Soziologie, die unreine Wissenschaft?


Quel­le: xkcd

xkcd bringt ein (aus Sozio­lo­gen­sicht) oft gehör­tes Vor­ur­teil auf den Punkt: Sozio­lo­gie als unreins­te Wis­sen­schaft, nichts wei­ter als eine (schlech­te) Ablei­tung aus den Natur­wis­sen­schaf­ten. Viel­leicht will ja jemand was dazu sagen – mög­li­cher­wei­se ist’s gera­de die feh­len­de Rein­heit, die zum Erkennt­nis­ge­winn beiträgt.

Lesenswert: Wovon Menschen leben

Cover »Wovon Menschen leben«Die Mün­che­ner anstif­tung ist eine der klei­ne­ren, wenig bekann­ten Stif­tun­gen – umso inter­es­san­ter erscheint mir das, was dort gear­bei­tet wird. Ein in jeder Hin­sicht hand­fes­tes Ergeb­nis der Arbeit der anstif­tung ist das Buch „Wovon Men­schen leben. Arbeit, Enga­ge­ment und Muße jen­seits des Mark­tes“ der Sozio­lo­gin­nen Andrea Bai­er, Chris­ta Mül­ler und Karin Wer­ner (mit Foto­gra­fien von Cor­ne­lia Suhan). 

Ich bin auf die­ses Buch gesto­ßen, weil mich das The­ma Nach­hal­tig­keit und Lebens­sti­le auf­grund mei­nes Pro­mo­ti­ons­vor­ha­bens beschäf­tigt. Aber anders als vie­le ande­re Bücher zu die­sem The­men­feld geht es bei „Wovon Men­schen leben“ nun zwar auch um die wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung: um einen neu­en Begriff von Arbeit, der in der Tra­di­ti­on von Ben­n­holdt-Thom­sen die Bedeu­tung von Sub­sis­tenz, also Pro­duk­ti­on, die sich am eige­nen Leben und nicht am Markt ori­en­tiert, in den Vor­der­grund stellt; um die Fra­ge, wie Sub­sis­tenz und das Leben in einer funk­tio­nal dif­fe­ren­zier­ten Gesell­schaft zusam­men­passt (oder ob es nicht eben gera­de die infor­mel­len Zwi­schen­stü­cke sind, die das Funk­tio­nie­ren einer sol­chen Gesell­schaft erst ermög­li­chen); um den Zusam­men­hang zwi­schen Sub­sis­tenz, Indi­vi­du­um und Gemein­schaft; und nicht zuletzt um die Fra­ge, ob Sub­sis­tenz (im Sin­ne der Kon­sum­ver­zicht posi­tiv wer­ten­den Suf­fi­zi­enz­stra­te­gie) zu mehr Nach­hal­tig­keit im All­tag füh­ren kann. 

Das ist jedoch nur die eine Sei­te des Buches. Die ande­re besteht aus 28 Por­träts ein­zel­ner Men­schen und Paa­re, zu deren All­tag „Arbeit, Enga­ge­ment und Muße jen­seits des Mark­tes“ gehört. Die­se Por­träts sind die Grund­la­ge inten­si­ver Inter­view- und Beob­ach­tungs­tä­tig­keit der For­sche­rin­nen, wer­den hier aber nicht nüch­tern prä­sen­tiert, son­dern die Autorin­nen neh­men bewusst Stel­lung, gehen auf die Posi­ti­on der Befrag­ten ein und stel­len die­se mit­füh­lend und „unver­hoh­len sym­pa­thi­sie­rend“ dar. Beglei­tet wer­den die­se Por­träts von schö­nen Foto­gra­fien und einer DVD, auf der Video­ma­te­ri­al aus den Inter­views ent­hal­ten ist. Geord­net haben die Autorin­nen die Por­träts nach vier Kate­go­rien: „Für ande­re sor­gen“, „Nah­raum gestal­ten“, „Natur erle­ben – Natur bewah­ren“, „Sel­ber machen“ – damit sind auch die The­men ange­spro­chen, die das Buch als rote Fäden durchziehen. 

