Falls sich wer gewundert hat, warum das Zeug so heißt …
SF- und Fantasy-Tagebuch Juli 2023
Mein SF- und Fantasy-Juli war eher einseitig, zumindest was die Lektüre angeht. Dazu gleich mehr.
Abwechslungsreicher die Filme und Serien. Die Dungeon-und-Dragons-Verfilmung war nicht meins, möglicherweise weil ich DnD nur vom Hörensagen kenne und selbst keine Rollenspiele spiele.
Besser gefallen haben mir die neuen Folgen der zweiten Staffel von Star Trek: Strange New Worlds. Das Crossover mit Lower Decks war lustig, die darauf folgende Episode „Under the cloak of war“ mit das düsterste und ratloseste, was ich bei Star Trek jemals gesehen habe, und die „Subspace Rhapsody“ schlicht und einfach großartig. Zu wagen, eine ganze Folge – in Überlänge – als Musical laufen zu lassen, und das dann auch noch so, dass es erstens einen (naja, weitgehend plausiblen) Grund dafür gibt und zweitens in der Folge selbst nicht einfach nur gesungen wird, sondern die Charakterentwicklung ein ganzes Stück weitergeht – wow! Insofern kann ich mich dieser begeisterten Besprechung nur anschließen. Ich bin gespannt, wie diese Staffel endet.
Die ersten beiden Folgen der unerwarteten Wiederaufnahme von Futurama sind ganz nett – Folge 1 beschäftigt sich vor allem genau damit, also mit TV-Serien (und der seltsamerweise etwas altmodisch aussehenden Zukunft), Folge 2 schließt an die bisherige Storyline an. Nett, aber ob es das wirklich braucht? Das Matt Groening weiter spannende Sachen machen kann, zeigt Disenchantment. Ob Futurama eine Zukunft hat? Ich bin noch nicht überzeugt.
Dann haben wir Good Omens nochmals angeschaut – in Vorbereitung der jetzt angelaufenen zweiten Staffel. Da habe ich bisher nur die ersten beiden Folgen gesehen und bin nur bedingt begeistert. Das Studio-London wirkt unrealistisch (wieso laufen da so viele grell ausgeleuchtete Leute rum), die Story um den nackten Erzengel an den Haaren herbeigezogen, und überhaupt: zu viel Popcorn und zu wenig Sarkasmus. Aber vielleicht wird’s ja noch besser.
Bevor ich jetzt in Negative versinke: was mir sehr gut gefallen hat, war die BBC-Serie The Watch (2021), in Deutschland leider nur mit Zusatzbuchungen zu sehen. Die Serie ist erst einmal eine riesige Enttäuschung für alle, die Terry Pratchetts Discworld mit Mittelalter bis früher Industrialisierung in Verbindung bringen und glauben, dass Discworld nur so geht. Die Grundideen der Nightwatch um Captain Sam Vimes wurden hier in Neonfarbe getunkt, und herausgekommen ist Discworld in einem Setting irgendwo zwischen queerer Ästhetik, Punk/Post-Punk, Brutalismus und der Mad-Max-Version der Apokalypse. Cherry wird von der*dem nonbinäre*n Schauspieler*in Jo Eaton-Kent gespielt, und auch Carrot und Angua überzeugen. Sam Vimes (Richard Dormer) ist hervorragend kaputt und verzweifelt, überdreht-piratig – und trotzdem einer der Guten. Ähnlich positives ließe sich über den Rest des Casts sagen – etwa über Lord Vetinari, der von der Schauspielerin Anna Chancellor (mit breiten Schulterpolstern) verkörpert wird. Die Bewertungen etwa auf Rotten Tomatoes für The Watch sind eher zwiespältig. Trotzdem: ich finde diese Miniserie sehr empfehlenswert.
