25 Jahre Deutsche Republik

Wir erin­nern uns. 1989, Mon­tags­de­mons­tra­tio­nen in Leip­zig und Ber­lin, der Ruf „Wir sind das Volk!“ ertönt auf der Stra­ße. Die eiser­nen Zügel von Par­tei und Sta­si lockern sich lang­sam. In Kir­chen und Umwelt­zen­tren tref­fen sich die Mit­glie­der des Neu­en Forums und des Demo­kra­ti­schen Auf­bruchs. Immer lau­ter wird auch der Ruf aus den Block­par­tei­en nach Eigen­stän­dig­keit und Unab­hän­gig­keit von der SED. Im Herbst 1989 wer­den in der Bun­des­re­pu­blik Begehr­lich­kei­ten laut – kön­nen die Unru­hen in der DDR genutzt wer­den, um die­se zu annek­tie­ren? Hel­mut Kohl und Hans-Diet­rich Gen­scher ver­han­deln mit den Frie­dens­ga­ran­ten, nut­zen auch die per­sön­li­chen Bezie­hun­gen zum sowje­ti­schen Gene­ral­se­kre­tär Michail Gor­bat­schow. Nada – die Sowjet­uni­on, die Ver­ei­nig­ten Staa­ten, ins­be­son­de­re aber Groß­bri­tan­ni­en und Frank­reich leh­nen eine Ver­grö­ße­rung des Staats­ge­biets der Bun­des­re­pu­blik strikt ab. Eine Ver­ei­ni­gung ist ausgeschlossen. 

Es kommt zum his­to­ri­schen Frie­dens­schluss, der das Ende des kal­ten Krie­ges mar­kiert. Bei­de deut­schen Staa­ten ver­zich­ten gegen­über den Garan­tie­mäch­ten förm­lich und fei­er­lich auf das Ziel der Wie­der­ver­ei­ni­gung und erhal­ten dafür ihre vol­le Sou­ve­rä­ni­tät. Die fran­zö­si­schen, bri­ti­schen und ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen in der Bun­des­re­pu­blik zie­hen sich weit­ge­hend zurück, auch in der DDR beginnt der Rück­zug der sowje­ti­schen Freun­de. Ent­lang der Elbe und der Havel wer­den Flä­chen an die Bun­des­re­pu­blik abge­ge­ben, um West­ber­lin an das bun­des­re­pu­blia­ni­sche Staats­ge­biet anzu­schlie­ßen. Wenig spä­ter baut die Bun­des­bahn in die­sem dünn besie­del­ten Tran­sit­be­reich Gleis­an­la­gen für ihren Hochgeschwindigkeitszug. 

Die Ber­li­ner Mau­er und die „inner­deut­schen“ Grenz­an­la­gen wer­den in einem geord­ne­ten Ver­fah­ren ent­mi­li­ta­ri­siert und bis auf weit­ge­hend sym­bo­li­sche Grenz­zäu­ne zurückgebaut. 

Erich Hon­ecker tritt zurück, ihm folgt sein Kron­prinz Egon Krenz, der aber die Macht der Par­tei nicht hal­ten kann. In dem nun Deut­sche Repu­blik genann­ten Staat wer­den unter der Auf­sicht der OSZE nach lan­gen Ver­hand­lun­gen im März 1991 die ers­ten frei­en Volks­kam­mer­wah­len abge­hal­ten, zu denen neben der SED-PDS auch der neu gegrün­de­te Demo­kra­ti­schen Auf­bruch, die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche SDP sowie die drei ehe­ma­li­gen Block­par­tei­en CDU, die frei­de­mo­kra­ti­sche LDP und die natio­nal­li­be­ra­le NLPD antre­ten. Sabi­ne Berg­mann-Pohl, die Spit­zen­kan­di­da­tin der CDU, wird mit einer rela­ti­ven Mehr­heit von 46,3 Pro­zent ers­tes Staats­ober­haupt der Deut­schen Republik. 