Ein biß­chen – aber mit ande­ren Gewich­tun­gen, und einer ande­ren Aus­sa­ge – erin­nert das Buch an Ulrich Becks „Eige­nes Leben“, das eben­falls auf die Kom­bi­na­ti­on aus Ana­ly­se, Por­trät und Foto­gra­fie auf­baut. Aller­dings ist Becks Blick auf die Welt ein ande­rer. Viel­leicht macht fol­gen­des Zitat die Grund­hal­tung der Autorin­nen am bes­ten deutlich:

Wir woll­ten nicht nach den Defi­zi­ten der Men­schen Aus­schau hal­ten – z.B. ihrer man­geln­den Bereit­schaft in Sachen umwelt­be­wuss­tes Han­deln -, wir woll­ten viel­mehr wis­sen, wel­che posi­ti­ven Ansät­ze es für Nach­hal­tig­keit, sprich die Erhal­tung der natür­li­chen und sozia­len Res­sour­cen, im ganz nor­ma­len All­tag ganz nor­ma­ler Leu­te gibt. (S. 18)

Auch das Buch selbst ist – viel­leicht sogar ein biß­chen unüb­lich für das The­ma beim oekom-Ver­lag – als schön gestal­te­tes Hard­co­ver erschie­nen; das passt zur Grund­hal­tung, die die theo­re­ti­schen Über­le­gun­gen und die Por­träts durch­zieht: die Vor­stel­lung, dass auch im hier und jetzt ein „gutes Leben“ im bes­ten Sin­ne mög­lich ist.

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Andrea Bai­er, Chris­ta Mül­ler, Karin Wer­ner (2007): Wovon Men­schen leben. Arbeit, Enga­ge­ment und Muße jen­seits des Mark­tes. Mün­chen: oekom. 301 Sei­ten plus DVD, Hard­co­ver. 24,90 Euro. Bei Ama­zon kau­fen.

Mit der neu­en Rubrik „Lesens­wert“ möch­te ich kur­ze Hin­wei­se auf inter­es­san­te Bücher geben.

Kurzeintrag: Neuer Webauftritt der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Neue Website der DGSSeit ein paar Wochen ist die Deut­sche Gesell­schaft für Sozio­lo­gie (DGS) nun mit einer neu­ge­stal­te­ten Web­site im Netz. Dar­an lässt sich viel kri­ti­sie­ren – etwa die feh­len­de Ver­wen­dung von Social Soft­ware, der Blei­wüs­ten­cha­rak­ter oder, da wür­de ich inzwi­schen zustim­men, der feh­len­de RSS-Feed für die ein­zel­nen Rubri­ken –, immer­hin scheint die Sei­te sich aber tat­säch­lich inhalt­lich zu fül­len, mit Pres­se­mit­tei­lun­gen, Mel­dun­gen, Stel­len­an­ge­bo­ten, Hin­wei­sen auf Call for Papers und der­glei­chen mehr. Ein paar Bau­stel­len gibt es noch, so sind die Sek­ti­ons­sei­ten viel­fach noch kom­plett leer, aber mit etwas Glück (und doch ein biß­chen Web 2.0?) wird dar­aus was.

Ins­ge­samt sehe ich hier jeden­falls durch­aus posi­ti­ve Schrit­te hin zu einem ech­ten Infor­ma­ti­ons­hub für die Dis­zi­plin Soziologie. 

Notizen zu Praxistheorie und Umweltverhalten, Teil III

I am a hard bloggin' scientist. Read the Manifesto.

Das hier ist der drit­te Blog­ein­trag einer Serie, in der ich den Zusam­men­hang von Pra­xis­theo­rie und Umwelt­ver­hal­ten erläu­tern will – vor allem, um mei­ne eige­nen, noch recht rohen Gedan­ken zu ordnen. 

Im ers­ten Teil ging es um eine kur­ze Ein­füh­rung in die Pra­xis­theo­rie, im zwei­ten Teil habe ich mir all­ge­mei­ne Gedan­ken um „mensch­li­ches Umwelt­ver­hal­ten“ gemacht. Jetzt soll es dar­um gehen, ein Kon­zept dafür zu ent­wi­ckeln, bei­des zusammenzubringen.
„Noti­zen zu Pra­xis­theo­rie und Umwelt­ver­hal­ten, Teil III“ weiterlesen

Greendex: wer lebt wie grün?

