Nordlichter!

Kurz nach 22 Uhr las ich ges­tern von ers­ten Bewun­de­run­gen in mei­nen Feeds. Der Blick in der Nord­him­mel ließ dann nur ganz schwach etwas erah­nen, einen dun­kel­ro­ten oder pur­pur­far­be­nen Schim­mer in der Nachthimmelfarbe.

Das änder­te sich, als ich das iPho­ne mit sei­ner tat­säch­lich her­vor­ra­gen­den Lang­zeit­be­lich­tung an die sel­be Stel­le schau­en ließ – da waren dann lila Fel­der zu sehen, und am Hori­zont mög­li­cher­wei­se auch schwach grü­ne. Nicht ganz so ein­drucks­voll wie das, was ande­re gese­hen hat­ten, aber immer­hin: der stärks­te Son­nen­sturm seit zwan­zig Jah­ren hat­te tat­säch­lich auch hier in der Frei­bur­ger Regi­on, also ganz im Süden der Repu­blik, noch eine sicht­ba­re Wirkung.

Ich bin dann noch ein paar Schrit­te raus­ge­gan­gen, um dunk­le­re Stel­len zu fin­den. Mit blo­ßem Auge wei­ter kaum bis gar nicht sicht­bar, im für eine Sekun­de belich­te­ten Han­dy­bild aber schön zu sehen.

Aurora borealis Aurora borealis Aurora borealis

 
P.S.: Ich lade mal den Akku der digi­ta­len Spie­gel­re­flex – falls da heu­te Abend noch­mal was zu sehen sein soll­te, dann mit Sta­tiv und DSLR statt frei­hän­dig mit dem Handy …

P.P.S.: Und natür­lich blieb die Nacht heu­te – zumin­dest hier im Süden der Repu­blik – schwarz.. Dafür gab es ein ESC-Design in Mal­mö, das immer wie­der an Nord­lich­ter erinnerte.

Science Fiction und Fantasy im April 2024

School at night, Gundelfingen

Neben Kurz­ge­schich­ten habe ich im April eine Rei­he wirk­lich ein­drucks­vol­ler Roma­ne gele­sen. Ich fan­ge mal mit den Kurz­ge­schich­ten an:

Das war zum einen der Sam­mel­band Glass and Gar­dens: Solar­punk Sum­mers (2018), her­aus­ge­ge­ben von Sare­na Uli­bar­ri. Größ­ten­teils schö­ne Geschich­ten, aber so ganz warm wer­de ich mit dem Gen­re nicht. Die Mischung zwi­schen hof­fungs­voll und gemüt­lich einer­seits und punk ande­rer­seits ist … nicht ganz ein­fach. Und die eine oder ande­re Geschich­te ist mir dann schlicht zu wenig ambi­va­lent, zu naiv. Aber viel­leicht braucht’s das ab und an doch.

Dann habe ich von Nao­mi Krit­zer die Geschich­te „The Year Wit­hout Suns­hi­ne“ (2023) gele­sen. Auch irgend­wie Solar­punk, oder: was pas­siert, wenn ganz nor­ma­le Leu­te in einem ganz nor­ma­len Wohn­block etwas, das sich stark nach Apo­ka­lyp­se anfühlt, über­ste­hen müs­sen. Mehr will ich nicht ver­ra­ten, aber sehr schön gemacht. Und anders als erwart­bar. (Dar­auf­hin habe ich dann auch Krit­zers Sam­mel­band Gift of the Win­ter King and Other Sto­ries (2011) gele­sen und wur­de nicht ent­täuscht: auch hier vie­le ent­täusch­te Erwar­tun­gen und Din­ge, die anders sind, als sie anfangs schei­nen. Wer Kurz­ge­schich­ten mag, und Krit­zer noch nicht kennt, ist da gut aufgehoben). 

Dann wie ange­kün­digt, die Bücher. Emi­ly Wilde’s Map of the Other­lands (2024) von Hea­ther Faw­cett ist eine gelun­ge­ne Fort­set­zung des ers­ten Bands, die größ­ten Teils in den Schwei­zer Alpen – und teil­wei­se in Feen­rei­chen – spielt. Wild und gefähr­lich, aber nicht zu düs­ter, mit einem ordent­li­chen Schuss Roman­tik – und einem etwas abrup­ten Ende. Aber der drit­te Band ist schon für 2025 vorbereitet. 

