Ungeduld der Klimabewegung, Zeitläufe der Politik

Snowday, Rieselfeld - XXVIII

Auch jen­seits von Lüt­zer­ath beob­ach­te ich in den letz­ten Wochen eine zuneh­men­de Schär­fe im Ton zwi­schen Kli­ma­be­we­gung und grü­ner Par­tei. Das ist auf der einen Sei­te nicht wei­ter ver­wun­der­lich – Bünd­nis 90/Die Grü­nen ste­cken als Regie­rungs­par­tei in einer ande­ren Rol­le als die Kli­ma­be­we­gung, und mit dem Wech­sel von Oppo­si­ti­on zu Regie­rung im Bund hat sich da auch noch ein­mal etwas ver­scho­ben. Auf der ande­ren Sei­te lässt mich das etwas rat­los zurück. Denn im Kern steckt hin­ter die­ser zuneh­men­den Schär­fe ein Dilem­ma, das sich nicht so leicht auf­lö­sen lässt.

Das Man­tra der Kli­ma­be­we­gung ist seit eini­gen Jah­ren das der maxi­ma­len Dring­lich­keit: die Kli­ma­bud­gets sind weit­ge­hend aus­ge­schöpft, das poli­tisch fest­ge­setz­te 1,5‑Grad-Ziel ist nur zu hal­ten, wenn sofort gegen­ge­steu­ert wird, und das Fens­ter, noch etwas zu ver­än­dern, schließt sich. Ich kann die­se Dring­lich­keit, die ja zu gro­ßen Tei­len wis­sen­schaft­lich begrün­det ist, gut nach­voll­zie­hen. Und ich kann sogar nach­voll­zie­hen, dass beob­ach­te­tes Nicht­han­deln dazu führt, Akti­ons­for­men zu wäh­len, die auf­fäl­li­ger sind als Groß­de­mons­tra­tio­nen und klu­ge Äuße­run­gen in Talk­shows. Es geht um etwas. Es geht um alles!

Gleich­zei­tig ist Poli­tik nur begrenzt kri­sen­fä­hig. Erst recht nicht, wenn eine poli­ti­sche Ant­wort auf die Kli­ma­kri­se eigent­lich hei­ßen wür­de, die nächs­ten Jahr­zehn­te Poli­tik nur noch im Kri­sen­mo­dus zu betrei­ben – mit schnel­len und ein­schnei­den­den Ent­schei­dun­gen, mit dem Außer­kraft­set­zen von Abwä­gun­gen und Betei­li­gungs­rech­ten. Ereig­nis­haft kann Poli­tik in die­sem Modus arbei­ten. Das hat sich in der Coro­na-Kri­se gezeigt, als Maß­nah­men qua­si über Nacht ergrif­fen wur­den. Und auch der schnel­le Auf­bau von LNG-Ter­mi­nals lie­ße sich hier als Bei­spiel anfüh­ren. War­um also nicht in die­sem Tem­po die 180-Grad-Wen­de hin zu einer wir­kungs­vol­len Kli­ma­po­li­tik? Schließ­lich ist doch wis­sen­schaft­lich längst klar, was getan wer­den müss­te – von klei­ne­ren Maß­nah­men wie dem Tem­po­li­mit bis hin zur kom­plet­ten Elek­tri­fi­zie­rung von Ver­kehr und Indus­trie, der Umstel­lung des Ener­gie­sys­tems auf Wind, Pho­to­vol­ta­ik und Spei­cher und der Switch in der Ernäh­rung zu kli­ma­scho­nen­de­ren Lebens­mit­teln liegt der Instru­men­ten­kas­ten auf dem Tisch. 