25 Jah­re spä­ter, 2016, unter­hal­ten die Bun­des­re­pu­blik, nach wie vor von Bonn aus regiert, und die Deut­sche Repu­blik gute Bezie­hun­gen. Gemein­sam mit ande­ren ehe­ma­li­gen Ost­block­staa­ten ist die Deut­sche Repu­blik der Erwei­ter­ten Euro­päi­schen Han­dels­zo­ne bei­getre­ten und damit zwar nicht Teil Kern­eu­ro­pas, aber doch Teil des euro­päi­schen Pro­jekts. Mit Sor­ge aller­dings schau­en lin­ke und pro­gres­si­ve Intel­lek­tu­el­le auf die Ent­wick­lung der letz­ten Jah­re in die­sen Staa­ten. In Ungarn herrscht der Rechts­po­pu­list Orbán, in Polen die auto­ri­tä­re PIS, die gera­de erst Abtrei­bun­gen kom­plett ver­bo­ten hat, und auch in der Deut­schen Repu­blik kann die CDU – die seit 1991 regiert – ihre Mehr­heit inzwi­schen nur noch ver­tei­di­gen, indem sie mit der stark gewor­de­nen NLPD und der neu­en For­ma­ti­on „Alter­na­ti­ve: Deutsch­land“ (letz­te­rer wer­den heim­li­che Wie­der­ver­ei­ni­gungs­be­stre­bun­gen unter­stellt) in einer doch recht fra­gi­len Drei­er­kon­stal­la­ti­on koaliert. 

Im Ver­gleich zur Bun­des­re­pu­blik zeich­net sich die Deut­sche Repu­blik immer stär­ker durch eine staat­lich ver­ord­ne­te Leit­kul­tur aus. Preu­ßen wird als wich­ti­ger Bezugs­punkt der Geschich­te wie­der­ent­deckt, und in der Auf­ar­bei­tung des sozia­lis­ti­schen Regimes wird immer häu­fi­ger die Fra­ge gestellt, wie ehr­ba­re Hand­wer­ker und Bür­gers­leu­te den Auf­stieg der SED zulas­sen konn­ten, statt sich wehr­haft auf deut­sche Tugen­den zu bezie­hen. Schul­uni­for­men, der Fah­nen­ap­pell und die obli­ga­to­ri­sche Wehr­pflicht – all das wird in der Deut­schen Repu­blik hoch gehal­ten. Ja, man­che sagen hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand, inzwi­schen aber auch immer öfter ganz offen in Leser­brie­fen und Netz­fo­ren, dass die Deut­sche Repu­blik ja eigent­lich der wah­re Erbe des Deut­schen Reichs sei, wäh­rend die Bun­des­re­pu­blik unter dem Ein­fluss der West­mäch­te und der 1968er-Gamm­ler zu einem „links­ver­siff­ten“ Land gewor­den sei, dass sich schä­men müs­se, sich deutsch zu nen­nen. Dass die Bun­des­re­pu­blik auf Drän­gen der an der Regie­rung betei­lig­ten GRÜNEN eini­ge hun­dert­tau­send Flücht­lin­ge aus Syri­en auf­ge­nom­men hat, wird hier nicht als gro­ße huma­ni­tä­re Leis­tung ange­se­hen, son­dern als Bedro­hung emp­fun­den. Kei­nes­falls dür­fe die Deut­sche Repu­blik sich die­sem Akt der „Völ­ker­mi­schung“ anschlie­ßen, heißt es, das dann auch ger­ne auch von Regie­rungs­mit­glie­dern der Deut­schen Repu­blik in offi­zi­el­len Ver­laut­ba­run­gen, vor dem Leip­zi­ger Völ­ker­schlacht­denk­mal in Sze­ne gesetzt. 

