Update zu „Verlängern, nein danke“

Wie ges­tern geschrie­ben, will EnBW Strom­men­gen vom neus­ten Reak­tor Neckar­west­heim II auf den ältes­tens – Neckar­west­heim I – umle­gen. Wohl in der Hoff­nung, so bei einer etwa­igen CDU-FDP-Regie­rung im Bund und einem kip­pen­den Atom­aus­stieg doch bei­de Reak­to­ren zu „ret­ten“. Ers­te Reak­tio­nen des für den Antrag zustän­di­gen Bun­des­mi­nis­ters Gabri­el (SPD) sehen rela­tiv posi­tiv aus: Spie­gel-online von heu­te, d.h. der Antrag wird erst nach einer – hof­fent­lich gründ­li­chen – Sicher­heits­ab­wä­gung geneh­migt. Pro­test dage­gen bleibt wei­ter­hin sinn­voll; eben­so die Abstim­mung mit den Füs­sen im Sin­ne eines Anbie­ter­wech­sels hin zu einem nicht-ato­ma­ren Strom­ver­sor­ger.

Verlängern, nein danke!

Die EnBW ist das dritt­größ­te Ener­gie­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men Deutsch­lands, ent­stan­den aus den ehe­ma­li­gen baden-würt­tem­ber­gi­schen Staats­un­ter­neh­men in die­sem Bereich. Erst neu­lichs ist die EnBW durch eine eigent­lich nur zynisch zu nen­nen­de – unter ande­rem in der taz geschal­te­te – Anzei­ge (pdf) auf­ge­fal­len, in der das 30-jäh­ri­ge Bestehen des von der EnBW betrie­be­nen AKW Neckar­west­heims als Bei­trag zum Kli­ma­schutz ver­kauft oder grün­ge­wa­schen wur­de. Das war aber nur der ers­te Schritt – heu­te wur­de offi­zi­ell der Antrag gestellt, Rest­ener­gie­men­gen ande­rer AKWs laut Atom­kon­sens auf Neckar­west­heim zu über­tra­gen. Damit wür­de das AKW Neckar­west­heim acht Jah­re län­ger als geplant lau­fen – und nicht 2007 abgeschaltet.

Nicht nur ist die Gleich­set­zung Atom­kraft = Kli­ma­schutz naiv (weil da weder die eben­falls pro­ble­ma­ti­schen Fol­gen der Pro­duk­ti­on radio­ak­ti­ven Mülls noch der im Betrieb ent­wei­chen­den Radio­ak­ti­vi­tät noch des mit Unfäl­len ver­bun­de­nen Risi­kos berück­sich­tigt wird), sie ist auch falsch: der Bau und Abriss von AKWs eben­so wie der Abbau von Uran trägt eben doch zum CO2-Aus­stoss bei. Statt also Rest­lauf­zei­ten so zu ver­schie­ben, dass mög­lichst lan­ge AKWs lau­fen (in der Hoff­nung, irgend­wann den Atom­austieg doch wie­der rück­gän­gig zu machen), wäre es bes­ser, wenn die EnBW ihrem selbst­ver­ord­ne­ten Umwelt-Image gerecht wür­de und in den Berei­chen Wind / Son­ne / Was­ser / Bio­mas­se / Geo­ther­mie den Schwer­punkt ihrer Arbeit set­zen würde.

Wer eben­falls die­ser Ansicht ist, kann gegen den EnBW-Antrag pro­tes­tie­ren – und natür­lich seinen/ihren Strom­ver­sor­ger wech­seln, zum Bei­spiel zu den erst kürz­lich aus­ge­zeich­ne­ten Elek­tri­zi­täts­wer­ken Schön­au (EWS).

> Info- und Pro­test­sei­te bei den Grü­nen BaWü
> Infor­ma­ti­on zum The­ma bei Syl­via Kot­ting-Uhl, MdB (neus­te PM lei­der noch nicht online)
> Blog­ein­trag beim grü­nen Lan­des­vor­sit­zen­den Mouratidis
> Web­site ATOMAUSSTIEG SELBER MACHEN der Umweltverbände

((Dis­clai­mer: als enga­gier­tes grü­nes Mit­glied habe ich natür­lich ein Inter­es­se dar­an, unse­re Kam­pa­gnen bekannt zu machen …))

Die Angst der (bürgerlichen) Gesellschaft vor dem Anderen

Nicht zum ers­ten Mal bei Grüns ent­schei­den sich Dele­gier­te spon­tan für jemand, die nicht zur Par­tei­pro­mi­nenz gehört, son­dern mit Frech­heit und Spon­ta­ni­tät über­zeugt. Ich fin­de das gut, und fin­de es auch voll­kom­men in Ord­nung, das Julia wei­ter­hin die Posi­tio­nen ver­tritt, für die sie sich auch schon in der GRÜNEN JUGEND stark gemacht hat. Dazu gehö­ren eine weit­ge­hen­de Dro­gen­frei­ga­be eben­so wie ein Rück­zug des Staa­tes aus der Regu­la­ti­on pri­va­ter Bezie­hun­gen. Also klas­si­sche links­li­be­ra­le Posi­tio­nen – der Schutz des Bür­gers und der Bür­ge­rin vor zuviel staat­li­cher Einmischung.
Die (bür­ger­li­che) Gesell­schaft reagiert dar­auf vor allem: ver­stört. Das lässt sich den Kom­men­ta­ren in Juli­as Blog eben­so ent­neh­men wie der Pres­se­be­richt­erstat­tung in der ZEIT und der BILD. Es gibt auch Pres­se­stim­men, die da etwas sach­li­cher ran­ge­hen – etwa die WAZ mit Meta­be­richt­erstat­tung über den Medi­en­rum­mel rund um Julia. Ins­ge­samt aber scheint mir doch vor allem eines durch­zu­schei­nen. Da hat­te sich die gesell­schaft­li­che Mit­te es so schön ein­ge­rich­tet mit den lang­wei­lig und ver­bür­ger­licht gewor­de­nen Alter­na­ti­ven. Und jetzt wird deut­lich, dass es doch noch gewis­se Dif­fe­ren­zen zwi­schen FDP und Grü­nen gibt. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein – oder muss run­ter­ge­schrie­ben, ver­bal beschimpft (sie­he Blog­kom­men­ta­re) oder für ver­rückt erklärt werden.
Der Lack der Tole­ranz scheint dün­ner zu sein, als ich es nach den sie­ben Jah­ren rot-grü­ner Libe­ra­li­sie­run­gen erwar­tet hät­te. Was dar­un­ter zum Vor­schein kommt, ist nicht schön – aber auch kein Grund, aufzugeben.