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Kurz: Technologieoffenheit vs. Wunderglaube

Gera­de, weil ich ziem­lich viel Ver­trau­en in Wis­sen­schaft und Tech­nik habe, nervt mich der Spin, den die FDP schon seit lan­gem und aktu­ell auch die CDU in der Kli­ma­ka­ta­stro­phe set­zen möch­te – um damit alle wirk­sa­men regu­la­to­ri­schen und tech­no­lo­gi­schen Maß­nah­men zu ver­mei­den bzw. in die fer­ne Zukunft zu ver­schie­ben. Das pas­sen­de Schlag­wort ist „Tech­no­lo­gie­of­fen­heit“ – damit ist bei Lei­be nicht gemeint, offen für die best­mög­li­che tech­ni­sche Lösung für das Kli­ma­kri­sen­pro­blem zu sein. Das wäre sowas wie der sehr schnel­le Aus­bau von Wind, Son­ne und Batteriespeichern. 

Nein: wenn die FDP von Tech­no­lo­gie­of­fen­heit spricht, meint sie damit, alle poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen zu ver­ta­gen, die dazu füh­ren könn­ten, dass bat­te­rie­elek­tri­sche Antrie­be sich durch­set­zen. Es könn­te ja sein, dass in Kür­ze Was­ser­stoff oder syn­the­ti­sche Kraft­stof­fe da sind, und dann alle in die fal­sche Rich­tung gerannt sind. Nur, dass der Blick auf die Effi­zi­enz der Pro­zes­se, um (grü­nen) Was­ser­stoff her­zu­stel­len oder um CO2-neu­tra­le syn­the­ti­sche Kraft­stof­fe zu pro­du­zie­ren, hier schnell ernüch­tern soll­te – und der Blick auf den Zeit­ho­ri­zont, bis eine ent­spre­chen­de Infra­struk­tur auf­ge­baut ist, erst recht. Inso­fern ist „Tech­no­lo­gie­of­fen­heit“ und damit die Ableh­nung von allen Maß­nah­men, die regu­la­to­risch bat­te­rie­elek­tri­sche Antrie­be för­dern, und erst recht die Ableh­nung aller Maß­nah­men, um den ÖPNV aus­zu­bau­en, nichts ande­res als ein Ablen­kungs­ma­nö­ver. Da will sich jemand nicht mit Lösun­gen für die heu­ti­ge Pro­ble­me beschäftigen. 

Und die CDU? Die for­dert allen erns­tes, mit ähn­li­chem Spin, dass für die Lösung des Kli­ma­kri­sen­pro­blems jetzt schnell ganz viel an CCS (Car­bon Cap­tu­re and Sto­rage), Kern­fu­si­on und Trans­mu­ta­ti­on (um radio­ak­ti­ve Abfäl­le sicher zu machen) geforscht wer­den soll. In der aku­ten Lage sind auch das Ablen­kungs­ma­nö­ver, um poli­ti­sches Han­deln in die Zukunft zu ver­schie­ben und jetzt nichts zu tun, was mit Kom­fort­ein­bu­ßen oder der kon­flikt­haf­ten Durch­set­zung von Netz­aus­bau und Flä­chen für Pho­to­vol­ta­ik und Wind zu tun hat. CCS mag not­wen­dig wer­den, weil der Aus­bau der Erneu­er­ba­ren mit allem, was dazu­ge­hört, nicht schnell genug geht. Aber CCS ist kei­ne Lösung für jetzt. Und Kern­fu­si­on – wis­sen­schaft­lich hoch­span­nend, aber noch immer weit vom Durch­bruch ent­fernt – und die Trans­mu­ta­ti­on von Ato­men, um so radio­ak­ti­ven Abfall zu behan­deln, sind heu­te lei­der noch weit­ge­hend Sci­ence Fic­tion. Inso­fern ist jede Kli­ma­po­li­tik, die auf die­se Lösun­gen setzt, eine, die nicht weit weg von tech­no­lo­gi­schem Wun­der­glau­be ent­fernt ist. For­schung in die­sen Berei­chen: klar, auf jeden Fall. Aber um jetzt auf einen Pfad unter 2 Grad Erd­er­hit­zung zu kom­men, hilft nichts davon.

