Zehn Regeln für Demokratie-Retter

Nur etwas mehr als hun­dert Sei­ten umfasst das Büch­lein Zehn Regeln für Demo­kra­tie-Ret­ter des Köl­ner Jour­na­lis­ten Jür­gen Wie­bicke, das als Lizenz­aus­ga­be der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung für 1,50 € erhält­lich ist. Und eigent­lich ist alles, was Wie­bicke dort locker erzäh­lend auf­schreibt, selbst­ver­ständ­lich. Oder soll­te selbst­ver­ständ­lich sein. Viel­leicht braucht eine im Ange­sicht eines auf­lo­dern­den Rechts­po­pu­lis­mus ver­un­si­cher­te Gesell­schaft genau die­se Bestä­ti­gung des Selbst­ver­ständ­li­chen, und viel­leicht ist Wie­bickes Buch gera­de des­we­gen ein wich­ti­ges Vade­me­cum für Bür­ge­rin­nen und Bürger. 

Oder viel­leicht ist das Büch­lein auch des­we­gen wich­tig, weil sich hin­ter den Regeln, hin­ter dem Auf­ruf zu Gelas­sen­heit und loka­lem Enga­ge­ment auch eini­ge Sät­ze ver­ber­gen, die mög­li­cher­wei­se nicht auf Zustim­mung sto­ßen oder nicht sofort geteilt werden. 

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Leseprotokoll Juli 2017

Mein Juli war recht lese­reich, zumin­dest was den Bereich Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy angeht. Und natür­lich bewahr­hei­te­te sich dabei ein­mal mehr, dass Sci­ence Fic­tion vor allem von der Gegen­wart handelt. 

Wie bei­spiels­wei­se in Ste­phen Gas­kells Antho­lo­gie Tales from the Edge: Escala­ti­on (die ich auch gekauft habe, weil eine Geschich­te dar­in von Alai­star Rey­nolds stammt). Der gemein­sa­me Hin­ter­grund für die hier ver­sam­mel­ten, schnell gele­se­nen Sto­rys ist ein Pla­ne­ten und Son­nen­sys­te­me ver­schlin­gen­der „Maelstrom“. Ein sol­ches Ereig­nis löst Eva­ku­ie­run­gen und Flucht­be­we­gun­gen aus, und auch reli­giö­se Kul­te blü­hen auf. Wer kann es sich leis­ten, einen Platz auf einem der Eva­ku­ie­rungs­raum­schif­fe zu bekom­men? Wer erschwin­delt sich einen? Was ist der Preis dafür – und wie geht es danach weiter?

Auch in Tomorrow’s Kin von Nan­cy Kress bil­det ein kata­stro­pha­les Ereig­nis den Hin­ter­grund einer Geschich­te, in der es – in die­sem Fall – um Ver­trau­en, Poli­tik und Wis­sen­schaft im Spät­ka­pi­ta­lis­mus geht. Tech­no­lo­gisch über­le­ge­ne Cou­si­nen der Mensch­heit lan­den vor New York, um vor einer dro­hen­den Begeg­nung der Erde mit einer inter­pla­ne­ta­ren Spo­ren­wol­ke zu war­nen. Sie rufen dazu auf, in einer gemein­sa­men wis­sen­schaft­li­chen Anstren­gung ein Gegen­mit­tel zu ent­wi­ckeln. Die Prot­ago­nis­tin ist eine mäßig erfolg­rei­che Wis­sen­schaft­le­rin, die durch einen Zufall zum Teil des Teams wird, das hier zusam­men­kommt. Aber ist es rich­tig, den außer­ir­di­schen Cou­si­nen zu ver­trau­en? Gibt es die­se Spo­ren­wol­ke wirk­lich – und war­um exis­tiert nicht längst ein Gegen­mit­tel? Der Hand­lungs­bo­gen die­ses ers­ten Ban­des erstreckt sich über meh­re­re Jah­re, schlägt dabei eini­ge Vol­ten und hat mich bis zum Schluss nicht kalt gelassen.