Gelesen habe ich nur Naomi Noviks Temeraire (2006 ff.) – genauer gesagt, die erste vier Bände diese weit ausschweifenden Serie. Captain William Laurence gerät im ersten Band an den neu schlüpfenden Drachen Temeraire, und erlebt mit diesem nun Abenteuer. Die Serie spielt zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Napoleon Bonaparte ist der gefürchtete Bösewicht, gegen den Großbritannien und Preußen kämpfen, und auf allen Seiten sind ganz unterschiedliche Drachen mit dabei – als Luftaufklärung und zum Bombenwerfen, manche können auch Feuer oder ätzende Säure spucken. Drachen sind offensichtlich intelligente Wesen – und trotzdem werden sie in Großbritannien eher wie Reittiere oder Schiffe behandelt. Ist das Sklaverei? Das ist eine der Fragen, die sich unter der Oberfläche aus historischem Abenteuerroman und Reisebericht (später geht es u.a. nach China, durch die Türkei und ins Innere Afrikas) durch die bisher gelesenen vier Bände zieht. Und dass einige Drachen nur weibliche Lenkerinnen akzeptieren, führt dazu, dass das Drachen-Corps nicht ganz so patriarchalisch aufgebaut ist wie der Rest Großbritanniens zu diesem Zeitpunkt. Dass zu akzeptieren, ist für unsere Hauptperson aus gutem Haus, mit Manieren und Anstand – und den entsprechenden Vorstellungen von Sittsamkeit – nicht immer leicht zu akzeptieren.
Durch das historische Setting und die daran angepasste Erzählweise sind die Temeraire-Bände nicht ganz so mitreißend wie Noviks Golden Enclaves, dennoch eine Entdeckung für mich. Ob ich jetzt mit Band 5 (von 9) weitermache oder erst einmal etwas anderes dazwischen schiebe, habe ich allerdings noch nicht entschieden.
Photo of the week: Photosession with Miri VI
Normale Dinge
Mit Normalität ist das ja so eine Sache. Und manchmal liegt die Verwechslung mit Normativität nahe. Das soll jedenfalls schon vorgekommen sein. Was normal ist, was die Norm ist, das sagen bekanntlich wir – die normalen Leute. Und deswegen hier zehn Dinge, die normal sind.
- Normal ist es, den Alltag so organisieren, dass alle Strecken zu Fuß, mit dem ÖPNV oder per Rad zurückgelegt werden können und Urlaubsziele nach Erreichbarkeit auszusuchen.
- Normal ist es, beim Einkaufen nicht nur auf den Preis, sondern auch auf Siegel zu achten, im Winter keine Erdbeeren zu kaufen und die Biogurken liegen zu lassen, wenn sie aus Spanien kommen.
- Normal ist es, vegetarisch zu kochen (und die Katzen trotzdem mit Fleisch zu füttern).
- Normal (wenn auch manchmal ziemlich nervig) ist es, elektrische Geräte auszuschalten, wenn sie nicht gebraucht werden. Und leider ist es auch ziemlich normal, beim Essen schnell mal eben aufs Handy zu schauen, und dagegen anzukämpfen, sich davon ablenken zu lassen.
- Normal ist es, Menschen (egal ob an Supermarktkasssn, im beruflichen Kontext oder sonst irgendwo, wo Kommunikation stattfindet) freundlich zu behandeln.
- Normal ist es, zu allem eine Meinung zu haben (was nicht heißt, sie immer auch sagen zu müssen). Normal ist es, seine Meinung zu ändern, wenn es gute Argumente dafür gibt, etwas anders zu sehen.
- Normal ist es, nicht mehr Überstunden zu machen als unbedingt notwendig und die eigene Zeit zwischen Erwerbsarbeit, Sorgearbeit, Ehrenamt und Zeit für eigene Hobbys und Aktivitäten gut zu verteilen.
- Normal ist es, sich zwischen Eltern möglichst zu gleichen Teilen um die Kinder zu kümmern (und diese möglichst früh auf Augenhöhe zu behandeln).