Span­nend ist da nur noch die Fra­ge, ob FDP und CDU wis­sen, was sie da sagen – oder ob sie tat­säch­lich an die­se tech­no­lo­gi­schen Wun­der glau­ben. Und dabei ganz über­se­hen, wel­che groß­ar­ti­gen wis­sen­schaft­li­chen und inge­nieur­tech­ni­schen Leis­tun­gen in heu­ti­gen Bat­te­rien, Pho­to­vol­ta­ik­zel­len und Wind­kraft­an­la­gen stecken. 

Kurz: Vegetarische Schulmenüs

Zwi­schen Tür und Angel: Ver­wun­de­rung dar­über, dass der mit deut­li­cher Mehr­heit gefass­te Beschluss des Frei­bur­ger Gemein­de­rats, in Grund­schu­len und Kitas ab dem nächs­ten Schul­jahr nur noch ein Menü anzu­bie­ten – das dann sinn­vol­ler­wei­se vege­ta­risch ist – bun­des­weit hohe Wel­len schlägt. Der Lan­des­land­wirt­schafts­mi­nis­ter (CDU) grum­melt, dass Fleisch zu einer aus­ge­wo­ge­nen Ernäh­rung dazu­ge­hö­re, die Blät­ter und Rund­funk­an­stal­ten Schlag­zei­len etwas von „Fleisch­ver­bot“ – und letzt­lich geht’s in der Stadt doch vor allem um Effi­zi­enz und den Ver­such, die stei­gen­den Kos­ten fürs Schu­les­sen nicht in vol­lem Umfang an Eltern wei­ter­zu­ge­ben. Und neben­bei ein biss­chen um den Kli­ma­schutz und die Nach­hal­tig­keit. Hier ist’s jeden­falls längst nicht das Auf­re­ger­the­ma, dass es außer­halb der Gren­zen der Stadt zu sein scheint. Oder: Frei­burg, grün-lin­ke Oase.

Klimapolitiken

Trotz der Extrem­wet­ter­er­eig­nis­se der letz­ten Jah­re, trotz Dür­re und Hit­ze­som­mer – und trotz der täg­lich alar­mie­ren­der wer­den­den Pro­gno­sen – war Kli­ma­po­li­tik bis­her vor allem Kampf dar­um, Kli­ma­schutz als poli­ti­sches issue dis­kur­siv zu ver­an­kern, ent­spre­chen­de Treib­haus­gas­zie­le zu ver­ein­ba­ren und – fol­low the sci­ence - zumin­dest in der Rhe­to­rik weit­ge­hend kon­sen­sua­le Maß­nah­men auf­zu­set­zen. Die poli­ti­sche Trenn­li­nie mag als so etwas beschrie­ben wer­den wie „Brau­chen wir Kli­ma­schutz – ja oder nein?“

Inzwi­schen neh­me ich Anzei­chen dafür war, dass Kli­ma­po­li­tik sich plu­ra­li­siert. Dass die Kli­ma­ka­ta­stro­phe kommt, ergibt sich schlicht durch ihre zuneh­men­de mate­ri­el­le Fak­ti­zi­tät – dass sich etwas ändert, ist nicht nur zu mes­sen, son­dern auch zu sehen, mit Hän­den zu grei­fen. Die Streit­li­nie ver­läuft damit zuneh­mend nicht mehr ent­lang des ob, son­dern ent­lang unter­schied­li­cher Schuld­zu­wei­sun­gen und Lösungs­an­sät­ze. Eini­ge davon mögen vor­ge­scho­ben sein, um wei­ter Nor­ma­li­tät zu simu­lie­ren und bloß nichts ändern zu müs­sen, wenn etwa die FDP allen Effi­zi­enz­be­rech­nun­gen zum Trotz e‑Fuel propagiert.

