sind – und wie ein praktikabler Weg zu einem postfossilen Alltag aussehen kann. Er nennt hier insbesondere vier Punkte:
- Energieeffiziente Angebote und Produkte müssen in die alltägliche Lebensführung integrierbar sein, sie müssen „alltagskompatibel, breit verfügbar und leicht zu handhaben sein“ und sich in Alltagsroutinen integrieren lassen.
- Information zum Klimaschutz muss eine einfache Orientierung erlauben, als Positivbeispiel nennt Stieß die EU-Energieverbrauchslaben von A++ bis G.
- Die unterschiedliche Lebenswirklichkeit unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen muss berücksichtigt werden.
- Die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten und ‑ressourcen unterschiedlicher Gruppen müssen berücksichtigt sein, bspw. sind die Anfangsinvestitionen in sparsame Geräte schwierig – es kann sich nicht jeder leisten, sparsam zu sein.
Als weitere Positivfaktoren nennt Stieß alltagsnahe und gut verständliche Öko-Ratgeber, die EcoTopTen-Initiative des Öko-Instituts und neue Kommunikationsformen wie Stromwechsel-Partys.
Elke Dünnhoff vom Heidelberger ifeu geht im Detail auf Gründe ein, die das Energiesparen erschweren. Dazu gehört die zunehmende technische Ausstattung der Haushalte (von Kaffeemaschinen über Mobiltelefone bis zur Waschmaschine und zur Glühbirne), dabei zunehmend „intelligente“ Geräte mit Standby-Modus. Handlungsansätze in privaten Haushalten gliedert sie nach den drei Maßnahmenarten „Nutzungsverhalten“, „Kleininvestitionen“ und „Kaufentscheidungen“. Wichtig an ihrem Beitrag finde ich, dass sie ausführlich auf Hemmnisse zum Stromsparen eingeht, u.a. dass der Stromverbrauch der Geräte nicht sichtbar ist.
Zum Teil Alltagsökologie gehören weiterhin ein Bericht von Hans Ackermann aus dem Alltag eines Energiesparhaushalts und ein Überblick von Ramona Siefke über Erfahrungen aus der Energieberatung der Verbraucherzentralen.
Ein wichtiges Thema sprechen zwei weitere Beiträge an – einmal wissenschaftsnah (Stieß und Dünnhoff) und einmal praktisch (Bettina Sickenberger) geht es um das Zusammenbringen von Energiesparpolitik/Energiekostenanstieg und sozialen Konsequenzen, Sozialpolitik. Stieß und Dünnhoff berichten über eine mit der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführte Studie zu den Auswirkungen steigender Energiekosten auf Haushalte, die ALG II bzw. Sozialhilfe beziehen. Sickenberger stellt den „Einsparservice“ der Caritas Frankfurt am Main vor, bei der „Arbeitslose“ zur Vor-Ort-Energieberatung eingesetzt werden.
Doris Hayn (ISOE) schließlich macht in ihrem Beitrag zum Ernährungshandeln deutlich, dass Klimaeffekte alltäglichen Handelns nicht nur dort stattfinden, wo direkt Strom durch irgendwelche Geräte fließt. Zugleich geht es darum, wie schwierig es ist, die versteckten Klimaeffekte zu verringern und alltägliche Praktiken zu verändern. Die Darstellung der Komplexität des Alltags erscheint mir sehr hilfreich und macht sehr klar, warum einfache Rezepte nicht unbedingt funktionieren. Auch Hayn betont, dass klimapolitische Handlungsempfehlungen alltagskompatibel sein müssen, und es nicht zu ständigen Abwägungsprozessen kommen kann. Zugleich hält sie fest, dass das Handlungsfeld Ernährung deutlich zeigt, dass Klimaschutz letztlich „(einschneidende) Veränderungen von Verbrauchs- und Konsumgewohnheiten, von Lebensweisen und Lebensstilen“ notwendig machen wird. Da braucht es zwar auch Umweltratgeber, die alltagskompatible Tipps geben, aber noch viel mehr Unterstützung der privaten Akteure durch politische Rahmen und wirtschaftliche Angebote.
Das Buch wird ergänzt durch eine Kurzvorstellung der beteiligten Einrichtungen und einen Überblick über Websites und Umweltratgeber für Klimaschutz.
Wie auch schon in der Gewichtung in dieser Kritik deutlich geworden ist, sind einige Teile des Buches für mich sehr viel interessanter als andere. Neben dem Überblick über den Stand der wissenschaftlich-politischen Klimadebatte sind dies vor allem die explizit alltagsökologischen Beiträge. Bei anderen schimmert dann doch zu sehr der Vortragsstil einer Tagung durch; statt weitergehenden Informationen findet sich dann das textuelle Äquivalent einer PowerPoint-Präsentation. Das und der relativ hohe Preis sind sicherlich Punkte, die gegen Klimawandel und Alltagshandeln sprechen. Für alle, die politisch oder wissenschaftlich mit dem Thema zu tun haben, ist die Anschaffung jedoch sinnvoll, insofern hier entscheidende Eckpfeiler für eine alltagsorientierte Herangehensweise an Klimapolitik gesetzt werden.
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Hayn, Doris / Zwengel, Ralf (Hrsg.) (2008): Klimawandel und Alltagshandeln. Essen: Klartext. 186 Seiten, 14,95 Euro. Verlagsinformation. Bei Amazon bestellen.