Immer diese Vorsätze. Mal sehen, ob ich es durchhalte, jeden Monat Buch zu führen über die gelesenen Bücher, und davon dann auch noch im Blog zu berichten. Hier jedenfalls mein Leseprotokoll für Februar. Diesmal mit Mythologie, Science Fiction und schwäbischer Heimatkunde.
Temporäre Freiräume
Die letzten zwei Tage habe ich vor allem damit zugebracht, mich auszukurieren – Ende Januar, fiese Erkältung, eigentlich hätte ich damit rechnen sollen. Fieber, und ab und zu ein Blick in die Twitter-Timeline, die so wirkte, als sei sie soeben einem Paralleluniversum entstiegen. Trump-Bannon setzt um, was Trump im Wahlkampf versprochen hat, und zwar in rasantem Tempo und mit maximaler Schockwirkung. Das wird seine Gründe haben. Ich finde es jedenfalls extrem gruselig, dass mit einem Federstrich Visas außer Kraft gesetzt werden, Menschen aus Flugzeugen gezerrt werden, Familien auseinander gerissen werden und selbst Greencard-Inhaber*innen fürchten müssen, entweder die USA nie wieder verlassen oder nie wieder in diese einreisen zu können. Und, nein: kein hitziger Fiebertraum, leider.
Checks and balances, melting pot, das Einwanderungsland per se – das, was ich in der Schule über die USA gelernt habe, scheint schon lange nicht mehr zu stimmen, und das wird gerade so richtig deutlich. Einziges ermutigendes Licht am Horizont: doch recht deutliche Worte der internationalen Gemeinschaft (und einiger Hightech-Firmen), und vor allem eine extrem aktive Zivilgesellschaft, mit Eilklagen der ACLU, Taxifahrer*innen-Streiks, freiwilligen Rechtsanwält*innen und Demos an Flughäfen. Wenn es eine Stufe gab, die Trump übersteigend konnte, um deutlich zu machen, dass er das ganze Gerede von Mauern, Abschiebung und „America first“ ernst meint, dann sind das die Dekrete, die er in dieser Woche unterzeichnet hat. Wer jetzt noch glaubt, es mit politics as usual zu tun zu haben, muss verdammt naiv sein. (Insofern würde ich mir auch von den US-Demokrat*innen wünschen, sehr bald sichtbar und strategisch fundiert vorzugehen, und nicht aufgrund von parlamentarischen Traditionen etc. z.B. Trumps Personal durchzuwinken. Es ist ernst.)
Jedenfalls: Wählen ändert was. Und es kann auf wenige Stimmen ankommen, die darüber entscheiden, ob am Schluss die eine oder die andere Zukunft steht. Ich glaube, dass das eine Botschaft ist, die auch für die Bundestagswahl im September diesen Jahres wichtig ist. (Die andere Botschaft: manchmal ist notwendig, sich nicht intern zu zerstreiten, sondern zusammenzustehen … gerade in ernsten Zeiten).
Aber eigentlich wollte ich gar nicht über Trump schreiben, sondern über die Bücher, die ich im Januar gelesen habe. Ich habe mir zu Weihnachten einen eBook-Reader gegönnt, seitdem fehlt der Bücherstapel. Deswegen habe ich mir mal aufgeschrieben, was ich so gelesen habe. Dazu gehört Neil Gaimans Essayband The view from the cheap seats, und er schreibt dort unter anderem so schöne Dinge wie das hier (S. 8 und 9, meine Übersetzung).
Photo of the week: Bumblebee on lavender II
Hummeln – diese gemütlichen, dicklichen Fluginsekten – haben ganz schön scharfe Krallen. Das fällt aber erst bei genauerem Hinsehen auf. Was sich also manchmal lohnt.