Trotz­dem lässt sich heu­te schon eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung der poli­ti­schen Ant­wor­ten auf den Kli­ma­wan­del beob­ach­ten. Dabei spie­len selbst­ver­ständ­lich tra­dier­te Posi­tio­nie­run­gen eine gro­ße Rol­le: Ver­trau­en in den Markt – oder der Ruf nach Sys­tem­wan­del; ein größt­mög­li­ches Maß indi­vi­du­el­ler Frei­heit für die, die es sich leis­ten kön­nen – oder der Fokus auf Umver­tei­lung und Kli­ma­ge­rech­tig­keit; groß­tech­ni­sche Lösun­gen oder Dezen­tra­li­tät; und ja, auch struk­tu­rel­le Regu­lie­rung oder, auf der ande­ren Sei­te, „Eigen­ver­ant­wor­tung“ und Ver­hal­tens­tipps. All das zeich­net sich heu­te schon ab in den pro­pa­gier­ten Ant­wor­ten auf den bis­her ste­ti­gen Anstieg der Treib­haus­gas­kon­zen­tra­ti­on in der Atmosphäre.

(Aus grü­ner, par­tei­po­li­ti­scher Sicht ist die­se Aus­dif­fe­ren­zie­rung ein Pro­blem: je stär­ker Kli­ma­schutz und mul­ti­ple Lösun­gen für die Kli­ma­kri­se als Vor­schlä­ge unter­schied­li­cher Par­tei­en dis­ku­tiert wer­den, des­to stär­ker ent­glei­tet das „Eigen­tum“ am The­ma. Und des­to begrün­dens­wer­ter wird es, wel­che Lösung gewählt wird – es gibt kei­ne „natur­ge­ge­be­ne“, ein­zig rich­ti­ge Lösung, son­dern die­se fin­det sich erst im poli­ti­schen Streit. Heu­te lässt sich das Ansatz­wei­se schon bei den Fra­gen Atom­kraft und Gen­tech­nik zei­gen. Und mit Blick auf die mate­ri­el­le Fak­ti­zi­tät der Kli­ma­kri­se ist die­se Aus­dif­fe­ren­zie­rung ambi­va­lent: es ist gut, wenn Einig­keit über das Pro­blem besteht; wenn jedoch Lösun­gen poli­tisch aus­ge­han­delt wer­den müs­sen, kos­tet das Zeit und senkt die Wahr­schein­lich­keit, dass irgend­ei­ner die­ser Wege beschrit­ten wird.)

In die Zukunft fort­ge­schrie­ben, hal­te ich es für plau­si­bel, dass die­ser Streit um rich­ti­ge Ant­wor­ten noch deut­lich schär­fer wer­den wird.

Bis­her – und die­se Aus­dif­fe­ren­zie­rung ist nicht neu, son­dern reicht bis in die 1980er und 1990er zurück – han­delt es sich abzüg­lich rein rhe­to­ri­scher Zuge­ständ­nis­se im Kern oft noch um einen Streit inner­halb einer vage zu umrei­ßen­den Kli­ma­be­we­gung, mit einer eher real­po­li­tisch ori­en­tier­ten öko­lo­gi­schen Moder­ni­sie­rung auf der einen Sei­te und sys­tem chan­ge statt cli­ma­te chan­ge, also der Nutz­bar­ma­chung des Kli­mathe­mas für grö­ße­re gesell­schaft­li­che Wan­del­uto­pien, auf der ande­ren Sei­te. Das ist wie gesagt nicht neu, son­dern eine seit Jahr­zehn­ten ein­ge­üb­te, mit Fri­days for Future noch ein­mal neu moti­vier­te Arbeits­tei­lung bei rela­ti­ver Einig­keit über den poli­ti­schen Kern.