Inzwi­schen – machen sagen: noch – reicht ein Per­so­nal­aus­weis eines der bei­den deut­schen Staa­ten, um die gemein­sa­me Gren­ze zu über­que­ren. Ins­be­son­de­re West­ber­lin und Ber­lin sind zusam­men­ge­wach­sen und ver­ste­hen sich – zusam­men mit Tei­len des Bezirks Pots­dam – als eine libe­ra­le euro­päi­sche Metro­po­le, die Krea­ti­ve und Frei­den­ken­de anzieht. Vie­le Bür­ge­rin­nen und Bür­ger der Deut­schen Repu­blik leben dau­er­haft im Wes­ten. Anders sieht es im Harz, an der Ost­see und im Erz­ge­bir­ge aus. Wer hier die fal­sche Haut­far­be hat, die fal­schen Per­so­nen küsst, ja selbst, wer die fal­sche Klei­dung trägt, wird nicht nur schief ange­schaut, son­dern ange­gan­gen und immer wie­der auch kör­per­lich bedroht. Im Bezirk Dres­den wür­den NLPD, Alter­na­ti­ve: Deutsch­land und Poli­zei und Gericht unter einer Decke ste­cken, wird gemun­kelt – ent­spre­chend ver­lau­fen Ermitt­lun­gen im San­de, und ent­spre­chend wer­den bei Auf­mär­schen und Aus­schrei­tun­gen bei­de Augen zugedrückt. 

Das muss­ten bei den Fest­ak­ten zum deutsch-deut­schen Frie­dens­schluss in Dres­den heu­te nicht zuletzt die Kanz­le­rin und der Bun­des­prä­si­dent selbst erle­ben, die aus­ge­pfif­fen wur­den und mit ihrer Dele­ga­ti­on aus aller­lei Per­sön­lich­kei­ten der Bun­des­re­pu­blik kaum zur Sem­per-Oper kamen, weil immer wie­der Akti­vis­ten der mili­tan­ten Patrio­ti­schen Ein­heits­be­we­gung, aber auch der Alter­na­ti­ve: Deutsch­land ver­such­ten, die „Vater­lands­ver­rä­ter“ zu blo­ckie­ren. Im Lage­be­richt der Dresd­ner Par­tei, par­don, Poli­zei war davon aller­dings nichts zu lesen – das Volk habe die Gele­gen­heit zum Mei­nungs­aus­tausch mit den Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern genutzt, was ja wohl nie­man­den zu ver­weh­ren sei.

War­um blog­ge ich das? Als nicht ganz den Fak­ten ent­spre­chen­der Deu­tungs­ver­such zum heu­ti­gen Tag der Deut­schen Einheit.

Autoverkehr im postfossilen Zeitalter ermöglichen

Dismanteled

Das ist jetzt nicht ganz ein­fach. Ich selbst habe ja bewusst kei­nen Füh­rer­schein und set­ze für Mobi­li­tät auf so Din­ge wie Stra­ßen­bah­nen, Fahr­rä­der, Zu-Fuß-Gehen und ICEs. Und ich bin Baden-Würt­tem­ber­ger, lebe also in einem Land (und mache da auch noch Poli­tik), in dem Unmen­gen an Steu­er­mit­teln und Arbeits­plät­zen von der Auto­in­dus­trie samt Zulie­fe­rern abhän­gen. Und dann berich­tet zum Bei­spiel Spie­gel Online dar­über, dass der Bun­des­ver­band der Grü­nen ein End­da­tum für Autos mit Ver­bren­nungs­mo­tor set­zen will. Und ich fin­de das auch noch gut.