Beein­druckt hat mich Caho­kia Jazz (2023) von Fran­cis Spuf­ford. Das ist auf den ers­ten Blick pures noir aus den 1920er Jah­ren, mit zwei her­un­ter­ge­kom­me­nen Poli­zis­ten, blu­ti­gen Ver­bre­chen, Ver­stri­ckun­gen zwi­schen Halb­welt und Indus­trie­bos­sen und so wei­ter. Die Haupt­per­son, Joe Bar­row, ist nicht nur Poli­zist, son­dern auch begna­de­ter Jazz-Pia­nist (mit düs­te­rer Kind­heit). Ach so, und er wird für tako­u­ma gehal­ten, spricht aber nur weni­ge Wor­te Anopa. Denn die Metro­po­le Caho­kia exis­tiert in unse­rer Rea­li­tät nicht. Sie liegt unge­fähr da, wo St. Lou­is am Mis­sis­sip­pi zu fin­den ist, und wird von tako­u­ma – den Abkömm­lin­gen der Nati­ve Ame­ri­cans, tak­lou­sa – Men­schen mit afri­ka­ni­scher Her­kunft – und euro­päi­schen taka­ta bewohnt. Anopa ist die lin­gua fran­ca die­ses indi­ge­nen Staa­tes, der gera­de dabei ist, Teil der Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu wer­den. Die Mafia, der Klan und diver­se ande­re Akteu­re haben ein Inter­es­se dar­an, einen Vor­wand zu fin­den, die Macht in Caho­kia zu über­neh­men. Dass dort „Son­ne“ und „Mond“ fak­tisch wei­ter­hin die Macht haben, dass Land nicht ver­kauft, son­dern nur ver­pach­tet wird, dass hier Anopa gespro­chen wird und nicht Eng­lisch – all das ist die­sen Grup­pen ein Dorn im Auge. Und so wird aus dem Kri­mi ein Wett­lauf gegen die Zeit. Spuf­fords Alter­na­tiv­ge­schich­te ist trotz des 1920er-Noir-The­mas deut­lich les­ba­rer und stel­len­wei­se auch humor­vol­ler als Cha­b­ons The Yid­dish Policemen’s Uni­on. Das Set­ting ist nicht nur Set­ting, son­dern wird zum ori­gi­nä­ren Teil der Geschich­te, die nur hier mög­lich ist. 

Auch Rut­han­na Emrys Win­ter Tide (2017) spielt in einer alter­na­ti­ven Ver­si­on der Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Wir befin­den uns in den 1940er Jah­ren, der zwei­te Welt­krieg ist vor­bei. Neben Bürger*innen japa­ni­scher Abstam­mung waren auch die amphi­bi­schen Bewohner*innen von Inns­mouth (New Eng­land) der Ver­fol­gung und Inter­nie­rung aus­ge­setzt; nur die in den Oze­an ent­flo­he­nen „Deep Ones“ haben über­lebt – und Aphra, die Haupt­per­son die­ses Romans, sowie ihr Bru­der Caleb. Emrys stellt Love­crafts Cthul­hu-Mythos hier vom Kopf auf die Füße. Magie ist real; neben den uns bekann­ten Men­schen „der Lüf­te“ leben auch Was­ser- und Erd­men­schen, und über­haupt ist die­ser Teil unse­rer Geschich­te nur ein Bruch­teil der kos­mi­schen Geschich­te. Für Aphra ist Cthul­hu Teil ihrer Reli­gi­on. Gemein­sam mit einer unwahr­schein­li­chen Grup­pe von Held*innen macht sie sich auf die Suche nach den Über­res­ten ihrer Zivi­li­sa­ti­on, nach den in Inns­mouth geraub­ten Büchern und Über­lie­fe­run­gen. Emrys erzählt das mit viel Empa­thie, so dass deut­lich wird: der eigent­li­che Hor­ror sind nicht die „Mons­ter“ Love­crafts. (Sie­he dazu auch die­se Nicht-Bespre­chung durch Ada Pal­mer und, wo wir bei Kurz­ge­schich­ten sind, die­se hier – ganz ande­res Set­ting, aber ähn­li­ches Thema). 

Zu Walk the Vanis­hed Earth von Erin Swan (2022) habe ich mir „ver­stö­rend, sur­re­al, aber irgend­was stimmt mit der Mars-Gra­vi­ta­ti­on nicht“ notiert. Das Buch erstreckt sich von 1873 bis 2073 a la David Mit­chells Cloud Atlas über meh­re­re Gene­ra­tio­nen einer Fami­lie, beginnt – nicht, dass chro­no­lo­gisch erzählt wür­de – bei der Bison­jagd in der ame­ri­ka­ni­schen Prä­rie und endet mit Spa­zier­gän­gen auf der Mars-Ober­flä­che. Die Welt endet mehr­fach, es geht um Über­le­ben und das Sich-Durch­kämp­fen ambi­va­len­ter Cha­rak­te­re in tra­gi­schen Situa­tio­nen, um Mord, aber auch um gefun­de­ne und gewoll­te Gemein­schaf­ten und Wahl­fa­mi­li­en. Sehr phan­ta­sie­voll, stre­cken­wei­se sehr düs­ter, und nicht so leicht zu ertra­gen, aber immer inter­es­sant. Man­che Hand­lung folgt eher einer Traum­lo­gik, egal, ob in den 1970ern oder 2027. Ins­ge­samt eines der Bücher, das mich im April beein­druckt hat. 