Die Debat­ten um Extinc­tion Rebel­li­on vor eini­gen Jah­ren oder jetzt um den Kle­be-Akti­vis­mus der Letz­ten Gene­ra­ti­on ste­hen damit in einer Tra­di­ti­ons­li­nie der Aus­ein­an­der­set­zung um Rea­lis­mus und Radi­ka­li­tät in der öko­lo­gi­schen Bewegung.

(Die, aber das wäre ein ande­res The­ma, ers­tens nie deckungs­gleich, wohl aber über­lap­pend mit par­tei­grü­nen Debat­ten war, und die zwei­tens mög­li­cher­wei­se gera­de im Brenn­glas der Bewer­tung der Coro­na­po­li­tik (und jetzt der frie­dens­be­weg­ten Igno­ranz ange­sichts des rus­si­schen Angriffs­kriegs) aus­ein­an­der läuft: ist das noch eine geteil­te Lebens­welt, wenn Mas­ken­tra­gen und Imp­fen plötz­lich heiß umstrit­ten sind?)

Neu ist heu­te, dass der Streit um die kli­ma­po­li­tisch rich­ti­ge Lösung zuneh­mend kein Streit inner­halb einer lose umris­se­nen Bewe­gung und kein Inner­wis­sen­schafts­dis­kurs ist, son­dern in gesell­schaft­li­cher Brei­te geführt wird, kata­ly­siert in Parteipositionen.

Aus einer Linie der Kli­ma­wan­del­leug­nung und der Die­sel­po­li­tik könn­te so bei der AfD (oder bei ent­spre­chend rechts posi­tio­nier­ten Tei­len von CDU und FDP) eine hart klimana­tio­na­lis­ti­sche und kli­ma­ras­sis­ti­sche Poli­tik ent­ste­hen: wir zuerst, der glo­ba­le Süden darf Kom­pen­sa­ti­on lie­fern, viel­leicht auch „sau­be­ren“ Strom und grü­nen Was­ser­stoff, ansons­ten vor allem: Gren­zen dicht und wegsehen!

Groß­tech­ni­sche Lösun­gen – Atom­kraft, Kern­fu­si­on, Geo-Engi­nee­ring – pas­sen, als „Inno­va­ti­on“ und „Tech­no­lo­gie­of­fen­heit“ gerahmt, gut ins Port­fo­lio der FDP und markt­li­be­ra­ler Strö­mun­gen ande­rer Par­tei­en. Wäh­rend der Fokus der­zeit noch auf Was­se­stoff und E‑Fuels liegt, gehört nicht viel Phan­ta­sie dazu, sich vor­zu­stel­len, dass mit zuneh­mend dra­ma­tisch wer­den­der Erd­er­wär­mung der Ruf nach gro­ßen tech­ni­schen Lösun­gen wie Son­nen­se­geln im Welt­raum zur Ver­schat­tung lau­ter wer­den wird. (Ideo­lo­gisch passt dann so etwas wie Long­ter­mism wun­der­bar dazu.)

Noch etwas wei­ter gedacht: mit etwas Fata­lis­mus lässt sich beim Blick auf die Kur­ve der Treib­haus­gas­kon­zen­tra­ti­on und der kaum dämp­fen­den Wir­kung der bis­her ergrif­fe­nen Maß­nah­men dar­über spe­ku­lie­ren, dass Kli­ma­wan­del­an­pas­sung zum Kern eines poli­ti­schen Pro­gramms wer­den könn­te. Damit mei­ne ich weder die Schwamm­stadt noch Rück­hal­te­be­cken, eher schon den Bau von See­wäl­len und Däm­men – und beim Blick auf 3 oder 4 Grad Erhit­zung könn­ten dar­aus auch aut­ar­ke, von der Umwelt abge­schlos­se­ne Arko­lo­gien oder unter­ir­di­sche Städ­te wer­den. Das klingt noch sehr weit her­ge­holt – es dürf­te dann plau­si­bler wer­den, wenn ers­te Städ­te auf­ge­ge­ben oder ers­te Gebie­te als unbe­wohn­bar erklärt werden.

