Ereignis statt Struktur

Demo gegen rechts - 03.02.2024 - Freiburg

Schon wie­der ein Demo­tag, in Frei­burg bis zu 40.000 Men­schen auf der Stra­ße, ein Bünd­nis von 400 Orga­ni­sa­tio­nen. Und das ist nur Frei­burg. Großartig! 

Trotz­dem bei der Demo – die orga-mäßig, wenn ich das rich­tig sehe, mas­siv auf die Infra­struk­tur vor Fri­days for Future zurück­griff, in ande­ren Orten Par­tei­en oder Gewerk­schaf­ten – das Gefühl, dass es ein Risi­ko gibt, dass die­ses Bünd­nis, das jetzt ein Zei­chen gegen die AfD, gegen Ras­sis­mus, gegen Aus­gren­zung, für Viel­falt und Demo­kra­tie setzt, fra­gil ist. Und dass es kei­ne gute Idee wäre, jetzt mas­siv Ener­gie dafür ein­zu­set­zen, aus dem Ereig­nis der mög­li­cher­wei­sen größ­ten Demons­tra­tio­nen der deut­schen Geschich­te eine Struk­tur zu machen. 

Wir – die wache Zivil­ge­sell­schaft – haben gezeigt, dass wir im Zwei­fel da sind. Wir sind in der Lage, in kür­zes­ter Zeit mit vie­len, vie­len Men­schen auf die Stra­ße zu gehen und damit Poli­tik und öffent­li­che Mei­nung zu beein­flus­sen. Das ist extrem wich­tig – und das wird gese­hen, so jeden­falls mei­ne Innen­per­spek­ti­ve aus grü­ner Par­tei und Fraktion.

Wich­ti­ger als die nächs­te Demo, bei der dann sofort die Fra­ge gestellt wird, ob’s dies­mal noch mehr Men­schen waren, oder ob die „Bewe­gung“ schon wie­der ein­schläft, ist es, die­se Ener­gie jetzt in die exis­tie­ren­den Struk­tu­ren zu gießen.

Das sind Par­tei­en und Gewerk­schaf­ten, Initia­ti­ven und Ver­bän­de. All die gibt es. All die ste­hen für Demo­kra­tie – in den müh­sa­men Ebe­nen des All­tags. Und all die­se Ein­rich­tun­gen brau­chen Men­schen, die mit­ma­chen, die sich ein­brin­gen, die dabei sind. Und die die­se Hal­tung auch in ihr per­sön­li­ches Umfeld tra­gen. Die wider­spre­chen und ihre Mei­nung sagen.

Ereig­nis und Struk­tur ist eine der Grund­un­ter­schei­dun­gen der Sozio­lo­gie. Etwas, das regel­mä­ßig pas­siert, das dann sei­ne eige­nen Regeln aus­bil­det, Erwar­tun­gen bün­delt und Prak­ti­ken begrün­det, das ist eine Struk­tur. Und ohne Struk­tu­ren wür­de nichts funk­tio­nie­ren. Aus einem Ereig­nis, einem ein­ma­li­gen und neu­en Ding, eine Struk­tur zu machen, kos­tet Kraft. Was als Bünd­nis für den Moment funk­tio­niert, zeigt bei jeder Struk­tur­bil­dung sofort Flieh­kräf­te, führt zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen über den rich­ti­gen Weg, über das „das machen wir so“. Und Auf­merk­sam­keit gibt es für das Ereig­nis, nicht für die dau­er­haf­te Anstrengung.

Das Signal ist da und so stark, wie es nur sein kann. Ich hof­fe, es ist ange­kom­men und hilft, die gesell­schaft­li­che Mit­te nach links zu ver­schie­ben. Im Wech­sel­spiel aus Ereig­nis und Struk­tur bewegt sich etwas. Das ein­ma­li­ge Ereig­nis mit den Groß­de­mos die­ser Tage – und die müh­sa­me All­tags­ar­beit in Par­tei­en, Initia­ti­ven, Ver­bän­den. Zusam­men bringt das was, zusam­men ver­än­dert das was. Des­we­gen: groß­ar­tig, dass es die­se Demos gab – aber lasst uns jetzt den Modus wechseln. 