Dass es in Charles Stross’ Deli­ri­um Brief, dem neus­ten Band der Laun­dry-Serie (Hor­ror meets bri­ti­sche Büro­kra­tie), eben­falls um Kata­stro­pha­les geht, ist nicht ver­wun­der­lich. Nach­dem die Exis­tenz der Laun­dry im letz­ten Band öffent­lich bekannt wur­de, geht es jetzt dar­um, mit den poli­ti­schen Fol­gen umzu­ge­hen – Regie­rungs­kom­mis­sio­nen, Talk­shows, rol­len­de Köp­fe und ein Pro­zess, der im Out­sour­cing die­ser Behör­de mün­den wird. Hier liegt dann auch der wah­re Hor­ror … (neben­bei bemerkt: die Laun­dry wür­de sich her­vor­ra­gend für eine Seri­en­ver­fil­mung eignen).

Ein wei­te­rer Band einer Serie ist Luna: Wolf Moon von Ian McDo­nald. „Game of Thro­nes“ auf dem Mond wür­de für eini­ge der Ent­wick­lun­gen, die sich aus dem Regime­wech­sel am Ende des ers­ten Ban­des (Luna: New Moon) erge­ben, durch­aus auch pas­sen. Wie Mond und Erde sich näher­kom­men, und wie die Intri­gen der luna­ren Fami­li­en­kon­zer­ne sich wei­ter­spin­nen, ist lesens­wert – ins­be­son­de­re, weil McDo­nald es hier, wie auch in vie­len sei­ner frü­he­ren Bücher, schafft, eine ganz eige­ne, syn­kre­ti­sche Kul­tur leben­dig wer­den zu las­sen, in der er Ele­men­te, die er z.B. afri­ka­ni­schen, bra­si­lia­ni­schen, aus­tra­li­schen und asia­ti­schen Lebens­wel­ten ent­nom­men hat, mit ganz neu­en Erfin­dun­gen, wie sie nur in der Nied­rig-Gra­vi­ta­ti­ons-Gesell­schaft des Mon­des ent­ste­hen kön­nen, zusam­men­bringt, und zu einem über­zeu­gen­den Gan­zen zusam­men­wach­sen lässt. Sei­ne Mond­zu­kunft ist im Gro­ßen alles ande­re als eine Uto­pie (wie gesagt, gewis­se Grund­struk­tu­ren erin­nern an „Game of Thro­nes“) – die eine oder ande­re uto­pi­sche Nische fin­det sich aller­dings doch.

Last but not least: Ada Pal­mer war mir bis­her kein Begriff. Durch Zufall bin ich auf ihre bei­den Bän­de Too Like The Light­ning und Seven Sur­ren­ders gesto­ßen und bin hin- und her­ge­ris­sen, was ich davon hal­ten soll. Die His­to­ri­ke­rin Pal­mer ent­wirft eine post­na­tio­na­le Zukunft, eini­ge hun­dert Jah­re nach unse­rer Gegen­wart. Dass der Natio­nal­staat hier an Bedeu­tung ver­lo­ren hat und teil­wei­se durch ande­re Instan­zen ersetzt wur­de, erin­nert an Mal­ka Olders Info­mo­cra­cy. Jede und jeder kann wäh­len, wel­cher der hier sie­ben welt­um­span­nen­den Ein­hei­ten er oder sie zuge­hö­rig ist. Da und dort schim­mern noch ein­zel­ne regio­na­le Bünd­nis­se (die EU), glo­ba­le Kon­zer­ne (Mitsu­bi­shi-Green­peace) oder ande­re Vor­bil­der (die olym­pi­schen Spie­le und deren Ver­mark­tung, das römi­sche Reich, die sci­en­ti­fic com­mu­ni­ty) als Ker­ne die­ser Post­na­tio­nen durch. Die Zukunft ist ratio­nell – Geschlecht ist tabui­siert und zugleich flui­de, Fami­li­en sind durch Wahl­ver­wand­schaf­ten und kom­mu­na­le Lebens­for­men ersetzt, Reli­gi­on ist nach schreck­li­chen Reli­gi­ons­krie­gen höchst­pri­vat, und Pro­ble­me wie der Ver­kehr (com­pu­ter­ge­steu­er­te sub­or­bi­ta­le Taxis) oder der Umgang mit Verbrecher*innen (für­sorg­li­che Ver­skla­vung) haben klu­ge Lösun­gen gefun­den. Com­pu­ter und Mensch-Com­pu­ter-Hybri­de sor­gen für opti­ma­le Steue­rung. Doch hin­ter die­ser hei­len Ober­flä­che taucht eine Par­al­lel­welt der Rei­chen und Mäch­ti­gen auf, die in barock anmu­ten­der Aus­schwei­fung durch Sexua­li­tät, Reli­giö­si­tät, phi­lo­so­phi­sche Lek­tü­re und ande­re Tabu­brü­che zusam­men­ge­hal­ten wird. Dazu kom­men fast schon mys­ti­sche Bege­ben­hei­ten. Der (eigen­wil­li­ge und sicher­lich nicht beson­ders zuver­läs­si­ge) Erzäh­ler büßt für ein bru­ta­les Ver­bre­chen, und ist doch zugleich der­je­ni­ge, der nach und nach die Puz­zle­stei­ne der zunächst nach Kri­mi aus­se­hen­den Geschich­te zusam­men­setzt. Span­nend ist Pal­mers Serie (ein drit­ter Band erscheint dem­nächst) auch durch die­se Geschich­te – vor allem aber wirft der Roman Fra­gen dazu auf, was das kon­se­quen­te Wei­ter­den­ken heu­ti­ger Ent­wick­lun­gen bedeu­ten wür­de. Die Ant­wor­ten fas­zi­nie­ren, sto­ßen aber zugleich ab. 