Eigent­lich ist es ja ganz ein­fach. Wir haben ein mas­si­ves Pro­blem damit, dass der CO2-Gehalt in der Atmo­sphä­re immer wei­ter steigt. Das bedeu­tet: Hei­ße­re Som­mer, höhe­re Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren, schmel­zen­de Glet­scher und Pole, eine stei­gen­de Zahl an Unwet­ter­er­eig­nis­sen. Die Ursa­chen dafür sind bekannt: die Treib­haus­gas­emis­sio­nen aus Kraft­wer­ken und aus dem Ver­kehr (in Deutsch­land nach der Ener­gie­er­zeu­gung die zweit­wich­tigs­te Emis­si­ons­quel­le). Und Öl ist irgend­wann auch alle. Es gibt also eine Men­ge gute Grün­de, war­um moto­ri­sier­ter Indi­vi­du­al­ver­kehr in Zukunft eben nicht mehr mit Ver­bren­nungs­mo­to­ren lau­fen sollte.

„Auto­ver­kehr im post­fos­si­len Zeit­al­ter ermög­li­chen“ weiterlesen

Kurz: Abgeklärter Fatalismus

Heu­te Nacht fin­det das ers­te Fern­seh­du­ell zwi­schen Hil­la­ry Clin­ton und Donald Trump statt. Mei­ne Sym­pa­thien sind klar ver­teilt, und ich hof­fe, dass Clin­ton ein paar Punk­te „macht“ – und dass die Wähler*innen im Novem­ber eine klu­ge Ent­schei­dung für eine okaye Prä­si­den­tin tref­fen, statt auf plat­ten Popu­lis­mus zu set­zen. Auch wenn letz­te­res gefühlt und mög­li­cher­wei­se post­fak­tisch der Mega­trend des Jah­res 2016 ist. Und auch, wenn ich dem US-Wahl­sys­tem so man­chen Quer­schlag zutrau­en wür­de (Gore vs. Bush, anyone?).

Obwohl ich Trump für eine mas­si­ve Gefahr für den Welt­frie­den und das pla­ne­ta­re Kli­ma hal­te, und obwohl ich den­je­ni­gen, die bei ihm Ansät­ze einer ame­ri­ka­ni­schen Spiel­art des Faschis­mus sehen, bis zu einem gewis­sen Grad recht geben wür­de, lässt mich die­ser Wahl­kampf selt­sam kalt. Ich wer­de nicht mit­ten in der Nacht auf­ste­hen, um beim Duell mit­zu­fie­bern. Viel­leicht ist’s der Kon­trast zu Oba­mas Pathos (bei gleich­zei­ti­gem Wis­sen dar­um, wie unvoll­stän­dig das Pro­gramm hin­ter dem Pathos umge­setzt wer­den konn­te), viel­leicht auch die Distanz zum ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent und die loka­le, euro­päi­sche Pro­blem­dich­te – jeden­falls drü­cke ich zwar Clin­ton die Dau­men, schaue aber letzt­lich doch mit abge­klär­tem Fata­lis­mus auf die­sen Wahlkampf.

Der Rebell. Eine Miniatur

Der Rebell (sel­te­ner die R.-in); hat oder hat­te Par­tei­äm­ter oder Man­da­te inne; setzt sei­ne Abwei­chung vom all­ge­mei­nen Kurs der Par­tei wohl in Sze­ne. Über die Zeit wird das Löcken wider den Sta­chel zum bestim­men­den The­ma des Rebel­len. Kon­struk­ti­ve Arbeit in der Par­tei kommt nur noch sel­ten vor. Er wird nun in der Rol­le des Rebells besetzt, etwa auf Talk­show­ses­sel. Am Ende des media­len Spiels, kurz vor all­ge­mei­ner Ermü­dung der auf den Rebel­len fokus­sier­ten Auf­merk­sam­keit, kommt es manch­mal zum erup­ti­ven Aus­tritt. Aller­dings droht ohne Kon­trast­fo­lie schnell ein Ver­bren­nen des Auf­merk­sam­keits­wer­tes, das Inter­es­se erlahmt, am Ende fin­det sich der Rebell als → ein­sa­mer Kämp­fer im Schat­ten wieder.