Und auch The Deep Sky von Yume Kitas­ei (2023) ist durch­aus emp­feh­lens­wert. Das Motiv des Gene­ra­tio­nen­schiffs und der damit ver­bun­de­nen Kon­flik­te wird hier mal anders durch­ge­spielt. Non­bi­nä­rer Femi­nis­mus, vir­tu­el­le Wel­ten, eine frag­wür­di­ge Eli­te­aus­bil­dung und schwie­ri­ge Müt­ter-Töch­ter-Bezie­hun­gen kom­men eben­so vor wie Sabo­ta­ge und ein auf­zu­klä­ren­der Mord. Die Haupt­fi­gur Asuka hat japa­nisch-ame­ri­ka­ni­sche Wur­zeln und fühlt sich zwi­schen bei­den Wel­ten. Nicht nur des­halb geht es auch um Außen­sei­ter­tum und Fremd­heit. Also: ziem­lich viel, was in den Phoe­nix, wie hier das Gene­ra­tio­nen­schiff heißt, gepackt wur­de – und ein lesens­wer­tes Buch, das bis zuletzt span­nend bleibt.

Ange­schaut habe ich mir vor allem Seri­en – die fünf­te Staf­fel von Star Trek: Dis­co­very macht sich gut, und auch die ers­ten paar Fol­gen von Three Body Pro­blem hal­ten, was ver­spro­chen wur­de (auch wenn vie­les anders ist als im Buch). In Fall­out habe ich – ohne das Video­spiel zu ken­nen – mal rein­ge­schaut, weiß aber noch nicht, ob das was für mich ist – inter­es­san­tes Set­ting, aber dann doch arg blu­tig und zu viel post-apo­ka­lyp­ti­sche Gewalt und zu wenig All­tag im Fall­out-Shel­ter. Gese­hen habe ich außer­dem Dam­sel, eine recht gut gemach­te Umdre­hung der Rettet-die-Prinzessin-Geschichte. 

Kurz: Hitzetod des Internets, oder: neue Anpflanzungen

In den letz­ten Tagen sind mir drei ganz unter­schied­li­che Tex­te über den Weg gelaufen:

  • Heat Death of the Inter­net ist ein nur ein klein wenig zuge­spitz­ter Text, der wun­der­bar auf den Punkt bringt, was gera­de falsch läuft mit dem Netz, AI und Co.
  • Wir müs­sen zurück zum wil­den Inter­net wur­de in die­sen Tagen auf netzpolitik.org ver­öf­fent­licht – ein Essay, das mit der Meta­pher des „Rewil­ding“ Ideen dafür ent­wi­ckelt, wie ein Zurück zu einem wil­de­ren Öko­sys­tem im Netz aus­se­hen kann
  • We can have a dif­fe­rent web dreht das Gan­ze schließ­lich kom­plett ins Kon­struk­ti­ve und macht Vor­schlä­ge, wo ein Weg zurück zu einem orga­ni­sche­ren Netz begin­nen kann

Dass die­se Tex­te alle mehr oder weni­ger zeit­gleich in mei­nen Feeds auf­ge­taucht sind, mag Zufall sein. Aber viel­leicht ist es auch ein Indiz dafür, dass die­ses The­ma gera­de sehr vie­le Leu­te umtreibt. Da schwingt viel­leicht auch ein Hauch Nost­al­gie für den Som­mer vor einem der ewi­gen Sep­tem­ber mit, das wun­der­ba­re MAUS/­FIDO­NET-Netz, das wun­der­ba­re Use­net-Netz, das wun­der­ba­re Geo­ci­ties-WWW der Anfangs­zei­ten, das wun­der­ba­re gol­de­ne Zeit­al­ter der Blogs, das wun­der­ba­re Mikro­blog­ging, bevor Elon Musk alles kaputt gemacht hat. Je nach Alter/Sozialisation dürf­te der Nost­al­gie­punkt ein ande­rer sein. Gemein­sam ist aber die Fest­stel­lung, dass ein durch Mono­po­le, „Ens­hit­ti­fi­ca­ti­on“ und KI-Müll­hal­den gekenn­zeich­ne­tes Netz nichts schö­nes ist – und das Wis­sen, dass es anders geht. Das Netz ist noch da. Nut­zen wir es. 

Photo of the week: Sky

Sky

 
Das Foto wur­de noch vor dem Win­ter­ein­bruch der letz­ten Tage auf­ge­nom­men, jetzt scheint es aber wie­der wär­mer zu wer­den – und da, wo die Obst­blü­ten saßen, die sich hier in Rich­tung Him­mel stre­cken, sind jetzt an den Obst­bäu­men im Gar­ten Frucht­an­sät­ze zu fin­den. Zum Glück schei­nen die­se die kal­ten Tage unbe­scha­det über­stan­den zu haben.