Leseprotokoll Juni 2017

Auch im Juni habe ich ein biss­chen was gele­sen – und Fern­se­hen geschaut. Genau­er gesagt: nach­dem ich Dr Who bis­her nur als pop­kul­tu­rel­les Phä­no­men kann­te (und ganz evtl. mit zwölf oder so im Eng­land-Aus­tausch mal eine der klas­si­schen Fol­gen in schwarz-weiß gese­hen habe), habe ich mir jetzt die dank Video-on-demand inzwi­schen über­all ver­füg­ba­re Serie ange­schaut. Na gut, nicht die gan­ze, son­dern spon­tan mal mit­ten­drin, sprich: die 2010 gelau­fe­ne Staf­fel. Und war doch sehr ange­tan davon. Was all denen, die Dr Who als sehr bri­ti­sche, sehr wild in Zeit und Raum manö­vrie­ren­de Sci­ence Fiction/Fantasy ken­nen, nicht neu ist. Wer­de ich wei­ter machen!

Und sonst so? Ein­mal Poli­tik, ein­mal Essays, zwei­mal SF&F.

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Herzlichen Glückwunsch, Jungle World!

Das mit mir und Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten ist ja so eine Sache. Eigent­lich mag ich gedruck­te, regel­mä­ßig erschei­nen­de Publi­ka­tio­nen sehr ger­ne. Fak­tisch lan­de­te die taz irgend­wann unge­le­sen im Alt­pa­pier, wur­de mir die brand eins zu lang­wei­lig, weil sie sich wie­der­hol­te, und sta­pel­ten sich die Blät­ter, ohne dass ich den Reiz ver­spür­te, sie zu lesen. Tat­säch­lich habe ich – neben RSS-Feeds etwa des Guar­di­an und der FAZ, diver­sen Blogs und dem täg­li­chen Baden-Würt­tem­berg-Pres­se­spie­gel – heu­te nur noch zwei regel­mä­ßig erschei­nen­de Publi­ka­tio­nen im Abo. Die bei­den stel­len ein schö­nes Gegen­satz­paar dar. Auf der einen Sei­te ist es der MERKUR als bil­dungs­bür­ger­li­che Monats­zeit­schrift, auf der ande­ren die Jungle World, die heu­te mit einer sehr schön gemach­ten und span­nen­den Son­der­aus­ga­be zum 20-jäh­ri­gen Jubi­lä­um erschie­nen ist.