- Normal ist es, obskure Fakten, Bücher und Filme zu kennen.
- Normal ist es, davon auszugehen, dass alle anderen genau die selben Vorstellungen von Normalität haben wie man selbst.
Kurz: Die nähere Vergangenheit im Museum
In den letzten Wochen habe ich mir gleich zweimal Ausstellung angesehen, die sich der näheren Vergangenheit – konkret den 1970er und 1980er Jahren – widmen. Mit meinem Jahrgang, 1975, fühlt sich das etwas seltsam an, und gefühlt ist zumindest der Teil, den ich bewusst erlebt habe, also so etwa die zweite Hälfte der 1980er von Kohl über Tschernobyl bis zur deutschen Einheit, doch gerade erst gewesen.
Konkret: in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart läuft noch bis 27. August 2023 die kleine, aber fein gemachte und gut zusammengestellte Ausstellung Atom. Strom. Protest. Die für die politische Kultur Baden-Württembergs sehr prägende Debatte um die zivile Nutzung der Atomkraft wird hier nicht nur mit Bezug auf den erfolgreichen Kampf um ein AKW in Wyhl dargestellt, sondern breiter gefasst. Auch die Pro-Atom-Seite wird ausführlich gewürdigt. Das alles mit vielen Archivalien, relevanten Gegenständen und anhand einiger Lebensläufe. Die Ausstellung im WLB-Neubau ist kostenlos besuchbar. (Das Foto oben zeigt ein Mitmach-Element: historisierte Protestplakate, die allerdings für diese Ausstellung neu entstanden sind.)
Im Badischen Landesmuseum Karlsruhe geht es viel breiter gefasst noch bis Februar um die 1980er Jahre, die „wieder da“ sind. Trotz Eintritt stand hier eine lange Schlange vor der Kasse. Die Ausstellung im Karlsruher Schloss gliedert sich in Politik (natürlich auch Atomproteste, aber auch Frieden und Aufrüstung, Waldsterben und Wiedervereinigung), Pop/Musik und Alltagskultur (von Einrichtungsgegenständen bis zu Interrail und Privatfernsehen); das ganze dann jeweils noch mit dem BRD- und dem DDR-Blick. Die 80er sind im Museum verbunden mit viel Nostalgie und der Möglichkeit, sich zu beteiligen und hier und da auch interaktiv mitzumachen. Zielgruppe: 45 bis 55-Jährige (und deren Kinder). Wiedererkennungseffekt: sehr groß. Inklusive: steht bei uns auch noch irgendwo im Regal …
P.S.: Zu beiden Ausstellungen gibt es sehr gut gemachte Kataloge (bei den Atomprotesten ein Buch, die 80er aus Karlsruhe überzeugen mit einem „Magazin zur Ausstellung“, das im Layout Anleihen an Tempo etc. nimmt, und inhaltlich fast besser – informativer, facettenreicher, vielfältiger – als die Ausstellung selbst ist. Bonus: immer wieder wird auf Freiburg rekurriert – und SF und Cyberpunk finden auch ihren Platz).
P.P.S.: Abraten würde ich dagegen von dem in Karlsruhe zum Verkauf stehenden Band Das waren unsere 80er von Christoph Quarch und Evelin König. Der wirkt zunächst wie ein heiter-nostalgisches Generationenportrait, entpuppt sich auf der Tonspur allerdings als schwer auszuhaltende Besserwisserei zur These der einzig wahren Generation, in der noch alles gut war … Gefühl beim Lesen: würde den Autor (und in zweiter Linie seine Ko-Autorin) gerne laut und deutlich auf blinde Flecken, unzulässige Verallgemeinerungen der eigenen Biografie und ein sehr schräges Verständnis der Gegenwart hinweisen. Nein, trotz viel Natur, wenig komplexen Fernsehprogrammen und Rumhängen in der Clique war früher nicht alles besser, und weder ADHS noch Mobbing sind Erfindungen der Gegenwart.