Zusam­men­ge­fasst: Kli­ma­po­li­tik rückt zuneh­mend und not­wen­di­ger­wei­se ins Zen­trum. Poli­ti­sche Lösun­gen gewin­nen an Dring­lich­keit. Gleich­zei­tig wird offe­ner und stär­ker zum Gegen­stand dis­kur­si­ver und poli­ti­scher Aus­hand­lung, was rich­ti­ge Lösun­gen sind. Zu Ende gedacht kann das zu einem Aus­dif­fe­ren­zie­rungs­mo­ment des Par­tei­en­spek­trums werden.

Eine kleine Bilanz zum Neun-Euro-Ticket

Waiting for No. 5 - II

Über­mor­gen enden dann die drei Mona­te des Groß­ver­suchs Neun-Euro-Ticket. Lei­der wur­de vor­her nicht klar defi­niert, was den Erfolg die­ses Ver­suchs aus­macht – inso­fern ist jetzt sehr inter­pre­ta­ti­ons­of­fen, ob das Ticket die damit ver­bun­de­nen Zie­le erreicht hat oder nicht. Ver­kauft wur­de es wohl mehr als 50 Mil­lio­nen Mal. Klar ist: Es wur­den Treib­haus­ga­se ein­ge­spart – es heißt, etwa so viel wie durch ein Tem­po­li­mit 130 im Jahr erreicht wür­de. Abonnent*innen von Monats- und Jah­res­kar­ten wur­den sehr deut­lich ent­las­tet. Und Men­schen, die auf jeden Euro gucken müs­sen, hat­ten die Mög­lich­keit, tou­ris­ti­sche und Frei­zeit­fahr­ten zu unter­neh­men – also ein Bei­trag zur Teilhabe. 

Gleich­zei­tig dürf­te das Neun-Euro-Ticket, da ja, wenn ich das rich­tig in Erin­ne­rung habe, eine bei Nacht und Nebel gebo­re­ne Idee war, um dem FDP-Tan­kra­batt etwas ent­ge­gen­zu­set­zen, so etwas wie ein Stress­test für den öffent­li­chen Nah­ver­kehr dar­ge­stellt haben. Und ein Vor­griff auf die Uto­pie eines ticket­lo­sen, per Umlage/Steuermittel finan­zier­ten Ver­kehrs. Dabei zeig­te sich dann, das Bus­se und Bah­nen bis­her nicht dar­auf ein­ge­stellt sind, dass deut­lich mehr Men­schen als heu­te sie nut­zen. Und dass die Kom­bi­na­ti­on aus coro­nabe­ding­tem Fach­kräf­te­man­gel und zusätz­li­chen Nutzer*innen nicht unbe­dingt ide­al ist. Wer den ÖPNV attrak­ti­ver machen will, muss ver­mut­lich an bei­den Schrau­ben dre­hen: am Preis und am Ange­bot. Und das wird dann schnell rich­tig teuer.

Das Gefühl, ein­fach ein­stei­gen zu kön­nen, egal wo – ohne sich mit kom­pli­zier­ten Waben­struk­tu­ren, Kurz­stre­cken­ta­ri­fen und Tages­grup­pen­kar­ten her­um­schla­gen zu müs­sen – ist ein gutes Gefühl. Mit der Bahn­card 100, die ich mir leis­te und leis­ten kann, habe ich die­ses Gefühl auch jetzt schon; sie ent­hält qua­si den City-Bereich, der auch bei ande­ren DB-Fahr­kar­ten dabei ist. Das sind nicht alle Nah­ver­kehrs­ver­bin­dun­gen, was manch­mal zu Rät­sel­ra­ten führt, aber meist las­sen sich Bus­se und Bah­nen damit nut­zen. Trotz Bahn­card 100 habe ich mir für zwei Mona­te noch ein Neun-Euro-Ticket gekauft – das eine, weil ich die Bahn­card nicht dabei hat­te, das ande­re, um die Lücke zwi­schen der vor­he­ri­gen und der nächs­ten Bahn­card zu fül­len. Bei die­sem Preis ist so etwas sehr unpro­ble­ma­tisch und spon­tan mög­lich. Das sieht bei einem höhe­ren (und finan­zie­rungs­tech­nisch ver­mut­lich lei­der rea­lis­ti­sche­ren) Preis wie 49 Euro anders aus.