Apropos Hummeln: Ich bin gerade damit fertig geworden, meinen Kindern den Hummelreiter Friedrich Löwenmaul vorzulesen. Epische Fantasy im Jugendbuch, auf rund 500 Seiten. Mit viel Humor, mit Anspielungen und Wortspielen, die eher die Vorleser*innen zum Schmunzeln bringen, aber auch mit einer spannenden (Anti-)Held*innen-Geschichte. Was ein Hummelreiter ist, und welche Aufgabe dem Hummelreiter Friedrich Löwenmaul in der Saga um Nordwärts und Südwärts zukommt, verrate ich jetzt nicht. Das Buch ist 2016 bei Beltz & Gelberg erschienen und ist die erste Kinderbuch-Veröffentlichung von Verena Reinhardt, laut Biografie Biologin („Bestäubungsverhalten der Honigbiene“) und Anglistin, hat auch schon zu „J.R.R. Tolkien’s Middle Earth as a Biosphere“ vorgetragen, und ist zudem Lead-Gitarristin in einer Punk-Band. Passt also alles zusammen. Der Verlag empfiehlt das Buch ab 10 Jahren, meine beiden sind sieben und zehn und fanden es beide spannend („Nur noch ein Kapitel, bitte! Los, lies weiter!“). Kostenpunkt: 17,95 € für einen schön gemachten Hardcover-Band.
Gelesen: Fifty Shades of Merkel
Die Ex-Politikerin (Piraten) und Politikwissenschaftlerin Julia Schramm schreibt über – Angela Merkel. Das Ergebnis ist mehr Blog auf Papier als klassisches Buch. Genauer gesagt nähert sich Schramm dem Phänomen Merkel in Fifty Shades of Merkel (Hoffmann & Campe, 2016) in fünfzig Vignetten an. Die behandeln so disparate Themen wie „Uckermark“, „Andenpakt“, „Partei“, „Religionsunterricht“, „Pflaumenkuchen“ oder „#Neuland“, grob chronologisch geordnet.
Das Ergebnis – manchmal etwas boulevardesk, immer im lockeren Infotainment-Stil eines reichweitenstarken Blogs gehalten, voll mit Netzreferenzen – kann sich durchaus sehen lassen. Es liest sich weg, und danach wirkt die Person Merkel vertrauter. Vielleicht sogar sympathischer. (Ein Nachteil des Formats: manches, etwa die Darstellungen der Beschimpfungen Merkels im Netz, wiederholt sich. Wer das Buch „in einem Zug“ liest, merkt das.)
Wer sich dafür interessiert, wie die Person Merkel aussehen könnte, wird hier fündig. Dabei gilt: Nicht alle Zuschreibungen, denen Schramm in den Fifty Shades nachgeht, wirken gleichermaßen plausibel. Merkel als „postdemokratische Nationalstaatsmanagerin“ (S. 101) oder als „Ironic Lady“ (S. 209) zu beschreiben, empfinde ich als plausibler als die „spirituelle Lehrerin der Deutschen“ (S. 157). Die „Mutter der Flüchtlinge“ fehlt dagegen weitgehend – Fluch der Tagesaktualität. Und ob Merkel als „Außenseiterin“ (S. 80) und „Nerd“ (S. 162) zutreffend beschrieben ist, darüber muss ich doch erst nochmal nachdenken. Schön in diesem Zusammenhang das Kapitelchen zum „Handy“ (S. 175), Telefon und SMS als bewusst angeeignete Machtwerkzeuge der Kanzlerin.
Drei Leitmotive durchziehen die einzelnen Kapitel: Das große Schweigen (Merkels Stilinstrument, aber eben auch das immer wieder geschilderte Problem fehlender redebereiter Quellen – Schramm bezieht sich, von einem Ausflug in die Uckermark abgesehen, rein auf Sekundärquellen, Zeitungsartikel, Netzberichte und diverse Merkel-Interviews und ‑Bücher). Geschlechterverhältnisse (vom „Vatermord“ und dem strategischen Ausspielen der CDU-Männercliquen bis zum „Hosenanzug“ und den kleineren und größeren Diskriminierungen, die selbst gegenüber der derzeit mächtigsten Frau der Welt fortbestehen; dem Buch ist anzumerken, dass Schramm hierbei auf eine gefestigte feministische Haltung zurückgreifen kann, die nicht beim bewusst verwendeten „_“ in vielen Personenbezeichnungen aufhört). Und die Perspektive auf Merkel aus Sicht der Netzgeneration. (Kleiner Gimmick am Rande: die Seitenzahlen sind in –< >– eingefasst, also der Merkel-Raute in ASCII).