Eine Million Menschen gegen Rechts – eine Million Menschen für Demokratie und Rechte

Es ist gar nicht so ein­fach, den Über­blick zu behal­ten bei den vie­len Demos an die­sem Wochen­en­de – mit Rekord­zah­len in Mün­chen, Ham­burg und Ber­lin, Aktio­nen in ganz vie­len Städ­ten und her­vor­ra­gen­der Betei­li­gung auch in Ost­deutsch­land. Heu­te in Frei­burg (bei der drit­ten Demo in Fol­ge) waren es wohl 25.000 bis 30.000 – aus der Men­ge her­aus ein­fach vie­le. Ein paar weni­ge Par­tei­fah­nen, vor allem aber eine Viel­zahl krea­ti­ver Plakate. 

Eine genaue Zahl ken­ne ich nicht, es ist aber nicht über­trie­ben, fest­zu­hal­ten, dass in die­sen Tagen deutsch­land­weit mehr als eine Mil­li­on Men­schen auf die Stra­ßen und Plät­ze gegan­gen sind. Und die Bot­schaft ist über­all die­sel­be: wir ver­tei­di­gen unse­re Demo­kra­tie. Die AfD spricht nicht für die Mehr­heit. Deutsch­land ist bunt, viel­fäl­tig und weltoffen.

Ich hof­fe, dass die­ses Signal ankommt. In der Bun­des­re­gie­rung, in den Län­dern, in den Medi­en. Der Pro­test gegen Rechts ist laut. Er wird von „ganz nor­ma­len Men­schen“ getra­gen. Und er rich­tet sich gegen die AfD – aber auch gegen die­je­ni­gen, die glau­ben, es wür­de gegen die Bedro­hung von rechts hel­fen, nach rechts zu rut­schen. Das ist das Signal die­ser Tage. Und es wird mit der Erwar­tung ver­bun­den, dass „die Poli­tik“ dar­auf reagiert.

Erz­kon­ser­va­ti­ve froh­lock­ten in den letz­ten Wochen und Mona­ten, dass die „kul­tu­rel­le Hege­mo­nie“ für grü­ne Ideen gebro­chen sei, dass es eine Chan­ce gibt, end­lich Kohls geis­tig-mora­li­sche Wen­de umzu­set­zen. Wenn in CDU-Pro­gram­men von Leit­kul­tur und einer Abschaf­fung des Asyl­rechts die Rede ist, dann setzt das in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam die­sen pro­pa­gier­ten Hege­mo­nie-Wech­sel um.

Mal abge­se­hen davon, dass ein pro­gres­si­ver, an Kli­ma­schutz, Respekt und Mensch­lich­keit ori­en­tier­ter Zeit­geist nie par­tei­po­li­tisch grün war, sind die­se Demos für mich auch ein Zei­chen dafür, dass sehr vie­le Men­schen mit einem Rechts­ruck nicht ein­ver­stan­den sind. Die rech­te Sei­te des poli­ti­schen Spek­trums freut sich mög­li­cher­wei­se zu früh.

Zei­gen wer­den das letzt­end­lich erst die Wah­len im Juni und in der zwei­ten Hälf­te des Jah­res. Wenn wir Glück haben, erle­ben wir gera­de einen Kipp­punkt, ein deut­li­ches „bis hier­her und nicht weiter“.

Viel­leicht bin ich zu opti­mis­tisch. Doch mehr als eine Mil­li­on Men­schen auf der Stra­ße: das macht Mut und lässt sich nicht ein­fach ignorieren.

Photo of the week: Freiburg Hbf (video still)

Freiburg Hbf (video still)

 
Zurück von der Frak­ti­ons­klau­sur, trotz Streik irgend­wie von Neckar­sulm wie­der nach Frei­burg gekom­men (ein Nah­ver­kehrs­zug einer der baden-würt­tem­ber­gi­schen Gesell­schaf­ten, die nicht bestreikt wur­den, von Neckar­sulm nach Heil­bronn, eine Stra­ßen­bahn von Heil­bronn nach Karls­ru­he, ein pünkt­li­cher und gar nicht so vol­ler ICE aus dem Not­fahr­plan von Karls­ru­he nach Frei­burg). Und die Win­ter­däm­me­rung ver­wan­delt selbst Güter­zü­ge und die Wiwi­li-Brü­cke in irgend­was hüb­sches. Das Foto oben ist ein Aus­schnitt aus die­sem Video­schnip­sel, bei dem Zug, Räder und Leu­te auf der Brü­cke und Vögel in Bewe­gung sind. Was natür­lich gleich noch bes­ser aussieht.