Zudem habe ich mich gefreut, dass auch die Schü­ler­abos der Kin­der als Neun-Euro-Ticket deutsch­land­weit gegol­ten haben. Wir haben das zwar nicht inten­siv genutzt, aber bei den Gele­gen­hei­ten, wo wir in ande­ren Städ­ten waren, war das gut, ein­fach ein­stei­gen zu kön­nen. Es geht auch ohne Tarif­zo­nen und ohne kom­pli­zier­tes Ver­bund­sys­tem – und das fühlt sich nach einer deut­li­chen Erleich­te­rung an. 

Es gibt jetzt in der Ampel ver­schie­de­ne Ideen, wie es mit dem Neun-Euro-Ticket wei­ter­ge­hen soll. Die SPD schlägt ein 49-Euro-Ticket vor, die Grü­nen haben mal ein gestaf­fel­tes Sys­tem ins Spiel gebracht, bei dem es güns­ti­ge Bundeslandtickets/Regionaltickets und ein etwas teu­re­res Deutsch­land­ti­cket gibt. Es wäre jeden­falls gut, hier eine Lösung zu fin­den – und vor­her zu über­le­gen, wel­ches Pro­blem gelöst wer­den soll: Soll der ÖPNV attrak­ti­ver und güns­ti­ger wer­den, geht es um Kli­ma­schutz? Sol­len mehr Men­schen zum umstei­gen moti­viert wer­den? Oder steht die Ent­las­tung von ÖPNV-Pendler*innen im Vor­der­grund? Oder geht es um sozia­le Teilhabe? 

Das sind alles Fra­gen, deren Ant­wor­ten zu unter­schied­li­chen Model­len füh­ren. Alles gleich­zei­tig wird nicht funk­tio­nie­ren – erst recht nicht im kom­pli­zier­ten Geflecht aus Bund, Län­dern, Ver­kehrs­ver­bün­den und Kom­mu­nen. Die soll­ten von vor­ne­her­ein mit am Tisch sit­zen, statt dass der Bund Län­dern und Ver­bün­den etwas über­stülpt, aber dann Kofi­nan­zie­run­gen ver­langt – gleich­zei­tig wäre es blöd, wenn das Zustän­dig­keits­ge­flecht dazu führt, dass es kei­ne Lösung gibt. 

Alles nicht ein­fach. Die Ampel kann also zei­gen, was sie kann – ich bin gespannt. 

Inter­es­sant ist auch, was mit den bestehen­den Vor­ha­ben der Län­der pas­sie­ren wird. Bei­spiels­wei­se ist in Baden-Würt­tem­berg als ein Leucht­turm­pro­jekt der grün-schwar­zen Koali­ti­on ein 365-Euro-Jugend­ti­cket (also 30 Euro pro Monat) geplant, das lan­des­weit gilt und nach lang­wie­ri­gen Vor­be­rei­tun­gen und Ver­hand­lun­gen zwi­schen Land und Ver­bün­den für März 2023 in den Start­lö­chern steht. Oder, im klei­ne­ren Maß­stab: an Unis wird häu­fig hef­tig über Semes­ter­ti­ckets gestrit­ten – auch der­ar­ti­ge Model­le wür­den, genau­so wie loka­le Monats­kar­ten wie die Regio­kar­te des RVF, übri­gens his­to­risch mit Ein­füh­rung 1991 eine der ers­ten „Umwelt­kar­ten“, dann obsolet.