Das Buch zeichnet insgesamt Merkel als Meisterin der Strategie mit sympathischen Charakterzügen. Schramm lobt Merkel immer wieder, betont positive Eigenschaften wie die Selbstironie, den Humor, das Spiel mit der Bodenständigkeiten. Manches erscheint als Deutungsversuch in Richtung grün-schwarz. Die harte Auseinandersetzungen mit einem über weite Strecken klar neoliberalen Kurs Merkels blitzt nur ganz vereinzelt auf, etwa im Kapitel „Freiheit“.
Letztlich bleiben Fifty Shades of Merkel ergebnisoffen. Ein Urteil fällt Schramm nicht. Oder, um es sozialwissenschaftlicher auszudrücken, auch wenn die Fifty Shades wohl eher als Politainment gedacht sind: das Buch bleibt Zettelkasten, bleibt Sammlung von Memos mit ersten Ansätzen zur Kategoriebildung, formuliert aber – jedenfalls nicht explizit – keine Theorie über Merkel. (In Grounded-Theory-Begriffen: der Integrationsschritt fehlt). Aber vielleicht bleibt es ja nicht dabei.
Warum blogge ich das? Weil ich beim Angebot eines Rezensionsexemplars nicht nein sagen konnte. Und gerade in Zeiten, in denen allenthalben über neue Koalitionsoptionen geredet wird, ist der facettenreiche Blick auf die Leitwölfin der CDU nicht uninteressant.
Im Herbst 2015 gelesen – Teil II
Einige wenige der Bücher, die unten besprochen werden – viel liegt auf der Kindle-App, anderes steht schon im Regal …
Heute setze ich dann meinen von einigen Wochen geposteten Überblick darüber fort, was ich seit dem Sommer 2015 gelesen habe.
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Nachdem ich mit Among others die Autorin Jo Walton für mich entdeckt hatte, las ich mich weiter durch ihr Werk. Tooth and claw (2003), ein Jane-Austen-Familiendrama, nur mit Drachen, war nicht so ganz meines.
Begeistert hat mich My real children (2014) – die fiktive Doppelbiographie einer in den 1920er Jahren geborenen Engländerin, Patricia Cowan – zwei sich überlagernde Rückblenden über zwei erfüllte Leben, die in den 1940er Jahren an einem Bifurkationspunkt auseinanderlaufen und sich ganz unterschiedlich entwickeln. Wenn My real children in ein Genre gepackt werden müsste, wäre es der historische Was-wäre-wenn-Roman, allerdings hier aus der Perspektive von unten. Ob Kennedy ermordet wird oder nicht, findet nur im Hintergrund statt. Im Vordergrund zeichnet Walton den Weg Patricia Cowans zur gefeierten Reiseführer-Autorin, die in einem zunehmend geeinten Europa mit ihrer Partnerin und ihren Kindern zwischen Florenz und Großbritannien lebt, – und den Weg von Patricia Cowan, die nach einer unglücklichen Ehe zur lokalen Aktivistin für Frieden, Frauenrechte und den Erhalt des historischen Stadtkerns wird. Oder anders gesagt: ein Buch über die Ungleichzeitigkeiten des 20. Jahrhunderts aus biographischer Perspektive. (Leider gibt es keine deutsche Übersetzung – ich könnte mir vorstellen, dass das Buch auch außerhalb des Genres Anklang finden könnte …)