Kurz: Tendenz zum Kulturkampf in Gundelfingen

Ich bin froh, wenn die­se Woche vor­bei ist. Dann wur­de näm­lich – am Sonn­tag – in Gun­del­fin­gen über die Fra­ge abge­stimmt, ob die Gemein­de sich unver­züg­lich für eine Wie­der­auf­nah­me der Stra­ßen­bahn­pla­nun­gen ein­set­zen soll oder nicht. Eine simp­le Sach­fra­ge, eigentlich. 

Der Wahl­kampf aller­dings ist zer­mür­bend. Nach­dem sich abzeich­ne­te, dass drei der vier Gemein­de­rats­frak­tio­nen den Bür­ger­ent­scheid, die Stra­ßen­bahn und über­haupt alles ver­hin­dern wol­len – SPD, CDU und anfüh­rend die Frei­en Wäh­ler mit ihrem Chef, Herrn Horn­bruch – grün­de­te ein Ange­stell­ter von Horn­bruchs Pfle­ge­dienst flugs eine Gegen-BI. Der Pfle­ge­dienst liegt an der Alten Bun­des­stra­ße, also direkt an der mög­li­chen Tras­se einer Stra­ßen­bahn­ver­län­ge­rung durch Gun­del­fin­gen. Und dann ging’s los mit Emo­ti­ons­wahl­kampf. Die 12.000-Einwohner-Gemeinde Gun­del­fin­gen wird in der Pro­pa­gan­da der Nein-Sager zum Dorf, schon im August, lan­ge vor Beginn der offi­zi­ell erlaub­ten Wahl­kampf­zeit, wird das „Dorf“ mit gro­ßen Ban­nern zuge­pflas­tert, die die Stra­ßen­bahn düs­ter aus­ma­len. An Geld scheint es der Nein-Sei­te dabei nicht zu feh­len. Anzei­gen der Frei­en Wäh­ler und der Pseu­do-BI, vie­le gro­ße Pla­ka­te, Brie­fe an Senior*innen (mit Grü­ßen des Pfle­ge­diensts) und Erstwähler*innen („mega, du“). Weni­ger wich­tig: Fak­ten und Argumente. 

Die Stra­ßen­bahn wür­de durch Land und Kreis bezahlt. Die Nein-Sei­te ver­spricht statt des­sen „E‑Busse“, pro­pa­giert die­se als bil­li­ger und fle­xi­bler. Dass der Bus­fahr­plan für Gun­del­fin­gen bes­ser wer­den kann, stimmt, dass es klug wäre, die Die­sel­bus­se – wie im Rest des VAG-Net­zes – durch E‑Busse zu erset­zen, auch. Ob die Nein-Sager und vor allem die popu­lis­tisch auf­tre­ten­den Frei­en Wäh­ler nach Sonn­tag noch etwas von E‑Bussen hören wol­len, wer­den wir dann sehen. Weil: die müss­te die Gemein­de selbst zah­len. Und sind ziem­lich teu­er. Eigent­lich wun­dert es mich nur, dass Nein-Sager-BI nicht gleich Flug­ta­xis ver­spro­chen hat.

Jeden­falls: ein eher uner­freu­li­cher Wahl­kampf, mit Popu­lis­mus, mit abge­ris­se­nen und zer­stör­ten Pla­ka­ten, mit Fehl­in­for­ma­tio­nen und einer ziem­lich zuge­spitz­ten Stim­mung. Am Sonn­tag haben wir dann min­des­tens mal Klar­heit, ob die Mehr­heit der Gundelfinger*innen möch­te, dass der nächs­te Schritt für den Anschluss ans Stra­ßen­bahn­netz gegan­gen wird. 

P.S. (17.11.): Hat lei­der nicht geklappt – wobei 42% Ja zu 58% Nein zumin­dest nicht dra­ma­tisch schlecht ist. Grü­ne Stel­lung­nah­me zum Ergebnis.