Und ja: ich lese die die Jungle World regel­mä­ßig und freue mich, dass es sie gibt. Ange­fan­gen damit habe ich ver­mut­lich aus Neu­gier­de (ich müss­te in mei­nen Kon­to­aus­zü­gen nach­schau­en, seit wann ich sie eigent­lich abon­niert habe). Also, aus Neu­gier­de, was das für eine unge­wöhn­lich undog­ma­ti­sche lin­ke Zei­tung ist. Und wegen des anfangs extrem unkon­ven­tio­nel­len Lay­outs. Letz­te­res hat sich inzwi­schen gebes­sert (und gefällt mir immer noch); das dies­be­züg­li­che Gespräch im dschun­gel (der Kul­tur­bei­la­ge der Jungle World) ist sehr aufschlussreich. 

Gemerkt habe ich dann, dass die Jungle World eine Zei­tung mit Hal­tung ist (ins­be­son­de­re beim The­ma Isra­el), aber eben kei­ne, die immer nur ihre Hal­tung ver­kau­fen will. Son­dern eine, die inter­es­san­te Din­ge macht. Dop­pel­sei­ti­ge aus­führ­li­che Repor­ta­gen mit vie­len Fotos über Absei­ti­ges aus der gan­zen Welt. Comic­k­olum­nen. Kaf­fee­fle­cken im Lay­out. Kom­men­ta­re, die bei aller Ernst­haf­tig­keit auch ger­ne mal in Rich­tung Selbst­iro­nie ten­die­ren. Auch: Ziem­lich viel Ver­ständ­nis für „Cyber“ und „Netz“, bevor es „Digi­ta­li­sie­rung“ hieß.

Die Jungle World ist defi­ni­tiv kei­ne Par­tei­zei­tung, auch kei­ne Split­ter­grup­pen­zei­tung. Sie hat eine Hal­tung, sie ist posi­tio­niert (aber kri­tisch auch der Cri­ti­cal Whiten­ess gegen­über), aber sie legt Wert auf unin­sze­nier­te Debat­ten. Und auf Ver­ständ­lich­keit jen­seits des Sze­ne­jar­gons. Und all das ist gut so.

Ent­stan­den ist die Zei­tung aus einem Streit über die Aus­rich­tung der FDJ-Zei­tung Jun­ge Welt. Statt sich auf Kurs brin­gen zu las­sen, wur­de die Grün­dungs­re­dak­ti­on der Jungle World raus gewor­fen. Sie macht seit­dem ihr eige­nes Ding. 

Heu­te lese ich die Jungle World vor allem als Gegen­gift gegen Betriebs­blind­heit. Es ist hilf­reich, zu sehen, dass es sowas wie begrün­de­te und gut argu­men­tier­te lin­ken Kri­tik (auch an, um nur ein Bei­spiel zu nen­nen, grü­ner Poli­tik) gibt, die nicht zynisch aus­fällt, nicht vom Klas­sen­stand­punkt argu­men­tiert, die aber erst recht nicht mehr Main­stream will, son­dern schlicht von ande­ren und durch­aus ratio­na­len Denk­vor­aus­set­zun­gen aus­geht, wie lin­ker Huma­nis­mus sein könn­te. (Und auch, weil es hilf­reich ist, ab und zu mal Din­ge zu lesen, die zwar links, aber nicht unbe­dingt an Öko­lo­gie oder Nach­hal­tig­keit ori­en­tiert sind …). 

Es gibt Arti­kel in der Jungle World, die ich nicht lese, weil sie ohne Ber­li­ner Insi­der­wis­sen zu zise­liert sind, um wirk­lich zu ver­ste­hen, um wel­che Sze­nestreits es da gera­de geht, oder weil sie schlich­te Zusam­men­fas­sun­gen der Tages­po­li­tik dar­stel­len, die nach ein paar Tagen ver­al­tet sind, oder weil mir der Nerv fehlt, mich mit ande­ren Welt­ge­gen­den zu befas­sen. Das ändert nichts an der Not­wen­dig­keit einer sol­chen Zeitung. 

Die Jungle World infor­miert jede Woche dar­über, dass Ras­sis­mus und Nazi­tum in Deutsch­land All­tag sind, in dem sie schlicht Vor­fäl­le im „Deut­schen Haus“ auf­lis­tet. Auch das ist lei­der eine wich­ti­ge Funk­ti­on der Jungle World.