Die ame­ri­ka­ni­sche Natio­nal Geo­gra­phic Socie­ty hat vor kur­zem das Ergeb­nis eines 14-Län­der-Ver­gleichs vor­ge­stellt, den Greend­ex. Dabei geht es um den Bei­trag von a. Kon­sum­entschei­dun­gen und b. Kon­text­be­din­gun­gen für den Kon­sum in unter­schied­li­chen Län­dern zu einem nach­hal­ti­gen Lebens­stil, wohl vor allem an den CO2-Emis­sio­nen festgemacht. 

Colors of green (mosaic)
Wie grün bist Du?

Befragt wur­den 14.000 Haus­hal­te in den 14 Län­dern mit einem 65 Varia­blen umfas­sen­den Sur­vey, die dann zum „Greend­ex“ – einem Punk­te­wert – zusam­men­ge­fasst wur­den. Etwa 60 % der Fra­gen bezie­hen sich dabei auf Kon­sum­entschei­dun­gen, also Berei­che, in denen unter­schied­li­ches Ver­hal­ten mög­lich ist. Prin­zi­pi­ell sind sol­che Unter­su­chun­gen nichts neu­es, auch die Umwelt­be­wusst­seins­be­fra­gun­gen des Umwelt­bun­des­am­tes gehen in die­se Rich­tung, inter­es­sant ist hier vor allem der Ländervergleich. 

Dabei kommt – bezo­gen auf das Ver­brau­cher­ver­hal­ten in den ein­zel­nen Län­dern – fol­gen­de Rei­hen­fol­ge heraus:

1. Bra­si­li­en, Indi­en (je 60 Punkte)
2. Chi­na (56,1 Punkte)
3. Mexi­ko (54,3 Punkte)
4. Ungarn (53,2 Punkte)
5. Russ­land (52,4 Punkte)
6. Groß­bri­tan­ni­en, Deutsch­land, Aus­tra­li­en (je 50,2 Punkte)
7. Spa­ni­en (50,0 Punkte)
8. Japan (49,1 Punkte)
9. Frank­reich (48,7 Punkte)
10. Kana­da (48,5 Punkte)
11. USA (44,9 Punkte)

Die nied­ri­gen Punkt­zah­len der Schwel­len­län­der sind mit einem gerin­ge­ren mate­ri­el­len Wohl­stand ver­bun­den (Zahl der Autos, Woh­nungs­grö­ße), zum Teil wohl auch vom Kli­ma abhän­gig (Hei­zungs­be­darf etc.). Dass die USA ganz hin­ten lie­gen, ist nicht beson­ders erstaun­lich – erstaun­lich ist aber der gro­ße Abstand zu den übri­gen Ländern.

Deutsch­land liegt ins­ge­samt im Mit­tel­feld, bezo­gen auf die Indus­trie­län­der rela­tiv weit vor­ne. Das mag etwas damit zu tun haben, dass „umwelt­freund­li­ches Ver­hal­ten“ hier­zu­lan­de schon ziem­lich lan­ge the­ma­ti­siert wird (vgl. Tele­po­lis-Arti­kel).

Auf der Web­site Greend­ex lässt sich – wie inzwi­schen auf vie­len ande­ren Sei­ten ähn­li­che Fuß­ab­drü­cke etc. zu fin­den sind – auch der per­sön­li­che „Greend­ex“ berech­nen.

Bis auf die Fra­ge 9, die so nur Sinn macht, wenn die ent­spre­chen­den Gerä­te vor­han­den sind, sieht der Fra­ge­bo­gen für die Berech­nung erst ein­mal ganz ver­nünf­tig aus. Bei mir kommt ein Score von 61 her­aus, was mich freut, aber nicht beson­ders über­rascht (kein Auto, rela­tiv viel Regio­na­les und Recy­cling, Niedrigenergiemietswohnung).

Eine Infor­ma­ti­on habe ich auf der Sei­te bis­her nicht gefun­den: wel­cher Score wäre tat­säch­lich nach­hal­tig? Bei ähn­li­chen Rech­nern zum „Fuß­ab­druck“ kommt dann ja meist her­aus, dass beim per­sön­li­chen Lebens­stil welt­weit zwei bis drei Pla­ne­ten not­wen­dig wären (bei mir: 1,6) – die­se Infor­ma­ti­on scheint mir hier zu fehlen.

War­um blog­ge ich das? Weil’s mich wis­sen­schaft­lich und poli­tisch inter­es­siert und hier glo­ba­le Daten mit einem per­sön­li­chen Kal­ku­la­tor ver­bun­den wer­den, was ich inter­es­sant finde.