Ich blei­be Abon­nent, ich lese euch wei­ter­hin – und wün­sche euch zum Geburts­tag die Fähig­keit, auch wei­ter­hin über­ra­schen zu kön­nen, ohne dabei belie­big zu werden.

P.S.: Wer selbst rein­schau­en will – unter jungle.world fin­det sich vie­les auch online.

Leseprotokoll Mai 2017

Im Mai bin ich gar nicht so zum Lesen gekom­men, wie ich das eigent­lich woll­te. Das lag unter ande­rem an den Wah­len (die ich dann lie­ber ver­folgt habe, statt ein Buch zu lesen), aber auch an diver­sen Fil­men, die ich allei­ne oder mit mei­nen Kin­dern ange­schaut habe. Neben diver­sen Aus­ga­ben des MERKUR (den ich im All­ge­mei­nen sehr mag, der aber oft unge­le­sen lie­gen­bleibt) und dem Kin­der­buch Das Augen-Ver­wirr-Buch von Sil­ke Vry (opti­sche Täu­schun­gen in Kunst­wer­ken; schön gemacht, aber mei­ne Kin­der fan­den es eher lang­wei­lig) waren das vor allem zwei Bücher:

Jor­ge Cham und Dani­el White­son haben We have no idea – A gui­de to the unknown uni­ver­se ver­öf­fent­licht. Ja, rich­tig, ein Sach­buch. Cham ist vor allem für die PhD-Comic­se­rie bekannt, White­son ist ein kali­for­ni­scher Expe­ri­men­tal­phy­si­ker. We have no idea ist flott geschrie­ben – und han­delt tat­säch­lich genau davon: Was wir alles nicht wis­sen über das Uni­ver­sum. Neben­bei wird dann erklärt, was wir alles wis­sen, wie weit weg ande­re Ster­ne tat­säch­lich sind, und wie das mit dem Urknall und dem gan­zen Zeugs so gelau­fen ist. Was wir nicht wis­sen? Wie groß das Uni­ver­sum ist, ob es in etwas ande­res ein­ge­bet­tet ist, wor­aus Quarks bestehen (und ob es eine Art Peri­oden­sys­tem der Bosonen/Leptonen gibt, das auf zugrun­de lie­gen­de Mus­ter schlie­ßen lässt), ob das Uni­ver­sum in sei­ner kleins­ten Abmes­sung „digi­tal“ (also dis­kret) oder „ana­log“ orga­ni­siert ist, wie Quan­ten­me­cha­nik und Gra­vi­ta­ti­on zusam­men­pas­sen, was Mas­se ist, naja, und noch so eini­ges mehr. Trotz eini­ger Wie­der­ho­lun­gen sehr inter­es­sant. Zumin­dest füh­le ich mich jetzt schlauer.

Das ande­re Buch, das ich im Mai gele­sen habe, ist Cory Doc­to­rows neu­er Roman Wal­ka­way. Doc­to­row ist ein sehr poli­ti­scher Sci­ence-Fic­tion-Autor, und man­che sei­ner frü­he­ren Bücher lesen sich eher wie in Bel­le­tris­tik gegos­se­ne poli­ti­sche Mani­fes­te. Bekannt gewor­den ist er vor allem für sein Ein­tre­ten für offe­ne Soft­ware und offe­ne Daten, gegen pro­prie­tä­re Sys­te­me und gegen Über­wa­chung. Wal­ka­way hat auch Stel­len, die eher Mani­fest­cha­rak­ter haben. Es ist aber doch mehr. In einen Tweet gepackt, hat­te ich dazu geschrieben:

Doc­to­row selbst nann­te das eine sehr gute Zusam­men­fas­sung. Aus­ein­an­der­ge­nom­men, geht es um fol­gen­des. Die Zukunft, die Doc­to­row skiz­ziert, ist eine, in der „deep tech“ all­ge­gen­wär­tig ist – also künst­li­che Intel­li­genz, 3D-Dru­cker, Inter­net of Things und auto­no­me Maschi­nen und all sowas. Im Main­stream-Teil der von ihm beschrie­be­nen Gesell­schaft ist aus dem Kapi­ta­lis­mus, wie wir ihn ken­nen, ein Über­wa­chungs­re­gime gewor­den, das auf „deep tech“ auf­baut – und in dem eini­ge weni­ge „Zot­tas“ das Sagen haben. Zot­tas sind die immens rei­che Eigen­tü­mer­fa­mi­li­en der Kon­zer­ne. Ich neh­me an, dass Doc­to­row dabei einen obsku­ren Prä­fix für sehr gro­ße Zah­len vor Augen hat­te (Zet­ta- ist der SI-Prä­fix für 10^21, Zot­ta- soll ein SI-Prä­fix für 10^255 sein). Jeden­falls: sehr, sehr rei­che Ult­ra­rei­che, die eigent­li­chen Herr­sche­rin­nen und Herr­scher über die Main­stream-Welt (die Doc­to­row als „Default“ bezeichnet).

Dass es eini­ge dort nicht aus­hal­ten, ver­wun­dert nicht. In der von Doc­to­row beschrie­be­nen Zukunft sind es die Wal­ka­ways, die qua­si-noma­disch in ver­wüs­te­te Gebie­te zie­hen, dort mit Hil­fe von Fab­bern, 3D-Dru­ckern und als Open Source zugäng­li­chen Bau­plä­nen (oder gecrack­ten pro­prie­tä­ren Plä­nen) etwa für Flücht­lings­un­ter­künf­te Häu­ser bau­en und als „eco-anar­chist inten­tio­nal com­mu­ni­ty“, also als anar­chis­ti­sche Kom­mu­ne dort leben. Ohne Geld, ohne Besitz – im Zwei­fel wird halt schnell mal der 3D-Dru­cker ange­wor­fen -, eher gewalt­frei, ger­ne poly­amo­rös und mit eige­nen Solar­zel­len und Wind­rä­dern auch ein biss­chen ökologisch. 

Der Span­nungs­bo­gen des umfang­rei­chen Buchs hängt nun unter ande­rem am Zusam­men­tref­fen die­ser bei­den Wel­ten. Die Haupt­fi­gur nennt sich Ice­wea­sel, ist Toch­ter eines Zot­ta-Clans und läuft mit eini­gen Freun­den davon in die Welt der Walkaways. 

Das geht lan­ge gut (und wird von Doc­to­row auch in schö­ner uto­pi­scher Aus­führ­lich­keit geschil­dert), aber irgend­wann schlägt „Default“ zurück – mit Droh­nen und schwe­rem Kriegs­ge­rät. Rand­be­din­gung : das auf­ge­ge­be­ne Land ist öko­lo­gisch ziem­lich kaputt. Rand­be­din­gung #2: die im frei­en Zusam­men­schluss vor sich hin wer­keln­den Wissenschaftler*innen der Wal­ka­way Uni­ver­si­ty ste­hen kurz davor, Gehir­ne zu Soft­ware zu machen. Ende der Uto­pie? Oder erst der Anfang? 

Mehr zu ver­ra­ten, scheint mir an die­ser Stel­le nicht ange­bracht zu sein. Wer aus einer der bei­den Sze­nen – alter­na­ti­ve Lebens­sti­le oder Hacker-Maker – kommt, wird sich jeden­falls in Wal­ka­way wie­der­fin­den, und viel­leicht auch ein biss­chen Selbst­er­kennt­nis mitnehmen.

Wal­ka­way ist am Schluss eine Uto­pie. Und als sol­che alles ande­re als eine Blau­pau­se für die bes­se­re Welt. Die eine oder ande­re Anre­gung dafür, was „deep tech“ in einem ande­ren Denk­kon­text noch könn­te, und wel­che Poten­zia­le Open Source Hard­ware haben könn­te – im Rah­men von Degrowth wird dar­über heu­te schon sehr ernst­haft dis­ku­tiert -, las­sen sich dort aller­dings doch fin­den. Nicht nur des­we­gen hat’s mir sehr gut gefallen.